Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 78/04 
 
Urteil vom 11. Oktober 2004 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke 
 
Parteien 
M.________, 1973, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Chopard, Werdstrasse 36, 8004 Zürich, 
 
gegen 
 
Alpina Versicherungen, Seefeldstrasse 123, 8008 Zürich, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Robert Geisseler, Badenerstrasse 21, 8004 Zürich 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 23. Januar 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1973 geborene M.________ war seit 23. Februar 1995 im Hotel C.________ als Casserolier angestellt und dadurch bei der Alpina Versicherungen (nachfolgend: Alpina) gegen die Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Am 29. August 1995 erlitt er bei einem Sturz mit dem Fahrrad auf dem Arbeitsweg eine vordere Kreuzbandruptur rechts. Vom 19. September bis 2. Oktober 1995 war er zur Vornahme einer vorderen Kreuzband-Ersatzplastik mit Ligamentum patellae im Spital X.________ hospitalisiert, des Weiteren erfolgten 1996 zwei arthroskopische Interventionen. Die auf Grund dieser Verletzung neben der Heilbehandlung ausgerichteten Taggeldleistungen stellte die Alpina mit Verfügung vom 17. Juli 1997 ab 1. Juli 1997 ein. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Einsprache verlegte die Alpina mit Einspracheentscheid vom 3. Oktober 1997 den Zeitpunkt der Taggeldeinstellung auf den 1. Oktober 1997. 
Am 26. Februar 1998 stellte M.________ unter Verweis auf den Bericht des Spitals Y.________ vom 26. Januar 1998 ein Revisionsgesuch. Mit Verfügung vom 15. Mai 1998 setzte die Alpina die Ausrichtung des Taggeldes ab 1. Mai 1998 wieder fort. Am 1. Juli 1998 unterzog sich M.________ einer operativen Revision des Kniegelenks. Zudem wurde ein Gutachten des Dr. med. H.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie, vom 3. Juni 1999 eingeholt. Mit einer weiteren Verfügung vom 2. November 1999 sprach die Alpina M.________ ab 1. November 1999 eine temporäre Invalidenrente von sechs Monaten über 50 % und anschliessend für die gleiche Zeit eine solche über 25 % zu, wogegen dieser Einsprache erhob. Weil diese Verfügung dem Krankenversicherer nicht eröffnet worden war, verfügte die Alpina am 12. Mai 2000 die gleiche Rentenzusprache erneut, zudem gewährte sie eine Integritätsentschädigung von 20 %, dies alles unter Übernahme der bisherigen Heilbehandlung. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 25. Juli 2000 fest. 
B. 
Dagegen erhob M.________ Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem sinngemässen Rechtsbegehren auf Zusprechung höherer und zeitlich unbeschränkter Versicherungsleistungen. Nach Einholung einer ablehnenden Vernehmlassung der Alpina, dem Abschluss des Schriftenwechsels (Verfügung vom 7. Dezember 2000), der Entgegennahme eines am 1. März 2001 durch den Versicherten eingereichten Zeugnisses der Klinik Z.________ vom 30. Januar 2001 und der Einholung einer Meinungsäusserung der Alpina dazu stellte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich dem Versicherten mit Beschluss vom 12. Juni 2001 die Aufhebung der von der Verwaltung zugesprochenen Renten in Aussicht und räumte ihm angesichts der drohenden reformatio in peius Gelegenheit zu einer Stellungnahme und zum allfälligen Rückzug seiner Beschwerde ein. Ein daraufhin eingereichtes Ausstandsbegehren wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss des Gesamtgerichts vom 4. Dezember 2001 ab. 
Die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit welcher M.________ die Aufhebung des Beschlusses vom 4. Dezember 2001 und den Ausstand der am Beschluss vom 12. Juni 2001 beteiligten Gerichtspersonen verlangte, wies das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 16. Dezember 2002 ab. 
Nachdem das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich M.________ nochmals Gelegenheit zu Stellungnahme und Beschwerderückzug gegeben hatte, wies es mit Entscheid vom 23. Januar 2004 die am 23. Oktober 2000 erhobene Beschwerde ab; gleichzeitig wurde im Rahmen der angedrohten reformatio in peius der Einspracheentscheid vom 25. Juli 2000 aufgehoben und festgestellt, dass der Versicherte ab 1. November 1999 keinen Anspruch auf die temporäre Invalidenrente hat. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei die Alpina zu verpflichten, ihm eine unbefristete Invalidenrente sowie eine angemessene Integritätsentschädigung auszurichten. Zudem sei ihm die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren. 
Während die Alpina auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG). 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG) sowie den für die Leistungspflicht des UVG-Versicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und eingetretenem Schaden (BGE 121 V 329 Erw. 2a, 119 V 337 Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4a, 115 V 134 Erw. 3, je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 129 V 181 Erw. 3.1) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt in Bezug auf die ausserdem erforderliche Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 125 V 461 Erw. 5a, 122 V 416 Erw. 2a, je mit Hinweisen) und im Besonderen bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa). Richtig sind auch die Ausführungen zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG in der bis Ende Juni 2001 gültig gewesenen Fassung), zur Bemessung des Invaliditätsgrades (Art. 18 Abs. 2 UVG in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung), zum Anspruch auf Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1 UVG) und deren Bemessung (Art. 25 Abs. 1 UVG; BGE 115 V 147 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 124 V 35 Erw. 3c) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 V 352 Erw. 3a und b). Korrekt ist schliesslich der Hinweis darauf, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und die damit auf dem Gebiet des Unfallversicherungsrechts verbundenen Änderungen nicht anwendbar sind, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: vom 25. Juli 2000) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen. 
3. 
Streitig und zu prüfen ist im Lichte der vollen Kognition (vgl. Erw. 1 hievor) der Anspruch des Beschwerdeführers auf Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen nach dem 1. November 1999 sowie auf Rentenleistungen und Integritätsentschädigung. 
Während der Unfallversicherer dem Beschwerdeführer ab 1. November 1999 noch abgestufte Invalidenrenten während eines Jahres (jeweils sechs Monate gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 50 % und von 25 %) sowie eine Integritätsentschädigung von 20 % zusprach, bestätigte die Vorinstanz zwar die verfügte Integritätsentschädigung von 20 %, erkannte indes im Sinne einer reformatio in peius auf Fallabschluss ab 1. November 1999 (Einstellung von Heilkosten- und Taggeldleistungen) und lehnte jeglichen Anspruch auf Invalidenrente ab. Dabei verneinte sie den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den bestehenden psychischen Beschwerden und betrachtete hinsichtlich der vorhandenen somatischen Beschwerden ab 1. November 1999 eine angepasste Tätigkeit als voll zumutbar, was im Einkommensvergleich keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad ergab. Für diese Schlussfolgerungen stützte sie sich hauptsächlich auf das Gutachten des Dr. med. H.________ vom 3. Juni 1999. 
3.1 Der Beschwerdeführer spricht dem Gutachten des Dr. med. H.________ zunächst den Beweiswert ab, weil dieser sich in einer Aktennotiz vom 9. Juli 1997 für einen raschen Fallabschluss ausgeprochen und die Schmerzangaben des Versicherten als unglaubwürdig qualifiziert habe, was sich im Nachhinein als unzutreffend herausgestellt habe. 
Zwar mag es beweisrechtlich nicht als optimale Lösung bezeichnet werden, einen Arzt mit der abschliessenden Begutachtung zu beauftragen, welcher sich in einer früheren Phase des Versicherungsverlaufes in einer Weise geäussert hat, die sich in der Folge nicht bestätigte. Tatsächlich hatte der konsultierte Dr. med. K.________, Spital Y.________, nach der Aktennotiz des Dr. med. H.________ vom 9. Juli 1997 am 26. Januar 1998 einen operationswürdigen Befund (unter anderem Lockerung des Transplantats) erhoben, welcher am 1. Juli 1998 durch einen weiteren Eingriff angegangen werden musste. Jedoch führt dieser Umstand weder zur Annahme unzulässiger Vorbefassung noch Parteilichkeit des Dr. med. H.________. Der Umstand, dass eine frühere Prognose dieses Arztes sich nicht bestätigte, spricht nicht zum Vornherein gegen den Beweiswert seines Gutachtens vom 3. Juni 1999. 
3.2 Hingegen kann der Beweiswürdigung der Vorinstanz aus folgenden Gründen nicht abschliessend beigepflichtet werden: 
3.2.1 Werden die von Dr. med. H.________ in seiner Expertise zusammengestellten Röntgenbefunde vom 29. August 1995, 7. Februar 1996, 18. September 1997 und 12. April 1999 unter sich und im Vergleich zu den Röntgenbefunden vom 26. Januar 2001 der Klinik Z.________ gemäss deren Bericht vom 30. Januar 2001 und der Röntgenaufnahmen des Dr. med. K.________ vom 21. Juli 2003 sowie unter Berücksichtigung der Angaben der beteiligten Ärzte zu den Ergebnissen ihrer klinischen Untersuchungen gewürdigt, ergeben sich erhebliche Anhaltspunkte für einen fortschreitenden krankhaften Prozess im betroffenen rechten Kniegelenk: 
- Fanden sich am 29. August 1995 noch völlig normale ossäre- und Gelenksverhältnisse (insbesondere zeigte das tangential dargestellte Femoro-Patellargelenk keine Auffälligkeiten), war am 12. April 1999 im seitlichen Strahlengang ein "ausgeprägter knöcherner Defekt mit zusätzlicher Osteophytenbildung am Unterpol der Patella nach Transplantathebung" zu erkennen. 
 
- Was die Stabilität anbelangt, sprach Dr. med. H.________ von einer leichten Lockerung des zentralen Pfeilers "mit einem Lachmann ++ bei allerdings negativem Pivot-Shift-Phänomen", wogegen die Ärzte der Klinik Z.________ am 30. Januar 2001 im "Untersuch nach Lachmann" einen deutlich verlängerten Weg "mit ++ bis +++, jedoch vorhandenem Anschlag" erhoben und einen - offenbar positiven - "Pivot-Shift" beifügten. 
 
- Konnte Dr. med. H.________ am 12. April 1999 noch eine "normale Weite" des medialen und lateralen Gelenkspaltes wiedergeben, ist im Bericht der Klinik Z.________ vom 30. Januar 2001 doch schon von einer geringgradigen Gelenkspaltverschmälerung medial die Rede, im Bericht des Dr. med. K.________ vom 29. Dezember 2003 von einer mässigen Verschmälerung des medialen Gelenkspaltes femoro-tibial mit Ausziehung des medialen Kondylus und des medialen Tibiaplateaus; Letzterer berichtet auch von wesentlich pathologischen Befunden im Tibiaplateau, Hinterhornbereich des medialen Restmeniskus und der Patella; Befunde, welche so von Dr. med. H.________ nicht festgestellt und wiedergegeben worden sind. 
- Die Expertise des Dr. med. H.________ weist die Fixationsschrauben oberhalb des lateralen Femurkondylus und an der Tuberositas tibiae "in situ" aus, wogegen nach dem Bericht der Klinik Z.________ einer der zwei femoralen Bohrkanäle "weit anterior" liegt. Diese Entwicklung bezüglich des Sitzes des Osteosynthesematerials ist es denn auch, welche Dr. med. K.________ im Bericht vom 29. Dezember 2003 zur Empfehlung veranlasst, das störende Osteosynthesematerial zu entfernen. 
3.2.2 Auf dem Weg der freien Beweiswürdigung (vgl. Erw. 2 hievor) ergeben sich damit nicht zu entkräftende Anhaltspunkte für eine die Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränkende Kniepathologie. Unter diesen Umständen ist die Einholung eines Gerichtsgutachtens zur Ausräumung der medizinischen Lücken, Unklarheiten und Widersprüche unerlässlich, weshalb die Sache zu diesem Zweck an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Dabei wird sie je nach dem Ergebnis der Abklärungen die Zusammenhangsfrage bezüglich der persistierenden organischen Befunde samt ihren Auswirkungen auf Invalidität und Integrität neu zu prüfen haben, ebenfalls die Frage der adäquaten Kausalität der beim Beschwerdeführer während der jahrelangen Behandlungen eingetretenen depressiven Entwicklung und der entsprechenden Kriterien. 
4. 
Es geht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist damit gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid vom 23. Januar 2004 aufgehoben und die Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit es, nach Aktenergänzungen im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde vom 23. Oktober 2000 gegen den Einspracheentscheid der Alpina Versicherungen vom 25. Juli 2000 neu befinde. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 11. Oktober 2004 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: