Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.633/2005 /ggs 
 
Urteil vom 11. Oktober 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Patrik Killer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026 Zürich, 
Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung 
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichterin, vom 16. September 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wird vorgeworfen, am 12. August 2005 seine Freundin unter Anwendung von körperlicher Gewalt mindestens eine Stunde im Schlafzimmer eingesperrt und mit einer Faustfeuerwaffe mit dem Tode bedroht zu haben. Er wurde deshalb am 13. August 2005 in seiner Wohnung verhaftet. Mit Verfügung vom 16. August 2005 ordnete die Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich die Untersuchungshaft an. Zwei Haftentlassungsgesuche vom 16. und 17. August 2005 wies sie am 19. August 2005 ab. 
 
Mit Verfügung vom 16. September 2005 wies die Haftrichterin ein weiteres Haftentlassungsgesuch vom 11. September 2005 ab und verlängerte die Untersuchungshaft bis 16. November 2005. Sie begründete ihren Entscheid damit, dass der Angeschuldigte weiterhin der schweren Drohung und Freiheitsberaubung verdächtig sei. Kollusionsgefahr sei "vorderhand ohne weiteres zu bejahen". Der besondere Haftgrund der Ausführungsgefahr könne im Moment ungeprüft bleiben. Diese sei vom Sachverständigen abzuklären, der eine psychiatrische Begutachtung im Sinne einer Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen habe. 
B. 
Mit Eingabe vom 26. September 2005 erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde gegen den abweisenden Entscheid vom 16. September 2005 wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 10 Abs. 2 BV. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Die Haftrichterin sei anzuweisen, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter seien die Akten zur Neubeurteilung an die Haftrichterin zu überweisen. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Die Haftrichterin verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Staatsanwalt des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Er verweist zusätzlich auf den von der Haftrichterin offen gelassenen Haftgrund der Ausführungsgefahr im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 4 des kantonalen Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH; LS 321). 
 
In seiner Replik hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest. Zudem weist er den Verdacht auf Selbst- oder Fremdgefährdung von sich. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer ficht die Verlängerung der Untersuchungshaft an und verlangt nebst der Aufhebung der angefochtenen Verfügung die Entlassung aus der Haft. Obwohl die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich kassatorischer Natur ist, ist im Rahmen der Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit das Begehren zulässig, die kantonalen Behörden seien anzuweisen, den Beschwerdeführer aus der Haft zu entlassen (BGE 124 I 327 E. 4b/aa S. 333; 115 Ia 293 E. 1a S. 297). Auf die gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid erhobene, frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten. 
2. 
2.1 Mit der Anordnung der Untersuchungshaft wurde die in Art. 10 Abs. 2 BV garantierte persönliche Freiheit des Beschwerdeführers eingeschränkt. Ein Eingriff in dieses Grundrecht ist zulässig, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist; zudem darf er den Kerngehalt des Grundrechts nicht beeinträchtigen (Art. 36 BV; BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; 127 I 6 E. 6 S. 18; 126 I 112 E. 3a S. 115, je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall steht ein Freiheitsentzug und damit ein schwerwiegender Eingriff in die persönliche Freiheit in Frage. Eine solche Einschränkung muss nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV im Gesetz selbst vorgesehen sein. Zudem darf auch nach Art. 31 Abs. 1 BV einer Person nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen die Freiheit entzogen werden. 
2.2 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen Anordnung oder Fortdauer der Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; 123 I 31 E. 3a S. 35, 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet in erster Linie den dringenden Tatverdacht. Es handle sich um einen "Rosenkrieg" zwischen den Parteien und die Aussagen der Geschädigten widersprächen sich mittlerweile in diversen Punkten. 
3.2 Die Ausführungen des Beschwerdeführers überzeugen in keiner Weise. Die detaillierte Würdigung der verschiedenen Aussagen sowohl der Geschädigten als auch des Angeschuldigten wird dem Sachrichter bei der materiellen Prüfung der Strafbarkeit obliegen. Im jetzigen Zeitpunkt ist der dringende Tatverdacht aufgrund der gesamten Umstände und der von der Haftrichterin zitierten Schilderungen der Geschädigten zu bejahen, zumal der Beschwerdeführer gemäss unbestrittener Feststellung im angefochtenen Entscheid "ein ganzes Waffenarsenal angehäuft hat". 
4. 
4.1 Sodann stellt der Beschwerdeführer den besonderen Haftgrund der Kollusionsgefahr in Abrede. Im angefochtenen Entscheid werde nicht ausgeführt, warum weiterhin Kollusionsgefahr bestehe. Seiner Ansicht nach fällt die Kollusionsgefahr nach der ausführlichen Einvernahme der Geschädigten vom 14. September 2005 als besonderer Haftgrund dahin. 
4.2 Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass der angefochtenen Verfügung nicht zu entnehmen ist, weshalb weiterhin Kollusionsgefahr bestehen soll. Die Haftrichterin hält lediglich fest, Kollusionsgefahr sei ohne weiteres zu bejahen. Es ist jedoch nicht Sache des Bundesgerichtes, unter Würdigung der Akten anstelle der Haftrichterin zu beurteilen, ob im jetzigen Zeitpunkt noch Kollusionsgefahr besteht. Die Feststellung der Haftrichterin genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Haftentscheid nicht. Daraus folgt indes nicht automatisch ein Anspruch auf Haftentlassung. Zum einen haben die kantonalen Behörden zu prüfen, ob der Haftgrund der Kollusionsgefahr ausreichend begründet werden könnte. Zum andern sieht die Strafprozessordnung des Kantons Zürich noch weitere (alternative) besondere Haftgründe (insbesondere Ausführungsgefahr) vor, die allenfalls in Frage kommen könnten (§ 58 Abs. 1 Ziff. 1-4 StPO/ZH). Der Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) und das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 31 Abs. 4 BV) verlangen allerdings eine rasche Prüfung der fraglichen Haftgründe, auch wenn im Augenblick noch keine Gefahr von Überhaft besteht. 
5. 
5.1 Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das Haftentlassungsgesuch ist indes abzuweisen. Die kantonalen Behörden haben im Sinne der Erwägungen nochmals zu prüfen, ob ein strafprozessualer Haftgrund vorliegt. Andernfalls wäre der Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft zu entlassen. 
5.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Zürich den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 OG). Damit wird dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung der Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich vom 16. September 2005 aufgehoben. 
2. 
Das Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 11. Oktober 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: