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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 617/06 
 
Urteil vom 12. Januar 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Lustenberger, Vorsitzender, 
Bundesrichter Ferrari und Seiler, 
Gerichtsschreiber Widmer. 
 
Parteien 
S.________, 1960, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Giuseppe Dell'Olivo-Wyss, Stadtturmstrasse 10, 5401 Baden, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 2. Mai 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1960 geborene S.________ war seit Juni 2000 als Hilfskraft bei der Q.________ AG tätig. Auf Ende Februar 2002 kündigte die Arbeitgeberin das Anstellungsverhältnis. Am 23. September 2002 meldete sich S.________ unter Hinweis auf eine schwere Depression bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Gestützt auf Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht (Berichte der Psychiatrischen Dienste X.________ vom 5. April und 27. Dezember 2002, des Dr. med. E.________, Spezialarzt für Chirurgie, vom 19. Februar 2003 sowie Gutachten des Psychiatrischen Dienstes X.________ vom 11. Juli 2003, ergänzt mit Schreiben vom 3. Dezember 2003) lehnte die IV-Stelle des Kantons Aargau das Rentengesuch am 9. Januar 2004 verfügungsweise ab mit der Begründung, dass keine rentenbegründende Invalidität vorliege; das Leiden beruhe überwiegend auf psychosozialen Missständen, d.h. die ängstlich-depressive Störung sei Ausdruck der psychosozialen Überforderung, für welche die Invalidenversicherung nicht leistungspflichtig sei. S.________ liess Einsprache erheben. Im Laufe des Verfahrens liess sie Berichte des Dr. med. I.________, leitender Arzt Psychosomatik der Klinik Y.________, vom 1. März 2004, des Dr. med. D.________, Oberarzt des Psychiatrischen Dienstes X.________ vom 11. Mai 2004, den Austrittsbericht der Klinik Y.________ vom 13. September 2004, wo die Versicherte vom 30. Juli bis 19. August 2004 hospitalisiert war, sowie des Allgemeinpraktikers Dr. med. B.________ vom 26. Oktober 2004 einreichen. Mit Entscheid vom 3. Dezember 2004 wies die IV-Stelle die Einsprache ab. 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher S.________ unter Beilage von Berichten des Allgemeinpraktikers Dr. med. K.________ vom 15. Januar 2005 und des Dr. med. B.________ (vom 20. Januar 2005) die Aufhebung des Einspracheentscheides und die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente hatte beantragen lassen, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 2. Mai 2006). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Ferner ersucht sie um die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Mit Entscheid vom 17. Oktober 2006 wies das Eidgenössische Versicherungsgericht das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne der Befreiung von der Bezahlung der Gerichtskosten ab. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V [I 618/06] Erw. 1.2). 
2. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006], in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
Im Hinblick darauf, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 5. Juli 2006 der Post übergeben wurde und am 6. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht einging, ist Art. 132 Abs. 2 OG anwendbar, obwohl der angefochtene Entscheid vom 2. Mai 2006 datiert und somit vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung ergangen ist. Die massgebliche Übergangsbestimmung (lit. c von Ziff. II der Gesetzesänderung vom 16. Dezember 2005) erklärt bisheriges Recht für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens beim Eidgenössischen Versicherungsgericht anhängigen Beschwerden für anwendbar, was hier nicht zutrifft. 
3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) sowie die Bedeutung ärztlicher Auskünfte für die Belange der Invaliditätsschätzung (BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden. 
4. 
Die gesetzlichen Definitionen von Invalidität, Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit usw. sind Rechtsbegriffe. Es ist frei zu prüfen die Rechtsfrage, ob die Vorinstanz von einem zutreffenden Verständnis dieser Begriffe ausgegangen ist. Demgegenüber ist die aufgrund von medizinischen Untersuchungen gerichtlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit mit Einschluss der Beurteilung der noch vorhandenen Ressourcen unter Zumutbarkeit einer Arbeitstätigkeit, eine Tatfrage, es sei denn, andere als medizinische Gründe stünden der Bejahung der Zumutbarkeit im Einzelfall in invalidenversicherungsrechtlich erheblicher Weise entgegen (zur Publikation in BGE 132 V bestimmtes Urteil B. vom 28. September 2006, I 618/06). 
4.1 Das kantonale Gericht hat in Würdigung der medizinischen Unterlagen festgestellt, dass für das Beschwerdebild der Versicherten überwiegend - wenn nicht gar ausschliesslich - psychosoziale und soziokulturelle Faktoren massgebend seien, welche vom sozialversicherungsrechtlichen Standpunkt aus rechtsprechungsgemäss unbeachtlich sind. Daneben fehle es an einem verselbstständigten, krankheitswertigen psychischen Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. Die im Gutachten des Psychiatrischen Dienstes X.________ vom 11. Juli 2003 diagnostizierte "chronische ängstlich-depressive Störung mit stark regressiven und histrionischen Elementen als Ausdruck psychosozialer Überforderung durch die beruflichen und alltäglichen Anforderungen im fremden Land (ICD-10, F32.1)" weise auf eine mittelgradige depressive Episode hin, bei welcher die Beschwerdeführerin ihre sozialen, häuslichen und beruflichen Aktivitäten - wenn auch unter Schwierigkeiten - fortsetzen könne. Dementsprechend könne von ihr, allenfalls mit begleitender Therapie, trotz ihres Leidens willensmässig erwartet werden, dass sie wie bisher mit einer angepassten Tätigkeit ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen könne. 
4.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, sie leide an einer von einer allfälligen soziokulturellen oder psychosozialen Belastungssituation losgelösten psychischen Erkrankung, welche eine Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit verursache. 
5. 
5.1 Die Vorinstanz ist von einem zutreffenden Rechtsbegriff der invalidenversicherungsrechtlich relevanten psychischen Gesundheitsstörung ausgegangen. Der Beschwerdeführerin ist zwar beizupflichten, dass eine Leistung der Invalidenversicherung nicht (allein) mit der Begründung verweigert werden kann, ein psychisches Leiden sei (auch) durch eine soziokulturelle Überforderung verursacht. Vorausgesetzt ist aber doch, dass ein von einer derartigen invaliditätsfremden Situation unterscheidbares, von ihr verselbstständigtes psychisches Leiden vorliegt, das für sich allein Krankheitswert hat (BGE 127 V 299 Erw. 5a). Davon ist auch die Vorinstanz ausgegangen und hat des Weiteren festgestellt, dass den ärztlichen Unterlagen kein verselbstständigter psychischer Gesundheitsschaden mit Krankheitswert entnommen werden könne. Dabei handelt es sich um eine für das Bundesgericht im Rahmen von Art. 132 Abs. 2 OG (in Kraft seit 1. Juli 2006) verbindliche Feststellung (Erw. 2 hievor). 
Die Beschwerdeführerin, welche geltend macht, aufgrund einer psychischen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, bringt vor, das kantonale Gericht habe verschiedene Arztberichte unberücksichtigt gelassen. Sie behauptet damit sinngemäss eine unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts. Diese Rüge ist unbegründet. Das kantonale Gericht hat den Bericht des Dr. med. E.________ vom 19. Februar 2003 mit der darin enthaltenen Diagnose unter Stellungnahme zur Arbeitsunfähigkeit erwähnt. Auch der Bericht des Psychiatrischen Dienstes X.________ vom 11. Mai 2004 ist entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht unbeachtet geblieben, sondern mit seiner Beurteilung korrekt wiedergegeben worden. Darin wird bestätigt, dass die Versicherte vor allem durch ihre psychosoziale Situation belastet ist. Der Bericht des Dr. med. B.________ vom 20. Januar 2005, wonach abweichend von den früheren Angaben des gleichen Arztes vom 26. Oktober 2004 eine primäre psychische Krankheit bestehe, welche Ursache (und nicht Folge) der belasteten psychosozialen Situation sei, wurde im angefochtenen Entscheid gewürdigt. Nicht einbezogen hat die Vorinstanz den Bericht der Klinik Y.________ vom 1. März 2004. Stattdessen hat sie sich mit dem aktuelleren Bericht der nämlichen Klinik vom 13. September 2004 auseinandergesetzt. Das Zeugnis des Dr. med. K.________ vom 15. Januar 2005 stammt aus der Zeit nach Erlass des Einspracheentscheides (vom 3. Dezember 2004) und ist wenig aussagekräftig; im Übrigen geht offenbar auch Dr. K.________ davon aus, dass die Schmerzen, die er behandelt hat, auf eine psychosoziale Überforderung hindeuten, auch wenn ein solcher Zusammenhang nie thematisiert wurde. 
6. 
Insgesamt ist die Feststellung der Vorinstanz, wonach für das Beschwerdebild überwiegend, wenn nicht ausschliesslich, psychosoziale und/oder soziokulturelle Gründe massgebend seien und es an einem verselbstständigten krankheitswertigen psychischen Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit fehle, nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig und daher für das Bundesgericht verbindlich. 
7. 
7.1 Mit Entscheid vom 17. Oktober 2006 wurde das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten abgewiesen. Die Gerichtskosten sind daher der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
7.2 Aus den im Zwischenentscheid vom 17. Oktober 2006 erwähnten Gründen ist auch das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung mangels Bedürftigkeit (Art. 152 Abs. 1 OG) abzuweisen. Das vorhandene Reinvermögen erlaubt es der Beschwerdeführerin, das Anwaltshonorar zu bezahlen, zumal nicht dargelegt wird, inwiefern es unmöglich sein soll, das Immobilienvermögen zusätzlich hypothekarisch zu belasten (vgl. BGE 119 Ia 12 Erw. 5; Urteil G. vom 21. März 2003, B 54/02). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse der Aarg. Industrie- und Handelskammer und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 12. Januar 2007 
 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts: 
 
Der Vorsitzende: Der Gerichtsschreiber: