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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.81/2005 /bri 
 
Urteil vom 12. August 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Zünd, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Parteien 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X.________, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Suter, 
 
Gegenstand 
Qualifizierte Freiheitsberaubung (Art. 184 Abs. 3 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 24. September 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wird vorgeworfen, ihren ehemaligen Freund A.________, welchen sie einer Fremdbeziehung verdächtigte, in der Nacht vom 7./8. September 2002 gegen dessen Willen am Verlassen ihrer Wohnung gehindert zu haben. Während der rund zwei Stunden dauernden Einsperrung behändigte X.________ im Verlaufe des sich entwickelnden Streits in verzweifelter Wut ein circa 30 cm langes Fleischmesser und eine Tranchiergabel und drohte A.________ - während sie mit Messer und Gabel entsprechende Bewegungen machte - mehrfach mit dem Tode. Beim Versuch, X.________ das Messer wegzunehmen, verletzte sich A.________ am Handgelenk, weshalb er auf weitere Gegenwehr verzichtete und sich fortan passiv verhielt. Im Verlaufe des weiteren Geschehens stiess X.________ das Messer unter Todesdrohungen in den Bauch und in die linke Schulter von A.________. Sie wiederholte diese Drohungen in der Folge nicht nur, als sie dem bereits blutenden A.________ das Messer erneut gegen Gesäss und Rücken drückte, sondern auch als sie sich im Wohnzimmer auf ihn setzte und das Messer gegen sein Herz richtete. Zuvor hatte sie die Notfallstation auf die Bitte von A.________ angerufen. Nachdem dieser auf Geheiss der X.________ ein Schreiben verfasst hatte, worin er erklärte, seine neue Beziehung abzubrechen und zu ihr zurückzukehren, liess sie ihn gehen. 
B. 
Das Geschworenengericht des Kantons Zürich erklärte X.________ am 24. September 2004 der Freiheitsberaubung gemäss Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, der versuchten schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB, der Nötigung gemäss Art. 181 StGB sowie weiterer Delikte schuldig. Vom Vorwurf der qualifizierten Freiheitsberaubung gemäss Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 184 Abs. 3 StGB sprach es sie frei und setzte die Strafe auf 3½ Jahre Gefängnis fest. 
C. 
Dieses Urteil ficht die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur neuen Beurteilung. 
 
 
Das Geschworenengericht verzichtet auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde. X.________ beantragt deren Abweisung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerde richtet sich einzig gegen den Freispruch der Beschwerdegegnerin vom Vorwurf der qualifizierten Freiheitsberaubung im Sinne von Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 3 StGB. Zu beurteilen ist deshalb nur, ob die Beschwerdegegnerin ihr Opfer grausam behandelte. 
2. 
Wer jemanden unrechtmässig festnimmt oder gefangen hält oder jemanden in anderer Weise unrechtmässig die Freiheit entzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Wenn der Täter das Opfer grausam behandelt, gilt die Freiheitsberaubung als qualifiziert und wird mit Zuchthaus bestraft (Art. 184 Abs. 3 StGB). 
2.1 Bei der Auslegung von qualifizierten Tatbeständen ist der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen (vgl. BGE 121 IV 178 E. 2b, mit Hinweisen). Die einfache Freiheitsberaubung wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft, während die qualifizierte Freiheitsberaubung eine Zuchthausstrafe bis zu 20 Jahren ermöglicht. Angesichts dieses massiv erweiterten Strafrahmens ist Art. 184 Abs. 3 StGB restriktiv auszulegen. 
2.2 Die grausame Behandlung nach Art. 184 Abs. 3 StGB setzt das Zufügen besonderer Leiden, d.h. anderer oder mehr Leiden voraus, als diejenigen, welche die betreffende Person allein schon deswegen erduldet, weil sie ihrer Bewegungsfreiheit beraubt ist und keinen Kontakt zu weiteren Personen mehr unterhalten kann. Insoweit müssen diese Leiden, welche dem Opfer wissentlich und willentlich zugefügt werden, über das Mass an Entbehrungen hinausgehen, das schon zur Verwirklichung des Grundtatbestands gehört. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die verursachten Beeinträchtigungen weitere Straftatbestände erfüllen (BGE 106 IV 363 E. 4e; vgl. Günter Stratenwerth/ Guido Jenny, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 6. Aufl., Bern 2003, § 5 N. 48; Vera Delnon/Bernhard Rüdy, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel 2003, Art. 184 N. 14, mit zahlreichen Hinweisen). 
2.3 Der Begriff der Grausamkeit findet sich in der Gesetzgebung auch beim Raub (Art. 140 Ziff. 4 StGB), bei der qualifizierten sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 3 StGB) und der qualifizierten Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 3 StGB). Die Begriffe werden identisch verstanden (Marcel Alexander Niggli/Christof Riedo, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel 2003, Art. 140 N. 149, Stratenwerth/Jenny, a.a.O., § 13 N. 135). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt Grausamkeit im Sinne von Art. 184 Abs. 3 StGB vor, wenn der Täter dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besonders schwere Leiden aufgrund der Stärke, der Dauer oder der Wiederholung zufügt. So ist eine zwecklose Bosheit, die zur Verwirklichung des Plans des Täters ganz unnötig gewesen ist und nur mit einem sadistischen Vergnügen oder doch mindestens der ausdrücklichen Absicht, Schmerz zuzufügen, erklärt werden kann, als grausam zu bezeichnen (BGE 106 IV 363 E. 4d; vgl. auch BGE 119 IV 49 E. 3d). 
2.4 Die als grausam zu bewertenden Elemente der Begehungsweise (eigentliche Ausführungshandlungen und besondere Tatumstände) sind Bestandteile des Tatgeschehens und müssen unmittelbar mit der Begehung der Tat zusammenhängen (BGE 119 IV 49 E. 3d, 224 E. 3; Entscheid 6S.198/2001 vom 5. April 2001, E. 2a). Ausdruck der Grausamkeit gemäss Art. 184 Abs. 3 StGB ist daher beispielsweise, wenn das Opfer, welches im Keller gefangen gehalten wird, zusätzlich während längerer Zeit dort geknebelt wird, was zur Verwirklichung der Freiheitsberaubung nicht notwendig wäre. Grausam ist sodann etwa auch, wenn das Opfer in besonders dunklen oder engen Räumen eingesperrt oder in unnatürlicher Stellung gefesselt wird, extremer Hitze oder Kälte ausgesetzt oder zum Scheine hingerichtet wird oder man es Durst oder Hunger leiden lässt (vgl. BGE 106 IV 363 E. 4; Hans Peter Egli, Freiheitsberaubung, Entführung und Geiselnahme, Diss. Zürich/Grüsch 1986, S. 141 f.; Martin Schubarth, Kommentar zum Schweizerischen Stafrecht, Besonderer Teil, 3. Band, Bern 1984, Art. 184 N. 9). 
2.5 Grausam im Sinne von Art. 184 Abs. 3 StGB ist die Behandlung somit, wenn das Opfer auf eine Art und Weise misshandelt wird, die der vom Täter verfolgte Zweck - die Freiheitsberaubung - nicht erfordert. Das Qualifikationsmerkmal der Grausamkeit muss sich dabei unmittelbar auf die Umstände der Tatbegehung beziehen, das heisst die Freiheitsberaubung selber muss in besonderem Masse belastend, unerträglich oder quälerisch sein und die Situation aus Sicht des der Freiheit beraubten Opfers ausweglos erscheinen. Dass die dem Opfer zugefügten Leiden Tatbestandselemente einer andern strafbaren Handlung erfüllen, ist für die Annahme von Grausamkeit nicht notwendig. Umgekehrt macht es eine Freiheitsberaubung nicht automatisch zu einer qualifizierten, wenn weitere schwere Gewaltdelikte in deren Verlauf begangen werden (sonst wäre es auch unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz fragwürdig, qualifizierte Freiheitsberaubung und beispielsweise schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung zugleich anzuwenden). Entscheidend ist, dass die Art und Weise der Freiheitsberaubung für das Opfer besonders qualvoll ist. Die von ihm erlittenen Qualen müssen deshalb engen Bezug zum geschützten Rechtsgut der persönlichen Fortbewegungsfreiheit haben. Gerade der Umstand, nicht weggehen zu können, muss für das Opfer unerträglich werden. 
 
Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Das Tatgeschehen, aufgrund dessen die Beschwerdeführerin Grausamkeit annimmt, ist von der Freiheitsberaubung weitgehend losgelöst. Zwar hat das Opfer die Wohnung der Beschwerdegegnerin für eine bestimmte Dauer nicht verlassen können. Dieser Umstand des "Nicht-Weggehen-Könnens" stand aber - wohl auch im Bewusstsein des Opfers - nicht im Zentrum des Geschehens. Die Freiheitsberaubung diente nach den Feststellungen der Vorinstanz denn auch nur dazu, dass sich das Opfer dem Beziehungskonflikt mit der Beschwerdegegnerin stellte und sich diesem nicht wie gewöhnlich entziehen konnte. Die dem Opfer im Verlaufe des Streits zugefügten Messerstiche und die ihm gegenüber geäusserten Todesdrohungen hatten nicht engen Bezug zur Freiheitsberaubung selber und machten nicht diese in besonderem Masse unerträglich, sondern bildeten Teil der Auseinandersetzung zwischen der Beschwerdegegnerin und dem Opfer um dessen Beziehung zu einer andern Frau. Mit den Verletzungen und Drohungen wollte die Beschwerdegegnerin das Opfer zum Verfassen eines Briefes nötigen, worin es den Abbruch der Fremdbeziehung und die Rückkehr zu ihr bestätigen sollte. Daraus erhellt, dass sich das aggressive und gewalttätige Vorgehen der Beschwerdegegnerin nicht auf die Freiheitsberaubung als solche bezog, sondern in Zusammenhang mit der Austragung des Beziehungskonflikts stand. Es kann insofern nicht gesagt werden, dass die Art und Weise der Freiheitsberaubung mit besonderen Leiden für das Opfer verbunden war. Insofern ist es nicht bundesrechtswidrig, wenn hier der Qualifikationsgrund der grausamen Behandlung in Bezug auf die Freiheitsberaubung verneint wird. Die Beschwerde ist deshalb als unbegründet abzuweisen. 
 
3. 
Gemäss Art. 278 Abs. 2 BStP sind keine Kosten zu erheben. Der Beschwerdegegnerin wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung ausgerichtet (Art. 278 Abs. 3 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Beschwerdegegnerin wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Geschworenengericht des Kantons Zürich sowie dem Vertreter des Opfers schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 12. August 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: