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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_380/2020  
 
 
Urteil vom 13. Januar 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Merz, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sebastiaan van der Werff, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau, 
Sonnenstrasse 4a, 9201 Gossau. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts St. Gallen, Kantonaler Zwangsmassnahmenrichter, vom 19. Juni 2020 
(ZK.2020.96-TO1ZRK-BRA). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen des Verdachts der Herstellung harter Pornografie sowie der versuchten Pornografie. A.________ wird vorgeworfen, am 23./24. November 2019 einer "B.________" unter der Vorstellung, dass es sich dabei um ein 14-jähriges Mädchen handle, per Chatfunktion auf "yyy.ch" und per E-Mail von der Adresse "xxx.xxx@outlook.ch" pornografische Schriften geschickt zu haben. Weiter wird ihm vorgeworfen, am 4. Februar 2020 per Chatfunktion auf "yyy.ch" einer "C.________" unter der Vorstellung, dass es sich dabei um ein 13-jähriges Mädchen handle, ein Bild seines erigierten Glieds geschickt zu haben. Dabei verbarg sich hinter "B.________" ein verdeckter Fahnder der Kantonspolizei Zürich und hinter "C.________" ein verdeckter Vorermittler der Bundeskriminalpolizei. 
A.________ wurde am 11. März 2020 zu den Vorwürfen polizeilich einvernommen. Anlässlich dieser Einvernahme wurde sein Mobiltelefon sichergestellt. Zudem ordnete die Staatsanwaltschaft mündlich eine Hausdurchsuchung an, welche im Anschluss an die Einvernahme am Wohnort von A.________ durchgeführt wurde. Dabei wurden ein weiteres Mobiltelefon HTC, ein Surface-Book, ein Windows-Tablet, ein Laptop HP, eine Playstation 4, ein Computer HP, zwei SD-Karten, drei USB-Sticks, vier CDs und eine Box mit vier Festplatten sichergestellt. A.________ verlangte die Siegelung sämtlicher bei ihm sichergestellten elektronischen Geräte und Speichermedien. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 30. März 2020 beim Kantonalen Zwangsmassnahmengericht St. Gallen die Entsiegelung und Durchsuchung der beiden Mobiltelefone, des Surface-Books, des Windows-Tablets, des Laptops HP, des Computers HP sowie der Festplatten. Die USB-Sticks, CDs und SD-Karten sowie die Playstation 4 wurden A.________ am 8. April 2020 wieder ausgehändigt. 
Mit Entscheid vom 19. Juni 2020 ordnete das Zwangsmassnahmengericht Folgendes an: 
 
"1. Die im Strafverfahren gegen A.________ (ST.2020.45) am 11. März 2020 sichergestellten und gleichentags auf Antrag der beschuldigten Person versiegelten Gegenstände (Mobiltelefon aus Effekten sowie Mobiltelefon HTC, Surface-Book, Windows-Tablet, Laptop HP, Computer HP und Festplatten [Sicherstellungspositionen Nr. 2, 3, 6, 7, 10 und 11]) werden wie folgt teilentsiegelt: 
 
- Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist werden die sichergestellten Datenträger durch eine sachverständige Person zur weiteren Bearbeitung aufbereitet. 
- In einem zweiten Schritt werden diese aufbereiteten Daten mittels noch zu erstellender Stichwortliste von der sachverständigen Person bezüglich allenfalls vorhandener Anwaltskorrespondenz durchsucht. Falls Anwaltskorrespondenz vorhanden ist, wird diese ausgeschieden und der beschuldigten Person ausgehändigt. Die übrigen Daten werden der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung ausgehändigt. 
 
2. (Kosten)." 
 
B.   
Mit Eingabe vom 21. Juli 2020 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, den Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts vom 19. Juni 2020 aufzuheben. Weiter sei das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 30. März 2020 abzulehnen und die am 11. März 2020 versiegelten Gegenstände seien ihm zurückzugeben. Eventualiter sei das Entsiegelungsgesuch vom 30. März 2020 mit Ausnahme seines Mobiltelefons aus den Effekten abzuweisen, die restlichen am 11. März 2020 versiegelten Gegenstände seien ihm zurückzugeben. Das Mobiltelefon sei durch eine Fachperson in seinem Beisein zu untersuchen und es sei darüber zu befinden, welche Aufzeichnungen/Korrespondenzen für das Strafverfahren (ST.2020.45) freizugeben seien. Subeventualiter seien die am 11. März 2020 sichergestellten und versiegelten Gegenstände gesamthaft durch eine Fachperson in seinem Beisein zu durchsuchen, und es sei darüber zu befinden, welche Aufzeichnungen/Korrespondenzen für das Strafverfahren (ST.2020.45) freizugeben seien. Von der Freigabe seien in jedem Fall die Anwaltskorrespondenz und die Kommunikation zwischen ihm und seiner Ex-Freundin (E-Mail, SMS/MMS sowie Whatsapp-Verkehr und schriftliche Korrespondenz, insbesondere der Brief vom 10. März 2020) auszusondern und nicht zur Durchsuchung freizugeben. Subsubeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Zwangsmassnahmengericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer hält an seinen Anträgen fest. 
 
C.   
Mit Präsidialverfügung vom 21. August 2020 hat das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Entsiegelung von Daten, die in einem Strafverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. 
Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht mehr korrigierbaren Eingriff in schutzwürdige Geheimnisinteressen des Beschwerdeführers mit sich bringen kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer macht insbesondere geltend, auf den Gegenständen befände sich Anwaltskorrespondenz sowie höchstpersönliche "Kommunikation" zwischen ihm und seiner Ex-Freundin. Damit droht ihm ein nicht wieder gutzumachender Nachteil (Urteil 1B_487/2020 vom 2. November 2020 E. 1 mit Hinweisen). Als Inhaber der sichergestellten Datenträger sowie der vom angefochtenen Entsiegelungsentscheid betroffenen Daten ist er zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der angefochtene Entscheid sei bereits aus formellrechtlichen Gründen aufzuheben. Zur Begründung führt er aus, die Vorinstanz habe nicht nur einen blossen Zwischenentscheid gefällt und die Triage verfügt. Sie habe vielmehr angeordnet, dass die versiegelten Gegenstände "teilentsiegelt" würden. Zeitgleich habe sie verfügt, dass die sichergestellten Datenträger nach Ablauf der Rechtsmittelfrist durch eine sachverständige Person zur weiteren Bearbeitung aufbereitet und in einem zweiten Schritt auf Anwaltskorrespondenz durchsucht und die übrigen Daten der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung ausgehändigt würden. Ein solcher "hybrider" Entsiegelungsentscheid sei aber in Art. 248 StPO nicht vorgesehen und somit bundesrechtswidrig.  
 
2.2. Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Art. 248 Abs. 1 StPO). Stellt die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren ein Entsiegelungsgesuch, hat das Zwangsmassnahmengericht im Entsiegelungsverfahren zu prüfen, ob schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstehen (BGE 144 IV 74 E. 2.2 S. 77; 141 IV 77 E. 4.1 S. 81 mit Hinweisen). Der Entsiegelungsrichter darf die richterliche Triage der versiegelten Gegenstände bzw. die Aussonderung von geheimnisgeschützten Aufzeichnungen und Unterlagen nicht an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei delegieren. Wenn das Zwangsmassnahmengericht spezialisierte Polizeidienste oder externe Fachexperten (z.B. Informatiker) zur Unterstützung seiner Triage beiziehen will (vgl. Art. 248 Abs. 4 StPO), hat es dafür zu sorgen, dass die betreffenden Personen nicht auf den Inhalt von (mutmasslich) geheimnisgeschützten Dateien zugreifen können (BGE 142 IV 372 E. 3.1 S. 374 f.; 141 IV 77 E. 5.5.1 S. 84 f.; je mit Hinweisen). Einem Entsiegelungs- und Beschlagnahmeverbot unterliegen namentlich alle Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit der Verteidigung (Art. 264 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 3 StPO).  
 
2.3. Nach Gesetzgebung und Bundesgerichtspraxis hat das Zwangsmassnahmengericht im Entsiegelungsverfahren gemäss Art. 248 StPO zu prüfen, ob die gesetzlichen Entsiegelungsvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere ob substanziierte schutzwürdige Geheimnisinteressen einer Entsiegelung entgegenstehen. Dies hat die Vorinstanz vorliegend nur teilweise getan. Sie hat zwar das Vorliegen der Entsiegelungsvoraussetzungen des hinreichenden Tatverdachts, der Verhältnismässigkeit der Entsiegelung sowie des Deliktskonnexes der versiegelten Gegenstände bejaht. Zudem hat sie geprüft, ob kein absolut geschütztes Geheimnis vorliege, welches einer Entsiegelung entgegenstünde. Ein solches hat sie sodann einzig in Bezug auf die geltendgemachte Anwaltskorrespondenz bejaht und erwogen, es sei eine Aussonderung dieser Korrespondenz durch den kantonalen Zwangsmassnahmenrichter vorzunehmen. Betreffend die vom Beschwerdeführer geltend gemachte, angeblich geheimnisgeschützte Kommunikation mit seiner Ex-Freundin hat die Vorinstanz indessen erwogen, er sei seiner Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit nicht nachgekommen, weshalb diesbezüglich von einer Triage abgesehen werden könne.  
Obschon die Vorinstanz mithin festgehalten hatte, es sei in Bezug auf die allenfalls vorhandene Anwaltskorrespondenz eine Triage durch den Zwangsmassnahmenrichter vorzunehmen, hat sie die ihr gesetzlich obliegende Aussonderung der durch das Anwaltsgeheimnis geschützten Unterlagen und Dateien bis zum Erlass des angefochtenen Entscheids unterlassen. Gemäss Dispositiv-Ziffer 1 dieses Entscheids will sie die Triage erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nachdem die Datenträger zur weiteren Bearbeitung aufbereitet worden sind, "in einem zweiten Schritt" durch eine sachverständige Person vornehmen lassen. Letztere solle dann die aufbereiteten Daten mittels noch zu erstellender Stichwortliste bezüglich allenfalls vorhandener Anwaltskorrespondenz durchsuchen. Damit vermischt die Vorinstanz jedoch materielle und prozessleitende Gesichtspunkte in unzulässiger Weise. Solche hybride Entsiegelungsentscheide sind gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, unzulässig (vgl. Urteile 1B_555/2017 vom 22. Juni 2018 E. 3.3; 1B_519/2017 vom 27. März 2018 E. 2.2). Die endgültige Gutheissung der Entsiegelung kann nicht erfolgen, ohne dass die gesiegelten Aufzeichnungen vom Entsiegelungsrichter - allenfalls unter Beizug von Spezialisten - im Einzelnen geprüft und beurteilt wurden. Die Vorinstanz hätte folglich zuerst eine Triage vornehmen müssen, bevor sie über den Umfang der Entsiegelung ("Teilentsiegelung") entschied. 
Im Übrigen lässt sich weder dem angefochtenen Entscheid noch der Dispositiv-Ziffer 1 entnehmen, durch wen die Aussonderung und die Durchsuchung der Gegenstände bzw. der Dateien letztlich erfolgen soll. Indem die Vorinstanz diese Aufgabe einer "sachverständigen Person" auferlegt, ohne diese näher zu spezifizieren bzw. die Modalitäten der Delegation zu klären, kann mithin nicht ausgeschlossen werden, dass die Triage allenfalls an die Strafverfolgungsbehörden delegiert wird, was indessen unzulässig ist (vgl. E. 2.2 hiervor). Auch aus diesem Grund ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. 
Demnach erweist sich der Entscheid aus verfahrensrechtlichen Gründen als bundesrechtswidrig. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen. 
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Entsiegelungssache ist zur verfahrensrechtlich gesetzeskonformen Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit hinfällig. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid vom 19. Juni 2020 des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts aufgehoben. Die Sache wird zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton St. Gallen hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Sebastiaan van der Werff, mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau, und dem Kantonalen Zwangsmassnahmengericht St. Gallen, Kantonaler Zwangsmassnahmenrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Januar 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier