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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_674/2011 
 
Urteil vom 13. Februar 2012 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Schöbi, 
Gerichtsschreiber C. Monn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Versuchte Vergewaltigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 11. Juli 2011. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Y.________ lebte im Februar 2005 mit A.________ in einer gemeinsamen Wohnung in Zürich. Am 5. Februar schlug er bei einem Alkoholisierungsgrad von mindestens 1,89 und höchstens 2,73 Gewichtspromillen und nach einer zunächst verbalen Auseinandersetzung mit den Händen gegen das Gesicht, den Brustbereich und die Arme der Frau. Sie fiel zwischen Salontisch und Sofa und erlitt eine Verletzung an der Unterlippe sowie mehrere Hämatome im Brustbereich und an den Armen. 
 
Y.________ wird überdies vorgeworfen, er habe im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung versucht, die Frau zu vergewaltigen. Er habe sich auf die zwischen Sofa und Salontisch gefallene Frau gelegt, sei kurz aufgestanden, habe seine Hose ausgezogen und gesagt, er wolle Sex. Er habe versucht, der aufgrund der vorherigen Schläge in ihrer Widerstandsfähigkeit bereits beeinträchtigten Frau die Hose auszuziehen. Zur Vergewaltigung sei es nicht gekommen, weil die Frau sich dem erheblich angetrunkenen Angeschuldigten entzog und in das Schlafzimmer flüchtete. 
 
Das Bezirksgericht Zürich sprach Y.________ am 24. August 2010 der versuchten Vergewaltigung und der einfachen Körperverletzung schuldig und bestrafte ihn mit 18 Monaten Freiheitsstrafe, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren. 
 
Y.________ reichte beim Obergericht des Kantons Zürich Berufung ein und beantragte, er sei vom Vorwurf der versuchten Vergewaltigung freizusprechen und deutlich milder zu bestrafen. 
 
Das Obergericht sprach Y.________ am 11. Juli 2011 vom Vorwurf der versuchten Vergewaltigung frei. Es verurteilte ihn wegen einfacher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 50.--, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren. 
 
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich wendet sich mit Beschwerde ans Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 11. Juli 2011 sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
2. 
2.1 Die Vorinstanz stellt fest, die Frau des Beschwerdegegners sei aufgrund von dessen Gewalteinwirkung zwischen Sofa und Salontisch zu Boden gegangen. In diesem Moment, als die Frau aufgrund der Schläge in ihrer Widerstandsfähigkeit beeinträchtigt war, habe er ihr mitgeteilt, er wolle Sex mit ihr. Sie habe klar gesagt, sie wolle nicht. Danach habe er versucht, ihre Hose auszuziehen, wobei er aufgrund der vorangegangenen Schläge gewusst habe, dass die Widerstandsfähigkeit der Frau beeinträchtigt gewesen sei. Es könne ihm aber nicht vorgeworfen werden, gezielt Gewalt gegen die Frau im Hinblick auf die Erzwingung von Geschlechtsverkehr angewandt zu haben. Die vorangehenden Gewaltanwendungen seien somit nicht Mittel zum Zweck der Vergewaltigung gewesen. Dabei gelte es insbesondere zu erwähnen, dass die Gewaltanwendung auf Gegenseitigkeit beruht habe, die Frau mithin dem Beschwerdegegner auch verschiedene Verletzungen zugefügt habe. Im Übrigen müsse aufgrund der in verschiedenen Sprachen unterschiedlichen Definition von "Sex" zugunsten des Beschwerdegegners offen bleiben, ob er damit tatsächlich Geschlechtsverkehr im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB gemeint oder sich dies nicht allgemein auf sexuelle Handlungen im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB bezogen habe (vgl. angefochtenen Entscheid S. 18-20). 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe einerseits das Willkürverbot von Art. 9 BV verletzt und anderseits den Tatbestand der versuchten Vergewaltigung gemäss Art. 190 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 1 StGB falsch angewendet (Beschwerde S. 2 Ziff. 2.4). Zum einen sei die Annahme, dem Beschwerdegegner könne nicht nachgewiesen werden, er habe gezielt Gewalt gegen die Frau im Hinblick auf die Erzwingung von Geschlechtsverkehr angewendet, als willkürlich zu bezeichnen. Vor dem für den Vergewaltigungsversuch relevanten Sachverhalt habe eine tätliche Auseinandersetzung stattgefunden, wobei klar festgehalten werden müsse, dass sich der Beschwerdegegner die Wehrlosigkeit der Frau habe zu Nutze machen wollen, als sie vor ihm auf dem Boden lag. Fakt sei, dass die Frau deutlich zum Ausdruck gebracht habe, dass sie keine Lust auf Sex hatte, der Beschwerdegegner jedoch nicht von ihr abgelassen und im Gegenteil versucht habe, ihr die Hose herunterzuziehen. Dies sei klarerweise als Gewaltanwendung im Rahmen eines Vergewaltigungsversuchs zu werten. Die Würdigung der Vorinstanz, wonach dem Beschwerdegegner keine Gewalt im Hinblick auf die Erzwingung von Geschlechtsverkehr habe nachgewiesen werden können, sei nicht nachvollziehbar und stelle eine Falschauslegung des Gewaltbegriffs dar. Zum zweiten seien die Ausführungen der Vorinstanz, wonach das Wort "Sex" je nach Sprachherkunft völlig anders ausgelegt werden könne, befremdlich. Der Ausdruck sei wohl als eines der wenigen Wörter zu bezeichnen, welches in den meisten Sprachen unmissverständlich den Vollzug des Geschlechtsverkehrs benenne (vgl. Beschwerde S. 3/4). 
 
3. 
Gemäss Art. 190 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB macht sich der versuchten Vergewaltigung schuldig, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, ohne dass er die strafbare Tätigkeit zu Ende führt, namentlich indem er die Person bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Geht es dem Täter nicht um den Beischlaf, sondern um eine andere sexuelle Handlung, erfüllt er den Tatbestand der versuchten sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB). 
 
Gewalt im Sinne der Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung erfordert eine physische Einwirkung auf das Opfer, die darauf gerichtet ist, dessen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen (vgl. BGE 122 IV 97 E. 2b). Je nach den Umständen kann schon ein verhältnismässig geringer Kraftaufwand ausreichen. So hat das Bundesgericht das Nötigungsmittel der Gewalt in einem Fall bejaht, in welchem sich der physisch überlegene Täter lediglich mit dem Gewicht seines Körpers auf die andere Person gelegt hatte. Erforderlich ist jedoch, dass es dem Opfer unter den gegebenen Umständen und in Anbetracht seiner persönlichen Verhältnisse nicht möglich und zumutbar war, sich der Einwirkung zu entziehen. Letzteres ist namentlich der Fall, wenn der Täter eine Zwangslage geschaffen hat, in der das Nachgeben des Opfers aus begründeter Angst vor einem Verletzungsrisiko als verständlich erscheint, es dem Täter etwa an einem abgelegenen Ort ausgeliefert ist (Urteil 6B_267/2007 vom 3. Dezember 2007 E. 6.3 mit Hinweisen). 
 
Mit welcher Absicht der Täter die Gewalt einsetzte bzw. welche Art sexueller Handlung er anstrebte, stellt eine Tatfrage dar. Diese überprüft das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür. Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid im bemängelten Punkt offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 137 I 1 E. 2.4; 134 I 140 E. 5.4). 
 
4. 
In Bezug auf die Schläge, die der Beschwerdegegner der Frau versetzte, bevor sie zwischen Tisch und Sofa fiel, stellt die Vorinstanz fest, dass diese Gewaltanwendung kein Mittel zum Zweck der Vergewaltigung gewesen sei (angefochtener Entscheid S. 19). Dass diese Annahme nicht zutreffen würde, wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht. 
 
Die Beschwerdeführerin rügt, der Beschwerdegegner habe trotz der abweisenden Haltung der Frau von dieser nicht abgelassen und versucht, ihr die Hose herunterzuziehen. Dies sei als Gewaltanwendung zu werten (Beschwerde S. 3). 
 
Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat sich der Beschwerdegegner auf die auf dem Boden liegende Frau gelegt, ist dann wieder aufgestanden und hat nach der Ankündigung, er wolle Sex, versucht, ihr die Hose herunterzuziehen, worauf sie sich ihm entzog und in das Schlafzimmer flüchtete. Dass er bei dem von der Beschwerdeführerin erwähnten Versuch, die Hose der Frau herunterzuziehen, Gewalt aufgewendet hätte, ist dem angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen (s. oben E. 2.1). Woraus sich sonst ergeben könnte, dass es der Frau nicht möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dem Beschwerdegegner zu widersetzen, vermag die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht nicht darzutun (s. oben E. 2.2). Demgegenüber steht fest, dass es der Frau gelang, sich dem erheblich angetrunkenen Beschwerdegegner zu entziehen. Unter diesen Umständen ist die Annahme der Vorinstanz, der Beschwerdegegner habe bei seinem Versuch, die Frau zu einer sexuellen Handlung zu nötigen, keine Gewalt mehr angewendet, bundesrechtlich nicht zu beanstanden. 
 
5. 
Damit kann die zweite Frage, ob es dem Beschwerdegegner um Geschlechtsverkehr im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB ging oder ob, wie die Vorinstanz annimmt, die Möglichkeit besteht, dass sein Handeln auf eine andere sexuelle Handlung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB ausgerichtet gewesen sein könnte, offen bleiben. 
 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben. Dem Beschwerdegegner ist keine Entschädigung auszurichten, weil er nicht zur Vernehmlassung aufgefordert wurde und somit keine Umtriebe vor Bundesgericht hatte. Sein vorsorglich gestelltes Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 13. Februar 2012 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Monn