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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 367/05 
 
Urteil vom 13. März 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin Bollinger 
 
Parteien 
C.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Bielstrasse 3, 4500 Solothurn, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 19. August 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
C.________, geboren 1954, war seit Juni 2001 bei der Firma X.________ AG, als Mitarbeiterin in der Produktion angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 13. September 2002 verletzte sie sich während der Arbeit am Zeigefinger der linken dominanten Hand (Abtrennung des Fingers und Mittelphalanx-Trümmerfraktur ohne Gelenkbeteiligung). Nachdem eine gleichentags im Spital Y.________ durchgeführte Replantation nicht erfolgreich gewesen war, wurde der Finger am 20. September 2002 auf der Höhe des Fingermittelgelenks (Proximales Interphalangealgelenk [PIP]) amputiert. Am 6. Januar 2003 nahm C.________ die Arbeit wieder im Umfang von 50 %, am 17. Februar 2003 zu 75 % auf, klagte jedoch über Stumpfschmerzen. Daraufhin fand am 28. März 2003 im Spital Y.________ eine Neuromexzision statt, welche nicht zu einer Besserung der geklagten Beschwerden führte. In der Folge traten zusätzlich psychische Beschwerden auf (Berichte des Hausarztes Dr. med. S.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 23. Juni 2003 sowie des Dr. med. K.________, Oberarzt am Spital Y.________ vom 23. Juli 2003), weshalb sich C.________ zu Frau Dr. med. I.________, Psychiatrie FMH, in Behandlung begab. Die Psychiaterin diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit depressiven Symptomen und attestierte eine vollständige Arbeitsunfähigkeit (Bericht vom 11. August 2003). Anlässlich der Abschlussuntersuchung vom 21. August 2003 kam Kreisarzt Dr. med. B.________ zum Schluss, C.________ seien mit wenigen Ausnahmen "alle Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die in der Regel einer Frau angeboten werden, wieder zumutbar". 
 
Mit Verfügung vom 25. Mai 2004 sprach die SUVA C.________ eine vom 1. Juni 2004 bis 31. Mai 2007 befristete Invalidenrente von 10 % sowie eine Integritätsentschädigung, basierend auf einer Integritätseinbusse von 6 %, zu. C.________ liess Einsprache erheben und die Aufhebung der Rentenbefristung beantragen. Mit Schreiben vom 4. Januar 2005 kündigte die SUVA im Sinne einer reformatio in peius die Einstellung der Rentenleistungen ab 1. Februar 2005 an. Nach erneuten medizinischen Abklärungen wies die SUVA die Einsprache am 2. Februar 2005 ab und verzichtete gleichzeitig auf die angedrohte reformatio in peius. 
B. 
C.________ liess Beschwerde führen und die Aufhebung der Rentenbefristung, eventualiter die Rückweisung der Sache an die SUVA zur Einholung eines neutralen Gutachtes betreffend die Anpassung an die Fingerverletzung beantragen. 
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde am 10. August 2005 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt C.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern. 
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zu dem für die Leistungspflicht der Unfallversicherung vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen) und zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 405 Erw. 2.2, 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) sowie bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6) legt die Vorinstanz korrekt dar. Darauf wird verwiesen. 
 
Wird eine versicherte Person infolge des Unfalles zu mindestens 10 % invalid, hat sie Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG). Der Rentenanspruch entsteht, wenn von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann und allfällige Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung abgeschlossen sind. Mit dem Rentenbeginn fallen die Heilbehandlung und die Taggeldleistungen dahin (Art. 19 Abs. 1 UVG). 
2. 
Streitig ist die Befristung der Rente. 
2.1 Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz ist die Gewährung einer befristeten Rente statthaft, wenn bereits anlässlich der Rentenfestsetzung vorauszusehen ist, dass sich die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit zufolge Anpassung und Angewöhnung der versicherten Person an die Unfallfolgen in absehbarer Zeit ausgleichen werden (BGE 106 V 50 Erw. 1; RKUV 1987 Nr. U 18 S. 309 Erw. 2b). Nach der Rechtsprechung bewirken - worauf das kantonale Gericht ebenfalls korrekt hinweist - Fingerverstümmelungen geringeren Ausmasses, insbesondere solche der vier Langfinger, erfahrungsgemäss trotz des bleibenden Defekts nach einer gewissen Phase der Anpassung und Angewöhnung keine oder nur noch eine minimale Verminderung der Erwerbsfähigkeit (BGE 106 V 50 Erw. 2a). Eine Angewöhnung kann selbst bei Verlust des Daumengliedes eintreten (Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, in: Murer/ Stauffer [Hrsg.], Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 111). 
2.2 Bei abgestuften Renten kann im Zusprechungs- und allfälligen anschliessenden Rechtsmittelverfahren nur geprüft werden, ob die für die Befristung erforderliche Prognose sachgerecht gestellt wurde. Erst im Nachhinein kann dagegen beurteilt werden, ob sich diese Prognose bewahrheitet hat. Ist dies zu verneinen, muss die Rente auf Grund einer Revisionsverfügung weiter ausgerichtet werden (RKUV 1987 Nr. U 18 S. 310 Erw. 2b; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 110; Maurer, Bundessozialversicherungsrecht, [unveränderte] 2. Aufl., Basel 1994, S. 371). Dabei unterliegt eine befristete Rente sowohl dann der Revision, wenn sich die Prognose der Angewöhnung nicht bewahrheitet hat, als auch dann, wenn sich der Zustand verschlimmert (Rumo-Jungo, a.a.O., S. 128). 
3. 
3.1 Die Vorinstanz erwog, es liege ein Endzustand vor, der nach ärztlicher Einschätzung das Wiedererlangen einer vollständigen Arbeitsfähigkeit erlauben sollte. Die psychogene Fehlverarbeitung wie auch die seit April 2003 geklagten Schmerzen an der rechten Schulter seien bei der Prognose nicht zu berücksichtigen. 
 
Demgegenüber lässt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vorbringen, der komplizierte Heilungsverlauf (Absterben des wieder angenähten Fingergliedes, Neuromexzision am Fingerstumpf) über mehr als ein halbes Jahr und der unbefriedigende Endzustand sprächen prognostisch gegen eine Anpassung. Allenfalls sei ein neutrales Gutachten zur Schmerzhaftigkeit des Fingerstumpfes einzuholen. 
3.2 Dr. med. K.________, Handchirurge am Spital Y.________, führte am 23. April 2003 aus, der Verlauf sei "eigentlich" regelrecht. Nach der am 28. März 2003 erfolgten Neuromexzision werde die Versicherte die Arbeit am 28. April 2003 wieder zu 50 % aufnehmen. Ansonsten sei er der Ansicht, dass der Zustand jetzt einfach akzeptiert werden müsse. Die Arbeitsfähigkeit solle rasch wieder auf 100 % gesteigert werden. Hausarzt Dr. med. S.________ bat die SUVA am 23. Juni 2003 um eine Arbeitsplatzanalyse, da die Versicherte anfange, psychisch zu dekompensieren. Anlässlich der Abschlusskontrolle vom 23. Juli 2003 hielt Dr. med. K.________ fest, die Versicherte werde zunehmend vorwurfsvoll und incompliant, weshalb er die Behandlung im Spital Y.________ abschliesse. Sie möchte gerichtlich versuchen, eine Rente zu erreichen. [...] Sie habe per Ende Juli 2003 die Kündigung erhalten. Im Vergleich zu anderen Patienten, die nach derselben Verletzung nach einigen Wochen wieder voll arbeiteten, sei die Situation auch psychisch überlagert. Mit Bericht vom 11. August 2003 hielt die Psychiaterin Dr. med. I.________ fest, die Versicherte leide an einer Anpassungsstörung mit depressiven Symptomen. Die Prognose sollte günstig sein, es bestehe aber weiterhin eine vollständige Arbeitsunfähigkeit. Kreisarzt Dr. med. B.________, welcher die Versicherte am 21. August 2003 untersuchte, kam zum Schluss, dass als definitiver posttraumatischer Zustand (somatisch) die Amputation des Zeigefingers mit befriedigender Stumpfdeckung, reizlosen Narbenverhältnissen und einer eingeschränkten Beweglichkeit des Zeigefinger-Metacarpo-Phalangeal-Gelenks (MP-Gelenks) bestehe. Der Zeigefinger sei funktionell nicht einsatzfähig, hingegen könnten Spitz- und Schlüsselgriff mit dem Daumen zum Mittelfinger gut durchgeführt werden. Funktionell sei der Mittelfinger zum Zeigefinger geworden. [...] Alle Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die in der Regel Frauen angeboten werden, seien - mit Ausnahme schwerer handwerklicher Tätigkeiten oder dem Arbeiten in stark gekühlten Räumen oder mit gefrorenen Gegenständen - wieder zumutbar. 
3.3 
3.3.1 Während die Heilung der somatischen Unfallfolgen weitgehend "regelrecht" verlief (Bericht des Dr. med. K.________ vom 23. April 2003), stellten die behandelnden Ärzte schon bald nach dem Unfall eine (beginnende) psychische Fehlverarbeitung fest (vgl. Berichte des Hausarztes Dr. med. S.________ vom 23. Juni 2003 und des Dr. med. K.________ vom 23. Juli 2003). Indessen war der vorinstanzlich zutreffend als mittelschwer eingestufte Unfall - wie die Vorinstanz korrekt dargelegt hat - nicht geeignet, einen psychischen Folgeschaden zu bewirken. Denn die unfallbezogenen Kriterien (vgl. hiezu den in Erw. 1 angeführten BGE 115 V 138 ff. Erw. 6) sind weder gehäuft noch eines in besonders ausgeprägter Weise erfüllt. Insbesondere ist hervorzuheben, dass der Unfall zwar dazu geführt hatte, dass mit dem Zeigefinger der dominanten linken Hand ein wesentlicher Bestandteil eines im Alltagsleben stark wahrgenommenen Körperteils teilweise entfernt werden musste. Dieses Defizit ist aber nicht derart augenfällig und (im weitesten, funktionellen und sozialen Sinn) behindernd, geschweige denn entstellend, dass es als in besonders ausgeprägter Weise gegeben erscheinen könnte (vgl. Urteil K. vom 20. Juli 2005, U 338/04). Sodann kann auch unter Berücksichtigung der misslungenen Replantation des Fingers und der später durchgeführten Neuromexzision nicht von einem - aus somatischer Sicht - schwierigen Heilungsverlauf gesprochen werden (vgl. Berichte des Dr. med. K.________ vom 13. Februar und 3. Juni 2003). 
3.3.2 Für die Beurteilung fallen somit einzig die somatischen Beeinträchtigungen ins Gewicht. Die Versicherte klagte nebst den Stumpfschmerzen seit April 2003 auch über Beschwerden in der rechten Schulter (Berichte des Dr. med. K.________ vom 23. April 2003 und des Dr. med. S.________ vom 21. April 2004). Eine am 29. September 2004 wegen eines Impingements durchgeführte Schulterarthroskopie (mit Tenotomie der langen Bizepssehne, Débridement der superodorsalen Rotatorenmanschetten-Unterfläche sowie Bursektomie und Akromioplastik) im Spital Z.________ konnte die Schmerzen (bei Überkopfbewegungen) nicht beeinflussen (Bericht des Dr. med. T.________, Spital Z.________, vom 27. Januar 2005). Hausarzt Dr. med. S.________ führte diese Beschwerden (zunächst) auf die eingeschränkte Funktion der linken Hand zurück, da diese eine Fehlbelastung von Arm und Schulter zur Folge hätte, welche ihrerseits Verspannungen bewirkte. Er vertrat demzufolge (anfänglich) die Meinung, eine Unfallkausalität sei gegeben. Demgegenüber ist ein Zusammenhang mit dem Unfall nach Einschätzung des Orthopäden Dr. med. T.________ lediglich möglich. Kreisarzt Dr. med. G.________ schätzte die Schulterbeschwerden anlässlich der Untersuchung vom 21. März 2005 als unfallfremd ein. Dr. med. S.________ und Dr. med. G.________ diskutierten in der Folge die Frage der Unfallkausalität, wobei Dr. med. S.________ von seiner ursprünglichen Meinung abrückte und einen Zusammenhang mit dem Unfall ebenfalls nur noch als möglich erachtete (Telefonnotiz des Dr. med. G.________ vom 4. Juli 2005). Damit aber fehlt es nach übereinstimmender Einschätzung der Dres. med. T.________, G.________ und S.________ an der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen den Schmerzen in der rechten Schulter und der Fingerverletzung an der linken Hand. Ob die Schulterbeschwerden im Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides am 2. Februar 2005 (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen) weiterhin ärztlicher Behandlung bedurften, ist damit nicht weiter von Interesse. 
3.3.3 Zu berücksichtigen sind somit ausschliesslich die Schmerzen am teilamputierten Zeigefinger. Diese werden gemäss den gut begründeten und nachvollziehbaren Einschätzungen der Dres. med. K._______ und G.________ (Abschlusskontrolle vom 23. Juli 2003; kreisärztliche Untersuchung vom 21. März 2005) durch die psychische Fehlverarbeitung verursacht, die nach dem Gesagten (Erw. 3.3.1 hievor) ausser Acht zu lassen ist. Von weiteren Abklärungen kann in antizipierter Beweiswürdigung (vgl. SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d) abgesehen werden. Es spricht nichts gegen die für die Befristung erforderliche Prognose der Angewöhnung, so dass die SUVA zu Recht eine befristete Rente zugesprochen hat. Ob sich die der Befristung zu Grunde liegende Prognose bewahrheitet, kann nur im Nachhinein beurteilt werden (Erw. 2.2 hievor), weshalb die Herabsetzung der Invalidenrente erst bei deren Eintritt angefochten werden kann (Urteil K. vom 25. Januar 2002, U 38/00 mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 13. März 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: