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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_710/2017  
 
 
Urteil vom 13. Dezember 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch die Rechtsanwältin Pascale Hartmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Stadt Zürich, Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Amtshaus Werdplatz, Strassburgstrasse 9, 8036 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. August 2017 (ZL.2016.00078). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1968 geborene A.________ reiste im Januar 2000 in die Schweiz ein. Im Dezember 2001 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 5. März 2003 und Einspracheentscheid vom 27. Oktober 2003 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Rentenanspruch. Nach einem Beschwerdeverfahren und weiteren Abklärungen verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 26. Februar 2007 wiederum einen Rentenanspruch mit der Begründung, die Invalidität sei bereits im Ausland eingetreten, weshalb die notwendige Beitragszeit nicht erfüllt sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 20. August 2007 ab. 
Mit Schreiben vom 22. und 28. Januar 2008 ersuchte die Stadt Zürich (Zentrum B.________ und Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV) die IV-Stelle um Abklärung resp. "Feststellung" des Invaliditätsgrades im Hinblick auf Ergänzungs- resp. Zusatzleistungen für A.________. Nach Abklärungen teilte die IV-Stelle am 23. Oktober 2008 dem Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV mit, dass der Invaliditätsgrad 50 % betrage. Auf dieser Grundlage wurden Ergänzungs- resp. Zusatzleistungen ausgerichtet. 
Im Juni 2011 machten die Sozialen Dienste der Stadt Zürich im Namen von A.________ gegenüber der IV-Stelle eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes geltend und ersuchten um "Neubeurteilung IV-Grad" sowie Hilflosenentschädigung. 
Am 17. und 30. April 2012 ersuchte das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV die IV-Stelle um "Revision" des Invaliditätsgrades. Mit Schreiben vom 27. September 2012 hielt die IV-Stelle gegenüber dem Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV einen Invaliditätsgrad von neu 51 % fest. Nach weiteren Abklärungen - insbesondere Einholung des bidisziplinären Gutachtens der Dres. med. C.________ und D.________ vom 3. September 2015 - kam die IV-Stelle zum Schluss, dass bei A.________ (seit Januar 2013) kein invalidisierender Gesundheitsschaden mehr ausgewiesen sei, was sie dem Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV mit Schreiben vom 16. November 2015 mitteilte. Mit entsprechender Begründung stellte die Stadt Zürich, Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, mit Verfügung vom 20. November 2015 die Ergänzungs- resp. Zusatzleistungen auf Ende Dezember 2015 ein. 
Mit Vorbescheid vom 10. Dezember 2015 stellte die IV-Stelle A.________ eine Entschädigung für Hilflosigkeit leichten Grades (lebenspraktische Begleitung) vom 1. Juli 2011 bis zum 31. März 2013 in Aussicht. 
Die Stadt Zürich, Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, wies die Einsprache gegen die Verfügung vom 20. November 2015 - nach Rückfragen bei der IV-Stelle und entsprechenden Antworten - mit Entscheid vom 12. Mai 2016 ab und hob die Ergänzungs- resp. Zusatzleistungen auf Ende Juni 2016 auf. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 15. August 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 15. August 2017 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Die Stadt Zürich und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die II. sozialrechtliche Abteilung ist zuständig für Beschwerden betreffend die jährliche Ergänzungsleistung nach Art. 9 ff. ELG (SR 831.30) resp. auf Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten nach Art. 14 ff. ELG (Art. 82 lit. a BGG sowie Art. 35 lit. f des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BGerR; SR 173.110.131]). Nach Art. 34 lit. d BGerR fällt die kantonale Sozialversicherung zwar in die Zuständigkeit der I. sozialrechtlichen Abteilung. Es ist indessen aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll, dass die II. Abteilung auch über die Beschwerde entscheidet, soweit sie Ergänzungsleistungen nach kantonalem Recht betrifft (vgl. Urteil 9C_680/2016 vom 14. Juni 2017 E. 1.1 mit Hinweis). 
 
2.   
Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben insbesondere Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die Anspruch haben auf eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung (IV) oder ununterbrochen während mindestens sechs Monaten ein Taggeld der IV beziehen (Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG), oder die Anspruch hätten auf eine Rente der IV, wenn sie die Mindestbeitragsdauer nach Art. 36 Abs. 1 IVG erfüllen würden (Art. 4 Abs. 1 lit. d ELG). 
Nach Massgabe der Vorschriften des Bundes über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung und aufgrund des zürcherischen Zusatzleistungsgesetzes vom 7. Februar 1971 (ZLG; ZH-Lex 831.3) werden Zusatzleistungen ausgerichtet. Diese bestehen aus Ergänzungsleistungen gemäss ELG, Beihilfen und Zuschüssen (§ 1 ZLG). Die Ausrichtung von Beihilfen setzt u.a. voraus, dass die Voraussetzungen für Ergänzungsleistungen gemäss Art. 4-6 ELG erfüllt sind (§ 13 ZLG). 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV habe stets auf die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle abgestellt. Dieser hätten alle Arztberichte vorgelegen, weshalb die Beschwerdegegnerin keine weiteren Abklärungen mehr habe vornehmen müssen. Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die Invaliditätsbemessung seien unbegründet. Der von der IV-Stelle ermittelte Invaliditätsgrad sei für die Beurteilung des Anspruchs auf Ergänzungs- resp. Zusatzleistungen bindend. Folglich hat es deren Einstellung bestätigt.  
 
3.2. Die Vorinstanz hat sich für die von ihr angenommene Bindungswirkung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts berufen, wonach es nicht Sache der für die Festsetzung der Ergänzungsleistungen zuständigen Organe ist, den nach Massgabe der invalidenversicherungsrechtlich relevanten Erwerbsunfähigkeit ermittelten Invaliditätsgrad zu überprüfen. Abgesehen davon, dass die Durchführungsstellen der EL nicht über die fachlichen Voraussetzungen für eine selbständige Beurteilung der Invalidität verfügen, gilt es zu vermeiden, dass der gleiche Sachverhalt unter denselben Gesichtspunkten von verschiedenen Instanzen unterschiedlich beurteilt wird. Die EL-Organe und das Sozialversicherungsgericht haben sich mit Bezug auf die invaliditätsbedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich an die Invaliditätsbemessung durch die IV zu halten (Urteil 9C_680/2016 vom 14. Juni 2017 E. 3.4.2 mit Hinweisen). Somit ist für den Anspruch auf Ergänzungsleistungen grundsätzlich auf die von der Invalidenversicherung geschaffene Rechtslage abzustellen, und zwar unbesehen, ob die Verfügung der IV-Stelle inhaltlich richtig oder (zu Gunsten oder zu Ungunsten des Versicherten) falsch ist (Urteil 9C_680/2016 vom 14. Juni 2017 E. 3.4.6).  
 
3.3. Die genannte Rechtsprechung (E. 3.2) bezieht sich auf Fälle, in denen der jeweils umstrittene Anspruch auf Ergänzungsleistungen auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG, mithin bei Bezug einer in dieser Bestimmung genannten IV-Leistung beurteilt wurde. Hier geht es indessen um "rentenlose", selbstständige Ergänzungsleistungen (vgl. JÖHL/USINGER-EGGER, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 1721, Rz. 24), die gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. d ELG einen hypothetischen Rentenanspruch voraussetzen. Diesen Unterschieden in den Tatbeständen von Art. 4 Abs. 1 lit. c und d ELG gilt es Rechnung zu tragen: Bei erfüllter Mindestbeitragsdauer (Art. 36 Abs. 1 IVG) bildet die Invaliditätsbemessung einen entscheidenden Aspekt des von der IV-Stelle zu prüfenden Rentenanspruchs und damit Gegenstand einer (anfechtbaren) Verfügung oder - im Beschwerdefall - eines Gerichtsentscheides. Im konkreten Fall - bei ungenügender Beitragsdauer - legte die IV-Stelle den Invaliditätsgrad der Versicherten weder anlässlich einer Leistungsverfügung (wie jener vom 26. Februar 2007) noch im Rahmen einer Feststellungsverfügung (vgl. Art. 49 Abs. 2 ATSG) fest; sie ermittelte und kommunizierte ihn (bisher) lediglich im Rahmen der Amtshilfe für das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV (vgl. Sachverhalt lit. A).  
Wohl ist es sachgerecht und grundsätzlich im Sinne der erwähnten Rechtsprechung (E. 3.2), dass die für die Ergänzungsleistungen zuständige Behörde in den von Art. 4 Abs. 1 lit. d ELG erfassten Fällen den Invaliditätsgrad durch die IV-Stelle abklären lässt (vgl. auch Art. 57 Abs. 1 lit. f IVG; Art. 41 Abs. 1 lit. k IVV [SR 831.201]; Rz. 2230.04 und Anhang 14 der Wegleitung des BSV über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL]). Solches Vorgehen ändert denn auch nichts an der Zuständigkeit der EL-Durchführungsstelle zur Beurteilung des Leistungsgesuchs (Urteil I 810/05 vom 5. Februar 2007 E. 7.2; JÖHL/USINGER-EGGER, a.a.O., S. 1722 f. Rz. 25). Dass das EL-Organ die - im Rahmen seiner Abklärungspflicht nach Art. 43 ATSG eingeholte - Invaliditätsbemessung der IV-Stelle übernimmt, bedeutet aber nicht, dass diese nie angefochten werden kann, würde doch dadurch das Beschwerderecht gemäss Art. 56 ff. ATSG verletzt. Somit kann, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, die bloss amtshilfeweise erfolgte Invaliditätsbemessung der IV-Stelle keine Verbindlichkeit in dem Sinne bewirken, dass die gerichtliche Überprüfung des Invaliditätsgrades anlässlich der Beurteilung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ausgeschlossen wäre. 
 
3.4. Das kantonale Gericht hat sich im angefochtenen Entscheid nicht mit den Einwänden der Beschwerdeführerin gegen die Invaliditätsbemessung und deren Grundlagen auseinandergesetzt. Dies wird es nachzuholen haben, um anschliessend (unter Berücksichtigung der Entwicklung des hypothetischen Rentenanspruchs) erneut über den umstrittenen Anspruch auf Ergänzungs- resp. Zusatzleistungen zu entscheiden. Die Beschwerde ist begründet.  
 
4.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. August 2017 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. Dezember 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann