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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_640/2020  
 
 
Urteil vom 14. Januar 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter, 
 
gegen  
 
Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung, 
Bewährungs- und Vollzugsdienste, Vollzug 3, 
Hohlstrasse 552, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des 
Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 9. November 2020 
(UB200179-O/U/GRO>BUT). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 1. November 2016 verurteilte das Bezirksgericht Bülach (im Folgenden: Bezirksgericht) A.________ wegen versuchten Mordes, versuchten Raubes, mehrfacher Vergewaltigung, sexueller Nötigung, einfacher Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie weiterer Delikte zu 15 Jahren Freiheitsstrafe und Fr. 500.-- Busse. Es ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB an und schob zu deren Gunsten den Vollzug der Freiheitsstrafe auf. 
 
B.   
Mit Verfügung vom 26. August 2020 hob das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich (im Folgenden: Amt) die stationäre Massnahme wegen Aussichtslosigkeit auf. Es beantragte dem Bezirksgericht (nach Eintritt der Rechtskraft der Aufhebung der stationären Massnahme) die Verwahrung von A.________ gemäss Art. 64 StGB. Zudem ordnete das Amt gestützt auf § 22 des Straf- und Justizvollzugsgesetzes vom 19. Juni 2006 des Kantons Zürich (StJVG; LS 331) Sicherheitshaft an und ersuchte das Zwangsmassnahmengericht des Bezirksgerichts, über deren Weiterführung für die Dauer des Nachverfahrens zu entscheiden. 
 
C.   
Am 3. September 2020 versetzte das Zwangsmassnahmengericht A.________ in Sicherheitshaft. 
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) am 10. September 2020 wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gut. Es hob den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts auf und wies die Sache an dieses zurück. 
 
D.   
Mit Verfügung vom 23. September 2020 versetzte das Zwangsmassnahmengericht A.________ erneut in Sicherheitshaft. Es bewilligte diese einstweilen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachverfahrens bzw. bis spätestens zum 23. März 2021 (Dispositiv Ziffer 1). 
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht mit Beschluss vom 9. November 2020 teilweise gut. Es hob Ziffer 1 des Dispositivs der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 23. September 2020 auf und wies den Antrag des Amtes auf Weiterführung der Sicherheitshaft für die Dauer des Nachverfahrens ab. Das Obergericht stellte fest, dass A.________ die Freiheit gestützt auf die mit Urteil vom 1. November 2016 angeordnete stationäre Massnahme nach 59 StGB entzogen sei. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
E.   
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts vom 9. November 2020 aufzuheben und die Sache an das Zwangsmassnahmengericht zwecks Nichteintretens zurückzuweisen. Er stellt zudem Eventualanträge. 
 
F.   
Das Obergericht hat Gegenbemerkungen eingereicht, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen. Das Amt hat sich nicht vernehmen lassen. A.________ hat repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Ob und wieweit die Eintretensvoraussetzungen nach Art. 78 ff. BGG erfüllt sind, braucht nicht näher untersucht zu werden. Wäre auf die Beschwerde einzutreten, wäre sie unbegründet. Da dies offensichtlich ist, wird der vorliegende Entscheid summarisch begründet (Art. 109 Abs. 2 lit. a und 3 BGG). 
 
2.   
Auf die in der Replik enthaltenen neuen Rügen kann nicht eingetreten werden, da der Beschwerdeführer diese bereits in der Beschwerde hätte erheben können (BGE 132 I 42 E. 3.3.4 S. 47 mit Hinweisen). 
 
3.   
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz erwähne mit keinem Wort, dass er vor dem Zwangsmassnahmengericht einen Antrag auf Nichteintreten gestellt habe. Insoweit habe sie den Sachverhalt unvollständig und damit willkürlich festgestellt. 
Die Vorinstanz legt dar, der Beschwerdeführer habe vor dem Zwangsmassnahmengericht beantragt, auf das Gesuch des Amtes betreffend Sicherheitshaft nicht einzutreten (angefochtener Beschluss S. 9 unten). Das Vorbringen des Beschwerdeführers entbehrt damit der Grundlage. 
 
4.   
Der Beschwerdeführer rügt, wenn die Vorinstanz annehme, das Zwangsmassnahmengericht habe seinen Entscheid vom 23. September 2020 hinreichend begründet, verfalle sie in Willkür. Der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts sei nicht nachvollziehbar. Damit sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt worden. 
Die Vorinstanz erachtet den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts als hinreichend begründet und verneint deshalb eine Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (angefochtener Beschluss E. II./2 S. 6 ff.). Die vorinstanzlichen Erwägungen stützen sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und überzeugen. Darauf kann gemäss Art. 109 Abs. 3 BGG verwiesen werden. Von Willkür kann keine Rede sein. 
 
5.   
Der Beschwerdeführer rügt die willkürliche Anwendung von § 22 StJVG und die Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. a EMRK
§ 22 StJVG regelt die Sicherheitshaft vor nachträglichen Entscheiden des Gerichts. Die Vorinstanz lehnt die Versetzung des Beschwerdeführers in Sicherheitshaft in Anwendung dieser Bestimmung ab. Sie erwägt, die Sicherheitshaft sei weder erforderlich noch zulässig, da der Beschwerdeführer gegen die Aufhebung der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB Rekurs erhoben habe, dem aufschiebende Wirkung zukomme. Die vom Bezirksgericht mit Urteil vom 1. November 2016 angeordnete stationäre Massnahme entfalte daher weiterhin ihre Wirkung und dem Beschwerdeführer sei gestützt darauf die Freiheit entzogen (angefochtener Beschluss E. II./5.2 S. 18 ff.). Damit hat der Beschwerdeführer kein Rechtsschutzinteresse an der Prüfung der Anwendung von § 22 StJVG. Hat die Vorinstanz keine Sicherheitshaft nach dieser Bestimmung angeordnet, ist er insoweit nicht beschwert. 
Gemäss Art. 5 Ziff. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden: a) rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht. Inwiefern diese Bestimmung hier verletzt sein sollte, ist nicht erkennbar. Wie dargelegt, ist dem Beschwerdeführer - was er anerkennt - die Freiheit nach wie vor aufgrund der mit Urteil des Bezirksgerichts vom 1. November 2016 angeordneten stationären Massnahme entzogen. Damit besteht ein gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. a EMRK gültiger Hafttitel. 
 
6.   
Soweit sich der Beschwerdeführer auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK beruft, legt er nicht dar, inwiefern die Vorinstanz diese Bestimmung verletzt haben soll. Auf die Beschwerde kann daher in diesem Punkt mangels hinreichender Begründung (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht eingetreten werden. 
 
7.   
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie Ziffer 1 des Dispositivs des Entscheids des Zwangsmassnahmengerichts vom 23. September 2020 nicht als nichtig erklärt habe. 
Der von der Vorinstanz angenommene Mangel von Ziffer 1 der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 23. September 2020 kann nicht als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar betrachtet werden. Wenn die Vorinstanz diese Ziffer nicht als nichtig erklärt hat, ist das daher nicht zu beanstanden (zum Begriff der Nichtigkeit: BGE 146 IV 145 E. 2.10 S. 152 mit Hinweis). Im Übrigen hat die Vorinstanz Ziffer 1 des Dispositivs aufgehoben. Es ist nicht erkennbar, welchen zusätzlichen Vorteil die Nichtigerklärung dem Beschwerdeführer hätte bringen können. 
 
8.   
Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Kostenregelung im kantonalen Verfahren. Anfechtungsobjekt ist hier allein der vorinstanzliche Beschluss. Die darin enthaltene Kostenregelung (E. II./8 f. S. 21 f.) lässt, soweit der Beschwerdeführer dadurch überhaupt beschwert ist, keine Bundesrechtsverletzung erkennen. Die Erwägungen der Vorinstanz, auf welche gemäss Art. 109 Abs. 3 BGG auch insoweit verwiesen werden kann, sind entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht schlechterdings unhaltbar und damit nicht willkürlich. 
 
9.   
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da sie aussichtslos war, kann die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. In Anbetracht der finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers werden ihm jedoch keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich sowie dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. Januar 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri