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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_186/2011 
 
Urteil vom 14. April 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
G.________, vertreten durch Walter Bär, Eidg. dipl. Sozialversicherungsexperte, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Leistungen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Berechnung des Leistungsanspruchs), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 1. Februar 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1928 geborene G.________ bezieht eine Altersrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung. Im Dezember 2008 meldete er sich zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Mit Verfügung vom 5. Mai 2009 wies die Ausgleichskasse des Kantons Bern das Gesuch ab mit der Begründung, unter Anrechnung eines Verzichtsvermögens von Fr. 420'000.- resultiere ein Einnahmenüberschuss. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 10. Juni 2009 fest. 
 
B. 
Die Beschwerde des G.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 1. Februar 2011 ab. 
 
C. 
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 1. Februar 2011 sei die Ausgleichskasse zu verpflichten, den Verlust von Fr. 420'000.- bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen nicht zu berücksichtigen und demzufolge Ergänzungsleistungen auszurichten. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
2. 
Es steht fest und ist unbestritten, dass aus der Investitionstätigkeit des Beschwerdeführers ein Vermögensverlust im Betrag von Fr. 420'000.- resultierte. Streitig und zu prüfen ist lediglich die Frage, ob dieser Verlust für die Berechnung der Ergänzungsleistungen als Vermögensverzicht zu berücksichtigen ist. 
 
3. 
3.1 Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG [SR 831.30]). Nach Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG werden Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist, als Einnahmen angerechnet. 
 
3.2 Ein Vermögensverzicht liegt vor, wenn die Entäusserung ohne Rechtspflicht und ohne adäquate Gegenleistung erfolgte (BGE 134 I 65 E. 3.2 S. 70; 131 V 329 E. 4.2 S. 332). Die Anlage eines Vermögens ist grundsätzlich kein Vermögensverzicht (Urteil P 55/05 vom 26. Januar 2001 E. 3.2). Im Gegenteil ist es normal, dass Vermögen angelegt wird. Auch die Gewährung eines Darlehens ist für sich allein nicht eine Verzichtshandlung, da ein Anspruch auf Rückzahlung besteht (Urteil P 53/99 vom 22. Januar 2000 E. 2b). Ein Verzichtstatbestand ist jedoch anzunehmen, wenn bei einer Geldanlage oder einem Darlehen unter den konkreten Umständen von Anfang an damit gerechnet werden muss, dass das Geld nicht zurückbezahlt wird (Urteil 9C_180/2010 vom 15. Juni 2010 E. 5.2 mit Kasuistik). Dies ist der Fall, wenn bewusst ein Vermögen weggegeben oder zumindest in fahrlässiger Weise eine risikoreiche Investition getätigt wurde, bei welcher ein (erheblicher) Verlust im Zeitpunkt der Investition sehr wahrscheinlich und damit absehbar war (Urteil 9C_180/2010 vom 15. Juni 2010 E. 6). 
 
3.3 Das mit einer Investition verbundene Risiko hängt in erster Linie von der Bonität des Schuldners und der Möglichkeit ab, den Anspruch auf Rückzahlung des angelegten Betrags und Leistung von Zinsen gegebenenfalls durchzusetzen. Während öffentliche Anleihen westlicher Industrienationen im Allgemeinen als sicher gelten können, trifft dies bei privaten Unternehmen in stark unterschiedlichem Masse zu. Insbesondere Gesellschaften, deren Struktur nicht oder nicht genügend transparent ist, bieten unter Umständen nur geringe Gewähr für die Begleichung künftiger Forderungen (Urteil P 12/06 vom 2. Februar 2007 E. 3.3). 
 
4. 
4.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer habe den Betrag von insgesamt Fr. 420'000.- bei "F.________", "O.________" und "W.________" investiert. Dabei habe es sich um "Privatpersonen ohne entsprechende Sicherheiten" gehandelt. Daher müsse, selbst wenn der Verlust die Folge betrügerischer Machenschaften wäre, von einem bereits im Zeitpunkt der Investition erkennbaren hohen Verlustrisiko ausgegangen werden, zumal der Beschwerdeführer selbst die Anlagen als "dubiose Investments" bezeichnet habe. 
4.2 
4.2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei Opfer von Betrügern geworden, die ihn u.a. mit gefälschten Urkunden arglistig "hereingelegt" hätten. Die Vorinstanz habe die zum Beweis dafür angebotenen, in Bundesordnern abgelegten Akten nicht beigezogen, was überspitzten Formalismus und eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes darstelle. 
4.2.2 Im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht gilt der Untersuchungsgrundsatz, d.h. Feststellung der für den Entscheid erheblichen Tatsachen von Amtes wegen unter Mitwirkung der Parteien, sowie der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 125 V 193 E. 2 S. 195; 125 V 351 E. 3a S. 352). Die Untersuchungsmaxime entbindet die Parteien nicht von ihrer Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung, und es bleibt in erster Linie Sache des Leistungsansprechers, die rechtserheblichen Tatsachen und die Beweismittel zu nennen (SVR 2010 EL Nr. 7 S. 19, 9C_724/2009 E. 3.2.3.2; BGE 128 III 411 E. 3.2.1 S. 413; FamPra.ch 2004 S. 665, 5P.6/2004 E. 2.3). Gelangt das Gericht aufgrund pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, die Akten erlaubten die richtige und vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder eine behauptete Tatsache sei für die Entscheidung der Streitsache nicht von Bedeutung, kann es auf die Erhebung weiterer Beweise verzichten (BGE 124 V 90 E. 4b S. 94; Urteil 9C_624/2009 vom 7. Oktober 2009 E. 3.1 mit Hinweisen). Die Tatsache allein, dass die Vorinstanz in antizipierender Beweiswürdigung auf den Beizug angebotener Beweismittel verzichtete, verletzt somit nicht Bundesrecht, insbesondere nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör (SVR 2010 EL Nr. 7 S. 19, 9C_724/2009 E. 3.2.3.1 mit Hinweisen) oder den Untersuchungsgrundsatz. 
4.2.3 Der Beschwerdeführer behauptete im vorinstanzlichen Verfahren pauschal, seine ehemaligen Geschäftspartner hätten "ohne weiteres" einen vertrauenerweckenden Eindruck hinterlassen, weshalb er nicht mit einem Verlust habe rechnen müssen. Obwohl die Argumentation der Ausgleichskasse dazu Veranlassung bot, legte er nicht dar, und war auch nicht ersichtlich, welche Aspekte sein damaliges - und angesichts der anvertrauten Summen besonderes - Vertrauen in die Bonität seiner Schuldner hätten begründen sollen, oder inwiefern er arglistig getäuscht worden sein soll. Beim ganzen oder teilweisen Fehlen von Einkommen und Vermögen handelt es sich um anspruchsbegründende Tatsachen, die vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht darzutun und zu belegen sind (BGE 121 V 204 E. 6a S. 208; AHI 1995 S. 164, P 49/94 E. 3b). Dabei genügt nicht, bloss allgemeine Behauptungen aufzustellen und unspezifisch Unterlagen zum Beweis anzubieten. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, in einem Stapel von Belegen nach rechtserheblichen Tatsachen und Beweismitteln suchen. Von einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder überspitztem Formalismus (BGE 135 I 6 E. 2.1 S. 9; 134 II 244 E. 2.4.2 S. 247; 132 I 249 E. 5 S. 253; 130 V 177 E. 5.4.1 S. 183) im Zusammenhang mit dem Verzicht auf den Beizug weiterer Akten kann daher nicht die Rede sein. 
 
4.3 Auch wenn die Bezeichnung der Anlagen als "dubiose Investments" eine retrospektive Beurteilung darstellen mag, kann der Beschwerdeführer daraus nichts für sich ableiten: Die Formulierung wurde immerhin im von ihm mitunterzeichneten und an die Ausgleichskasse gerichteten Schreiben seiner Treuhandfirma vom 7. April 2009 verwendet und ist auch unter prospektiver Betrachtung nicht offensichtlich unzutreffend. Im Übrigen war die diesbezügliche vorinstanzliche Feststellung für die Beurteilung des Verlustrisikos nicht allein ausschlaggebend. 
 
4.4 Nach dem Gesagten beruhen die vorinstanzlichen Feststellungen (E. 4.1) nicht auf einer Rechtsverletzung. Ausserdem sind sie - auch unter Berücksichtigung der ohnehin unzulässigen (Art. 99 Abs. 1 BGG), neu eingereichten Unterlagen in drei Aktenordnern - nicht offensichtlich unrichtig und daher für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). Das kantonale Gericht hat folglich zu Recht den Verlust der Vermögenswerte im Umfang von Fr. 420'000.- als Vermögensverzicht im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG qualifiziert (E. 3.2 und 3.3). Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 14. April 2011 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Meyer Dormann