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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8G.42/2003 /pai 
 
Urteil vom 14. Mai 2003 
Anklagekammer 
 
Besetzung 
Bundesrichter Karlen, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Parteien 
Eidgenössische Zollverwaltung Oberzolldirektion, 3003 Bern, 
Gesuchstellerin, 
 
gegen 
 
X.________ Inc., c/o Büro C.________, Rechtsanwälte, 
Gesuchsgegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian E. Benz, Forchstrasse 4/Kreuzplatz, Postfach 1910, 8032 Zürich. 
 
Gegenstand 
Entsiegelung (Art. 50 Abs. 3 VStrR). 
 
Sachverhalt: 
A. 
Anlässlich einer Zollkontrolle stellte das Zollinspektorat Zürich-Flughafen am 16. August 2000 fest, dass A.________ als Mitinhaber der Speditionsfirma B.________ SA in einer "Schmuggelweste" Schmuck und Bijouteriewaren im Wert von Fr. 250'000.-- auf sich trug, die aus dem Zollfreilager entnommen und nicht zur Zollabfertigung angemeldet worden waren. Nach den Angaben von A.________ war der Schmuck für die illegale Einfuhr in Israel bestimmt und hätte im Transitraum einem Kurier übergeben werden sollen. A.________ wurde wegen des Verdachts der illegalen Einfuhr von Goldschmuck bzw. der Widerhandlung gegen Art. 74 des Zollgesetzes (ZG) und Art. 77 der Mehrwertsteuerverordnung (MWStV) sowie der Erschleichung einer Falschbeurkundung gemäss Art. 15 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) und des Abgabebetruges gemäss Art. 14 VStrR festgenommen. Am 17. und 18. August 2000 wurden die Räumlichkeiten der B.________ SA durchsucht und Uhren und Schmuckwaren unbestimmter Herkunft sowie umfangreiche Akten und Datenträger beschlagnahmt. 
 
Bei der Sichtung der beschlagnahmten Unterlagen stiessen die Untersuchungsorgane auf Speditionsdossiers für 16 Diamantensendungen aus dem Ausland im Wert von US-Dollar 10'526'054.--, die durch die B.________ SA im Freilager Zürich-Flughafen eingelagert wurden und die für die X.________ Inc. bestimmt gewesen sein sollen. Die Ermittlungen ergaben, dass nur eine Sendung ordnungsgemäss ausgelagert und abgefertigt worden ist. 14 Sendungen sollen demgegenüber illegal ausgelagert worden sein. Der Verbleib der letzten Sendung ist unbekannt. 
 
Die X.________ Inc. hat ihr Domizil bei der zürcherischen Anwaltskanzlei C.________. Am 29. September 2000 beschlagnahmte die für die vorliegende Angelegenheit zuständige Sektion Untersuchung Zürich der Zollkreisdirektion Schaffhausen (SU) bei der Kanzlei C.________ die Akten betreffend die X.________ Inc.. Die Akten wurden auf Antrag von Rechtsanwalt Dr. D.________, der bei C.________ für das Dossier zuständig ist, versiegelt. 
 
 
 
 
Am 3. Oktober 2000 teilte Rechtsanwalt Dr. D.________ der SU mit, dass sein Klient bereit wäre, die versiegelten Akten ohne Rechtsverfahren herauszugeben, wenn die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) zusichere, dass keine Informationen betreffend Warenlieferungen und keine Wohnsitz- oder anderen Personendaten an ausländische Behörden weitergegeben würden. Auf diesen Vorschlag trat die EZV nicht ein. 
B. 
Mit Gesuch vom 20. März 2003 wendet sich die EZV an die Anklagekammer des Bundesgerichts und beantragt, sie sei zur Entsiegelung der am 29. September 2000 beschlagnahmten Papiere und zu deren weiteren Auswertung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zu ermächtigen (act. 1). 
 
Die Anklagekammer forderte die X.________ Inc., c/o Büro C.________, am 26. März 2003 zur Vernehmlassung auf. 
 
Innert erstreckter Frist hat Rechtsanwalt Dr. Christian Benz vom Advokaturbüro Benz mit Eingabe vom 5. Mai 2003 namens der X.________ Inc. und von dieser bevollmächtigt (act. 4) zum Gesuch Stellung genommen. Er beantragt, das Gesuch um Entsiegelung abzulehnen (act. 6). 
 
Die Kammer zieht in Erwägung: 
1. 
Die Gesuchsgegnerin macht geltend, Inhaberin der in den Räumlichkeiten der Kanzlei C.________ versiegelten Akten sei nicht sie, sondern Rechtsanwalt Dr. D.________. Aus diesem Grund richte sich das Entsiegelungsverfahren gegen die falsche Partei. Die Gesuchstellerin hätte in einem Verfahren gegen Rechtsanwalt Dr. D.________ darlegen müssen, weshalb sich dieser nicht auf das Anwaltsgeheimnis berufen könne (act. 6 S. 2/3). 
 
Dieses Vorbringen ist offensichtlich verfehlt. Einer Telefonnotiz der SU vom 3. Oktober 2000 ist zu entnehmen, dass Rechtsanwalt Dr. D.________ mitgeteilt hat, sein Klient sei unter gewissen Bedingungen bereit, die sichergestellten Akten ohne Rechtsverfahren herauszugeben (Beilage 6 zu act. 1). Es geht also um Akten, die dem Klienten von Rechtsanwalt Dr. D.________ gehören. Und der Klient ist ja sogar unter bestimmten Voraussetzungen bereit, die Akten herauszugeben. Davon, dass sich Rechtsanwalt Dr. D.________ unter diesen Umständen auf das Anwaltsgeheimnis berufen könnte, kann nicht die Rede sein. 
2. 
Die Gesuchsgegnerin macht geltend, Rechtsanwalt Dr. D.________ habe sie zwar für einen Klienten gegründet, sie sei mit diesem Klienten jedoch nicht identisch. In der Kanzlei C.________ seien die Akten betreffend sie selber und betreffend den Klienten unter demselben Dossiernamen abgelegt. Auf sämtliche dieser Akten habe die Gesuchstellerin folglich keinen Anspruch (act. 6 S. 3). 
 
Auch dieses Vorbringen ist verfehlt. Papiere dürfen durchsucht werden, wenn anzunehmen ist, dass sich Schriften darunter befinden, die für die Untersuchung von Bedeutung sind (Art. 50 Abs. 1 VStrR). Diese Voraussetzung ist erfüllt, da sich unter den Akten unbestrittenermassen solche befinden, die die Gesuchsgegnerin betreffen. Es ist durchaus möglich, dass die Akten Hinweise darauf enthalten, wer der Endabnehmer der Diamanten war. Erst bei der Durchsuchung kann geprüft werden, welche Unterlagen als Beweismittel beschlagnahmt werden müssen und welche nicht. Es ist unvermeidlich, dass auch Papiere durchsucht werden, die sich in der Folge als für die Untersuchung bedeutungslos erweisen (BGE 108 IV 75). Auf diese unerheblichen Akten hat die Gesuchstellerin tatsächlich "keinen Anspruch"; aber solche Akten werden nach der Durchsuchung auch nicht beschlagnahmt. 
3. 
Voraussetzung für eine Durchsuchung von Papieren ist ein hinreichender Tatverdacht (BGE 106 IV 413 E. 4). Die Gesuchsgegnerin macht geltend, in diesem Punkt und in Bezug auf die Frage des Untersuchungsinteresses weise das Gesuch verschiedene Unstimmigkeiten auf (act. 6 S. 4). 
 
Die Gesuchsgegnerin behauptet, ihre Firma erscheine in den Akten der Gesuchstellerin zwar mehrmals unter dem Titel "Notify address", sie sei jedoch kein einziges Mal als "Consignee" (Empfängerin der Ware) aufgeführt (act. 6 S. 4/5). Dies trifft nicht zu. Im Dossier 16246 (Beilage 7.2 zu act. 1) ist auf dem Luftfrachtbrief als "Consignee" ausdrücklich die "X.________ Inc., c/o B.________ SA, Zurich, Switzerland" aufgeführt (Beleg 3 in Beilage 7.2). Zwar könnte es sich dabei theoretisch um eine gleichnamige Gesellschaft in Hong Kong handeln, wie die Gesuchsgegnerin andeutet, aber die Adresse spricht eher dafür, dass die in Zürich domizilierte Gesellschaft gemeint ist. Wie es sich damit verhält, wird allenfalls die Durchsuchung der Papiere zeigen. 
 
Die Gesuchstellerin führt aus, die Akten könnten Hinweise darauf enthalten, wer die Endabnehmer der Diamanten waren; deren Identifizierung sei nötig, weil sie darüber Auskunft geben könnten, ob und gegebenenfalls welcher Schmuck wirklich ins Ausland gebracht worden sei (act. 1 S. 4). Nach Auffassung der Gesuchsgegnerin ist die Identifizierung der Endabnehmer demgegenüber von vornherein irrelevant, weil sich die B.________ SA unabhängig davon, ob die Ware wieder ins Ausland verbracht worden sei, strafbar gemacht habe (act. 6 S. 5/6). Sie übersieht dabei, dass die Gesuchstellerin überdies prüfen will, ob die Endabnehmer an den Widerhandlungen teilgenommen und sich deshalb als Beteiligte ebenfalls strafbar gemacht haben könnten (act. 1 S. 4). Dass diese Prüfung von vornherein ungerechtfertigt wäre, behauptet die Gesuchsgegnerin nicht. 
4. 
Die beantragte Entsiegelung und Durchsuchung der Papiere ist schliesslich auch verhältnismässig. Die Gesuchsgegnerin stellt dies zu Recht nicht in Abrede. 
5. 
Das Gesuch ist gutzuheissen. Die Gesuchstellerin ist zu ermächtigen, die am 29. September 2000 beschlagnahmten und versiegelten Papiere im Beisein der Gesuchsgegnerin oder deren Vertreter zu durchsuchen. Anlässlich der Entsiegelung werden diejenigen Papiere auszuscheiden und der Inhaberin unverzüglich zurückzugeben sein, die mit dem Gegenstand der Strafuntersuchung offensichtlich in keinem Zusammenhang stehen und keinen Bezug zu den in Frage stehenden Widerhandlungen haben. Dass die Gesuchstellerin berechtigt ist, die für die Untersuchung relevanten Papiere auszuwerten, ist selbstverständlich; einer entsprechenden Anordnung durch die Anklagekammer bedarf es entgegen dem Antrag der Gesuchstellerin nicht. 
6. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Gesuchsgegnerin die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 25 Abs. 4 und Art. 50 Abs. 3 VStrR in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt die Kammer: 
1. 
Das Gesuch der Eidgenössischen Zollverwaltung um Entsiegelung der am 29. September 2000 beschlagnahmten Papiere wird gutgeheissen. 
2. 
Die Eidgenössische Zollverwaltung wird ermächtigt, die Papiere in Gegenwart der Gesuchsgegnerin oder deren Vertreter zu entsiegeln und zu durchsuchen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Gesuchsgegnerin auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. Mai 2003 
Im Namen der Anklagekammer 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: