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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_117/2009 
 
Urteil vom 14. Juli 2009 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Ferrari, Mathys, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Parteien 
X._______, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher Sven Sievi, 
 
gegen 
 
Generalprokurator des Kantons Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Versuchte vorsätzliche Tötung; Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens (aArt. 13 StGB); rechtliches Gehör; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 24. Oktober 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X._______ geriet am 20. April 2006 in der Bar A._______ in Thun mit Y._______ in eine tätliche Auseinandersetzung. Dabei fügte er Y._______ eine vier Zentimeter tiefe, diagonal über den Hals verlaufende Schnittwunde in unmittelbarer Nähe der grossen Halsvene und der grossen Halsschlagader zu. Y._______ überlebte die Verletzung. 
 
B. 
Das Obergericht des Kantons Bern sprach X._______ mit Entscheid vom 24. Oktober 2008 zweitinstanzlich schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren unter Anrechnung der ausgestandenen Polizei- und Untersuchungshaft von 29 Tagen. Ferner stellte es fest, dass X._______ erstinstanzlich und rechtskräftig verpflichtet wurde, Y._______ Schadenersatz, Genugtuung und Interventionskosten von insgesamt Fr. 17'659.35 zu bezahlen. 
 
C. 
X._______ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 24. Oktober 2008 sowie die Ziffern 2a und 2b des vorinstanzlichen Beschlusses vom 6. Oktober 2008 seien aufzuheben und die Sache zwecks Anordnung zweier Gutachten an die Vorinstanz, eventualiter an die erste Instanz, zurückzuweisen. Des Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
D. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Der Beschwerdeführer reichte im Berufungsverfahren einen Arztbericht ein und beantragte gestützt darauf sinngemäss die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage seiner Zurechnungsfähigkeit. Ferner ersuchte er um eine detaillierte Auswertung der nach der Tat bei ihm erhobenen Urin- und Blutproben. Die Vorinstanz wies die Anträge ab. 
 
1.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe Art. 20 StGB respektive aArt. 13 StGB verletzt, indem sie keine Begutachtung angeordnet habe. Mit der Ablehnung der Anträge vom 24. September 2008 habe sie zudem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV in Verbindung mit Art. 101 und Art. 128 des Gesetzes über das Strafverfahren [des Kantons Bern] vom 15. März 1995 (StrV; BSG 321.1) verletzt und den Sachverhalt willkürlich festgestellt. 
 
Zur Begründung führt der Beschwerdeführer aus, eine umfassende Analyse der Urin- und Blutproben hätte Klarheit bezüglich seines Drogenkonsums im Zeitpunkt der Tat gebracht. Die Vorinstanz habe übersehen, dass die ärztliche Untersuchung sowie die Abnahme der Blutprobe erst am 21. April 2006 nach 12.00 Uhr und die Abnahme der Urinprobe ebenfalls am 21. April 2006 ohne nähere Zeitangabe erfolgt seien. Sie habe die Abbaugeschwindigkeit von Alkohol nicht berücksichtigt. Ebenso wenig habe sie eine psycho-organisch bedingte affektive Störung bei ihm in Betracht gezogen und eine fachärztliche Begutachtung angeordnet; dies, obwohl der privat beigezogene Facharzt Dr. V._______ die Möglichkeit einer solchen Störung diagnostiziert habe. Schliesslich sei dem Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit nicht Rechnung getragen worden. 
 
1.3 Die Vorinstanz erwägt, aus den ärztlichen Untersuchungen sowie der Auswertung der Urin- und Blutproben ergäben sich nicht die geringsten Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch bzw. eine Drogensucht. Bei den Angaben des Beschwerdeführers, wonach er am Tag des Ereignisses zusammen mit zwei weiteren Personen vor dem Mittag eine Flasche Whisky konsumiert habe, handle es sich um eine nachgeschobene Schutzbehauptung, die er erst anlässlich der vierten Einvernahme vorgetragen habe. Auch der Drogenkonsum sei erstmals 2 ½ Jahre nach der Tat vorgebracht worden, dies gestützt auf einen Bericht von Dr. V._______, der den Beschwerdeführer während knapp einer Stunde sowie 2 ½ Jahre nach der Tat untersucht habe. Der Bericht basiere einzig auf den Aussagen des Beschwerdeführers. Im Übrigen würde das Resultat der Urinprobe, das lediglich in Bezug auf Cannabis positiv gewesen sei, mit den Aussagen des Beschwerdeführers übereinstimmen, vor der Tat einen Joint mit Marihuana geraucht zu haben. 
 
1.4 Die Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches sind durch das Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 teilweise revidiert worden. Das neue Recht ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Der Beschwerdeführer hat die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung vor dem 1. Januar 2007 verübt. Das angefochtene Urteil ist nach diesem Zeitpunkt ergangen. Gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB ist in diesem Fall das neue Recht anzuwenden, sofern es für den Täter milder ist. Die Vorinstanz gelangt zutreffend zum Schluss, dass sich das neue Recht im zu beurteilenden Fall nicht als das mildere erweist. Anwendung findet daher das bisherige Recht. 
 
1.5 Nach aArt. 13 StGB ordnet die Untersuchungs- oder die urteilende Behörde eine Untersuchung des Beschuldigten an, wenn sie Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit hat. Gemäss dem neuen Gesetzeswortlaut von Art. 20 StGB hat eine sachverständige Begutachtung zu erfolgen, wenn ernsthafter Anlass besteht, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln. Die genannten Bestimmungen unterscheiden sich inhaltlich nicht, da der neue Wortlaut der bundesgerichtlichen Praxis zu aArt. 13 StGB entspricht (vgl. BGE 132 IV 29 E. 5.1 S. 37). Somit kann hier auch die Rechtsprechung zu Art. 20 StGB herangezogen werden. Für die Prüfung der Notwendigkeit einer Begutachtung soll der Richter seine Zweifel an der Schuldfähigkeit nicht selber beseitigen, etwa indem er psychiatrische Fachliteratur beizieht. Vielmehr ergibt sich aus Art. 20 StGB bzw. aArt. 13 StGB, dass er bei Zweifeln einen Sachverständigen beiziehen muss. Dies gilt nicht nur, wenn der Richter tatsächlich Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit hat, sondern auch, wenn er nach den Umständen des Falls ernsthafte Zweifel haben müsste (BGE 133 IV 145 E. 3.3 S. 147 mit Hinweisen). 
 
Bei der Prüfung dieser Zweifel ist zu berücksichtigen, dass nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, genügt, um eine verminderte Zurechnungsfähigkeit anzunehmen. Die Geistesverfassung des Betroffenen muss in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen und von jener der durchschnittlichen Rechts- und Verbrechensgenossen abweichen (BGE 116 IV 273 E. 4a und b S. 273 ff.). Die Notwendigkeit, eine sachverständige Person zuzuziehen, ist mithin erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Zurechnungsfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder völlig unübliches Verhalten. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat warten oder diese gar konstellieren konnte, so hat eine schwere Beeinträchtigung nicht vorgelegen (Zusammenfassung der Rechtsprechung in BGE 133 IV 145 E. 3.3 S. 147 f. mit Hinweisen). Ob der Richter Zweifel an der Schuldfähigkeit haben sollte, ist eine Ermessensfrage (Theodor Keller, in: Probleme der strafrechtlichen Begutachtung aus juristischer und forensisch-psychiatrischer Sicht, Der Standpunkt des Richters, ZStrR 97/1980 S. 369 f.). 
 
1.6 Vorliegend besteht nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz kein ernsthafter Anlass, an der vollen Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu zweifeln. Objektive Anhaltspunkte, wonach sich die Geistesverfassung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Tat in hohem Masse im Bereich des Abnormen befunden hätte, sind nicht vorhanden. Die Vorinstanz hat die Behauptung des Beschwerdeführers betreffend den Konsum von Whisky als unglaubhaft gewürdigt; dies insbesondere gestützt auf die ausgewertete Blutanalyse, welche eine Blutalkoholkonzentration von 0.00? ergeben hat, seine früheren, wiederholten Aussagen, wonach er am 20. April 2006 keinen Alkohol getrunken habe, und den ärztlichen Untersuchungsbefund, der keine entsprechenden Symptome festgehalten hat. Dabei hat die Vorinstanz, entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers, auch dem Zeitpunkt der Abnahme der Blutprobe Rechnung getragen. 
 
Ebenso wenig hat die Vorinstanz objektive Anhaltspunkte für einen Drogenmissbrauch respektive eine bestehende Drogensucht gesehen. Sie würdigte die früheren, gleichermassen wiederholten Aussagen des Beschwerdeführers, wonach er vor der Tat einzig einen Joint mit Marihuana geraucht habe, den durchgeführten Urin-Test und den rund 2 ½ Jahre nach der Tat erstmals im vorinstanzlichen Verfahren erwähnten Drogenkonsum. Ebenso berücksichtigte sie die Feststellungen von Dr. Z._______ vom 21. April 2006, laut derer der Beschwerdeführer sehr ruhig und bei klarem Bewusstsein gewesen sei. Der Beschwerdeführer bringt vor, der Abschlussbericht des Instituts für Rechtsmedizin der Universtität Bern äussere sich nicht über die Einnahme verschiedener Medikamente und Drogen. Dieser Hinweis ist zutreffend, vermag jedoch keine berechtigten Zweifel an der vollen Schuldfähigkeit zu begründen. Der Bericht gibt unter anderem Auskunft über den Konsum von Cannabis, Opiaten, Kokain und LSD, während er verschiedene Medikamente, Gammahydroxybuttersäure ["KO-Tropfen" / "Liquid Ecstasy"] oder Rauschpilze nicht erfasst. Der Beschwerdeführer bringt nicht vor, im Zeitpunkt der Tat unter Medikamenteneinfluss gestanden oder andere, näher bezeichnete Drogen konsumiert zu haben, die im Abschlussbericht nicht untersucht wurden. Weiter hat die Vorinstanz die Rahmenbedingungen der durch Dr. V._______ durchgeführten Untersuchung (z.B. Dauer der Sitzung) und das Schreiben vom 20. September 2008 gewürdigt. Diesem vom Beschwerdeführer eingereichten medizinischen Bericht kommt einzig die Tragweite einer Parteibehauptung zu. Er ist nicht geeignet, Zweifel an der vollen Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu begründen. 
 
Schliesslich konnte die Vorinstanz in vertretbarer Weise davon ausgehen, dass weder bei der Tatausführung noch in der Vorgeschichte oder Biographie des Beschwerdeführers Auffälligkeiten oder besondere Verhaltensweisen auszumachen sind, die den Schluss nahelegen würden, dass seine Geistesverfassung nach Art und Grad in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen und stark vom Durchschnitt der Verbrechensgenossen abweichen würde. Insbesondere sind entsprechende Auffälligkeiten respektive Verhaltensweisen nicht bereits im Umstand zu sehen, dass der Beschwerdeführer nicht einschlägig vorbestraft ist und ein Verbrechen verübt. Das schwerwiegende Delikt eines Ersttäters allein begründet keine Begutachtungspflicht im Sinne von aArt. 13 StGB respektive Art. 20 StGB. Auch kann von einem völlig unüblichen Verhalten des Beschwerdeführers keine Rede sein; immerhin wurde er im Jahre 2005 wegen Vergehens gegen das Waffengesetz verurteilt und zieht sein Verteidiger die Möglichkeit von Geschäftstätigkeiten mit "harten" Drogen in Betracht. 
 
Zusammenfassend fehlen somit konkrete objektive Anhaltspunkte, die ernsthafte Zweifel an der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers zu begründen vermögen. Es ist somit bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz auf die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Zurechnungsfähigkeit sowie auf eine breitere Auswertung der Urin- und Blutproben verzichtet hat. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet und ist abzuweisen. 
 
1.7 Da die Vorinstanz keine weiteren Abklärungen im Sinne von medizinischen Gutachten zu erheben brauchte, scheidet auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV aus und ist die Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung unbegründet. Die Beschwerde ist auch in diesen Punkten abzuweisen. 
 
2. 
Zusammenfassend ist die Beschwerde abzuweisen. Ebenso ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). 
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinen angespannten finanziellen Verhältnissen (act. 2/11-12) ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 14. Juli 2009 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Faga