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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 313/06 
 
Urteil vom 14. August 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Ersatzrichter Maeschi, 
Gerichtsschreiber Flückiger. 
 
Parteien 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
R.________, 1940, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Laur, Ankerstrasse 24, 8004 Zürich. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 26. April 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.a R.________, geboren 1940, arbeitete als Gipser bei der Firma X.________ AG und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Am 9. März 1999 stolperte er auf einer Baustelle über ein Kabel und erlitt beim Versuch, den Sturz aufzufangen, eine Schulterdistorsion rechts mit Partialruptur der Supraspinatussehne. Am 9. April 1999 wurde die Behandlung abgeschlossen; ab 10. April 1999 arbeitete R.________ wieder voll am bisherigen Arbeitsplatz. Am 3. Mai 2000 liess er einen Rückfall melden mit erneuter ärztlicher Behandlung bis 4. August 2000 und anschliessender voller Arbeitsfähigkeit. 
 
Im Juli 2002 kam es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit vermehrten Schmerzen im Bereich der rechten Schulter und des Oberarms. Am 11. August 2002 erlitt der Versicherte zudem eine Daumenverletzung mit Nagelbettbeteiligung rechts. Auf den 31. Oktober 2002 wurde ihm das Arbeitsverhältnis wegen Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin gekündigt. Ab dem 27. Januar 2003 war er bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug gemeldet. Mit Verfügung vom 19. Februar 2003 sprach ihm die SUVA eine Integritätsentschädigung für einen Integritätsschaden von 10 % zu. Auf die dagegen erhobene Einsprache nahm sie weitere Abklärungen vor. Anschliessend sprach die Anstalt dem Versicherten eine Integritätsentschädigung von 15 % zu und verfügte die Ausrichtung einer Invalidenrente aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 32 % ab 1. April 2003 (Verfügung vom 18. November 2003). Die dagegen erhobene Einsprache, mit welcher der Versicherte ergänzende Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit, eine Invalidenrente von mindestens 43 % sowie eine Integritätsentschädigung von mindestens 25 % beantragen liess, wies die SUVA mit Einspracheentscheid vom 13. April 2005 ab. 
A.b Am 28. Februar 2003 hatte sich R.________ auch zum Leistungsbezug bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung angemeldet. Mit Verfügung vom 18. Dezember 2003 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich das Begehren um berufliche Eingliederungsmassnahmen sowie eine Invalidenrente ab. Auf die dagegen erhobene Einsprache sprach sie dem Versicherten ab 1. August 2003 eine ganze Invalidenrente, nebst Zusatzrente für die Ehefrau, aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % zu (Einspracheentscheid vom 10. September 2004). 
B. 
Gegen den Einspracheentscheid der SUVA vom 13. April 2005 beschwerte sich R.________ beim kantonalen Sozialversicherungsgericht. Er beantragte, es sei ihm mit Wirkung ab 1. April 2003 eine Invalidenrente für eine volle Erwerbsunfähigkeit sowie eine Integritätsentschädigung von mindestens 25 % zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen und zur Neubeurteilung an die SUVA zurückzuweisen. 
 
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde änderte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid dahingehend ab, als es dem Versicherten ab 1. April 2003 eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 % zusprach. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Entscheid vom 26. April 2006). 
C. 
Die SUVA erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei insoweit aufzuheben, als sie damit zur Ausrichtung einer Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % verpflichtet wurde. 
 
R.________ lässt sich mit dem Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf Vernehmlassung. 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz; BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Mit diesem Gesetz ist die bisherige organisatorische Selbständigkeit des Eidg. Versicherungsgerichts aufgehoben und dieses mit dem Bundesgericht fusioniert worden (Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz, 2007, Art. 1 N 4 und Art. 132 N 15). Das vorliegende Urteil wird daher durch das Bundesgericht gefällt. Weil der angefochtene Entscheid jedoch vor dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 131 Abs. 1 und 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 UVG) und auf eine Invalidenrente im Besonderen (Art. 18 Abs. 1 UVG) sowie über den Begriff der Invalidität (Art. 8 ATSG) und die Bemessung des Invaliditätsgrades nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass der Bundesrat gestützt auf Art. 18 Abs. 2 UVG in Art. 28 Abs. 4 UVV eine besondere Regelung für die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei Versicherten getroffen hat, welche die Erwerbstätigkeit nach dem Unfall altershalber nicht mehr aufnehmen oder bei denen sich das vorgerückte Alter erheblich als Ursache der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auswirkt. 
3. 
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch. 
3.1 Mit dem angefochtenen Entscheid hat die Vorinstanz dem Versicherten in Abänderung des Einspracheentscheids vom 13. April 2005 ab 1. April 2003 eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % zugesprochen. Dabei ging sie davon aus, dass der Versicherte zwar eine leidensangepasste Tätigkeit vollzeitlich auszuüben vermöchte, ihm jedoch eine Verwertung der Restarbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht möglich sei. Die SUVA bestreitet diese Feststellung und macht geltend, die Frage nach der Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit unter Berücksichtigung des Alters des Versicherten könne offen bleiben, weil entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts Art. 28 Abs. 4 UVV zur Anwendung gelange und damit von einem Versicherten mittleren Alters auszugehen sei. 
3.2 Aus den medizinischen Akten geht hervor, dass der Beschwerdegegner als Folge des Unfalls vom 9. März 1999 an Schmerzen im Bereich der rechten Schulter mit eingeschränkter Beweglichkeit im Schultergelenk leidet. Seitens der am 11. August 2002 erlittenen Daumenverletzung liegen keine die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Unfallfolgen mehr vor. Die ärztlichen Berichte stimmen darin überein, dass der Beschwerdegegner die bisherige Tätigkeit als Gipser nicht mehr auszuüben vermag. Nicht mehr zumutbar sind ihm Arbeiten, die über Kopfhöhe ausgeführt werden müssen oder mit häufigen Rotationsbewegungen im Schultergelenk verbunden sind, das Tragen von Lasten über 15 kg sowie Arbeiten mit vibrierenden oder Vibrationen erzeugenden Maschinen. In einer leidensangepassten Tätigkeit ist ihm dagegen ein voller Arbeitseinsatz zumutbar (Ärztliche Abschlussuntersuchung Kreisarzt Dr. med. B.________ vom 24. Januar 2003; Bericht Kantonsspital Y.________ vom 2. Mai 2003; ähnlich Bericht des Kreisarzt-Stellvertreters Dr. med. E.________ über die Untersuchung vom 21. August 2003). Diese Beurteilung wird, wie das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, auch durch die Berichte des Dr. med. G.________, Allgemeinmedizin FMH, nicht in einer Weise in Frage gestellt, welche Anlass zu weiteren Abklärungen bieten müsste. 
3.3 Wenn ein Versicherter nach dem Unfall die Erwerbstätigkeit altershalber nicht mehr aufnimmt (Variante I) oder sich das vorgerückte Alter erheblich als Ursache der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auswirkt (Variante II), sind gemäss Art. 28 Abs. 4 UVV für die Bestimmung des Invaliditätsgrades die Erwerbseinkommen massgebend, die ein Versicherter im mittleren Alter bei einer entsprechenden Gesundheitsschädigung erzielen könnte. Mit dieser Bestimmung wird bei der Invaliditätsbemessung zum einen dem Umstand Rechnung getragen, dass nebst der - grundsätzlich allein versicherten - unfallbedingten Invalidität auch das vorgerückte Alter eine Ursache der Erwerbslosigkeit oder -unfähigkeit bildet. Zum andern wird berücksichtigt, dass die Invalidenrenten der Unfallversicherung bis zum Tod der Versicherten zur Ausrichtung gelangen (Art. 19 Abs. 2 UVG), wobei sie - in Abweichung von Art. 17 Abs. 1 ATSG - nach dem Monat, in dem Männer das 65. und Frauen das 62. Altersjahr vollendet haben, nicht mehr revidiert werden können (Art. 22 UVG). Mit Art. 28 Abs. 4 UVV soll demnach verhindert werden, dass bei älteren Versicherten zu hohe Invaliditätsgrade resultieren und Dauerrenten zugesprochen werden, wo sie mit Blick auf die unfallbedingte Invalidität eher die Funktion von Altersrenten aufweisen (BGE 122 V 418 E. 3a S. 421 f. mit Hinweisen). 
3.4 Der Beschwerdegegner war bei Rentenbeginn am 1. April 2003 knapp 63 Jahre, bei Erlass des Einspracheentscheids vom 13. April 2005 knapp 65 Jahre alt. Von einem vorgerückten Alter nach Art. 28 Abs. 4 UVV ist - unter Berücksichtigung berufsspezifischer Gewohnheiten und allfälliger Besonderheiten des Einzelfalls - in der Regel ab rund 60 Jahren auszugehen (BGE 122 V 418 E. 4c S. 424; Urteil U 357/06 vom 28. Februar 2007, E. 5.2). Die altersmässige Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist somit erfüllt. Gemäss den Erwägungen des kantonalen Gerichts werden die Möglichkeiten des Versicherten, seine grundsätzlich gegebene volle Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit zu verwerten, durch das fortgeschrittene Alter dermassen eingeschränkt, dass ein Einkommensvergleich auf der zeitlichen Basis des Rentenbeginns (BGE 128 V 174 E. 4a) einen Invaliditätsgrad von 100 % ergibt. In dieser Konstellation ist die Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 4 UVV (Variante II) mit Blick auf die jüngere Rechtsprechung (Urteile U 357/06 vom 28. Februar 2007, E. 5.2; U 538/06 vom 30. Januar 2007, E. 3.2; U 404/05 vom 12. Oktober 2006, E. 2.3.2; U 332/05 vom 17. März 2006, E. 2.2.2) zu bejahen. Der Invaliditätsbemessung sind dementsprechend die Vergleichseinkommen für einen Versicherten im mittleren Alter zu Grunde zu legen. Dieses liegt nach der Rechtsprechung bei etwa 42 Jahren oder zwischen 40 und 45 Jahren (BGE 122 V 418 E. 1b S. 419, 426 E. 2 S. 427 oben; Urteil U 332/05 vom 17. März 2006, E. 2.2.2). Die Akten enthalten keine ausreichenden Grundlagen, um den Einkommensvergleich nach diesen Regeln vorzunehmen. Die Sache ist daher an die SUVA zurückzuweisen, damit sie die massgebenden Vergleichseinkommen nach den Grundsätzen von Art. 28 Abs. 4 UVV ermittle und gestützt darauf über den Rentenanspruch neu verfüge. 
4. 
Das Verfahren hat die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand und ist deshalb kostenlos (Art. 134 OG in der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen respektive Art. 134 Satz 1 OG in der vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 gültig gewesenen Fassung). Die Rückweisung der Sache an den Versicherer gilt praxisgemäss als volles Obsiegen der Beschwerde führenden Partei im Sinne von Art. 159 OG. Der Beschwerdegegner ist demzufolge als unterliegend zu betrachten und hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235). Die Zusprechung einer reduzierten Parteientschädigung für das kantonale Verfahren durch die Vorinstanz ist dagegen auch mit Blick auf den Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu bestätigen, da eine Rückweisung im Rentenpunkt bei gleichzeitiger Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Integritätsentschädigung unter dem Aspekt von Art. 61 lit. g ATSG zum gleichen Ergebnis geführt hätte (vgl. BGE 132 V 215 E. 6.2 S. 235). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 26. April 2006, soweit den Rentenanspruch betreffend, aufgehoben und die Sache an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf eine Invalidenrente neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 14. August 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: