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[AZA 0/2] 
5P.230/2000/bnm 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
14. September 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung, 
Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Merkli und 
Gerichtsschreiber Schneeberger. 
 
--------- 
 
In Sachen 
Rechtsschutzversicherungs-Gesellschaft X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich, Münchhaldenstrasse 24, Postfach, 8034 Zürich, 
 
gegen 
E.H.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Wick, Bachmattweg 1, 5070 Frick, Handelsgericht des Kantons Aargau, 
 
betreffend 
Art. 9 BV 
(Beweiswürdigung; Rechtsschutzversicherungsvertrag), 
wird festgestellt und in Erwägung gezogen: 
 
1.- E.H.________ schloss als Geschäftsführer für die M.________ AG mit Wirkung ab dem 18. Februar 1981 für diese mit der Rechtsschutzversicherungs-Aktiengesellschaft X.________ eine kombinierte Privat- und Betriebsrechtsschutzversicherung (Police Nr. x). Dieser mit Datum vom 26. Februar 1981 versehene Vertrag wurde mit Nachtrag vom 10. März 1994 geändert, den E.H.________ für die M.________ AG mit dem nun zur Rechtsschutzversicherungs-Gesellschaft X.________ gewordenen Versicherer abschloss; die Betriebsrechtsschutzversicherung wurde ausgeschlossen und die Privatrechtsschutzversicherung erneuert. Anwendbar waren stets die allgemeinen Versicherungsbedingungen, Ausgabe 7/82 (nachstehend: 
 
 
AVB). E.H.________ erklärte sich am 3. Oktober 1995 bereit, der F.________ AG, welche damals in Gründung stand, seine Aktien der M.________ AG zu verkaufen. Auf der Basis der Bilanz der M.________ AG per Ende 1995 einigten sich die Parteien am 12. Juni 1996 auf einen Kaufpreis von 7 Mio. 
Fr. und übertrugen die Aktien. Nachträglich stellte sich heraus, dass der als Revisor amtende Treuhänder die Aktiven mit Fr. 698'000.-- zu hoch in die Bilanz eingesetzt hatte, weil er ein Lire-Konto falsch in Schweizerfranken umgerechnet hatte. Letztendlich bezahlte E.H.________ der Käuferin 0,5 Mio. Fr. zurück. Er beabsichtigt, die B.________ Treuhand AG für den entstandenen Schaden aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 755 OR) haftbar zu machen; in dieser Sache verlangte er von der Rechtsschutzversicherungs-Gesellschaft X.________ erfolglos Kostengutsprache in der Höhe von maximal Fr. 154'000.--. 
 
Mit Klage vom 3. Dezember 1998 verlangte E.H.________, die Rechtsschutzversicherungs-Gesellschaft X.________ sei zu verpflichten, ihm im Rechtsstreit mit der B._________ Treuhand AG für vorprozessuale Beratung durch seinen Anwalt, für die Gerichtskosten (inklusive Expertenhonorare), sowie für die Entschädigung des eigenen und allenfalls des Gegenanwaltes Kostengutsprache zu erteilen. Mit Klageantwort vom 25. Februar 1999 beantragte die Beklagte die Abweisung der Klage mit den Begründungen, es fehle an einer versicherungsvertraglichen Deckung, der Kläger sei gegenüber der B.________ Treuhand AG nicht aktivlegitimiert und der Prozess habe keine Erfolgschancen. Der zweite Schriftenwechsel führte dazu, dass die Aktivlegitimation des Klägers von der Beklagten anerkannt wurde. Das Handelsgericht des Kantons Aargau hiess die Klage mit Urteil vom 26. April 2000 gut und erklärte die Beklagte pflichtig, dem Kläger für den Rechtsstreit mit der B.________ Treuhand AG Kostengutsprache in der maximalen Höhe von Fr. 154'000.-- zu gewähren (für vorprozessuale Beratung durch den klägerischen Anwalt, Gerichtskosten und zur Entschädigung der Parteianwälte). 
 
Die Rechtsschutzversicherungs-Gesellschaft X.________ beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurückzuweisen. E.H.________ schliesst auf Nichteintreten, evtl. auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde. Das Handelsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdeführerin hat gegen das Urteil des Handelsgerichts beim Bundesgericht auch Berufung eingelegt. 
 
2.- Das Handelsgericht hat die Aktivlegitimation des Beschwerdegegners für das von ihm gegen die B.________ Treuhand AG beabsichtigte Verantwortlichkeitsverfahren bejaht, den Anspruch des Beschwerdegegners aus der Privatrechtsschutzversicherung trotz deren Abschluss durch die M.________ AG anerkannt, den Verkauf der Aktien der M.________ AG durch den Beschwerdegegner als dessen unter die Deckung des Versicherungsvertrages fallendes Privatgeschäft qualifiziert, weitere Voraussetzungen für dessen Anspruch bejaht und die Kostengutsprache schliesslich damit begründet, die Beschwerdeführerin habe Art. 9 der Verordnung des Bundesrates über die Rechtsschutzversicherung vom 18. November 1992 (RSVV; SR 961. 22) verletzt. Nach Art. 9 Abs. 1 RSVV müsse der Versicherungsvertrag ein Verfahren bei Meinungsverschiedenheit über das Vorgehen im Schadenfall enthalten. Fehle - wie hier - eine solche Klausel, gelte das Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten als anerkannt; anders könne Art. 9 Abs. 3 RSVV nicht verstanden werden. Ob dem Verantwortlichkeitsprozess Erfolgschancen eingeräumt werden können, hat es infolgedessen offen gelassen. 
 
Die Beschwerdeführerin macht in verschiedener Hinsicht eine Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör und willkürliche Beweiswürdigung geltend. 
 
a) Da das Handelsgericht zur Frage, ob Kostengutsprache zu erteilen ist, keine Beweise abgenommen hat, könnte auf die bloss subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 OG) insgesamt nicht eingetreten werden mit der Begründung, eine Verletzung des Beweisführungsanspruches müsse vor Bundesgericht als Verstoss gegen Art. 8 ZGB mit Berufung geltend gemacht werden (Art. 43 Abs. 1 OG; BGE 114 II 289 E. 2a; zuletzt 123 III 35 E. 2b S. 40 und 122 III 219 E. 3c S. 223), wie der Beschwerdegegner zu Recht festhält. Dies gälte hier wohl auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Bereich der Sachverhaltsermittlung zwischen der Verletzung des Beweisführungsanspruches und der willkürlichen antizipierten Beweiswürdigung Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen mit der Folge, dass mitunter nicht eindeutig feststeht, ob Berufung oder staatsrechtliche Beschwerde zu ergreifen ist (H. Schmid, Basler Kommentar, N 7, 12 und 93 zu Art. 8 ZGB; M. Schubarth, Berufung und staatsrechtliche Beschwerde, BJM 1985, S. 62 bei und mit Fn 18 f. und 68 ff., insbes. S. 72; O. Vogel, Rechtsprechungsbericht, ZBJV 126/1990, S. 311). Erschwerend kommt hier hinzu, dass nicht nur willkürliche Beweiswürdigung, sondern auch die Verletzung einer verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantie gerügt ist, die zu einer Gutheissung ohne Rücksicht auf die Erfolgschancen in der Sache führen müsste (BGE 122 II 464 E. 4a 469). Somit steht hier der Beweisführungsanspruch sowohl in Konkurrenz zur willkürlichen Beweiswürdigung als auch zum Anspruch auf rechtliches Gehör, was die Abgrenzung der Rechtsmittel zusätzlich erschwert. Denn es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, ob eine Verletzung des Beweisführungsanspruches zugleich als Verletzung des Gehörsanspruches betrachtet werden kann und umgekehrt (vgl. dazu BGE 123 III 35 E. 2b S. 40; 120 V 435 E. 3a S. 439; 114 II 289 E. 2a S. 291; 108 Ia 293 E. 4c S. 294; Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, Bern 1990, N 2.1 [lemma 3 S. 144] und N 2.2 zu Art. 43 OG; Messmer/Imboden, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Rz 147 S. 208 in Fn 23; B. Corboz, Le recours en réforme au tribunal fédéral, SJ 122/2000 II [doctrine], S. 39 ff.). 
 
Ob unter Hinweis auf die Möglichkeit, mit Berufung die Verletzung von Art. 8 ZGB zu rügen, auf Nichteintreten zu erkennen ist, mag deshalb offen bleiben. Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann aus anderen Gründen ohnehin nicht eingetreten werden: 
 
b) Die Beschwerdeführerin begründet den Vorwurf der Verweigerung des rechtlichen Gehörs und der willkürlichen Beweiswürdigung damit, das Handelsgericht habe von ihr im kantonalen Verfahren eingereichte Dokumente, aus denen sich ergebe, dass der Versicherungsvertrag vom 26. Februar 1981 durch den Nachtrag vom 10. März 1994 weder verlängert noch noviert worden sei, völlig übergangen; die Feststellung des Handelsgerichts, der Rechtsschutzversicherungsvertrag sei mit dem Nachtrag erneuert worden, sei mit Rücksicht auf die Laufzeit des ursprünglichen Vertrages von acht Jahren mit Wirkung ab 18. Februar 1981 aktenwidrig. 
 
aa) Bei der Ermittlung des Willens der Parteien ist Rechtsfrage, was die Auslegung von Verträgen und Willensäusserungen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip ergibt. Frage der Sachverhaltsermittlung dagegen ist, welchen Willen die Parteien tatsächlich geäussert haben (subjektive Vertragsauslegung oder empirische Willensermittlung) und welche Folgerungen für Bestehen und Inhalt eines Vertrages aus ihrem Verhalten vor, bei und nach Abschluss der Vertragsverhandlungen zu ziehen sind (BGE 124 III 182 E. 3 S. 184; 363 E. II/5a S. 368; 123 III 16 E. 4b S. 22 unten; 122 III 118 E. 4c/aa S. 123; 107 II 417 E. 6 S. 418). Weil als Verletzung von Bundesrecht mit Berufung gerügt werden darf, es sei ohne Abklärung des tatsächlichen Willens der Parteien zur Auslegung nach dem Vertrauensprinzip geschritten worden (BGE 123 III 35 E. 2b S. 39 f.; 121 III 118 E. 4b/aa S. 123 unten), kann wegen der subsidiären Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 OG) auf Rügen der Beschwerdeführerin, der Sachverhalt sei willkürlich nicht ermittelt worden, nicht eingetreten werden. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob die Beschwerdeschrift überhaupt solche Rügen in rechtsgenüglicher Form enthält. 
 
bb) Die Beschwerdeführerin hat - vom Anspruch auf willkürfreie Beweiswürdigung abgesehen (BGE 124 I 208 E. 4a S. 211; 120 Ia 31 E. 4b S. 40; 118 Ia 28 E. 1b) - das Recht, an der Beweiserhebung mitzuwirken, Beweise beizubringen, sich zu diesen zu äussern und mit rechtserheblichen Vorbringen gehört zu werden, sofern sie rechtzeitig und prozesskonform geltend gemacht worden sind (BGE 124 V 90 E. 4b S. 94; 124 I 240 E. 2 S. 242 ab Mitte; 124 II 132 E. 2b S. 137; 122 I 53 E. 4a S. 55; 121 V 150 E. 4a S. 152). 
 
Im Zusammenhang mit der Ablösung des Vertrages vom 26. Februar 1981 durch den Nachtrag vom 10. März 1994 verweist die Beschwerdeführerin für beide Rügen bloss auf den angefochtenen Entscheid, auf ihre Plädoyernotizen und auf drei mit der Duplik eingereichte Beilagen. Dabei begründet sie nicht in einer Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise (BGE 123 III 261 E. 4a und b S. 270; 121 I 225 E. 4c S. 230; 118 Ia 20 E. 5c S. 27 unten), weshalb das Handelsgericht ihre Sachverhaltsbehauptungen in willkürlicher Anwendung des kantonalen Prozessrechts als neu und unzulässig betrachtet hat, und inwiefern dabei ihr Gehörsanspruch verletzt worden ist. 
Sie verkennt weiter, dass blosse Hinweise auf Akten des kantonalen Verfahrens die Beschwerdebegründung nicht zu ersetzen vermögen (BGE 115 Ia 27 E. 4a S. 30). 
 
 
c) Die Beschwerdeführerin macht weiter erfolglos geltend, zusammen mit dem Nachtrag sei eine neue Police ausgestellt worden. Dieser Umstand sei rechtserheblich, weil davon abhänge, ob die RSVV gemäss deren Art. 11 auf einen laufenden Vertrag zur Anwendung gelange. 
 
Einerseits anerkennt die Beschwerdeführerin damit, dass nach Inkrafttreten der RSVV ein Versicherungsvertrag bestanden hat; sie begründet aber nicht (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), weshalb das Handelsgericht willkürlich von einem erneuerten Vertrag ausgegangen sei. Andererseits verkennt sie, dass ihre Rüge die Anwendung von Bundesrecht beschlägt (Art. 43 Abs. 1 OG) und die staatsrechtliche Beschwerde insoweit nicht zulässig ist (Art. 84 Abs. 2 OG). Im Übrigen ist die rechtliche Qualifikation des umstrittenen Nachtrages für den Ausgang des Rechtsstreits ohnehin unerheblich (vgl. E. 4 des Urteils über die Berufung), weshalb der Vorwurf, das Handelsgericht habe durch Nichtberücksichtigung von Beweismitteln zum Nachtrag gegen die Verfassung verstossen, von vornherein nicht durchzudringen vermag. 
 
3.- Bleibt die staatsrechtliche Beschwerde somit erfolglos, wird die unterliegende Beschwerdeführerin gebühren- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.-Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.-Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 14. September 2000 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung des 
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: