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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_864/2017  
 
 
Urteil vom 15. Juni 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Haag, 
Gerichtsschreiberin Straub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Schlegel, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 4. September 2017 (VB.2017.00317). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der serbische Staatsangehörige kosovarischer Abstammung A.________ wurde am 17. Mai 1989 in der Schweiz geboren und lebte ununterbrochen hier. Seit 1995 verfügt er über eine Niederlassungsbewilligung. A.________ ist mehrfach straffällig geworden. Er wurde mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 6. Juli 2011 wegen teilweise grober Verletzung der Verkehrsregeln und Tätlichkeiten mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen à Fr. 100.- und einer Busse von Fr. 900.- bestraft. Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 25. September 2015 wurde er wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Hausfriedensbruchs, Gehilfenschaft zu Diebstahl und Sachbeschädigung sowie Fahrens ohne Führerausweis oder trotz Entzug zu einer Freiheitsstrafe von 42 Monaten verurteilt. Das Obergericht stellte mit Urteil vom 27. Mai 2016 die Rechtskraft des Schuldspruchs fest und erhöhte die Freiheitsstrafe auf vier Jahre. 
Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich mit Verfügung vom 7. Dezember 2016 die Niederlassungsbewilligung von A.________ und ordnete an, dieser habe das schweizerische Staatsgebiet unverzüglich nach der Entlassung aus dem Strafvollzug zu verlassen. 
 
B.  
Den gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 20. April 2017 ab. Die Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich blieb ebenfalls ohne Erfolg (Urteil vom 4. September 2017). 
 
C.  
Mit Eingabe an das Bundesgericht vom 6. Oktober 2017 erhebt A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 4. September 2017 sei aufzuheben, er sei zu verwarnen und der Widerruf der Niederlassungsbewilligung sei ihm lediglich anzudrohen. 
Die Sicherheitsdirektion und das Verwaltungsgericht verzichten auf Vernehmlassung. Das kantonale Migrationsamt und das Staatssekretariat für Migration lassen sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG [e contrario]; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn eine ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als längerfristig gilt nach der gefestigten Rechtsprechung eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (BGE 139 I 145 E. 2.1 S. 147), und zwar unabhängig davon, ob die Strafe bedingt, teilbedingt oder unbedingt zu vollziehen ist (BGE 139 I 31 E. 2.1 S. 32). 
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass der Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. b AuG angesichts seiner Verurteilung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe erfüllt ist. Er rügt jedoch, der Widerruf der Niederlassungsbewilligung sei unverhältnismässig. Die Vorinstanz hätte ihn stattdessen verwarnen müssen mit der Androhung, die Bewilligung im Falle eines erneuten Fehlverhaltens zu widerrufen. 
 
3.  
Liegt ein Widerrufsgrund vor, so ist zu prüfen, ob diese Massnahme verhältnismässig erscheint (Art. 96 AuG; BGE 139 I 145 E. 2.2 S. 147 f.). Gemäss Art. 96 Abs. 1 AuG berücksichtigen die zuständigen Behörden bei der Ermessensausübung die öffentlichen Interessen und die persönlichen Verhältnisse sowie den Grad der Integration der Ausländerinnen und Ausländer. Bei der Prüfung sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens, der seit der Tat vergangene Zeitraum und das Verhalten während diesem, die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz und der Grad der Integration sowie die der betroffenen Person und ihrer Familie drohenden Nachteile zu beachten (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19). Ebenfalls zu berücksichtigen ist das Interesse an der Verhütung weiterer Straftaten (Art. 80 Abs. 2 VZAE; vgl. Urteil 2C_833/2015 vom 24. März 2016 E. 3.3 in fine mit Hinweisen). Für die Beurteilung der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Massnahmen bei Ausländerinnen und Ausländern der zweiten Generation sind die gleichen Elemente massgebend (BGE 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20 mit Hinweisen auf die Praxis des EGMR). Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll aus Gründen der Verhältnismässigkeit nur mit Zurückhaltung widerrufen oder nicht mehr verlängert werden. Bei wiederholter oder schwerer Straffälligkeit ist dies jedoch selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19). Bei schweren Straftaten und bei Rückfall bzw. wiederholter Delinquenz besteht regelmässig ein wesentliches öffentliches Interesse daran, die Anwesenheit eines Ausländers zu beenden, der die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt (vgl. Urteil 2C_898/2014 vom 6. März 2015 E. 3.2 mit Hinweisen). 
Das Bundesgericht trägt bei der Interessenabwägung im Rahmen des den einzelnen Signatarstaaten der EMRK zustehenden Beurteilungsspielraums den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 121 Abs. 3 lit. a BV insoweit Rechnung, als dies zu keinem Widerspruch zu übergeordnetem Recht - insbesondere der EMRK - führt (vgl. BGE 139 I 16 E. 5.3 S. 31). Nach dieser Verfassungsnorm und deren Umsetzung in Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB, der auf den vorliegenden Fall noch keine Anwendung findet, soll eine Verurteilung wegen eines Gewaltdelikts, wozu die schwere Körperverletzung zählt, inskünftig zu einer obligatorischen Landesverweisung führen (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34). 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Schutz des Privatlebens gemäss Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV und macht geltend, es liege kein ausländerrechtlich schweres Verschulden vor. Er habe sich sozial und wirtschaftlich insgesamt erfolgreich in der Schweiz integriert. Demgegenüber handle es sich bei den Erwägungen der Vorinstanz, wonach er mit den Gepflogenheiten im Kosovo vertraut sei, um blosse Mutmassungen. Er spreche Albanisch weit weniger gut als Deutsch und werde im Kosovo faktisch auf sich allein gestellt sein. Durch eine Ausweisung werde er wirtschaftlich und sozial entwurzelt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass er die Zeit, die er nach der Tat nicht in Untersuchungshaft gewesen sei, genutzt habe, um wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen und Schulden abzuzahlen. Es könne ihm daher hinsichtlich einer erneuten Straffälligkeit eine positive Prognose gestellt werden. Sein Interesse an einem Verbleib in der Schweiz überwiege daher das sicherheitspolizeiliche öffentliche Interesse am Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung.  
 
4.2. Ausgangspunkt und Massstab für die Beurteilung des migrationsrechtlichen Verschuldens ist die vom Strafrichter verhängte Strafe (BGE 134 II 10 E. 4.2 S. 23; 129 II 215 E. 3.1 S. 216). Im Rahmen des ausländerrechtlichen Verfahrens erfolgt keine erneute Abwägung der Elemente, die zur verschuldensabhängigen Strafzumessung führten. Das Bundesgericht geht regelmässig vom im Strafverfahren festgestellten Verschulden aus.  
Die vom Beschwerdeführer verübten, schwerwiegenden Delikte (versuchte schwere Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Gehilfenschaft zu Diebstahl und Sachbeschädigung, Fahren ohne Führerausweis oder trotz Entzug) führten zur Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe. Das Verwaltungsgericht hielt gestützt auf die strafrechtlichen Urteile hinsichtlich der versuchten schweren Körperverletzung fest, das objektive Tatverschulden des Beschwerdeführers sei als erheblich einzustufen. Das Tatvorgehen weise hinterhältige Züge auf und erscheine besonders verwerflich und feige, da er sich die Rückendeckung von Kollegen verschafft und auch dann nicht von seinem Opfer abgelassen habe, als dieses bereits wehrlos am Boden lag. Die Tat zeige eine grosse Aggressivität und ein beträchtliches Mass an krimineller Energie. Bei den anderen Delikten sei dagegen von einem leichten Tatverschulden auszugehen. Erschwerend komme hinzu, dass der Beschwerdeführer bereits im Juli 2011 wegen teilweise grober Verletzung der Verkehrsregeln und Tätlichkeiten verurteilt worden sei, wobei er auch damals ein rechtswidriges, rücksichtsloses und potentiell gewalttätiges Verhalten gezeigt habe. Die Vorinstanz ging infolge des hohen Strafmasses und der erheblichen Gewaltausübung auch gegen das bereits wehrlose Opfer berechtigterweise von einem beträchtlichen Verschulden und einem gewichtigen öffentlichen Interesse am Widerruf der Niederlassungsbewilligung aus. Die Erwägung im angefochtenen Entscheid, wonach das Vorgehen bei der versuchten schweren Körperverletzung skrupellose Züge erkennen lasse, kann entgegen der Argumentation des Beschwerdeführers nicht als eigene Bewertung der Tat durch die Vorinstanz zu seinen Ungunsten bezeichnet werden. Hinsichtlich der geltend gemachten, im angefochtenen Entscheid nicht berücksichtigten Alkoholisierung des Beschwerdeführers ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz darauf hinzuweisen, dass gemäss dem strafrechtlichen Urteil keine verminderte Schuldfähigkeit vorlag. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz nicht von einem infolge der Alkoholisierung verminderten Verschulden ausging. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe die Zeit, die er nach der Tat nicht in Untersuchungshaft gewesen sei, genutzt, um wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen und Schulden abzuzahlen. Es sei zu erwarten, dass ihm das Straf- und Migrationsverfahren eine Lehre seien und er sich nicht mehr strafbar machen werde. Wie die Vorinstanz ausführte, kann dem Umstand, dass er sich seit der Tatbegehung wohlverhalten habe, keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen werden. Er befand sich zeitweise in Untersuchungshaft und später im Strafvollzug, wo ein tadelloses Verhalten von ihm erwartet werden durfte (BGE 139 II 121 E. 5.5.2 S. 128). Die straffreie Zeit ausserhalb der Untersuchungshaft ist sodann insofern zu relativieren, als er unter dem Eindruck des (zunächst noch hängigen) Strafverfahrens und des bevorstehenden Strafvollzugs stand. Zu beachten ist auch, dass bei schweren Straftaten selbst ein geringes Rückfallrisiko nicht in Kauf genommen werden muss und generalpräventive Überlegungen mitberücksichtigt werden dürfen. Der Beschwerdeführer hat hochwertige Rechtsgüter verletzt, und die von ihm begangene Straftat bildet im Sinne von Art. 121 Abs. 3 BV seit dem 1. Oktober 2016 eine Anlasstat für eine obligatorische Landesverweisung (vgl. E. 3 hiervor). 
An der Fernhaltung des Beschwerdeführers besteht nach dem Gesagten ein grosses sicherheitspolizeiliches Interesse, das nur durch entsprechend gewichtige private Interessen aufgewogen werden könnte, d.h. wenn aussergewöhnlich schwerwiegende Umstände gegen eine Wegweisung sprechen würden. 
 
4.3. Das Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass er hier geboren und aufgewachsen ist. Seine engsten Familienmitglieder leben hier, während er offenbar keinen Kontakt zu seinen im Kosovo lebenden Verwandten pflegt und ihm dieses Land weitgehend fremd ist. Ausserhalb der Familie macht der Beschwerdeführer keine engen Kontakte zur Schweiz geltend. Zudem lässt seine Delinquenz an einer erfolgreichen sozialen Integration zweifeln. Im Rahmen der Interessenabwägung fällt seine soziale Integration daher nicht wesentlich ins Gewicht. Der Beschwerdeführer hat zeitweise gearbeitet und war zwischendurch immer wieder arbeitslos. Er bemüht sich offenbar um die Tilgung seiner bestehenden Schulden. Wenngleich er keine Sozialhilfe bezogen hat, vermochte er sich damit nur bedingt wirtschaftlich zu integrieren. Seine wirtschaftliche Integration ist jedenfalls nicht derart, dass sie das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung aus der Schweiz aufzuwiegen vermöchte.  
Für den Beschwerdeführer wird es zweifellos nicht einfach sein, sich in seinem Herkunftsland ein neues Leben aufzubauen. Er ist aber unbestrittenermassen der Landessprache mächtig, die er als seine zweite Muttersprache bezeichnet. Zudem ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass ihm die in der Schweiz genossene Schulbildung und die gesammelte Berufserfahrung zugute kommen werden. Dem jungen und gesunden Beschwerdeführer ist es daher trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation im Kosovo grundsätzlich zumutbar, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Die Vorbringen in der Beschwerde, wonach er faktisch in einer ihm kaum vertrauten Gesellschaft auf sich selbst gestellt sein werde, vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Seine Integration in der Schweiz steht einem Widerruf der Niederlassungsbewilligung somit nicht entgegen. 
 
4.4. Die Vorinstanz hat die massgebenden Kriterien für einen Widerruf der Niederlassungsbewilligung korrekt dargestellt, sich mit allen relevanten Aspekten auseinandergesetzt, die lange Anwesenheitsdauer des Beschwerdeführers gewürdigt und das Gesetz sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichts richtig angewendet. Die Schlussfolgerung, dass das grosse sicherheitspolizeiliche Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers seine privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz überwiegt, ist nicht zu beanstanden. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erweist sich damit als verhältnismässig.  
 
5.  
Daraus ergibt sich, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten abzuweisen ist. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer dessen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 4 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 15. Juni 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Straub