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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_67/2008/sst 
 
Urteil vom 15. Juli 2008 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Favre, 
nebenamtlicher Bundesrichter Greiner, 
Gerichtsschreiber Willisegger. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Rechtsanwältin Marina Kreutzmann, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 
5001 Aarau, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 7. November 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ fuhr am 6. Juni 2005 gegen 1.40 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Autobahn A3 in Fahrtrichtung Basel. Auf dem Gemeindegebiet Zeiningen überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 43 km/h (nach Abzug der Toleranz). Gestützt auf diesen Sachverhalt wurde X.________ mit Strafbefehl des Bezirksamtes Rheinfelden vom 10. August 2005 zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von drei Tagen sowie einer Busse von Fr. 4'000.-- verurteilt. 
 
B. 
Nachdem X.________ Einsprache erhoben hatte, befand ihn der Vizepräsident des Gerichtspräsidiums Rheinfelden am 11. Oktober 2007 der Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV für schuldig und bestrafte ihn mit drei Tagen Gefängnis, bedingt vollziehbar, sowie mit einer Busse von Fr. 4'000.--. 
 
C. 
Auf Berufung von X.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 7. November 2007 das angefochtene Urteil im Schuldpunkt. Im Strafpunkt erkannte es neu und bestrafte X.________ mit einer Geldstrafe von drei Tagessätzen à Fr. 240.--, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs, sowie einer Busse von Fr. 4'000.--. 
 
D. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 7. November 2007 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. 
 
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Aargau verzichten auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Der Beschwerdeführer rügt vorab eine Verletzung des aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden Replikrechts. Dem angefochtenen Urteil entnehme er, dass die Beschwerdegegnerin eine Antwort auf die Berufung eingereicht und deren Abweisung beantragt habe. Diese Berufungsantwort sei ihm nie zugestellt worden. Aufgrund der Eingabe hätte er erfahren können, weshalb die Beschwerdegegnerin seinen bereits in der Einsprache vertretenen Standpunkt für nicht stichhaltig erachtet habe und er trotz Inkrafttretens des neuen allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches nach wie vor mit Gefängnis und Busse hätte bestraft werden sollen. 
 
1.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umfasst das Recht auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK das Recht der Parteien, von jedem Aktenstück und jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu äussern zu können, sofern sie dies für erforderlich halten. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die Eingabe neue Tatsachen oder Argumente enthält und ob sie das Gericht tatsächlich zu beeinflussen vermag. Es obliegt den Parteien zu entscheiden, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen anbringen wollen oder nicht. Das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Justiz gründet unter anderem auf der Gewissheit, sich zu jedem Aktenstück äussern zu können. Wird dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit eingeräumt, zu den Bemerkungen des Beschwerdegegners Stellung zu nehmen, ist nach der Rechtsprechung des EGMR auch das Prinzip der Waffengleichheit verletzt, das Bestandteil des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren ist (Urteil i.S. Kessler gegen Schweiz vom 26. Juli 2007 §§ 29 - 31 mit Übersicht über die Rechtsprechung des EGMR; ferner BGE 133 I 100 E. 4.3 mit weiteren Hinweisen). 
 
1.2 Der Anspruch einer Partei, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu replizieren, bildet zugleich einen Teilgehalt des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Bei der Auslegung dieser Verfassungsbestimmung ist dem allgemeinen Grundsatz des fairen Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 133 I 100 E. 4.5 mit Hinweisen). Den Gerichten ist es nicht gestattet, einer Partei das Äusserungsrecht zu eingegangenen Stellungnahmen bzw. Vernehmlassungen der übrigen Verfahrensparteien, unteren Instanzen und weiteren Stellen abzuschneiden. Die Partei ist vom Gericht nicht nur über den Eingang solcher Eingaben zu orientieren. Sie muss ausserdem die Möglichkeit zur Replik haben. Den Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK kommen im Hinblick auf das Replikrecht in gerichtlichen Verfahren dieselbe Tragweite zu (BGE 133 I 98 E. 2.1, 100 E. 4.4 - 4.6, je mit Hinweisen). 
 
1.3 Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Berufungsantwort der Staatsanwaltschaft (Beschwerdegegnerin) sei ihm nie zugestellt worden, blieb vor Bundesgericht unbestritten. Bei den Akten liegt zwar eine Verfügung des Gerichtspräsidiums Rheinfelden vom 29. Mai 2007, womit die "Zustellung der Antwort an die Gegenpartei" angeordnet wurde. Es findet sich jedoch keinerlei Beleg, der als Zustellnachweis dienen könnte (Gerichtsurkunde, Einschreibe-Bestätigung, o.ä.). Ist aber davon auszugehen, dass die Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht wurde und er folglich keine Möglichkeit hatte, sich dazu zu äussern, ist sein Replikrecht verletzt. Denn für den Anspruch auf Zustellung bzw. Stellungnahme genügt, dass in der Vernehmlassung der Antrag auf Abweisung der Berufung gestellt und begründet wird (vgl. BGE 133 I 100 E. 4.5 mit Hinweisen). An diesem Ergebnis vermag nichts zu ändern, dass die Staatsanwaltschaft zur Begründung auf die Erwägungen der ersten kantonalen Instanz verwies. Damit verlangte sie die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils unter anderem im Strafpunkt, obwohl in der Zwischenzeit der neue allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in Kraft getreten war, der im Sanktionenbereich häufig milderes Recht darstellt. Insoweit kann auch nicht gesagt werden, die dem Beschwerdeführer zustehende Möglichkeit zur Stellungnahme wäre von vornherein ohne jeglichen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens oder die rechtliche Lösung gewesen (siehe dazu Urteil EGMR i.S. Asnar gegen Frankreich vom 18. Januar 2008, §§ 26 f. und die dort angegebenen Urteile). 
 
Nach dem Gesagten erweist sich die Rüge des Beschwerdeführers als begründet. Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur nachträglichen Zustellung der Berufungsantwort an den Beschwerdeführer (unter Ansetzung einer kurzen Frist zur Replik) zurückzuweisen, ohne dass die weiteren Rügen zu prüfen wären. 
 
2. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Entschädigung ist an dessen Rechtsvertreterin zu leisten. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheisssen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 7. November 2007 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Aargau hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Marina Kreutzmann, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 15. Juli 2008 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Schneider Willisegger