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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_937/2009 
 
Urteil vom 16. Februar 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; einfache Körperverletzung; Strafzumessung; Willkür, Unschuldsvermutung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 10. September 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Bezirksgericht Baden sprach X.________ mit Urteil vom 4. Dezember 2008 der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der einfachen Körperverletzung schuldig. Es verurteilte ihn - unter Berücksichtigung einer Rückversetzung im Sinne von Art. 89 StGB - zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von 205 Tagen. Zudem verpflichtete es ihn, den Geschädigten A.________ und B.________ eine Genugtuung in der Höhe von je Fr. 1'000.-- zu bezahlen. Eine von X.________ dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 10. September 2009 ab. 
 
B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der einfachen Körperverletzung freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei er milder zu bestrafen. Des Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, um Erteilung der aufschiebenden Wirkung sowie um Entlassung aus der Strafanstalt Lenzburg. 
 
C. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hält zum Gesuch um aufschiebende Wirkung fest, dieses könne gutgeheissen werden, solange der Beschwerdeführer nicht aus der Haft entlassen werde. Das Obergericht des Kantons Aargau beantragt, das Haftentlassungsgesuch sei abzuweisen. Der Präsident der strafrechtlichen Abteilung ist mit Verfügung vom 10. November 2009 auf das Gesuch um Haftentlassung nicht eingetreten. Weitere Vernehmlassungen in der Sache wurden nicht eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, Anstalten getroffen zu haben, am 13. Mai 2008 an der R.________strasse in S.________ bei A.________ zwei Briefumschläge aus Argentinien, enthaltend 454 Gramm Kokaingemisch respektive rund 400 Gramm reines Kokain, abzuholen. Als B.________ versucht habe, den Beschwerdeführer bis zum Eintreffen der Polizei zurückzuhalten, habe er sich beim Abwehren eines Faustschlags an der rechten Hand verletzt (Quetschung mit Schwellung und Hämatom über dem rechten Mittelhandknochen). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) und eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) vor. 
 
2.2 Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 134 IV 36 E. 1.4.1 S. 39). Die entsprechende Rüge prüft das Bundesgericht nur insoweit, als sie in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze inwiefern durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 135 III 232 E. 1.2 S. 234; 134 II 244 E. 2.2 S. 246; je mit Hinweisen). 
Ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüft das Bundesgericht, inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt hat. Diese aus der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) abgeleitete Maxime hat das Bundesgericht wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 mit Hinweisen). 
 
2.3 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer bestreite nicht, beabsichtigt zu haben, die Briefumschläge an der R.________strasse in S.________ abzuholen. Entgegen seiner Darstellung habe er gewusst, dass es sich um zwei Kokainlieferungen gehandelt habe. Dies sei einerseits aus seinem Verhalten am Tatort zu schliessen. Gegenüber B.________ habe er die Lieferung als etwas Wichtiges bezeichnet. Trotz Aufforderung von A.________ habe er sich geweigert, sich auszuweisen. Als er realisiert habe, dass die Polizei benachrichtigt worden sei, sei er geflüchtet. Auf der Flucht habe er Geld und einen Ausweis versteckt. Andererseits habe er bei der Verhaftung in der Wohnung seiner Familie versucht zu flüchten. In der Wohnung habe er höhere Geldbeträge in verschiedenen Währungen aufbewahrt, obwohl er hoch verschuldet und arbeitslos gewesen sei. All diese Umstände liessen darauf schliessen, dass der einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer gewusst habe, was sich in den abzuholenden Briefumschlägen befunden habe. Weiter lässt die Vorinstanz die Ausführungen des Beschwerdeführers in ihre Beweiswürdigung einfliessen. Sie zeigt verschiedene Widersprüche in seinen Schilderungen auf und schätzt dessen Aussagen als unglaubhaft ein. Die ihn in Bezug auf die einfache Körperverletzung belastenden Aussagen verschiedener Zeugen befindet sie als glaubhaft (angefochtenes Urteil S. 8 ff.). 
 
2.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei nicht erstellt, dass er über den Inhalt der Briefumschläge Kenntnis gehabt habe. 
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft so genannte innere Tatsachen und ist damit Tatfrage (BGE 133 IV 9 E. 4.1 S. 17 mit Hinweisen). Die vom Beschwerdeführer gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung erhobenen Einwände erschöpfen sich in unzulässiger appellatorischer Kritik. Indem er über weite Strecken seine Ausführungen vor Vorinstanz wiedergibt und sich im Übrigen mit den Erwägungen im angefochtenen Entscheid nicht auseinandersetzt, stellt er der Würdigung der Vorinstanz einzig seine eigene Sicht der Dinge gegenüber. Beispielsweise bringt er vor, er habe im Auftrag von K.________ zwei Briefumschläge mit Dokumenten abholen wollen. Vermutlich habe er die Flucht ergriffen, weil er auf Grund des Verhaltens von A.________ und B.________ erschrocken sei oder erst in jenem Moment realisiert habe, was sich in den Briefumschlägen befunden habe. Die einfache Körperverletzung sei in einer vermeintlichen Notwehrsituation erfolgt (Beschwerde S. 4 ff.). Diese blosse Darlegung der eigenen Sichtweise ist indessen nicht geeignet, Willkür respektive eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" darzutun. Denn Willkür liegt nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht schon vor, wenn das angefochtene Urteil mit der Darstellung des Beschwerdeführers nicht übereinstimmt oder eine andere Lösung oder Würdigung auch vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern einzig, wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings unhaltbaren oder widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht bzw. im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f. mit Hinweisen). Dass und inwiefern das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings nicht mehr vertretbar sein sollte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, und solches ist auch nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG überhaupt zu genügen vermag. 
 
3. 
Der Beschwerdeführer bringt unter dem Titel "unzulässige Annahme von Vorinstanz" vor, er habe seinem Kollegen K.________ lediglich einen Dienst erweisen wollen. Deshalb habe er die Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz allenfalls fahrlässig, nicht aber vorsätzlich begangen. Auch habe er B.________ in einer vermeintlichen Notwehrsituation verletzt. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Bundesrecht (Beschwerde S. 7). Ob er eine Verletzung von Art. 12 und Art. 13 StGB geltend macht, ist unklar. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Der Beschwerdeführer geht in unzulässiger Weise von einem abweichenden Sachverhalt aus, weshalb auf die Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten ist. 
 
4. 
4.1 Der Beschwerdeführer beanstandet ferner die Strafzumessung. Er bringt vor, die für die neuen Taten ausgefällte Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren sei unvertretbar hoch. Ihn treffe ein kleineres Verschulden als einen Händler, da er das Kokain lediglich habe abholen und transportieren wollen. Auch sei es beim Versuch geblieben. Schliesslich habe die Vorinstanz nicht berücksichtigt, dass er unter schwierigen persönlichen und psychischen Umständen gelitten habe (Beschwerde S. 7). 
 
4.2 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. 
Es liegt im Ermessen des Sachgerichts, in welchem Umfang es die verschiedenen Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur in die Strafzumessung ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 19 f. mit Hinweisen). 
 
4.3 Die Vorinstanz setzt sich in ihren Erwägungen zur Strafzumessung mit den wesentlichen schuldrelevanten Komponenten auseinander und würdigt sämtliche Zumessungsgründe zutreffend. Dass sie sich dabei von rechtlich nicht massgeblichen Gesichtspunkten hätte leiten lassen oder wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich. So beurteilt die Vorinstanz das Verschulden des Beschwerdeführers, der eine grosse Menge Kokain abholen und transportieren wollte, zu Recht als schwer (angefochtenes Urteil S. 12 ff.). Sie rechnet ihm eine Menge von 454 Gramm Kokaingemisch an. Ein wissentliches Handeln mit ausgesprochen reinen Drogen legt sie ihm nicht zur Last. Jedoch habe der Beschwerdeführer nicht von einer schlechten Qualität der Betäubungsmittel ausgehen können. Sie berücksichtigt straferhöhend, dass der Beschwerdeführer einzig aus finanziellen Gründen handelte. Ebenso stellt sie in Rechnung, dass der Beschwerdeführer das Kokain lediglich abzuholen und zu transportieren beabsichtigte. Endlich berücksichtigt die Vorinstanz insbesondere die Vorstrafe und die Nichtbewährung im Sinne von Art. 89 StGB straferhöhend (angefochtenes Urteil S. 12 ff.). 
4.3.1 Nach den Erwägungen der ersten Instanz, auf welche die Vorinstanz verweist, habe der Beschwerdeführer versucht, die Postsendungen erhältlich zu machen. Damit habe er im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 und 3 i.V.m. Abs. 6 BetmG Anstalten getroffen, das Kokain zu erlangen und zu transportieren (angefochtenes Urteil S. 12 und vorinstanzliche Akten, act. 147). Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss geltend macht, die Vorinstanz hätte dem Strafmilderungsgrund des Versuchs im Sinne von Art. 22 StGB Rechnung tragen müssen (Beschwerde S. 7), ist seine Rüge unbegründet. Das Betäubungsmittelgesetz enthält in Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG eine eigenständige Vorschrift, die von den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches abweicht. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer zu einer Tat nach Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG Anstalten trifft. Damit werden zum einen der Versuch im Sinne von Art. 22 StGB und zum anderen gewisse qualifizierte Vorbereitungshandlungen erfasst und zu selbständigen Taten mit derselben Strafdrohung wie die übrigen verbotenen Verhaltensweisen aufgewertet. Art. 22 StGB gelangt nicht zur Anwendung (vgl. auch Art. 333 Abs. 1 StGB und Art. 26 BetmG). Eine Strafmilderung bei Versuch in Anwendung der allgemeinen Regeln nach Art. 22 StGB kommt somit nicht in Betracht (BGE 133 IV 187 E. 3.2 S. 192 f. mit Hinweisen). 
4.3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe unter schwierigen persönlichen und psychischen Umständen gelitten, was die Vorinstanz verkannt habe (Beschwerde S. 7). Dieser Einwand ist nicht rechtsgenügend begründet (Art. 42 Abs. 2 BGG) und deshalb nicht zu hören. 
 
4.4 Zusammenfassend hält die vorinstanzliche Strafzumessung vor Bundesrecht stand. 
 
5. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinen angespannten finanziellen Verhältnissen ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 16. Februar 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Faga