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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_1003/2009 
 
Urteil vom 16. März 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, 
Gerichtsschreiberin Unseld. 
 
Parteien 
X.________, vertreten durch Rechtsanwältin Heidi Koch-Amberg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Generalprokurator des Kantons Bern, 3001 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Psychiatrische Begutachtung, Schuldfähigkeit (Betrug usw.), Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 19. Juni 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Obergericht des Kantons Bern sprach X.________ am 19. Juni 2009 zweitinstanzlich des Betrugs, mehrfach begangen zum Nachteil von A.________ (Deliktsbetrag von mindestens Fr. 9'500.--), B.________ (Deliktsbetrag von Fr. 52'500.--) und C.________ (Deliktsbetrag von mindestens Euro 4'000.--), schuldig und verurteilte sie zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 20.--. 
X.________ nahm von den drei Geschädigten in der Zeit von Mitte 2005 bis im Oktober 2006 Darlehen entgegen, obschon sie weder in der Lage noch willens war, das erhaltene Geld zurückzubezahlen. Dabei nutzte sie das zu den Geschädigten bestehende Vertrauensverhältnis aus und gab ihnen gegenüber teilweise wahrheitswidrige Verwendungszwecke an, wie beispielsweise, dass sie das Geld für eine dringende Herzoperation ihrer Nichte in Bosnien benötige. A.________ war in X.________ verliebt, was sich diese zu Nutzen machte. 
 
B. 
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 19. Juni 2009 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung der Schuldfähigkeit und Einholung eines psychiatrischen Gutachtens an das Obergericht zurückzuweisen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
C. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerdeführerin rügt, sie sei wegen einer vor neun Jahren erlittenen Vergewaltigung sowie der politischen Geschehnisse in ihrer Heimat traumatisiert und habe zudem unter dem Stalking von A.________ zu leiden gehabt. Seit Jahren sei sie wöchentlich in psychiatrischer Behandlung. Sie lebe ständig von Psychopharmaka und Antidepressiva und müsse täglich Schlafmittel einnehmen. Sie sei daher in Bezug auf die ihr vorgeworfenen Taten schuld- und zurechnungsunfähig. Ihr Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Schuldfähigkeit sei in Verletzung von Art. 9 BV, Art. 8 ZGB und Art. 6 EMRK abgewiesen worden (Beschwerde S. 3 und 4). 
 
1.2 Die Vorinstanz weist den Antrag auf eine psychiatrische Begutachtung ab, mit der Begründung, es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Einsichts- oder Bestimmungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Eine depressive Erkrankung aufgrund eines posttraumatischen Belastungssyndroms vermöge, insbesondere wenn es um die Begehung von Vermögensdelikten gehe, für sich alleine die Schuldfähigkeit einer Person nicht in Frage zu stellen (angefochtener Entscheid S. 4). Sie berücksichtigt die ausserordentlichen Umstände bei der Strafzumessung, indem sie von einer leicht erhöhten Strafempfindlichkeit ausgeht, da die Beschwerdeführerin arbeitsmässig nicht integriert, zunehmend sozial isoliert und gesundheitlich angeschlagen sei (angefochtener Entscheid S. 21 und 23 f.). 
 
1.3 Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht eine sachverständige Begutachtung an (Art. 20 StGB; vgl. auch Art. 13 aStGB, welchem Art. 20 StGB weitgehend entspricht; Urteil des Bundesgerichts 6B_917/2008 vom 3. Februar 2009 E. 2.1). 
Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen beizuziehen, ist erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder ein völlig unübliches Verhalten. Bei der Prüfung dieser Zweifel ist zu berücksichtigen, dass nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, genügt, um verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen. Der Betroffene muss vielmehr, zumal der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen ist, in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen. Seine Geistesverfassung muss nach Art und Grad stark vom Durchschnitt nicht bloss der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweichen. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat warten oder diese gar konstellieren konnte, so hat eine schwere Beeinträchtigung nicht vorgelegen (BGE 133 IV 145 E. 3.3 mit Hinweisen). 
Eine posttraumatische Belastungsstörung äussert sich im Wiedererleben belastender Ereignisse oder aussergewöhnlicher Bedrohungssituationen durch Alb- und Tagträume, häufig verbunden u.a. mit Schlafstörungen und Depressionen (Ulrich Schnyder, Posttraumatische Belastungsstörungen, in: Psychische Störungen und die Sozialversicherung - Schwerpunkt Unfallversicherung, 2002, S. 101 ff.; Norbert Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2007, S. 163 f.; ausführlich dazu BGE 133 IV 145 E. 3.5). Solche Belastungsreaktionen gehen nur relativ selten mit Straftaten einher (Norbert Nedopil, a.a.O., S. 167 f.). Eine Einschränkung oder, in seltenen Fällen, eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit kann bei neurotisch gestörten Tätern, zum Beispiel Zwangskranken, gegeben sein, wenn die Störung besonders ausgeprägt ist (Norbert Nedopil, a.a.O., S. 169). 
1.4 
1.4.1 Der Bericht des Inselspitals Bern vom 8. Januar 2007 attestiert der Beschwerdeführerin aufgrund einer Vergewaltigung und der Kriegserlebnisse in Bosnien eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver Symptomatik und Schlaflosigkeit sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Beschwerdeführerin war deswegen vom 31. Oktober bis am 12. Dezember 2006 im Inselspital in stationärer Behandlung und für mehrere Wochen arbeitsunfähig. 
1.4.2 Die Vorinstanz nimmt die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte psychische Erkrankung und die damit einhergehende medikamentöse Behandlung gestützt auf den Bericht des Inselspitals als gegeben an. Sie erkennt jedoch zutreffend, dass die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit der Beschwerdeführerin keine ernsthaften Zweifel an deren vollen Schuldfähigkeit in Bezug auf die ihr zur Last gelegten Betrugshandlungen zu begründen vermag. Diese konnte ihr Verhalten während des gesamten Verfahrens und insbesondere auch anlässlich der persönlichen Befragungen stets klar begründen und machte verständliche Aussagen. Sie beteuerte, sie hätte immer alle Darlehen zurückbezahlen wollen, dies in der Hoffnung, sie könnte von ihrer Familie Geld erhalten, um die Schulden zu begleichen. Die Höhe der von den Geschädigten behaupteten offenen Schulden bestritt sie teilweise und machte geltend, das Geld von A.________ zuerst als Schenkung und nicht als Darlehen erhalten zu haben (angefochtener Entscheid S. 11 f.). Sie war daher offensichtlich in der Lage, das Unrecht ihres Verhaltens einzusehen. Anzeichen für eine Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit sind ebenfalls nicht erkennbar. Die Beschwerdeführerin überredete die Geschädigten über einen längeren Zeitraum hinweg gezielt und ohne sich in ihren Lügen zu verstricken, ihr Geld auszuleihen. Dies zeigt, dass es ihr möglich war, ihr Verhalten zu bestimmen. Die von der Arbeitslosenversicherung und teilweise von der Sozialhilfe lebende Beschwerdeführerin sah sich zu ihrem Verhalten allenfalls aufgrund ihrer finanziellen Lage veranlasst. Anhaltspunkte, dass sie zum Beispiel aufgrund innerer Zwänge zur Straftat bestimmt wurde, sind nicht auszumachen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in ärztlicher Behandlung war, genügt für sich alleine noch nicht, um Zweifel an deren vollen Schuldfähigkeit zu wecken (vgl. BGE 132 IV 29 E. 5.3). 
Nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden kann, dass die übertriebene und möglicherweise krankhafte Zuneigung von A.________, unter welcher die Beschwerdeführerin gelitten haben soll, sich auf deren Einsichts- oder Bestimmungsfähigkeit auswirkte. Dies zumal sie sich die Verliebtheit von A.________ gemäss der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz auch zu Nutzen machte und sich von diesem nicht absolut abgrenzte, obschon sie wusste, dass ihr Verhältnis aus dessen Sicht eine Liebesbeziehung war (angefochtener Entscheid S. 19). 
1.4.3 Die Vorinstanz durfte gemäss Art. 20 StGB auf eine psychiatrische Begutachtung der Beschwerdeführerin verzichten. Inwiefern sie dadurch das Willkürverbot von Art. 9 BV, den Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK oder Art. 8 ZGB verletzt haben könnte, ist nicht ersichtlich und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht ausreichend begründet (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
Ob das Gericht den Täter zu Recht oder zu Unrecht für die ihm vorgeworfenen Taten voll zurechnungsfähig hielt oder ob es an dessen Zurechnungsfähigkeit hätte zweifeln und ein Gutachten einholen müssen, ist eine Rechtsfrage. Tatfrage ist dagegen, in welchem psychischen Zustand sich der Täter zur Zeit der Tat befand (Urteil des Bundesgerichts 1P.527/2003 vom 10. Dezember 2003 E. 2.1). Auch die Vorinstanz hielt der Beschwerdeführerin die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung zugute und berücksichtigte, dass die Verliebtheit von A.________ stalkinghafte Züge annahm. Soweit die Bescherdeführerin Willkür bei der Beweiswürdigung (Beschwerde S. 5 Ziff. 6) rügt, ist auf die Beschwerde mangels einer rechtsgenüglichen Begründung nicht einzutreten (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2). 
 
3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 16. März 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Favre Unseld