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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 147/03 
 
Urteil vom 16. Oktober 2003 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Fessler 
 
Parteien 
S.________, 1969, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Wiederkehr, Badenerstrasse 20, 8953 Dietikon 
 
gegen 
 
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Zentralverwaltung, Werdstrasse 62, 8004 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 6. Mai 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 14. Juni 2002 forderte die Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI von S.________ zu Unrecht ausbezahlte Arbeitslosenentschädigung in der Höhe von Fr. 8294.65 zurück. Der Betrag entsprach der Differenz zwischen den im Zeitraum vom 4. März 1998 bis 31. August 1999 ausgerichteten Fr. 46'105.90 und den für die Bezugsrahmenfrist vom 11. Februar 1997 bis 10. Februar 1999 gesetzlich geschuldeten Fr. 37'811.25. 
B. 
Die von S.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 6. Mai 2003 ab. 
C. 
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, kantonaler Gerichtsentscheid und Verwaltungsverfügung seien aufzuheben. 
 
Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Stellungnahme und einen bestimmten Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft keine Vernehmlassung einreicht. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das kantonale Gericht hat für die Beurteilung der streitigen Rückforderung zu Unrecht ausbezahlter Arbeitslosenentschädigung auf die tatsächlichen Verhältnisse sowie die Rechtslage im Zeitpunkt der Verfügung vom 14. Juni 2002 abgestellt. Das ist richtig (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Insbesondere ist das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vorliegend nicht anwendbar. 
2. 
Im angefochtenen Entscheid werden die Rechtsprechung zum Begriff der zweifellosen Unrichtigkeit einer in Wiedererwägung zu ziehenden Verfügung im Zusammenhang mit der Rückforderung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach Art. 95 Abs. 1 AVIG (vgl. BGE 126 V 400 f. Erw. 2b/aa und bb) und zur Bedeutung der Rahmenfrist für den Bezug von Arbeitslosenentschädigung (vgl. Art. 9 AVIG und BGE 127 V 477 Erw. 2a und 2b/aa) zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben werden auch die tatbeständlichen Voraussetzungen des öffentlichrechtlichen Vertrauensschutzes bei falschen Auskünften oder Anordnungen von Verwaltungsbehörden (vgl. BGE 127 I 36 Erw. 3a, 121 V 66 Erw. 2a sowie ARV 1999 Nr. 40 S. 237 Erw. 3a). Darauf wird verwiesen. 
 
Zu ergänzen ist, dass die Verwaltung verpflichtet ist, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (so genannte prozessuale Revision; BGE 126 V 46 Erw. 2b mit Hinweisen). 
3. 
3.1 Es ist im Grundsatz unbestritten, dass die Arbeitslosenkasse auf die Eröffnung einer Bezugsrahmenfrist am 4. März 1998 und die Ausrichtung von Taggeldern ab diesem Zeitpunkt zurückkommen durfte. Welcher Rückkommenstitel (Wiedererwägung, prozessuale Revision) gegeben ist, braucht nicht abschliessend geprüft zu werden. Insbesondere kann offen bleiben, ob der Entscheid vom 25. Juni 1999, mit welchem die Vorinstanz in Aufhebung der Verfügung des Kantonalen Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) vom 2. Dezember 1997 die Vermittlungsfähigkeit ab 11. Februar bis 18. Juli 1997 bejahte, einen prozessualen Revisionsgrund darstellt. Wesentlich ist, dass aufgrund dieses Erkenntnisses am 11. Februar 1997 sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. In jenem Zeitpunkt begann somit von Gesetzes wegen eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug zu laufen (Art. 9 Abs. 2 AVIG). Vor deren Ablauf am 10. Februar 1999 konnte nach der gesetzlichen Konzeption keine (neue) Frist eröffnet werden (BGE 127 V 477 Erw. 2a). 
 
Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bedurfte es nicht einer separaten Verfügung, um die Eröffnung einer Bezugsrahmenfrist am 4. März 1998 und die formlose Zusprechung und Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab diesem Zeitpunkt aufzuheben. Die Unrichtigkeit dieser Anordnungen unter wiedererwägungs- oder prozessual revisionsrechtlichem Gesichtswinkel stellt einen Teilaspekt des mit der Rückforderungsverfügung festgelegten Rechtsverhältnisses dar (vgl. BGE 125 V 415 f. Erw. 2a und b). 
 
Die Höhe der Rückforderung von Fr. 8294.65, bemessen nach dem Entschädigungsanspruch für die Bezugsrahmenfrist vom 11. Februar 1997 bis 10. Februar 1999, wird nicht beanstandet. Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung der Berechnung dieses Betrages (BGE 125 V 415 Erw. 1b und 417 oben). 
3.2 Im Weitern ist nach den zutreffenden Feststellungen der Vorinstanz, auf welche verwiesen wird, der Rückforderungsanspruch nicht verwirkt. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass es sich bei der relativen einjährigen Frist des Art. 95 Abs. 4 AVIG um eine Verjährungsfrist im Sinne von Art. 60 und 67 OR handle, widerspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 124 V 382 Erw. 1). Davon abzuweichen, besteht kein Anlass (vgl. zu den Voraussetzungen für eine Praxisänderung BGE 127 V 355 Erw. 3a, 126 V 40 Erw. 5a). 
3.3 Die vorinstanzlich bestätigte Rückforderung zu Unrecht ausbezahlter Arbeitslosenentschädigung in der verfügten Höhe besteht somit grundsätzlich zu Recht. 
4. 
Die Beschwerdeführerin beruft sich wie schon im kantonalen Verfahren auf Treu und Glauben. Sie habe aufgrund der durch die Zahlungen der Arbeitslosenkasse zur Verfügung stehenden Mittel Ausgaben getätigt, die sie sonst nicht gemacht hätte. Welche Dispositionen es im Einzelnen betreffe, lasse sich nicht mehr genau eruieren. «Jedenfalls wäre sie und ihre Familie bei Nichtzahlens der Taggelder im Rahmen der zweiten Rahmenfrist nicht noch vom 23. Juli bis 16. August 1999 in den Ferien nach Brasilien gereist, deren alleinige Flugkosten sich auf Fr. 3636.- beliefen.» Zumindest um diesen Betrag sei die Rückforderung zu reduzieren. 
 
Es wird ein Schreiben der G.________ AG, vom 18. Juni 1999 ins Recht gelegt, worin die Buchung eines Fluges von Zürich nach Rio de Janeiro und zurück bestätigt wird. 
4.1 Ob die Beschwerdeführerin ohne die Auszahlung von Arbeitslosenentschädigung ab 4. März 1998 oder bei Ausrichtung von Leistungen bemessen nach einem versicherten Verdienst von Fr. 2329.- resp. Fr. 4658.- statt Fr. 5638.- im Sommer 1999 nicht mit ihrem Ehemann und ihrer einjährigen Tochter nach Brasilien in die Ferien geflogen wäre, beurteilt sich aufgrund der gesamten Umstände im damaligen Zeitpunkt. Zu berücksichtigen sind neben den persönlichen, familiären und beruflichen Verhältnissen insbesondere die finanzielle Situation. 
4.2 
4.2.1 Von den Flugkosten von Fr. 3636.- entfallen je Fr. 1715.50 auf die Ehegatten und Fr. 205.- auf das Kind. Es wird nicht geltend gemacht, der Ehemann sei, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage gewesen, mindestens für die Hälfte der Kosten aufzukommen. Es ist somit von einer laut Beschwerdeführerin im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auszahlungen der Arbeitslosenkasse ab 4. März 1998 getroffenen Disposition in der Höhe von lediglich rund Fr. 1800.- auszugehen. 
4.2.2 Im Weitern ist zu berücksichtigen, dass die Versicherte seit 1. Februar 1999 beim Atelier X.________ als Lehrerin und Co-Leiterin der interen Weiterbildung angestellt war. Laut Vertrag vom 5. März 1999 war das Arbeitsverhältnis unbefristet. Das Gehalt betrug bei einem Beschäftigungsgrad von 60 % Fr. 3252.- pro Monat. Dazu bestand Anspruch auf einen 13. Monatslohn. Ab 29. April 1999 arbeitete die Beschwerdeführerin überdies als Sprachlehrerin bei der Firma M.________ AG gemäss Anstellungsvertrag vom 28. April/2. Mai 1999 drei Stunden pro Woche oder nach Vereinbarung. Mit dieser Tätigkeit erzielte sie im Mai und Juni einen Verdienst von durchschnittlich Fr. 840.- (vor Abzug der Sozialversicherungsbeiträge). Zusammen ergibt sich somit ein Erwerbseinkommen im massgeblichen Zeitpunkt von deutlich mehr als Fr. 4000.- im Monat. 
4.2.3 Schliesslich ist ebenfalls unter dem finanziellem Gesichtspunkt zu beachten, dass am 18. Juni 1999 (Zeitpunkt der Buchung der Brasilien-Reise) das Beschwerdeverfahren betreffend die vom KIGA mit Verfügung vom 2. Dezember 1997 verneinte Vermittlungsfähigkeit ab 11. Februar 1997 hängig war. Wie auch immer der Prozess ausginge, es bestand in jedem Fall ein - in masslicher Hinsicht grundsätzlich bestimmbarer - (Nachzahlungs-)Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. 
4.3 Im Lichte des Vorstehenden ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin auch ohne die Auszahlung von Arbeitslosenentschädigung ab 4. März 1998 oder bei Ausrichtung von Leistungen bemessen nach einem tieferen versicherten Verdienst im Sommer 1999 zusammen mit ihrer Familie Ferien in Brasilien gemacht hätte. Dafür spricht insbesondere ihre erwerbliche Situation. Es kann daher nicht gesagt werden, die nachträglich als unrichtig erkannte Eröffnung einer Bezugsrahmenfrist am 4. März 1998 sei für jene Disposition ursächlich gewesen. Damit entfällt der Vertrauensschutz (Urteil A. vom 7. Mai 2001 [C 27/01] Erw. 3c/dd). 
5. 
Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Zürich, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 16. Oktober 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: