Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_298/2020  
 
 
Urteil vom 17. März 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell I.Rh., 
Unteres Ziel 20, 9050 Appenzell, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner. 
vertreten durch Rechtsanwalt Yves Brühwiler. 
 
Gegenstand 
Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Bezirksgerichts 
Appenzell Innerrhoden, Zwangsmassnahmengericht, 
vom 14. Mai 2020 (Z 10-2019). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 21. Juli 2019, zwischen 03.45 und 03.50 Uhr, brach eine unbekannte Täterschaft in ein Verkaufsgeschäft ein. Sie behändigte drei Tablet-Computer und 16 Mobiltelefone, unter anderem ein "iPhone 8". Am 11. September 2019 registrierte sich eine Frau mit dem "iPhone 8". Anlässlich der bei ihr am 31. Oktober 2019 durchgeführten Hausdurchsuchung gab sie an, ihr früherer Freund, A.________, habe es ihr Anfang September 2019 in der Originalverpackung geschenkt. In der Folge wurde bei A.________ am 31. Oktober 2019 ebenfalls eine Hausdurchsuchung durchgeführt und dabei sein eigenes Mobiltelefon sichergestellt. Er verlangte gleichentags dessen Siegelung. Bei seiner Einvernahme bestritt er, am Einbruchdiebstahl vom 21. Juli 2019 beteiligt gewesen zu sein; das "I-Phone 8" habe er von jemandem in einer Bar gekauft; er habe den Verkäufer nicht näher gekannt und mit ihm sonst nichts zu tun gehabt. 
 
B.   
Am 4. November 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Innerrhoden dem dortigen Zwangsmassnahmengericht die Entsiegelung des Mobiltelefons von A.________. 
Am 27. November 2019 ordnete das Zwangsmassnahmengericht die Entfernung des Siegels und eine richterliche Triage an. Letztere führte es vom 8. bis zum 12. Mai 2020 durch. 
Am 14. Mai 2020 hiess das Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch teilweise gut. Es übermittelte der Staatsanwaltschaft folgende Daten aus dem Extraktionsbericht zur weiteren prozessualen Verwendung: Anruflisten (Facebook Messenger, nativ und WhatsApp), SMS-Nachrichten, Chats (Facebook Messenger, Instagram, Telegram und WhatsApp), Audiodateien mit Quellenanhang WhatsApp, Kontakte (Facebook, Facebook Messenger, Instagram, Telegram, WhatsApp und Mobiltelefon), Standortdaten, E-Mails und Dokumente. Es ordnete die Löschung der ausgesonderten Daten, insbesondere der Bilder und Videos, sowie die Rückgabe des Mobiltelefons an A.________ an. 
 
C.   
Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, in Abänderung des Entscheids des Zwangsmassnahmengerichts vom 14. Mai 2020 seien die auf dem Mobiltelefon von A.________ gesicherten Bilder und Videos an die Staatsanwaltschaft zur weiteren prozessualen Verwendung zu übermitteln bzw. nicht auszusondern. Das Mobiltelefon sei nicht vor seiner Auswertung an A.________ herauszugeben. Es sei die Rechtskraft der vom Zwangsmassnahmengericht angeordneten Entsiegelung betreffend die von ihm freigegebenen Daten festzustellen und diese unverzüglich der Staatsanwaltschaft zur weiteren prozessualen Verwendung zu übermitteln. 
 
D.   
Das Zwangsmassnahmengericht beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde. A.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft hat repliziert. Das Zwangsmassnahmengericht und A.________ haben sich hierzu nicht mehr geäussert. 
 
E.   
Mit Verfügung vom 21. Juli 2020 hiess der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch der Staatsanwaltschaft um aufschiebende Wirkung gut. Damit hielt er die Sicherstellung des Mobiltelefons von A.________ bis zum Abschluss des bundesgerichtlichen Verfahrens aufrecht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Vorinstanz hat nach Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde ist somit gemäss Art. 80 BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin verfolgt sämtliche Straftaten im gesamten Kanton. Sie ist daher nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG zur Beschwerde berechtigt (BGE 142 IV 196 E. 1.5.2 S. 200; Urteil 1B_438/2020 vom 27. November 2020 E. 1 mit Hinweis).  
 
1.2. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Er stellt einen Zwischenentscheid dar. Dieser betrifft weder die Zuständigkeit noch den Ausstand. Es handelt sich somit um einen "anderen Zwischenentscheid" nach Art. 93 BGG. Dagegen ist gemäss Absatz 1 dieser Bestimmung die Beschwerde zulässig, (a) wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann, oder (b) wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.  
Die Variante nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ausser Betracht. 
Nach der Rechtsprechung muss es sich im Strafrecht beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1 S. 130). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht. Das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur soll sicherstellen, dass sich das Bundesgericht soweit möglich nicht mehrmals mit einer Angelegenheit befassen muss. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist restriktiv zu handhaben (BGE 144 III 475 E. 1.2 S. 479 mit Hinweisen). 
Im Beweisrecht droht der Staatsanwaltschaft nach der Rechtsprechung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur, wenn ohne das in Frage stehende Beweismittel die Weiterführung des Strafverfahrens verunmöglicht oder zumindest stark erschwert wird. Dies trifft nicht zu, wenn der Staatsanwaltschaft andere Untersuchungsmassnahmen zur Weiterführung des Strafverfahrens und gegebenenfalls Anklageerhebung zur Verfügung stehen. In jedem Fall ist es Sache der Staatsanwaltschaft, die Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG darzutun, damit auf ihre Beschwerde eingetreten werden kann (BGE 141 IV 284 E. 2.4 S. 287 f.; 289 E. 1.4 S. 292; je mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung gilt auch bei der Entsiegelung (Urteile 1B_108/2020 vom 25. November 2020 E. 5.2; 1B_526/2017 vom 4. Mai 2018 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). 
 
1.3.  
 
1.3.1. Die Vorinstanz legt dar, sie habe die im Mobiltelefon des Beschwerdegegners enthaltenen Bilder und Videos gesichtet. Diese enthielten keine Inhalte, welche im Zusammenhang mit der abzuklärenden Straftat stünden, und seien als mögliche Beweismittel somit unerheblich. Die Vorinstanz sonderte die Bilder und Videos deshalb aus und ordnete deren Löschung nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittelverfahren an.  
 
1.3.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, aufgrund der Bilder und Videos könnte allenfalls geklärt werden, wo sich der Beschwerdegegner im Zeitpunkt des Einbruchdiebstahls aufgehalten habe.  
Das Vorbringen genügt nicht für die Annahme eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur. Die Vorinstanz hat die im Mobiltelefon des Beschwerdegegners enthaltenen Standortdaten, welche die Kantonspolizei St. Gallen nach deren Bericht vom 14. Februar 2020 (S. 2) gesichert hat, der Beschwerdeführerin freigegeben. Damit kann diese ermitteln, wo sich der Beschwerdegegner wann aufhielt. Wenn die Beschwerdeführerin keinen Zugang zu den Bildern und Videos hat, erschwert das daher insoweit die Strafuntersuchung nicht stark. 
 
1.3.3. Die Beschwerdeführerin bringt im Weiteren vor, anhand der Bilder und Videos könnte möglicherweise ermittelt werden, ob und inwiefern der Beschwerdegegner zur Person, welche ihm das "iPhone 8" in der Bar angeblich verkauft habe, Kontakt gehabt habe.  
Die Beschwerdeführerin verfügt aufgrund des angefochtenen Entscheids über umfangreiche Daten, die einen allfälligen Kontakt des Beschwerdegegners mit dem angeblichen Verkäufer beweisen könnten. Die Vorinstanz hat namentlich freigegeben: Die Anruflisten, SMS-Nachrichten, Chats, Audiodateien mit Quellenanhang WhatsApp, Kontakte und E-Mails (vgl. zu den Einzelheiten oben lit. B). In Anbetracht der Menge dieser Daten kann den Bildern und Videos keine zentrale Bedeutung mehr beigemessen werden, zumal es sich bei Letzteren um keine Kommunikationsdaten handelt. Die Beschwerdeführerin befindet sich aufgrund der von der Vorinstanz freigegebenen Daten bereits in einer vergleichsweise guten Lage, um einen allfälligen Kontakt des Beschwerdegegners mit dem Verkäufer, sofern es diesen überhaupt gibt, beweisen zu können. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass der fehlende Zugriff der Beschwerdeführerin auf die Bilder und Videos die Weiterführung des Strafverfahrens zumindest stark erschwert. Die Beschwerdeführerin verfügt mit den freigegebenen Daten vielmehr über anderweitige Ermittlungsansätze. Im Lichte der dargelegten restriktiven Rechtsprechung, welche die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Zwischenentscheid nicht bei jeder Ablehnung der Verwendung eines Beweismittels zulässt, kann daher auch insoweit kein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur angenommen werden. 
 
1.3.4. Die im Mobiltelefon des Beschwerdegegners enthaltenen Daten wurden vollständig gespiegelt. Damit ist nicht erkennbar, dass die Rückgabe des Mobiltelefons an den Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur verursachen können sollte.  
 
1.4. Ist demnach ein derartiger Nachteil weder dargetan noch ersichtlich, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.  
 
1.5. Klarzustellen bleibt Folgendes: Ist die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 BGG nicht zulässig, so ist gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG der betreffende Zwischenentscheid durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt. Die Beschwerdeführerin kann somit den vorinstanzlichen Entscheid gegebenenfalls mit Beschwerde gegen den Endentscheid anfechten. Die Vorinstanz darf deshalb die Bilder und Videos noch nicht löschen, sondern muss sie bis zum Abschluss des Strafverfahrens aufbewahren.  
 
2.   
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton hat dem Vertreter des Beschwerdegegners eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG ist damit hinfällig. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Appenzell Innerrhoden hat dem Vertreter des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Yves Brühwiler, eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgericht Appenzell Innerrhoden, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. März 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri