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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
5A_155/2013  
   
   
 
 
 
 
Urteil vom 17. April 2013  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Herrmann, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Z.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno Gebistorf, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mündigenunterhalt, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, 3. Abteilung, vom 22. Januar 2013. 
 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die Ehe der Eltern von Z.________ (geb. xxxx 1993) wurde am yyyy 2005 geschieden.  
 
 
A.b. Am 3. November 2011 klagte Z.________ gegen ihren Vater, X.________, mit dem Begehren, dieser sei zu verpflichten, ihr ab 16. Juli 2011 bis zum ordentlichen Abschluss der Ausbildung monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'300.-- zu bezahlen, wobei bereits erbrachte Leistungen anzurechnen seien. Mit Urteil vom 30. Mai 2012 verpflichtete der Einzelrichter des Bezirksgerichts Kriens den Vater, seiner Tochter unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen im Umfang von Fr. 5'570.65 einen monatlichen und vorauszahlbaren, erstmals anteilsmässig am 16. Juli 2011 bis zum ordentlichen Abschluss ihrer Ausbildung fälligen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'300.-- zu leisten.  
 
B.  
 
B.a. Gegen dieses Urteil erhob der Vater am 8. Juli 2012 fristgerecht Berufung beim Obergericht des Kantons Luzern, mit der er im Wesentlichen um eine Senkung des Unterhaltsbeitrages auf Fr. 800.-- pro Monat ersuchte. Mit Eingabe vom 10. Juli 2012 verlangte die Tochter, der Berufung die aufschiebende Wirkung zu entziehen. In ihrer Berufungsantwort vom 18. Juli 2012, die am 8. August 2012 zusammen mit ihrer Eingabe vom 10. Juli 2012 an den Vater weitergeleitet wurde, beantragte die Tochter die Abweisung der Berufung. Der Vater nahm am 4. September 2012 zur Berufungsantwort sowie zum Gesuch vom 10. Juli 2012 Stellung.  
 
 
B.b. Mit Urteil vom 22. Januar 2013 wies das Obergericht die Berufung ab. Dabei ging es davon aus, die am 4. September 2012 eingereichten Stellungnahmen des Vaters zum Gesuch um Entzug der aufschiebenden Wirkung (Eingabe vom 10. Juli 2012) sowie zur Berufungsantwort (vom 18. Juli 2012) der Tochter seien verspätet eingereicht worden, weshalb sie im Entscheid unberücksichtigt blieben.  
 
C.  
Der Vater hat mit Eingabe vom 24. Februar 2013 gegen das ihm am 5. Februar 2013 in voller Ausfertigung zugestellte Urteil des Obergerichts beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben; er schliesst sinngemäss auf Abweisung der Klage. 
 
 Die Tochter (Beschwerdegegnerin) und das Obergericht beantragen in ihren Eingaben vom 2. April 2013 Abweisung der Beschwerde. 
 
 Der Beschwerdeführer hat sich am 2. April 2013 nochmals vernehmen lassen. Er beantragt, zur Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin und des Obergerichts Stellung nehmen zu können. Dies erübrigt sich, da, wie nachfolgend aufgezeigt wird, die Beschwerde gutzuheissen ist. 
 
 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt willkürliche Rechtsanwendung und macht überdies eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Angesichts der formellen Natur des rechtlichen Gehörs ist diese Rüge vorweg zu prüfen (BGE 121 I 230 E. 2a S. 232; 122 II 464 E. 4a S. 469).  
 
 
1.2. Das Obergericht hat erwogen, die Eingaben der Beschwerdegegnerin vom 10. Juli 2012 (Gesuch der Beschwerdegegnerin um Entzug der aufschiebenden Wirkung) sowie vom 18. Juli 2012 (Berufungsantwort) seien dem Beschwerdeführer am 8. August 2012 zur Orientierung weitergeleitet worden, ohne dass dieser zu einem zweiten Schriftenwechsel aufgefordert worden wäre. Er habe dazu am 4. September 2012 unaufgefordert Stellung genommen, was indes verspätet sei; die entsprechenden Eingaben seien daher aus dem Recht zu weisen.  
 
1.3. Der Beschwerdeführer erblickt in der fehlenden Berücksichtigung seiner Stellungnahmen eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV.  
 
1.4. Die ZPO sieht als Regel einen Schriftenwechsel vor (Art. 312 ZPO); ein zweiter Schriftenwechsel wird nur ausnahmsweise angeordnet (Art. 316 Abs. 2 ZPO; BGE 138 III 252 E. 2.1). Soweit erforderlich stellt das Gericht daher die Berufungsschrift den übrigen Beteiligten zu und setzt ihnen Frist an zur Einreichung einer Berufungsantwort; nach Eingang derselben ist der gesetzlich angeordnete Schriftenwechsel geschlossen, es sei denn, das Gericht ordne ausnahmsweise einen zweiten Schriftenwechsel an. Verzichtet es darauf, so bedeutet dies, dass die Streitsache aus seiner Sicht grundsätzlich spruchreif ist.  
 
 Die Prozessleitungsbefugnis des Gerichts ist indes insofern eingeschränkt, als die Parteien gestützt auf Art. 29 Abs. 1 und 2 BV und Art. 6 EMRK einen unbedingten Anspruch darauf haben, zu sämtlichen Eingaben der Gegenpartei Stellung zu nehmen, falls sie dies wünschen (sog. unbedingtes Replikrecht: BGE 138 I 154 E. 2.3.3 S. 157; 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197; 133 I 100 E. 4.3-4.7 S. 102 ff.). Die Parteien haben somit einen verfassungsmässigen Anspruch darauf, sich zu jeder Eingabe im Verfahren zu äussern, unabhängig davon, ob sie neue oder wesentliche Vorbringen enthält: Es ist Sache der Parteien zu entscheiden, ob sie eine Entgegnung für erforderlich halten oder nicht. 
 
 Mithin obliegt dem Gericht, in jedem Einzelfall den Parteien ein effektives Replikrecht zu gewähren. Es kann dem Betroffenen hiefür eine Frist setzen (BGE 133 V 196 E. 1.2). Zur Wahrung des unbedingten Replikrechts genügt indes grundsätzlich, dass den Parteien die Eingaben zur Information (Kenntnisnahme, Orientierung) zugestellt werden, wenn von ihnen, namentlich von anwaltlich Vertretenen oder Rechtskundigen, erwartet werden kann, dass sie unaufgefordert Stellung nehmen (BGE 138 I 484 E. 2.4 S. 487). Kommen Verfahrensbeteiligte, welche eine solche Eingabe ohne Fristansetzung erhalten haben, zum Schluss, sie möchten nochmals zur Sache Stellung nehmen, so sollen sie dies aus Gründen des Zeitgewinns tun, ohne vorher darum nachzusuchen. Nach Treu und Glauben hat dies umgehend zu erfolgen (BGE 138 III 252 E. 2.2). 
 
 Diese Rechtsprechung ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Zeit zu sparen, um das Verfahren rasch abschliessen zu können. Deshalb ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn das Gericht bei der letztgenannten Vorgehensweise mit der Entscheidfällung nur so lange zuwartet, bis es annehmen darf, der Adressat habe auf eine weitere Eingabe verzichtet (vgl. auch Urteil des EGMR in Sachen Joos gegen Schweiz vom 15. November 2012). Die Rechtsprechung bejaht in aller Regel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn das Gericht nur wenige Tage nach Mitteilung der Eingabe entscheidet. In einer etwas allgemeineren Formulierung hielt das Bundesgericht fest, dass jedenfalls vor Ablauf von zehn Tagen nicht, hingegen nach 20 Tagen von einem Verzicht auf das Replikrecht ausgegangen werden dürfe (Urteil 1B_407/2012 vom 21. September 2012 E. 2.2). 
 
 Diese Rechtsprechung bedeutet allerdings nicht, dass die Zustellung einer Eingabe ohne Fristansetzung im Ergebnis gleichzubehandeln ist, wie wenn eine Frist angesetzt worden wäre. Vielmehr übernimmt die Partei, der eine Eingabe lediglich zur Information zugestellt wurde und die damit weiss, dass die Sache aus der Sicht des Gerichts spruchreif ist, das Risiko eines raschen Entscheids. Aus dem Umstand aber, dass ein Gericht nach dem Gesagten jedenfalls 20 Tage nach Mitteilung einer Eingabe zu urteilen berechtigt ist, ohne sich dem Vorwurf der Gehörsverletzung auszusetzen, kann nicht abgeleitet werden, dass nach dem fraglichen Zeitpunkt, aber vor der Urteilsfällung eintreffende Stellungnahmen generell zufolge Verspätung unberücksichtigt bleiben dürfen. 
 
1.5. Der Beschwerdeführer hat zu den ihm am 8. August 2012 zugestellten Eingaben der Beschwerdegegnerin am 4. September 2012 Stellung genommen. Mithin hat er - worauf es ankommt - vor der Urteilsfällung repliziert und damit offensichtlich nicht auf sein Replikrecht verzichtet. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer weder anwaltlich vertreten noch vom Gericht als rechtskundig eingestuft worden war, und er unter Berücksichtigung der bis am 15. August 2012 dauernden Gerichtsferien für seine Replik lediglich 20 Tage in Anspruch genommen hat. Der angefochtene Entscheid ist demzufolge ungeachtet des Ausgangs des Verfahrens in der Sache wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV aufzuheben und die Sache ist zur Durchführung eines die Verfassung respektierenden Verfahrens und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer stellt sich wie vor Obergericht auf den Standpunkt, für die erstinstanzliche Beurteilung der Unterhaltsklage der Beschwerdegegnerin sei nicht der Einzelrichter, sondern die Abteilung des Bezirksgerichts zuständig gewesen, da die Beschwerdegegnerin und ihr Anwalt sich bei ihrer Argumentation mehrfach der Falschaussage und bewusster Irreführung bedient hätten. Er rügt im Ergebnis eine willkürlich Anwendung von § 35 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil- und Strafsachen (OGB; SRL Nr. 260).  
 
 
2.2. Wird eine Gehörsverletzung bejaht, wird der Entscheid ohne Behandlung der in der Sache erhobenen Rügen aufgehoben (formelle Natur der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs; E. 1.1). Da der Beschwerdeführer indes die Unzuständigkeit des Einzelrichters rügt, rechtfertigt sich mit Blick auf den Fortgang des Verfahrens eine Ausnahme vom genannten Grundsatz.  
 
2.3. Da keine der Ausnahmen gemäss Art. 95 lit. c-e BGG gegeben ist, überprüft das Bundesgericht die Anwendung kantonalen Rechts ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 133 I 201 E. 1 S. 203; 133 II 249 E. 1.2.1 S. 252).  
 
2.4. Es geht um eine selbständige Unterhaltsklage des Kindes gegen seinen Vater (Art. 276 Abs. 1 ZGB). Der siebte Titel des zweiten Teils der ZPO vereinigt die zivilprozessualen Bestimmungen über die Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten, womit die entsprechenden Vorschriften des ZGB (Art. 144-147, 254, 280-284 ZGB) aufgehoben werden konnten (vgl. Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28. Juni 2006 S. 7366 und Ziff. 3 des Anhangs). Unter dem mit "Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten" überschriebenen 7. Titel der ZPO regelt Art. 295 ZPO als Grundsatz, dass für selbstständige Klagen das vereinfachte Verfahren (Art. 243 ff. ZPO) gilt. Bei der von der Beschwerdegegnerin angehobenen Klage handelt es sich um eine selbstständig erhobene Unterhaltsklage, die somit dem Willen des Gesetzgebers entsprechend im vereinfachten Verfahren durchzuführen ist.  
 
2.5. Paragraph 35 Abs. 1 lit. b OBG erklärt den Einzelrichter zuständig für vereinfachte Verfahren, sofern nicht die Abteilung zuständig ist. Die Zuständigkeit der Abteilung ist in § 34 Abs. 2 lit. b OGB geregelt. Danach ist die Abteilung in Zivilverfahren zuständig für vereinfachte Verfahren nach Artikel 243 Abs 2 lit. a, c, e und f ZPO. Die selbständigen Klagen gemäss Art. 295 ZPO werden in § 34 Abs. 2 lit. b OGB nicht erwähnt. Damit aber erweist sich die Auffassung der Vorinstanz, die selbstständige Unterhaltsklage falle in die Zuständigkeit des Einzelrichters, als nicht willkürlich. Was der Beschwerdeführer gegen die obergerichtliche Auffassung vorträgt, vermag am Ergebnis nichts zu ändern.  
 
3.  
Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerde infolge eines vom Obergericht verschuldeten Verfahrensfehlers gutgeheissen. In solchen Fällen werden der Gegenpartei in der Regel keine Kosten oder Entschädigungen auferlegt, soweit sie sich in der Sache eines Antrages enthalten oder ebenfalls auf Gutheissung der Beschwerde geschlossen hat (vgl. Urteil 5A_61/2012 vom 23. März 2012 E. 4). Die Beschwerdegegnerin hat indes auf Abweisung der Beschwerde geschlossen. Von daher rechtfertigt es sich, ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie schuldet dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer keine Parteientschädigung, zumal dieser keine Umstände dargelegt hat, die eine Parteientschädigung dennoch rechtfertigten (BGE 133 III 439 E. 4 S. 446 unter Hinweis auf BGE 115 Ia 12 E. 5 S. 21). 
 
 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 22. Januar 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 3. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. April 2013 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Zbinden