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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_411/2022  
 
 
Urteil vom 17. April 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 17. Mai 2022 (IV.2022.00019). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1963 geborene A.________ meldete sich am 23. August 2012 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach ihm mit Verfügung vom 15. Februar 2016 rückwirkend ab 1. Juni 2013 eine halbe Invalidenrente zu. Auf das Revisionsgesuch von A.________ vom 5. Dezember 2016 trat die IV-Stelle nicht ein (Verfügung vom 6. März 2017).  
 
A.b. Am 26. Juli 2017 stellte A.________ erneut ein Revisionsgesuch aufgrund einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands. Die Verwaltung wies sein Gesuch mit Verfügung vom 11. Februar 2020 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 1. Juli 2020 in dem Sinn gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zu weiteren Abklärungen zurückwies.  
In der Folge holte die Verwaltung bei der Begutachtungsstelle SMAB AG Bern ein polydisziplinäres Gutachten vom 21. Juli 2021 ein. Nach einem Gespräch betreffend berufliche Eingliederung vom 7. Oktober 2021 verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 2. Dezember 2021 einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung und hielt fest, über die Invalidenrente werde ein separater Entscheid erstellt. 
 
B.  
A.________ erhob gegen die Verfügung vom 2. Dezember 2021 Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, das dieses mit Urteil vom 17. Mai 2022 abwies. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils. Ihm seien Arbeitsvermittlung oder weitere berufliche Massnahmen zuzusprechen.  
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen lässt sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). 
Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1). 
 
3.  
Vorab ist zu klären, was letztinstanzlich zu prüfen ist. 
 
3.1. Dem angefochtenen Urteil vom 17. Mai 2022 lag die Verfügung der IV-Stelle vom 2. Dezember 2021z ugrunde. Darin stützte sich diese auf die Expertise der SMAB AG vom 21. Juli 2021, wonach der Beschwerdeführer in einer angepassten Tätigkeit 80 % arbeitsfähig sei. Die IV-Stelle prüfte dessen Anspruch auf Arbeitsvermittlung (Art. 18 IVG) und verneinte einen solchen. Im anschliessenden Beschwerdeverfahren klärte die Vorinstanz als Erstes, ob sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wesentlich verbessert habe (Revisionsgrund), was sie bejahte. In der Folge verneinte sie einerseits einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung und anderseits auc h einen Anspruch auf weitere berufliche Massnahmen, die der Beschwerdeführer beantragt hatte.  
 
3.2. Die IV-Stelle hatte das Gutachten der SMAB AG vom 21. Juli 2021 im Rahmen des Revisionsverfahrens betreffend Invalidenrente eingeholt. In ihrem "Verlaufsprotokoll Eingliederungsberatung" hielt sie am 21. Oktober 2021 fest, dass sie eine Rentenaufhebung vorsehe, weshalb das Dossier in die Eingliederungsberatung überwiesen worden sei.  
Vor diesem Hintergrund wies das kantonale Gericht treffend darauf hin, dass vor einer allfälligen Herabsetzung oder Aufhebung einer Invalidenrente grundsätzlich Eingliederungsmassnahmen durchzuführen seien (vgl. BGE 145 V 209 E. 5.1). Im Sinn dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung entschied die IV-Stelle im Anschluss an die Eingliederungsgespräche vorab über einen allfälligen Anspruch auf Arbeitsvermittlung (d.h. vor Erlass einer Verfügung betreffend Invalidenrente). Sie legte in ihrer Verfügung vom 2. Dezember 2021 zwar kurz dar, dass sich der Gesundheitszustand gemäss Gutachter der SMAB AG verbessert habe und stellte auf deren Arbeitsfähigkeitsschätzung ab. Sie thematisierte jedoch nicht die Frage, ob es sich dabei um einen Revisionsgrund handelt und äusserte sich entsprechend auch nicht zum Schicksal der Invalidenrente. Sie hielt fest, sie werde über den Rentenanspruch separat verfügen. Inhalt des Verwaltungsakts vom 2. Dezember 2021 war einzig die Abweisung des Leistungsbegehrens in Bezug auf die Arbeitsvermittlung. Das kantonale Gericht wäre gehalten gewesen, sich im angefochtenen Urteil einzig mit dem Anspruch auf Arbeitsvermittlung zu befassen, ohne bereits verfrüht über den Revisionsgrund im Zusammenhang mit der Rente zu entscheiden, wie der Beschwerdeführer zu Recht moniert. Auf die entsprechenden vorinstanzlichen Erwägungen ist somit nicht einzugehen, da die Frage nach dem Revisionsgrund im vorliegenden Verfahren für die Arbeitsvermittlung nicht anspruchsrelevant ist. 
 
3.3. Nach dem Gesagten kann im letztinstanzlichen Verfahren einzig geprüft werden, ob die Vorinstanz in Bestätigung der Verfügung vom 2. Dezember 2021 bundesrechtskonform auf der Basis des Gutachtens der SMAB AG vom 21. Juli 2021 (unabhängig von einem Revisionsgrund und somit von der Rentenfrage) einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung, beziehungsweise weitere berufliche Massnahmen, verneint hat.  
Damit ist auf sämtliche Rügen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Rentenrevision nicht weiter einzugehen. Ausserdem erübrigen sich Weiterungen in Bezug auf seine Kritik, das kantonale Gericht habe ihm vor dem Rückweisungsentscheid vom 1. Juli 2020 (Verfahren betreffend Invalidenrente) zur Abklärung der Verschlechterung keine reformatio in peius angedroht und damit das rechtliche Gehör verletzt. Auch über diesen Punkt, der den Anspruch auf Arbeitsvermittlung nicht tangiert, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden. 
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht mass der Expertise der SMAB AG vom 21. Juli 2021 Beweiswert (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a) bei. Nebst der Rüge, dieses Gutachten vermöge keine wesentliche Verbesserung der gesundheitlichen Situation zu belegen, auf die nach dem Gesagten nicht einzugehen ist (E. 3.3 oben), zieht der Beschwerdeführer den Beweiswert dieser Expertise nicht in Zweifel. Ebenfalls bestreitet er die von der Vorinstanz festgestellte Arbeitsfähigkeit von 80 % in einer angepassten Tätigkeit nicht in begründeter Weise, weshalb diese Tatsache im hier streitbetroffenen Zusammenhang für das Bundesgericht verbindlich ist (E. 1 oben).  
 
4.2. Die Vorinstanz stellte beim Beschwerdeführer eine ausgeprägte subjektive Krankheitsüberzeugung fest. Sie erkannte, dass dieser gegenüber dem orthopädischen Teilgutachter der SMAB AG angegeben habe, er schätze sich als vollständig arbeitsunfähig für jegliche Tätigkeit ein. Bemühungen, beruflich wieder tätig zu werden, beständen nicht und würden auf Nachfrage abgelehnt. Das Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und der Eingliederungsberaterin der IV-Stelle vom 7. Oktober 2021 sei denn auch nicht von ihm verlangt, sondern von der IV-Stelle initiiert worden, die sich aufgrund seines Alters als verpflichtet erachtet habe, ihm Eingliederungsmassnahmen anzubieten. Anlässlich dieses Gesprächs habe die Eingliederungsberaterin keine reelle Motivation für eine Arbeit erkennen können.  
Dem ausführlichen Protokoll lasse sich ohne Weiteres entnehmen, wie die Eingliederungsberaterin zu dieser Einschätzung gelangt sei. So habe der Beschwerdeführer gemäss deren Angaben bei Fragen zur Arbeit immer wieder auf den Gesundheitszustand und unter anderem auf seine Ärzte verwiesen, die gesagt hätten, er könne nicht mehr arbeiten. Bei konkreten Fragen habe er angegeben, gesundheitsbedingt keine Schritte in Richtung Arbeit machen zu können. Selbst nach einem konkreten Angebot einer Eingliederungsmöglichkeit habe er darauf beharrt, dass er aus seiner Sicht nur an ein bis zwei Tagen pro Woche arbeiten könne. Nachdem er jedoch nicht einmal diese ein bis zwei Tage von vornherein habe festlegen können, sondern diese frei wählen möchte, da Rücksicht auf seine Tagesform respektive seine tagesaktuelle Schmerzsituation zu nehmen sei, erscheine eine erfolgreiche Eingliederung derzeit als unrealistisch. Die Eingliederungsberaterin habe schliesslich berichtet, dass der Beschwerdeführer von der Schwere seiner Einschränkungen so überzeugt sei, dass er das erforderliche Minimum an Einsatzbereitschaft und Motivation für eine aussichtsreiche Eingliederung nicht aufzubringen vermöge. Seine Krankheitsüberzeugung sei derzeit zu stark. Ein relevanter Eingliederungswille sei nicht vorhanden.  
Das kantonale Gericht stellte im Weiteren fest, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen einzig an einem geschützten Arbeitsplatz tätig sein könnte. Die IV-Stelle habe daher zu Recht einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung verneint. Mangels subjektiver Eingliederungsfähigkeit bestehe auch kein Anspruch auf andere berufliche Massnahmen. 
 
4.3.  
 
4.3.1. Es ist zu konstatieren, dass der Beschwerdeführer die vorinstanzlichen Feststellungen zu seiner mangelnden subjektiven Eingliederungsfähigkeit (vgl. E. 4.2 oben) nicht (substanziiert) bestreitet. Entsprechend sind sämtliche in diesem Zusammenhang erhobenen Tatsachen für das Bundesgericht verbindlich (E. 1).  
 
4.3.2. Der Beschwerdeführer bemüht jedoch die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach bei versicherten Personen, deren Rente revisionsweise herabgesetzt oder aufgehoben werden soll, nach mindestens fünfzehn Jahren Bezugsdauer oder wenn sie das 55. Altersjahr zurückgelegt haben, die ("vermutungsweise") anzunehmende Unzumutbarkeit einer Selbsteingliederung gilt (vgl. BGE 145 V 209 E. 5.1 mit Hinweisen). Er moniert, in seinem Fall sei davon auszugehen, dass er sich nicht selber eingliedern könne. Daraus kann er nichts für sich ableiten. Denn die Vorinstanz hat den Anspruch auf Arbeitsvermittlung nicht mit dem Argument der Zumutbarkeit der Selbsteingliederung, sondern vielmehr mit dem fehlenden Eingliederungswillen verneint. Auf die entsprechenden Vorbringen in diesem Punkt ist somit nicht weiter einzugehen.  
 
4.3.3. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil 8C_233/2021 vom 7. Juni 2021 in E. 2.3 zwar festgehalten, dass berufliche Massnahmen unter anderem dazu dienen, subjektive Eingliederungshindernisse im Sinn einer Krankheitsüberzeugung der versicherten Person zu beseitigen, wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt. In der selben Erwägung hat es jedoch auch erwähnt, dass es indessen auch diesfalls eines Eingliederungswillens beziehungsweise einer entsprechenden Motivation der versicherten Person bedürfe. Es seien insbesondere die gegenüber der Verwaltung und den medizinischen Experten gemachten Aussagen betreffend Krankheitsüberzeugung beziehungsweise Arbeitsmotivation zu berücksichtigen. Ebenfalls von Belang sein könnten die im Vorbescheidverfahren und vor kantonalem Versicherungsgericht gemachten Ausführungen respektive gestellten Anträge (Urteile 9C_50/2020 vom 9. Juli 2020 E. 3.1; 9C_797/2018 vom 10. September 2019 E. 5.1; 8C_682/2018 vom 21. Februar 2019 E. 7.1; 8C_611/2018 vom 7. Januar 2019 E. 6.1; 9C_231/2015 vom 7. September 2015 E. 4.2). Mithin kann der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf das Urteil 8C_233/2021 und dem Argument, seine Krankheitsüberzeugung könnte durch beruflich Massnahmen beseitigt werden, in Anbetracht des trotzdem notwendigen Eingliederungswillens nichts zu seinen Gunsten ableiten.  
 
4.3.4. Mit Blick auf das Gesagte hat die Vorinstanz entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Notwendigkeit von Arbeitsvermittlung und weiterer beruflicher Massnahmen mangels fehlender subjektiver Eingliederungsbereitschaft (E. 4.2 oben) verneint hat. Es ist bei dieser Ausgangslage auch nicht zu beanstanden, dass kein Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchgeführt wurde. Denn bei fehlendem Eingliederungswillen bzw. einer fehlenden Eingliederungsfähigkeit entfällt der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, ohne dass zunächst ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren erfolgen müsste (vgl. Urteil 8C_578/2021 vom 9. Februar 2022 E. 6.2 mit Hinweis auf Urteil 8C_202/2021 vom 17. Dezember 2021 E. 7.2 mit Hinweisen). Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 17. April 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber