Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
«AZA 1/2» 
4C.422/1999/rnd 
 
 
I. Z I V I L A B T E I L U N G 
******************************* 
 
17. Oktober 2000 
 
 
Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident, Klett, Nyffeler und Gerichtsschreiber Lanz. 
 
--------- 
 
In Sachen 
 
 
Günter L i e b e r, Von-Reuschenberg-Strasse 7, D-52457 Aldenhoven, Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwältin Raphaëlle Favre, Seestrasse 131, 8027 Zürich, 
 
 
gegen 
 
 
Severin Wagner AG, Ziegelhofstrasse, 8730 Uznach, Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Hugo Waibel-Knaus, Zentrum Frohsinn, Zürcherstrasse 25, Postfach 431, 8730 Uznach, 
 
 
 
betreffend 
Schuldanerkennung, 
hat sich ergeben: 
 
 
A.- Günter Lieber (Beklagter) ist Inhaber eines Betriebes in Aldenhofen/Deutschland, welcher auf dem Gebiet der Industrieautomation/Schliessfachsysteme tätig ist. Er wurde von der Flughafen Immobilien Gesellschaft (FIG) beauftragt, für den Flughafen Zürich ein Schliessfachsystem zu installieren. Weil der Beklagte die metallenen Schliessfachschränke nicht selbst produziert, bestellte er am 11. August 1995 bei der Severin Wagner AG (Klägerin) 63 Schliessfachschränke unterschiedlicher Grösse samt Zubehör für einen Gesamtpreis von Fr. 63'454.--, wobei die Schränke nach den Zeichnungen des Beklagten zu fertigen waren. 
 
Obwohl sich die Zusammenarbeit der Parteien in der Folge als schwierig gestaltete, produzierte und lieferte die Klägerin die Schliessfachschränke. Am 21. Dezember 1995 unterbreitete sie dem Beklagten eine Abrechnung, welche einerseits den Betrag gemäss Bestellung vom 11. August 1995 umfasste und anderseits Bezug nahm auf "Nachträge vom 5.10.1995", "Zusatzarbeiten" und "Montagearbeiten", für welche die Klägerin weitere Fr. 29'591.-- in Rechnung stellte. Von der Summe von 93'045.-- verlangte die Klägerin die Bezahlung von Fr. 80'000.-- bis am 20. Januar 1996. Der Beklagte wies jedoch diese Zahlungsaufforderung zurück, worauf die Klägerin mit Schreiben vom 23. Januar 1996 präzisierte, dass es sich nicht um eine Rechnung, sondern um eine Akontozahlung für Leistungen handle, welche bis zum 21. Dezember 1995 erbracht worden seien; obwohl gewisse Nacharbeiten noch offen seien, sei die Akontozahlung am 20. Januar 1996 fällig geworden und man erwarte eine erste Zahlung von mindestens Fr. 50'000.-- bis am 30. Januar 1996. 
 
 
Am 9. Juli 1996 liess der Beklagte der Klägerin per Fax ein vom Vortag datiertes Schreiben zukommen, das mit dem Titel "Kündigung der Zusammenarbeit" überschrieben war. Er erklärte darin, dass er die Zusammenarbeit mit der Klägerin beende und einen Schadenersatzanspruch von Fr. 150'000.-- geltend mache. Sodann hielt er wörtlich Folgendes fest: 
 
"Nach Abzug Ihrer Rechnung 40002092 in Höhe von SFR 
93.045,00 verbleibt ein Zahlbetrag in Höhe von 
Sfr. 56.955,00". 
 
Bezug genommen wurde damit auf das Akontozahlungsgesuch der Klägerin vom 21. Dezember 1995, mit welchem gestützt auf die damals erbrachten Teilleistungen eine Zwischensumme von Fr. 93'045.00 errechnet wurde. Mit Schreiben vom 20. August 1996 hielt die Klägerin fest, dass damit "für uns der Auftrag FIG abgeschlossen" sei. Mit dieser Begründung übermittelte sie dem Beklagten drei Schlussabrechnungen im Gesamtbetrag von Fr. 136'845.90. 
 
 
B.- Nachdem der Beklagte den von der Klägerin geforderten Betrag nicht bezahlte, erwirkte diese für die geltend gemachte Summe einen Arrest an einem Guthaben des Beklagten gegenüber der FIG. Mit Klage vom 22. Oktober 1996 prosequierte sie den Arrest und verlangte vom Beklagten im Wesentlichen die Bezahlung von Fr. 136'845.90. Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage unter Aufhebung des Arrestes und verlangte widerklageweise die Bezahlung von Fr. 100'648.30. Das Bezirksgericht Bülach und das hierauf mit der Sache befasste Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich hiessen die Klage mit Urteilen vom 11. März 1999 bzw. 1. Oktober 1999 im Umfang von Fr. 83'214.-- gut. Weil gegen die Klageabweisung im Mehrbetrag sowie gegen die vollumfängliche Abweisung der Widerklage durch das Bezirksgericht kein Rechtsmittel eingelegt worden war, erwuchs das erstinstanzliche Urteil insoweit in Rechtskraft. Eine vom Beklagten gegen das obergerichtliche Urteil eingelegte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 23. Juni 2000 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
 
C.- Der Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. Oktober 1999 eidgenössische Berufung erhoben. Darin beantragt er dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung. 
 
 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
 
1.- Es ist vor dem Bundesgericht nicht mehr strittig, dass auf die vorliegende Streitsache schweizerisches Recht anwendbar ist (zur Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts vgl. unten E. 4c). Während das Bezirksgericht die klägerische Forderung im Einzelnen geprüft und die Klage im Umfang von Fr. 83'214.-- gutgeheissen hatte, qualifizierte die Vorinstanz das eingangs zitierte Schreiben des Beklagten vom 8. Juli 1996 als Schuldanerkennung in der Höhe von Fr. 93'045.--. Da die erstinstanzliche Abweisung der Gegenforderungen des Beklagten in Rechtskraft erwachsen war und die Klägerin im kantonal oberinstanzlichen Verfahren keine weitergehenden Anträge stellte, bestätigte die Vorinstanz das erstinstanzliche Urteil, ohne zu den einzelnen Rechnungspositionen Stellung zu nehmen. 
 
 
 
2.- a) Die Vorinstanz hielt fest, die drei Schlussabrechnungen der Klägerin vom 20. August 1996 hätten auch die frühere Rechnung vom 21. Dezember 1995 abgedeckt. Der Beklagte macht geltend, diese Feststellung beruhe auf einem offensichtlichen Versehen, da zwei in der Rechnung vom 21. Dezember 1995 enthaltene Positionen im Gesamtbetrag von Fr. 3'950.-- separat bezahlt und deshalb in den Schlussrechnungen nicht mehr aufgeführt wurden. 
 
Mit seiner Versehensrüge übersieht der Beklagte, dass eine Voraussetzung für die Bejahung eines offensichtlichen Versehens darin besteht, dass dieses den Entscheid beeinflusst (BGE 101 Ib 220 E. 1 S. 222; Messmer/Imboden, Die eidgenössichen Rechtsmittel in Zivilsachen, S. 138; Poudret, COJ II, N. 5.1 zu Art. 63 OG, S. 566). Nachdem der der Klägerin zugesprochene Betrag von Fr. 83'214.-- von der Schuldanerkennung über Fr. 93'045.-- selbst dann gedeckt ist, wenn die Vorinstanz eine Zahlung des Beklagten von Fr. 3'950.-- irrtümlicherweise nicht berücksichtigt haben sollte, hat das geltend gemachte Versehen auf den Entscheid keine Auswirkungen. Damit erweist sich die Rüge zum Vornherein als unbegründet. Inwiefern im Übrigen die Rechnung der Klägerin vom 21. Dezember 1995 durch spätere Schreiben hinfällig geworden ist, ist eine Frage des Bundesrechts, dessen Verletzung entgegen der Auffassung des Beklagten nicht mit der Versehensrüge geltend zu machen ist. 
 
b) Der Beklagte bringt in der Berufung vor, das Urteil des Obergerichts widerspreche in verschiedener Hinsicht den Feststellungen und den Schlussfolgerungen des Bezirksgerichts. Gemäss Art. 43 Abs. 1 OG legt das Bundesgericht seiner Beurteilung jedoch nicht das erstinstanzliche, sondern das angefochtene Urteil zugrunde und überprüft dieses auf seine Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht. Soweit die Rügen des Beklagten auf den Erwägungen des Bezirksgerichtes basieren und er geltend macht, das angefochtene Urteil stehe im Widerspruch zu diesen, kann demnach auf seine Berufung nicht eingetreten werden. 
 
 
3.- Die Schuldanerkennung, auf welche das Obergericht sein Urteil stützte, wurde vom Beklagten zu den Akten gegeben und sodann zu Gunsten des Klägers gewürdigt. Der Beklagte sieht Art. 8 ZBG dadurch verletzt, dass sich die Vorinstanz bei ihrer Beurteilung zu seinen Ungunsten auf eine Tatsache stützte, die nicht er, sondern die Klägerin hätte behaupten müssen. 
 
Ob das Sachgericht seiner rechtlichen Beurteilung auch unbehauptete, d.h. von Amtes wegen relevierte Tatsachen zugrunde legen oder Vorbringen einer Partei auch zu Gunsten der anderen beachten darf, sind Fragen der Prozessmaximen (insbesondere der konkreten Ausgestaltung der Verhandlungsmaxime), die - von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen - vom kantonalen Prozessrecht und nicht vom Bundesrecht beherrscht werden (BGE 116 II 196 E. 3a S. 201, 594 E. 3a S. 595; Kummer, Berner Kommentar, N. 40 zu Art. 8 ZGB; Schmid, Basler Kommentar, N. 31 zu Art. 8 ZGB). Sie werden daher von Art. 8 ZGB nicht erfasst und können demzufolge nicht mit Berufung aufgeworfen werden, so dass auf die entsprechende Rüge insgesamt nicht einzutreten ist. 
 
 
4.- Der Beklagte macht geltend, die Parteien seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass durch das Schreiben des Beklagten vom 8. Juli 1996 keine Schuld anerkannt worden sei. Dieser übereinstimmende innere Wille schliesse die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegung nach dem Vertrauensprinzip aus. Das Obergericht habe Art. 18 OR auch dadurch verletzt, dass es die Erklärung vom 8. Juli 1997 als Schuldanerkennung und nicht als Vergleichsvorschlag qualifiziert habe. 
 
a) Wie der Beklagte zutreffend darlegt, bestimmt sich der Inhalt von Willenserklärungen in erster Linie durch subjektive Auslegung, das heisst nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen (Art. 18 Abs. 1 OR). Erst wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (BGE 126 III 119 E. 2a S. 120 mit Hinweisen). 
 
Entgegen den Ausführungen des Beklagten stellte die Vorinstanz bezüglich des Schreibens vom 8. Juli 1996 indessen keinen übereinstimmenden tatsächlichen Willen fest. Der Beklagte macht überdies nicht geltend, dass er im kantonalen Verfahren ein übereinstimmendes subjektives Verständnis prozesskonform behauptet hat. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie nicht von einer tatsächlichen Willensübereinstimmung ausging, sondern ihrer Beurteilung den objektiven Sinngehalt der Erklärung des Beklagten zugrunde legte (BGE 123 III 35 E. 2b S. 40 e contrario). 
 
b) Nach Auffassung des Beklagten handelte es sich beim Schreiben vom 8. Juli 1996 um einen Vergleichsvorschlag. Dies gehe daraus hervor, dass dem Schreiben eine Rechnung für Schadenersatz in der Höhe von Fr. 150'000.-- beigelegen habe. Diesem Standpunkt ist mit der Vorinstanz entgegenzuhalten, dass der Beklagte im fraglichen Schreiben eine Reihe von Vorgängen bemängelt, welche sich allesamt während der ersten Hälfte des Jahres 1996 zugetragen hatten. Daraus leitete der Beklagte eine pauschale Schadenersatzforderung gegenüber der Klägerin von Fr. 150'000.-- ab, welche er dem von der Klägerin am 21. Dezember 1995 geltend gemachten Betrag von Fr. 93'045.-- gegenüberstellte. Aus dem Schreiben des Beklagten ergibt sich nichts, was nach Treu und Glauben darauf schliessen liesse, dass dieser die per Ende 1995 geltend gemachte Forderung der Klägerin bestreiten und einen Vergleich vorschlagen würde. Vielmehr ist nach dem Vertrauensprinzip aus dem Schreiben vom 8. Juli 1996 zu schliessen, dass der Beklagte zwar die Rechnung der Klägerin vom 21. Dezember 1995 anerkannte, aber auch auf einem Schadenersatzanspruch von Fr. 150'000.-- beharrte. Nachdem die Widerklage des Beklagten, welche diese Schadenersatzforderung zum Gegenstand hatte, rechtskräftig abgewiesen wurde, verstösst es nicht gegen Bundesrecht, wenn der Beklagte auf seiner den Werklohn betreffenden Schuldanerkennung behaftet wird. 
 
c) Der Beklagte erblickt eine Bundesrechtsverletzung darin, dass die Vorinstanz gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung den Wert der Arbeitsleistung der Klägerin als den Wert der Sachleistung übersteigend bezeichnet und daraus geschlossen hat, dass das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (Wiener Kaufrecht; SR 0.221.211.1) nicht anwendbar sei. Abgesehen davon, dass der Beklagte seine gegenteiligen tatsächlichen Behauptungen im kantonalen Verfahren verspätet vorgebracht hat, legt er nicht dar und ist - nachdem das Wiener Kaufrecht über Schuldanerkennungen unbestrittenermassen keine Bestimmungen enthält - auch nicht ersichtlich, inwiefern die Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts den Ausgang der vorliegenden Streitsache beeinflussen könnte. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob auf den zwischen den Parteien abgeschlossenen Werkvertrag das Wiener Kaufrecht anzuwenden wäre. 
 
 
 
5.- Damit erweisen sich die vom Beklagten vorgebrachten Rügen als unbegründet. Die Berufung ist deshalb abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beklagte kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 1. Oktober 1999 bestätigt. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird dem Beklagten auferlegt. 
 
3.- Der Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 17. Oktober 2000 
 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: