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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_510/2011 
 
Urteil vom 17. Oktober 2011 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Boner, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Rückzug des Strafantrags (Hausfriedensbruch) 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 26. Mai 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mitglieder der Jungsozialisten Aargau, darunter auch X.________, organisierten eine Hausbesetzung, um auf den Mangel an günstigem Wohnraum aufmerksam zu machen. Die Veranstaltung fand in der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 2009 in den Räumlichkeiten der A.________ in Baden statt. In diese war gegen den Willen der Berechtigten, der B.________ AG, eingedrungen worden. 
Die B.________ AG bestätigte am 17. Februar 2009 die am 25. und 28. Januar 2009 gestellten Strafanträge gegen Unbekannt. Sie erklärte mit Schreiben vom 14. Januar 2010 ihr Desinteresse an der Strafverfolgung der Medienschaffenden C.________ und D.________. Diese hätten sich nicht gegen ihren Willen in der A.________ aufgehalten. Der Strafantrag gegen Unbekannt sei vom Desinteresse an der Strafverfolgung der Journalisten nicht betroffen. Er solle bestehen bleiben. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau stellte am 9. Februar 2010 das Verfahren gegen C.________ und D.________ ein. Das Strafverfahren gegen die übrigen Beschuldigten führte es fort. 
 
B. 
Das Bezirksamt Baden verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom 11. Februar 2010 wegen Hausfriedensbruch zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 30.-- sowie zu einer Busse von Fr. 300.--. 
Auf Einsprache von X.________ hin bestätigte das Gerichtspräsidium Baden am 2. November 2010 diesen Strafbefehl. Das Obergericht des Kantons Aargau wies die von X.________ erhobene Berufung mit Urteil vom 26. Mai 2011 ab. 
 
C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, (a) das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 26. Mai 2011 sei aufzuheben, und das Strafverfahren gegen sie sei einzustellen. Eventualiter sei sie von Schuld und Strafe freizusprechen. Subeventualiter sei von einer Bestrafung Umgang zu nehmen. (b) Eventualiter seien die Akten an die Vorinstanz zur Einstellung des Strafverfahrens zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Schweizerische Strafprozessordnung trat am 1. Januar 2011 in Kraft (StPO; SR 312.0). Ist ein Entscheid vor Inkrafttreten der StPO gefällt worden, werden Rechtsmittel dagegen nach bisherigem Recht, von den bisher zuständigen Behörden, beurteilt (Art. 453 Abs. 1 StPO). Für Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheide, die nach dem 1. Januar 2011 gefällt wurden, gilt neues Recht (Art. 454 Abs. 1 StPO). Ausschlaggebend für die Anwendbarkeit des alten oder neuen Verfahrensrechts ist insofern das erstinstanzliche Entscheiddatum (Urteil 1B_412/2010 vom 4. April 2011 E. 1 mit Hinweisen). Das Urteil des Gerichtspräsidiums Baden erging am 2. November 2010, weshalb vorliegend das Gesetz über die Strafrechtspflege des Kantons Aargau vom 11. November 1958 anwendbar ist. 
 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 33 Abs. 3 StGB. Sie macht geltend, der Strafantrag der B.________ AG sei wegen der Verletzung des Grundsatzes der Unteilbarkeit ungültig. Die Erklärung der Antragstellerin, wonach sie kein Interesse an der Strafverfolgung der Journalisten habe (Desinteresse-Erklärung), sei bei einem Antragsdelikt - wie dem Hausfriedensbruch - als Rückzug des Strafantrags zu qualifizieren. Ein solcher Rückzug gelte gemäss dem Grundsatz der persönlichen Unteilbarkeit gegenüber allen Tatbeteiligten, deshalb falle auch eine Strafverfolgung gegen sie (selber) ausser Betracht (Beschwerde S. 5-10). 
 
2.2 Die Vorinstanz stellt fest, die Antragstellerin habe ihr Desinteresse an der Strafverfolgung der beiden Journalisten erklärt, weil sich jene nicht gegen ihren Willen in ihren Räumlichkeiten aufgehalten hätten. Zudem habe die Antragstellerin ausgeführt, der Strafantrag gegen Unbekannt werde davon nicht berührt und bleibe bestehen. Die Vorinstanz schliesst hieraus, die Desinteresse-Erklärung stelle somit keinen Rückzug des Strafantrags dar. Die Antragstellerin sei sich der Unteilbarkeit des Strafantrags bewusst gewesen, ansonsten sie in ihrem Schreiben nicht explizit die Begriffe Desinteresse-Erklärung und Strafantrag auseinandergehalten hätte. Die Staatsanwaltschaft und das Bezirksamt hätten diese Erklärung ebenfalls nicht als Rückzug verstanden. Die Strafverfahren gegen die Journalisten seien primär eingestellt worden, weil diese in Ausübung ihrer Berufspflichten an der Veranstaltung gewesen seien (angefochtenes Urteil S. 6 E. 3.3). 
 
2.3 Stellt ein Antragsberechtigter gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, sind alle Beteiligten zu verfolgen (Art. 32 StGB, sog. Unteilbarkeitsgrundsatz). Der Verletzte soll nicht nach Belieben einzelne Tatbeteiligte herausgreifen und unter Ausschluss der anderen bestrafen lassen können (BGE 121 IV 150 E. 3a/aa mit Hinweisen). Beteiligte im Sinne von Art. 32 StGB (aArt. 30 StGB) sind Mittäter, Anstifter und Gehilfen (Urteil 6S.490/2002 vom 9. Januar 2004 E. 7.2; CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 2. Aufl. 2007, N. 12 zu Art. 32 StGB; DERSELBE, Der Strafantrag, Diss. Freiburg 2004, S. 618 f.). 
Beim Rückzug des Strafantrags handelt es sich um eine Willenserklärung. Der Wille, den Strafantrag zurückzuziehen, muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen (BGE 89 IV 57 E. 3a). Zieht die antragsberechtigte Person ihren Antrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug gemäss Art. 33 Abs. 3 StGB für alle Beschuldigten. Der Unteilbarkeitsgrundsatz soll nicht dadurch umgangen werden können, dass zwar Antrag gegen alle Beteiligten gestellt, dieser aber in Bezug auf einzelne wieder zurückgezogen wird. Es gilt ausnahmslos die Unteilbarkeit des Rückzugs (BGE 132 IV 97 E. 3.3.1 mit Hinweisen und E. 3.3.3 S. 101). 
 
2.4 Unbestritten ist, dass die Antragsberechtigte wegen der Vorkommnisse vom 24./25. Januar 2009 Strafantrag gegen Unbekannt stellte. Da somit das Antragsrecht ausgeübt worden ist, kann darauf nicht mehr nach Art. 30 Abs. 5 StGB verzichtet werden. Es bleibt lediglich die Möglichkeit des Rückzugs des Strafantrags (BGE 86 IV 145; CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 2. Aufl. 2007, N. 75 zu Art. 30 StGB mit Hinweisen). Der Einwand der Beschwerdeführerin, die Desinteresse-Erklärung stelle einen Verzicht auf das Einreichen eines Strafantrags dar (Beschwerde S. 7 Ziff. 2.7, S. 8 Ziff. 3.2 und S. 10 Ziff. 3.4), ist daher unbehelflich. Die Erklärung der Antragstellerin, mit welcher sie auf ihr fehlendes Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der beiden Medienvertreter hinwies, qualifiziert die Vorinstanz zu Recht nicht als Rückzug. In dieser Erklärung kommt nicht zum Ausdruck, den Strafantrag zurückziehen zu wollen. Vielmehr wird darin sogar klargestellt, von der Desinteresse-Erklärung sei der Strafantrag gegen Unbekannt nicht betroffen und bleibe bestehen. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach solche Erklärungen bei Antragsdelikten zwingend als Rückzug des Strafantrags zu verstehen seien (Beschwerde S. 7 Ziff. 2.7 und S. 9 Ziff. 3.3), kann nicht gefolgt werden. Unabhängig vom Unteilbarkeitsgrundsatz kann der Antragsteller in Bezug auf einen Beschuldigten die Einstellung des Verfahrens beantragen, wenn er in dessen Verlauf zum Schluss gelangt, die Voraussetzungen der Strafverfolgung seien diesem gegenüber nicht (mehr) gegeben. Ein solches Einstellungsbegehren darf nicht in einen Rückzug des Strafantrags uminterpretiert werden (BGE 132 IV 97 E. 3.3.3 S. 101). Gleiches gilt für die weniger weit reichende Desinteresse-Erklärung, mit welcher die Antragstellerin lediglich ihr fehlendes Strafverfolgungsinteresse in Bezug auf die Medienschaffenden zum Ausdruck brachte. Sie stellt weder eine Umgehung des Unteilbarkeitsgrundsatzes dar (Beschwerde S. 8 f. E. 3.2), noch steht sie im Widerspruch zum Weiterbestehen des Strafantrags. 
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen verfügte die Staatsanwaltschaft am 9. Februar 2010 die Einstellung der Strafverfahren gegen C.________ und D.________. Beide seien an der Veranstaltung gewesen, um in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten als Medienschaffende über die Geschehnisse zu berichten. Die Antragstellerin habe dargelegt, die beiden hätten sich nicht gegen ihren Willen in den Räumlichkeiten befunden und habe ihr Desinteresse an der Strafverfolgung der beiden erklärt. Deswegen seien die Verfahren gegen sie einzustellen (angefochtenes Urteil S. 6 E. 3.2.3; Einstellungsverfügungen vom 9. Februar 2010, kantonale Akten). Die Verfahren gegen die beiden Journalisten wurden damit nicht wegen eines ungültigen oder zurückgezogenen Strafantrags eingestellt. Insofern kann die Beschwerdeführerin aus den Einstellungen nichts zu ihren Gunsten ableiten, selbst wenn die Desinteresse-Erklärung der Antragstellerin dafür relevant gewesen sein sollte (Beschwerde S. 8 ff. Ziff. 3.2-3.4). Es hat keinen Einfluss auf den Fortbestand des Strafantrags gegenüber den andern Beteiligten, wenn ein Mitbeteiligter von den Behörden nicht verfolgt wird (Urteil 6S.490/2002 vom 9. Januar 2004 E. 7.2 zweiter Abschnitt mit Hinweis). Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie den Strafantrag trotz der Desinteresse-Erklärung der Antragstellerin und der Verfahrenseinstellungen als gültig erachtet. 
 
3. 
3.1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Strafzumessung. Sie macht geltend, die ausgefällte Geldstrafe von 20 Tagessätzen sowie die Busse von Fr. 300.--, sei unhaltbar hoch. Die Vorinstanz stufe ihr Verschulden zu Unrecht nicht als äusserst gering ein (Beschwerde S. 10 f. Ziff. 4.1 f.). 
 
3.2 Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung mehrfach dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff.; 135 IV 130 E. 5.3.1 je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. 
 
3.3 Die Vorinstanz geht - mit Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Entscheid - von einem Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren aus. Sie legt sowohl die Tat- als auch die Täterkomponenten zutreffend und vollständig dar. Auf diese Erwägungen kann verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG; angefochtenes Urteil S. 7 ff. E. 4.3; erstinstanzlicher Entscheid S. 8 ff. E. 3). Die Vorinstanz qualifiziert das Verschulden der Beschwerdeführerin als nicht leicht, was nicht zu beanstanden ist. Sie erwägt zutreffend, diese habe ihre politischen Anliegen ohne Rücksicht auf die Rechte der Eigentümerin durchgesetzt. Die Beschwerdeführerin hätte Letztere problemlos um Erlaubnis bitten können, in ihren Räumlichkeiten eine politische Aktion durchführen zu dürfen. Nicht massgeblich sei, dass das Gebäude seit rund zehn Jahren leer gestanden und von anderen Personen unbehelligt benutzt worden sei. Die Beschwerdeführerin sei eine Mitorganisatorin der Veranstaltung gewesen. Sie habe sich ausserdem nicht bloss für kurze Zeit in der A.________ aufgehalten. Indem die Vorinstanz die Geldstrafe auf zwanzig Tagessätze festlegt, verletzt sie kein Bundesrecht. Dies wird durch den Verweis der Beschwerdeführerin auf in anderen Fällen ausgesprochene Strafen auch nicht in Frage gestellt (Beschwerde S. 10 f. E. 4.1). Da die Strafzumessung auf einer individualisierten Beurteilung aller massgeblichen Umstände beruht, sind Unterschiede in der Strafzumessungspraxis als Ausdruck des Rechtssystems hinzunehmen (BGE 135 IV 191 E. 3.1 S. 193 mit Hinweisen). Die Rüge der Beschwerdeführerin ist unbegründet. 
 
3.4 Die Beschwerdeführerin beruft sich auf Art. 52 StGB und macht sinngemäss geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht nicht von einer Bestrafung abgesehen (Beschwerde S. 11 E. 5). Die Nichtanwendung von Art. 52 StGB verletzt kein Bundesrecht, zumal das Verschulden der Beschwerdeführerin nicht leicht wiegt (E. 3.3 hiervor). Voraussetzung für die Strafbefreiung und Einstellung des Verfahrens gemäss Art. 52 StGB ist die Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (BGE 135 IV 130 E. 5.3.2 mit Hinweisen). 
 
4. 
Die Beschwerdeführerin wendet sich schliesslich gegen die vollumfängliche Auferlegung der aus ihrer Sicht unverhältnismässigen Untersuchungskosten auf die Tatbeteiligten (Beschwerde S. 11 Ziff. 4.3). Die Kosten- und Entschädigungsfolgen im kantonalen Verfahren bestimmen sich vorliegend nach kantonalem Recht (E. 1 hiervor). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts prüft es grundsätzlich nicht frei, sondern nur unter der beschränkten Kognition der Willkür (siehe Art. 95 BGG). Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, welche kantonalrechtlichen Bestimmungen inwiefern durch den angefochtenen Entscheid verletzt bzw. willkürlich angewendet worden sein sollen. Mangels rechtsgenügender Begründung ist auf die Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten. 
 
5. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 17. Oktober 2011 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini