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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_85/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 18. Februar 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Bernard, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich, Tösstalstrasse 163, 8400 Winterthur,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Anordnung einer vorsorglichen Unterbringung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 27. Dezember 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Jugendgericht Zürich verurteilte X.________ (geb. 1995) am 8. November 2012 u.a. wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten. Es ordnete neben einer ambulanten Behandlung eine offene Unterbringung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 JStG an, und zwar in Fortführung des im Urteilszeitpunkt bereits laufenden Massnahmesettings bei der Therapieeinrichtung A.________. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob das Jugendgericht zugunsten der Massnahme auf. 
Am 25. August 2013 strahlte das Schweizer Fernsehen einen Dokumentarfilm über die Arbeit des für X.________ zuständigen Jugendanwalts aus. Thematisiert wurde u.a. dessen Umgang mit dem Jugendlichen genannt "Carlos" im Rahmen des für diesen spezifisch installierten Massnahmesondersettings. Die Medien griffen den Fall in der Folge auf. Auf Kritik stiessen namentlich die Höhe der Kosten und die Ausgestaltung des Sondersettings. 
Am 30. August 2013 wies die Jugendanwaltschaft Zürich X.________ vorübergehend in das Gefängnis Limmattal ein. Das Obergericht des Kantons Zürich wies eine dagegen erhobene Beschwerde am 4. September 2013 ab. Das Bundesgericht trat auf eine Beschwerde von X.________ nicht ein (Urteil 6B_840/2013 vom 10. September 2013). Die Versetzung in das Gefängnis wurde zweimal verlängert bis längstens am 30. November 2013. 
 
B.   
Am 19. November 2013 eröffnete die Jugendanwaltschaft Zürich ein Massnahmeabänderungsverfahren und verfügte die vorsorgliche Unterbringung von X.________ in eine geschlossene Einrichtung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 und 2 JStG. Am 21. November 2013 wurde er in die geschlossene Abteilung des Massnahmezentrums Uitikon (MZU) eingewiesen. Die Jugendanwaltschaft begründete ihr Vorgehen damit, die Sicherheit des Jugendlichen und Dritter vor schwerwiegender Gefährdung könne anders nicht hinreichend gewährleistet werden. Weil X.________ am bisherigen Massnahmesetting festhalte und eine andere offene Unterbringung ablehne, sei er vorübergehend geschlossen einzuweisen. Es sei gutachterlich abzuklären, wo der Jugendliche heute stehe. 
Das Obergericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde von X.________ am 27. Dezember 2013 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Sondersetting bei der Therapieeinrichtung A.________ sei wieder zu installieren und er sei per sofort, spätestens jedoch per 28. Februar 2014, dahin zurückzuversetzen. Eventualiter und subeventualiter sei der obergerichtliche Beschluss aufzuheben und die Vorinstanz und die Jugendanwaltschaft des Kantons Zürich seien anzuweisen, ihn per sofort bzw. per 28. Februar 2014, spätestens jedoch per 31. März 2014, in einer andern offenen Anstalt zu platzieren. Andernfalls sei er für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuss zu setzen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
D.   
Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Oberjugendanwaltschaft beantragt deren Abweisung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid ist ein Zwischenentscheid in einer Strafvollzugssache im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG. Gegen einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid ist die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Diese Voraussetzung ist bei der vorsorglichen Einweisung in eine geschlossene Einrichtung erfüllt. Auf die Beschwerde in Strafsachen kann grundsätzlich eingetreten werden. 
 
2.   
Streitgegenstand vor Bundesgericht bildet einzig die Überprüfung der vorübergehenden Unterbringung des Beschwerdeführers in die geschlossene Abteilung der Massnahmeeinrichtung Uitikon. Es handelt sich um eine vorsorgliche Massnahme nach Art. 98 BGG. Gerügt werden kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte (vgl. Urteile 1B_32/2011 vom 15. Februar 2011 E. 1.2 und 1B_245/2012 vom 22. Mai 2012 E. 1.2.2). Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang insbesondere eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 sowie Art. 9 BV) sowie der Verfahrensfairness (Art. 29 BV) geltend. Soweit er mit seinen Vorbringen über den im bundesgerichtlichen Verfahren eng begrenzten Streitgegenstand hinausgeht und/oder er sich nicht an die in Art. 98 BGG vorgesehene Beschränkung der Rügegründe hält, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten. 
 
3.   
Nach dem allgemeinen Verfassungsgrundsatz von Art. 5 Abs. 3 BV haben staatliche Organe nach Treu und Glauben zu handeln. Art. 9 BV gewährleistet jeder Person den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden. Nach Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung. 
 
4.   
Die Schutzmassnahmen für Jugendliche sind in den Art. 12 ff. JStG geregelt. Sie umfassen u.a. die offene und die geschlossene Unterbringung (Art. 15 JStG). Die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung darf gemäss Art. 15 Abs. 2 JStG nur angeordnet werden, wenn sie für den persönlichen Schutz oder für die Behandlung der psychischen Störung des Jugendlichen unumgänglich (lit. a) oder für den Schutz Dritter vor schwer wiegender Gefährdung durch den Jugendlichen notwendig ist (lit. b). Nach Art. 15 Abs. 3 JStG ordnet die urteilende Behörde vor der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung eine medizinische oder psychologische Begutachtung des Jugendlichen an, falls eine solche nicht bereits erstellt wurde. 
Als für den Schutz des Jugendlichen unumgänglich (i.S.v. Art. 15 Abs. 2 lit. a JStG) kann sich eine vorsorgliche stationäre Massnahme etwa erweisen, wenn er während einer laufenden Schutzmassnahme immer wieder entweicht, da insoweit nur mittels Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung sichergestellt werden kann, dass der Jugendliche die erforderliche psychotherapeutische Behandlung erhält (Urteil 1B_32/2011 vom 15. Februar 2011 E. 2.7). Eine vorsorgliche Massnahme kann sich (besonders bei Drittgefährdung im Sinne von Art. 15 Abs. 2 lit. b JStG) auch aufdrängen, wenn ein Jugendlicher jegliche Zusammenarbeit verweigert, therapeutisch-erzieherisch "unerreichbar" ist und zudem weitere schwere Delikte begeht bzw. sich in immer grössere Schwierigkeiten verstrickt. Zwar wird die Möglichkeit einer kurzfristigen vorläufigen Unterbringung "in Krisensituationen" in einer geschlossenen Einrichtung in Art. 15 Abs. 2 JStG nicht ausdrücklich erwähnt. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich jedoch eine entsprechende Kompetenz der zuständigen Behörde (etwa bis zum Vorliegen einer psychiatrischen Begutachtung oder zur Bewältigung einer akuten Krise bzw. zur Planung und Einleitung der geeigneten Schutzmassnahmen). Kurzfristig bzw. vorübergehend bedeutet nach der bisherigen Praxis ca. 3-6 Monate (Urteil 1B_437/2011 vom 14. September 2011 E. 4.2 mit Hinweisen auf die Lehre). 
 
5.  
 
5.1. Die Vorinstanz schützt die vorsorgliche Einweisung des Beschwerdeführers in die geschlossene Abteilung des MZU im Wesentlichen mit der Begründung, nach einer über einjährigen Betreuung im Sondersetting sei es legitim, eine Standortbestimmung zur weiteren Massnahmeplanung unter erneuter Abklärung der Risiken und der Legalprognose vorzunehmen. Es bedürfe hierzu einer erneuten Begutachtung des Beschwerdeführers (Entscheid, S. 14 ff.).  
 
5.2. Am 8. November 2012 wurde über den Beschwerdeführer eine offene Unterbringung gemäss Art. 15 Abs. 1 JStG angeordnet. Das Jugendgericht stützte sich im Wesentlichen auf das forensisch-psychiatrische Aktengutachten vom 12. Mai 2012. Der Gutachter stufte den Beschwerdeführer als eindeutig massnahmebedürftig und als rückfallgefährlich ein, wenn keine adäquaten Massnahmen ergriffen würden. Er empfahl eine 1:1 Betreuung. Die gutachterlichen Vorgaben wurden umgesetzt und die angeordnete Schutzmassnahme im Rahmen des Massnahmesettings bei der Therapieeinrichtung A.________ vollzogen. Das Jugendgericht wertete das im Zeitpunkt des Urteils von der Jugendanwaltschaft bereits installierte Massnahmesetting als erfolgversprechend und ordnete dessen Fortführung an (kantonale Akten, act. 4/1, Urteil des Jugendgerichts Zürich vom 8. November 2012, S. 20 ff., S. 22). Die Einschätzung des Jugendgerichts zum positiven Verlauf der Massnahme teilt die Vorinstanz. Sie hebt in ihrem Entscheid (S. 4, 18) hervor, dass die Massnahme im Sondersetting bei der Therapieeinrichtung A.________ bis zur Inhaftierung des Beschwerdeführers erfreulich verlief.  
 
5.3. Der Vollzug aller Schutzmassnahmen richtet sich nach dem übergeordneten Vollzugsziel der Sozialintegration des Jugendlichen und der Verhinderung eines Rückfalls. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, ist es zulässig und geboten, eine Schutzmassnahme im Hinblick auf die weitere Massnahmeplanung in geeigneter Weise zu überprüfen. Die Entwicklung von Jugendlichen ist nicht abgeschlossen, sondern stetig im Fluss, und ihre persönlichen Verhältnisse können sich - insbesondere auch unter dem Einfluss einer Massnahme - sehr schnell ändern. Die (laufende) Schutzmassnahme darf und muss daher auf ihre Wirkungen auf die Persönlichkeit und Entwicklung des Jugendlichen und damit auf ihre Zweckmässigkeit hin überprüft werden können. Dies gilt umso mehr, wenn wie hier ein auf die speziellen Bedürfnisse des Jugendlichen ausgerichtetes Massnahmesondersetting installiert wurde. Wenn die Vorinstanz mit der Jugendanwaltschaft deshalb davon ausgeht, nach 13-monatigem Massnahmevollzug im Sondersetting sei eine erneute Standortbestimmung zur Abklärung der Risiken und Legalprognose erforderlich (Entscheid, S. 17), ist dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden, selbst wenn die gerichtlich angeordnete Massnahme wie hier einen positiven Verlauf aufweist.  
 
5.4. Dass ein Abklärungsbedarf zur weiteren Massnahmeplanung besteht, vermag indes die seit Monaten geschlossene Unterbringung des Beschwerdeführers weder zu erklären noch zu rechtfertigen. Dieser verhielt sich im Sondersetting der gerichtlich angeordneten Massnahme nach Art. 15 Abs. 1 JStG verlässlich und stabil und zeigte persönliche und schulische Fortschritte (kantonale Akten, act. 9/1, Bericht Oberjugendanwaltschaft, S. 4). Er liess sich mit andern Worten, auch in deliktischer Hinsicht, nichts Relevantes zuschulden kommen (vgl. vorstehend E. 4; Entscheid, S. 18). Die von der Vorinstanz und der Jugendanwaltschaft als nötig beurteilte Begutachtung hätte deshalb im Rahmen der laufenden Schutzmassnahme stattfinden können und müssen. Dass es nicht dazu kam, hat nicht der Beschwerdeführer zu verantworten. Der abrupte Abbruch des Sondersettings steht in keinem Zusammenhang mit seinem eigenen Verhalten, welches eine geschlossene Unterbringung im Sinne einer Krisenintervention vorübergehend erlaubt und zum Wohle des Jugendlichen geboten hätte. Der Settingabbruch und die damit einhergehende vorsorgliche Einweisung in die geschlossene Abteilung des MZU war vielmehr Folge der kritischen medialen Berichterstattung und des wachsenden öffentlichen Drucks. Dass der Beschwerdeführer den unvermittelten Massnahmeabbruch als unfair empfindet, ist grundsätzlich nachvollziehbar und kann jedenfalls nicht zur Rechtfertigung der geschlossenen Unterbringung (zwecks Begutachtung) herangezogen werden. Die Einweisung des Beschwerdeführers in die geschlossene Abteilung des MZU, welche einen schweren Eingriff in seine Persönlichkeits- und Freiheitsrechte darstellt, beruht damit im Ergebnis auf sachfremden Gründen. Sie steht im Widerspruch mit den als verletzt gerügten verfassungsmässigen Rechten und ist deshalb aufzuheben. Um die dafür notwendigen organisatorischen Vorkehren zu ermöglichen, ist eine kurze Frist von 10 Tagen zu gewähren.  
 
6.  
Die Beschwerde ist im Sinne der Erwägungen gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss dem Rechtsvertreter auszurichten. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. Dezember 2013 wird aufgehoben. Die Vorinstanz hat dafür besorgt zu sein, dass der Beschwerdeführer unverzüglich, spätestens innert 10 Tagen ab Erhalt dieses Urteils, aus der vorsorglichen geschlossenen Unterbringung entlassen wird. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben. 
 
3.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.   
Der Kanton Zürich hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Stephan Bernard, eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. Februar 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill