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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_675/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 18. April 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zug, 
Baarerstrasse 11, 6300 Zug, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug 
vom 25. August 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ bezog vom 1. November 2004 bis 31. Mai 2005 eine ganze Rente und ab 1. Juni 2005 eine halbe Rente der Invalidenversicherung samt einer Kinderrente. Nachdem ein erstes Gesuch abgewiesen worden war (Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zug vom 23. Februar 2011, vom Bundesgericht letztinstanzlich bestätigt mit Urteil 9C_530/2012 vom 23. September 2012), beantragte er im August 2014 erneut eine Rentenerhöhung wegen eines verschlechterten Gesundheitszustandes. Nach Abklärungen und durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach ihm die IV-Stelle mit Verfügung vom 17. März 2016 für die Zeit vom 1. August 2014 bis 29. Februar 2016 eine ganze Rente und ab 1. März 2016 eine halbe Rente zu. 
 
B.   
Die Beschwerde des A.________ hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 25. August 2016 in dem Sinne gut, dass es die Verfügung vom 17. März 2016 insoweit abänderte, als es ab dem 1. März 2016 den Anspruch auf eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung bejahte. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, der Entscheid vom 25. August 2016 sei aufzuheben und ihm rückwirkend ab 1. Februar 2012 sowie über den 29. Februar 2016 hinaus eine ganze Rente zuzusprechen. 
Die IV-Stelle des Kantons Zug ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
A.________ hat in einer weiteren Eingabe Bemerkungen zu den Ausführungen der IV-Stelle gemacht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Streitgegenstand bildet die revisionsweise Erhöhung der halben Rente der Invalidenversicherung auf eine ganze Rente ab 1. August 2014 bis 29. Februar 2016 bzw. eine Dreiviertelsrente ab 1. März 2016 (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 125 V 413 E. 2d S. 416). Dabei ist der Zeitraum mit Anspruch auf eine ganze Rente einer Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen (Art. 107 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer beantragt bereits ab 1. Februar 2012 und über den 29. Februar 2016 hinaus unbefristet eine ganze Rente. 
 
2.   
Mit Bezug auf den Beginn der ganzen Rente stellt sich die Frage, ob die Beschwerdegegnerin im Februar oder spätestens Juni 2012 ein Revisionsverfahren hätte einleiten müssen mit der Folge, dass die halbe Rente allenfalls bereits ab diesem Zeitpunkt zu erhöhen ist   (Art. 88bis Abs. 1 lit. b IVV). 
 
2.1. Ändert sich der Invaliditätsgrad der Bezügerin oder des Bezügers einer Rente der Invalidenversicherung erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 IVG und Art. 2 ATSG). Eine Rentenrevision wird von Amtes wegen durchgeführt, u.a. wenn Tatsachen bekannt oder Massnahmen angeordnet werden, die eine erhebliche Änderung des Grades der Invalidität als möglich erscheinen lassen (Art. 87 Abs. 1 lit. b IVV).  
 
2.1.1. Die IV-Stelle hat das Datum, das - von Amtes wegen oder auf Gesuch hin - Anlass für die Durchführung eines Revisionsverfahrens gibt, in ihren Akten zu erfassen (Art. 46 ATSG; vgl. auch Urteil 9C_570/2016 vom 5. Dezember 2016 E. 5). Dabei ist nicht danach zu differenzieren, ob eine Tatsachenänderung zu einer Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung der Rente führt. Für die Frage, ob von Amtes wegen ein Revisionsverfahren einzuleiten ist, kann daher nicht entscheidend sein, wie sich eine bestimmte der IV-Stelle bekannt gewordene Tatsache auf den Rentenanspruch auswirken kann. Dementsprechend kann das Beweismass in Bezug auf das Tatbestandselement "die eine erhebliche Änderung des Grades der Invalidität als möglich erscheinen lassen" nicht unterschiedlich sein, je nachdem in welchem Sinne allenfalls eine Rentenanpassung zu erfolgen hat.  
 
2.1.2. Nach Art. 87 Abs. 2 IVV hat, wer ein Gesuch um Revision der Rente einreicht, darin glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat. Wird vom formellen Erfordernis der Einreichung eines Gesuchs abgesehen, können Art. 87 Abs. 2 IVV und Art. 87 Abs. 1 lit. b IVV spiegelbildlich zueinander gesehen werden, und zwar im folgenden Sinne: Tatsachen, mit welchen glaubhaft gemacht ist, dass der Grad der Invalidität in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat, sind gleichzeitig solche, die eine erhebliche Änderung des Grades der Invalidität als möglich erscheinen lassen. Diese Betrachtungsweise relativiert zum einen die Bedeutung eines formellen Revisionsgesuchs; zum anderen spricht nichts dagegen, die Grundsätze zum Umfang der Abklärungspflicht der IV-Stelle nach Art. 87 Abs. 2 IVV (vgl. statt vieler Urteil 8C_531/2013 vom 10. Juni 2014 E. 4.1.4) auch im Rahmen von      Art. 87 Abs. 1 lit. b IVV sinngemäss anzuwenden.  
 
2.2. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen, insoweit unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) hatte der Beschwerdeführer im Februar 2012 der Beschwerdegegnerin telefonisch mitgeteilt, er habe die Anpassung der Hörgeräte, wofür er um Kostengutsprache ersucht hatte, krankheitsbedingt nicht zu Ende bringen können, wolle dies jedoch nachholen. Bei einem weiteren Telefongespräch im Mai 2012 bestätigte er, die Anpassung nicht abbrechen zu wollen, wobei er erwähnte, er sei sehr lange im Spital gewesen und "müsse jetzt wieder gehen". Er werde sich um eine entsprechende Bestätigung seines Arztes bemühen. Am 15. Juni 2012 reichte der Beschwerdeführer ein ärztliches Zeugnis des orthopädischen Chirurgen Dr. med. B.________ vom selben Tag ein, wonach er wegen eines Unfalls bei diesem in Behandlung stehe und seit dem 21. März 2011 bis auf Weiteres zu 100 % arbeitsunfähig sei.  
 
2.3. Nach den Darlegungen in E. 2.1 hiervor bestand für die Beschwerdegegnerin spätestens im Juni 2012 Anlass, von Amtes wegen ein Revisionsverfahren einzuleiten, wie der Beschwerdeführer vorbringt. Die fehlende Erfassung in den Akten geht nicht zu seinen Lasten:  
 
2.3.1. Eine  fachärztlich bestätigte Arbeitsunfähigkeit von 100 % seit mehr als vierzehn Monaten stellt einen Umstand dar, der geeignet ist, den Invaliditätsgrad erheblich zu ändern. Wenn die Vorinstanz argumentiert, der Beschwerdeführer habe nicht explizit eine dauerhafte Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geltend gemacht, verkennt sie die Rechtslage. Eine Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit ist zu berücksichtigen, sobald sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate gedauert hat (Art. 88a Abs. 2 erster Satz IVV). Dabei ist im Unterschied zu dem in Absatz 1 dieser Bestimmung geregelten Tatbestand der Verbesserung der Erwerbsfähigkeit nicht verlangt, dass die Änderung, nachdem sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat, voraussichtlich weiterhin andauern muss. Das gesetzliche Erfordernis einer auf Dauer gerichteten Änderung ist mit Ablauf der dreimonatigen Wartezeit grundsätzlich erfüllt (Urteil 9C_530/2012 vom 21. September 2012 E. 5.2).  
 
2.3.2. Weiter kann im Kontext offensichtlich nicht von Bedeutung sein, dass der Beschwerdeführer seine Äusserungen im Zusammenhang mit der Hörgeräteanpassung gemacht hatte. Es kann sich insoweit nicht anders verhalten als bei der Frage, welche Leistungsansprüche mit der Anmeldung bei der Invalidenversicherung nach den gesamten Umständen im Lichte von Treu und Glauben als genügend substanziiert und damit ein für allemal als gewahrt zu gelten haben (BGE 121 V 195 E. 2 S. 196; Urteil 9C_286/2016 vom 9. Februar 2017 E. 3.1). Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, wenn sie ausführt, die Beschwerdegegnerin habe weder über Angaben zur Art des erlittenen Unfalls noch zu den erlittenen Verletzungen und zu den Spitalaufenthalten verfügt. Sie sei aufgrund der wenigen Informationen nicht verpflichtet gewesen, von sich aus Nachforschungen anzustellen. Im  fachärztlichen Zeugnis vom 15. Juni 2012 wurde eine "  wegen Unfall (s) " seit dem 21. März 2011 und bis auf Weiteres bestehende Arbeitsunfähigkeit von 100 % bescheinigt. Hätte der Beschwerdeführer ein Revisionsgesuch eingereicht und dieses Dokument beigelegt, wäre die Beschwerdegegnerin entweder ohne Weiterungen darauf eingetreten oder sie hätte, wenn sie damit allein eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht als glaubhaft gemacht erachtete, den Versicherten auf das Erfordernis einer rechtsgenüglichen (substanziierten) Darlegung hinweisen müssen (vgl. E. 2.1.2 in fine).  
 
2.4. Nach dem Gesagten ist von einem (frühest möglichen) Rentenbeginn im Juni 2012 auszugehen. Für die Zeit bis 31. Juli 2014 wird die Vorinstanz über den Umfang des Rentenanspruchs neu zu entscheiden haben. Insofern ist die Beschwerde begründet.  
 
3.   
Hinsichtlich des Umfangs des Rentenanspruchs ab 1. März 2016 ist einzig umstritten, wie der Invaliditätsgrad (für die Zeit ab Dezember 2015 mit Wirkung ab 1. März 2016; Art. 88a Abs. 1 IVV) zu ermitteln ist. 
 
3.1. Die Vorinstanz ist in der gleichen Weise vorgegangen wie im Urteil 9C_530/2012 vom 21. September 2012 E. 6. Ausgehend davon, dass die beiden Vergleichseinkommen, Validen- und Invalideneinkommen (BGE 125 V 146 E. 2a S. 149; Art. 16 ATSG i.V.m. Art. 28a Abs. 1 IVG), auf der Grundlage derselben statistischen Durchschnittslöhne zu ermitteln sind, hat es den Invaliditätsgrad mit dem Grad der Arbeitsunfähigkeit von 50 % (= 100 % - Grad der Arbeitsfähigkeit) unter Berücksichtigung des Abzugs vom Tabellenlohn gemäss BGE 126 V 75 von 20 %, d.h. gekürzt mit dem Faktor (100 % - 20 %) /100 %, gleichgesetzt. Dies lässt sich vereinfacht schreiben als (1 - 0.5 x 0.8) x 100 %, was 60 % ist und Anspruch auf eine Dreiviertelsrente gibt (Art. 28 Abs. 2 IVG).  
 
3.2.  
 
3.2.1. Entgegen den Vorbringen in der Beschwerde ist diese erstmals im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 1/03 vom 15. April 2003 E. 5.2 dargelegte und praktizierte Vorgehensweise kein Prozentvergleich im Sinne von BGE 104 V 135 E. 2b S. 137. Vielmehr geht es um eine rein rechnerische Vereinfachung, welche den Umstand ausnützt bzw. darauf beruht, dass beide Vergleichseinkommen, somit auch das Valideneinkommen, ausgehend vom selben statistischen Durchschnittslohn zu bestimmen sind (illustrativ Urteil 9C_882/2010 vom 25. Januar 2011 E. 7.1-3). Es kann insofern auch nicht von einer "Variante des Einkommensvergleichs" gesprochen werden. Ebenfalls ungenau und missverständlich ist zu sagen, der Prozentvergleich biete sich namentlich an, wenn Validen- und Invalideneinkommen ausgehend vom gleichen Tabellenlohn (LSE) zu berechnen seien (so aber Urteil 8C_628/2015 vom 6. April 2016 E. 5.3.5). Wie der Beschwerdeführer im Übrigen selber festhält, wären vorliegend die Voraussetzungen für einen Prozentvergleich im Sinne von BGE 104 V 135 E. 2b S. 137 nicht gegeben.  
 
3.2.2. Soweit die Ermittlung des Valideneinkommens auf tabellarischer Grundlage bestritten und geltend gemacht wird, es sei auf die Verhältnisse vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung abzustellen, wird mit keinem Wort Bezug auf die diesbezüglichen Erwägungen in E. 12 des angefochtenen Entscheids genommen. Insoweit genügt die Beschwerde der Rüge- und Begründungspflicht nicht (Art. 42 Abs. 2 sowie Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 133 II 249 E. 1.4.1 und E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen). Namentlich äussert sich der Beschwerdeführer nicht zur Annahme des kantonalen Verwaltungsgerichts, es bestünde ein dem Anforderungsprofil aus medizinischer Sicht entsprechendes genügend breites Spektrum von erwerblichen Tätigkeiten auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt (zu diesem Begriff BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70), was Voraussetzung für das Heranziehen von Tabellenlöhnen ist (vgl. Urteil 9C_487/2014 vom 29. Dezember 2014 E. 3.1.2). Ebenso sagt er nichts zum Abzug vom Tabellenlohn, welchen die Vorinstanz aufgrund der seit der Verfügung vom 23. Februar 2011 hinzugetretenen, nicht unerheblichen körperlichen Beschwerden leidensbedingt von 15 % auf 20 % erhöht hat.  
 
3.3. Nach dem Gesagten verletzt die Zusprechung einer Dreiviertelsrente ab 1. März 2016 kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.  
 
4.   
Die Gerichtskosten sind den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen    (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat nach Massgabe seines Obsiegens Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, vom 25. August 2016 wird aufgehoben, soweit er für die Zeit vom 1. Juni 2012 bis 31. Juli 2014 den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine höhere als eine halbe Rente verneint. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie darüber neu entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden den Parteien je zur Hälfte (Fr. 400.-) auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 18. April 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler