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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_1175/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 18. September 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Hischier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Wiederherstellung der Einsprachefrist (mehrfache Nötigung), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 22. Oktober 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Die Staatsanwaltschaft Luzern sprach X.________ mit Strafbefehl vom 30. April 2013 der Nötigung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 300.-- und einer Busse von Fr. 1'500.--. Sie übergab den Strafbefehl am 1. Mai 2013 der Post, von welcher er am 10. Mai 2013 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" wieder retourniert wurde. 
 
B.  
 
 X.________ erhob am 16. Juli 2013 vorsorglich Einsprache und machte geltend, er habe erstmals am 10. Juli 2013 nach Erhalt einer Mahnung für die Busse und Kosten vom Erlass eines Strafbefehls erfahren. Er reichte am 26. Juli 2013 ein Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist ein. Die Staatsanwaltschaft wies das Gesuch am 16. August 2013 ab und stellte den Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls vom 30. April 2013 fest. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern am 22. Oktober 2013 ab. 
 
C.  
 
 X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei die Einsprachefrist gegen den Strafbefehl vom 30. April 2013 wieder herzustellen. Zudem ersucht er um aufschiebende Wirkung. 
 
D.  
 
 D ie Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Luzern beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde sei abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, der Strafbefehl sei ihm nicht ordnungsgemäss zugestellt worden, und er habe auch keine Abholungseinladung der Post erhalten. Obwohl er anlässlich der polizeilichen Einvernahme seine korrekte Adresse "L.________" genannt habe, sei der Strafbefehl an die falsche Adresse "M.________" zugestellt worden. Seit der vor über einem Jahr erfolgten Umbenennung habe es bei der postalischen Zustellung immer wieder Probleme gegeben.  
 
 Die Vorinstanz beruft sich auf die Zustellungsfiktion nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO und führt aus, es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung durch die zuständige Poststelle zu erbringen. 
 
1.2. Nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO gilt eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste. Die Begründung eines Verfahrensverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, d.h. unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen Entscheidungen, welche das Verfahren betreffen, zugestellt werden können (BGE 130 III 396 E. 1.2.3 S. 399 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer bestreitet die Begründung eines Verfahrensverhältnisses zu Recht nicht.  
 
1.3. Bei eingeschriebenen Sendungen gilt eine widerlegbare Vermutung, dass die Abholungseinladung ordnungsgemäss in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers gelegt und das Zustellungsdatum korrekt registriert wurde. Es findet eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als im Fall der Beweislosigkeit der Entscheid zuungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet. Diese Vermutung gilt solange, als der Empfänger nicht den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbringt (Urteil 6B_276/2013 vom 30. Juli 2013 E. 1.3; Urteil 1B_695/2011 vom 25. September 2012 E. 3.3; je mit Hinweisen).  
 
 Es steht fest, dass die Staatsanwaltschaft den (nicht begründeten) Strafbefehl dem Beschwerdeführer an die falsche Adresse M.________ und nicht an seine richtige Adresse L.________ in N.________ zugestellt hatte. Eine Erklärung für dieses Versehen findet sich im angefochtenen Entscheid nicht. Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, dass mit der Umadressierung die Liegenschaft lediglich eine neue Flurbezeichnung erhalten habe, ohne dass dies die Postzustellung beeinflusst habe. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf ein Schreiben der Post CH AG vom 6. August 2013, wonach die Mutation von Strassen- oder Flurnamen umgehend vom Bauamt der Zustellstelle gemeldet wird und die erfolgte Umadressierung der Liegenschaft keinen Einfluss auf die Postzustellung habe. 
 
 Die Postfiliale N.________ wurde im März 2013, rund sechs Wochen vor dem Zustellversuch, aufgehoben und in den Dorfladen integriert. Die Staatsanwaltschaft hatte im Zusammenhang mit dem Wiederherstellungsgesuch am 30. Juli 2013 eine Anfrage an die Poststelle in N.________ gerichtet. Die Antwort vom 6. August 2013 wurde durch den "Teamleader" der Post CH AG in O.________ verfasst. Dieser bestätigt, dass die Abholungseinladung an die Adresse L.________ zugestellt wurde. Es könne "eher ausgeschlossen" werden, dass der Abholschein in einen falschen Briefkasten gelegt worden sei. Wie sich dem Antwortschreiben entnehmen lässt, beruhen die Antworten auf der Befragung von Briefträgern, welche die Tour regelmässig ausführen. Der Briefträger, welcher am fraglichen Tag die Post austrug, konnte infolge Ferienabwesenheit dazu nicht befragt werden. 
 
1.4. In Berücksichtigung der konkreten Umstände der Zustellung kann nicht mehr länger von der (widerlegbaren) Vermutung ausgegangen werden, die Abholungseinladung sei ordnungsgemäss in den Briefkasten des Beschwerdeführers gelegt worden. Der Strafbefehl wurde an eine falsche Adresse versandt; die für den Empfangsort zuständige Poststelle wurde nur kurze Zeit vor dem Versand aufgelöst und neu organisiert; die eingeholte Bestätigung der Post CH AG bezieht sich nicht auf die konkrete Sendung, sondern beruht ausschliesslich auf allgemeinen Erkenntnissen und erachtet es erst noch nur als "eher ausgeschlossen", dass die Abholungseinladung in einen falschen Briefkasten gelegt wurde. Angesichts dieser zahlreichen Unwägbarkeiten hat der Beschwerdeführer den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbracht.  
 
2.  
 
 Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 BGG). Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
 Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 22. Oktober 2013 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
 
 Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
 
 Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.  
 
 Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. September 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga