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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_765/2010 
 
Urteil vom 18. Oktober 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Yvonne Dürst, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1977 geborene A.________ meldete sich am 21. Juli 2006 unter Hinweis auf Schulterbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht übernahm die IV-Stelle des Kantons Zürich gemäss Mitteilung vom 27. Juli 2007 die Umschulung von A.________ zum Detailhandelsfachmann bei der Firma C.________ AG, ab 20. August 2007 bis 19. August 2010. Nachdem die Arbeitgeberin den Lehrvertrag gekündigt hatte, teilte die IV-Stelle dem Versicherten am 16. Oktober 2007 mit, die berufliche Massnahme werde mit Wirkung ab 1. Oktober 2007 aufgehoben. Am 15. April 2008 reichte A.________ ein neues Gesuch um berufliche Massnahmen ein. Am 30. Juni 2008 schloss der Versicherte einen Lehrvertrag als Detailhandelsfachmann mit der Firma O.________ SA ab, worauf die IV-Stelle ihm auf entsprechendes Gesuch hin am 31. Juli 2008 wieder Umschulung gewährte und ein Taggeld zusprach. Am 26. Oktober 2009 wurde der Versicherte von der Firma O.________ SA wegen unentschuldigter Absenzen schriftlich verwarnt. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 forderte die IV-Stelle A.________ auf, pünktlich zur Arbeit und zum Schulunterricht zu erscheinen, andernfalls sie sich gezwungen sehe, die Abklärungen einzustellen, was die Ablehnung des Leistungsanspruchs nach sich ziehen werde. Am 23. November 2009 kündigte die Firma O.________ SA auf Antrag der Berufsschule den Lehrvertrag per 31. Januar 2010. 
Mit Verfügung vom 18. Februar 2010 lehnte die IV-Stelle den Anspruch auf berufliche Massnahmen ab; trotz verschiedener Gespräche und Mahnungen weise der Versicherte viele, teilweise unentschuldigte Absenzen auf. Eine erfolgversprechende Ausbildung sei nicht mehr gewährleistet, weshalb die beruflichen Massnahmen per 11. Dezember 2009 abgebrochen würden. 
 
B. 
A.________ liess Beschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung der Verfügung vom 18. Februar 2010 seien ihm weiterhin berufliche Massnahmen zu gewähren; ferner sei ihm ab 11. Dezember 2009 ein Wartetaggeld auszurichten; eventuell sei die Sache zur Festsetzung einer Invalidenrente an die IV-Stelle zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 5. August 2010 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die vorinstanzlich gestellten Hauptbegehren erneuern; eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit (Art. 17 Abs. 1 IVG; Art. 6 Abs. 1 IVV) und ein Taggeld während der Zeit, während welcher die versicherte Person auf den Beginn einer Umschulung warten muss (Art. 22 Abs. 6 IVG in Verbindung mit Art. 18 IVV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
3.1 Gestützt auf die Angaben der Berufsschule, die Verwarnung der Firma O.________ SA (vom 26. Oktober 2009) und die Vereinbarung des Beschwerdeführers mit der IV-Stelle vom 29. Oktober 2009 gelangte das Sozialversicherungsgericht zur Feststellung, dass der Versicherte in der Schule zahlreiche, teilweise unentschuldigte Absenzen aufgewiesen habe, obwohl ihm der Schulbesuch zumutbar gewesen wäre. Die Verwaltung habe sodann das Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss Art. 21 Abs. 4 ATSG eingehalten, indem der Beschwerdeführer am 29. Oktober 2009 unter Hinweis auf Art. 21 ATSG zur Wahrnehmung der Mitwirkungspflicht, d.h. zum Besuch der Berufsschule, ermahnt wurde. Dabei sei der Entzug der beruflichen Massnahmen angedroht worden. Da der Versicherte seiner Mitwirkungspflicht gleichwohl nicht nachgekommen und dem Unterricht teilweise weiterhin ferngeblieben sei, habe die IV-Stelle den Anspruch auf weitere berufliche Massnahmen zu Recht verneint. Dementsprechend entfalle auch der Anspruch auf ein Wartetaggeld. 
 
3.2 Wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren begründet der Beschwerdeführer das Scheitern der Umschulung mit einer Überforderungssituation im schulischen Bereich, der Dauer des Arbeitsweges sowie zu langen Arbeitszeiten. Die persönlichen Voraussetzungen für eine Volllehre hätten gefehlt. Er macht geltend, die vorinstanzliche Feststellung, wonach er den Schulunterricht trotz Hinweises auf seine Mitwirkungspflicht gemäss Schreiben der IV-Stelle vom 29. Oktober 2009 weiterhin unregelmässig besucht habe, sei aktenwidrig. Vielmehr lasse sich dem Schreiben des Klassenlehrers vom 13. November 2009 entnehmen, dass er nach dem 29. Oktober 2009 keine Absenzen mehr aufgewiesen hat. Weiter treffe nicht zu, dass einzig die Absenzen in der Schule zur Vertragsauflösung führten. Es hätten von Anfang an schulische Probleme in den Fächern Englisch und Deutsch vorgelegen. Sodann wendet der Versicherte ein, die getroffene Eingliederungsmassnahme sei ihm nicht zumutbar gewesen. Die Vorinstanz habe diese Frage ausdrücklich offengelassen. Dass der Versicherte objektiv und subjektiv in der Lage war, die Anforderungen der Umschulung zu erfüllen, habe die Vorinstanz nicht abgeklärt. 
 
4. 
4.1 Aufgrund der verbindlichen Feststellungen des Sozialversicherungsgerichts steht fest, dass der Beschwerdeführer auch nach dem 29. Oktober 2009 in der Schule gefehlt hat. Im Schreiben des Klassenlehrers vom 13. November 2009 sind diese Absenzen wie auch verspätetes Erscheinen zum Unterricht aufgeführt. Zwar ist einzuräumen, dass ab dem Mahnschreiben lediglich zwei minimale Verspätungen notiert sind, jedoch geht aus dem Verlaufsbericht hervor, dass der Beschwerdeführer nach dem Krisengespräch vom 29. Oktober 2009 nicht mehr zur Arbeit gegangen sei. Weil die Vorinstanz die Ansicht vertreten hat, die Frage, ob die konkrete Umschulung unzumutbar gewesen sei, könne offenbleiben, weil die Folgen einer gescheiterten Eingliederung vom Versicherten im Rahmen des Eingliederungsrisikos zu tragen seien, fehlen Sachverhaltsfeststellungen zu diesem Punkt. Der vorinstanzlichen Rechtsauffassung kann nicht gefolgt werden; das Gesetz selbst bezeichnet nur zumutbare Massnahmen als mögliche Eingliederungsmassnahmen (Art. 7 Abs. 2 und 7a IVG); die Zumutbarkeit einer angeordneten Umschulung ist daher nach deren Scheitern ohne weiteres zu überprüfen, hätte doch eine festgestellte Unzumutbarkeit der Eingliederungsmassnahme zur Folge, dass die versicherte Person eine andere, zumutbare Umschulung geltend machen könnte. Somit ist eine Ergänzung des seitens der Vorinstanz unvollständig festgestellten Sachverhalts, welche das Bundesgericht von Amtes wegen vornehmen kann (E. 1 hievor), unumgänglich. 
 
4.2 Soweit der Beschwerdeführer seine mangelnden Schulleistungen als Indiz für die Ungeeignetheit oder gar Unzumutbarkeit der Umschulung wertet, kann ihm nicht gefolgt werden. Immerhin hatte er das erste Lehrjahr absolviert, und ungenügende Leistungen lagen nur in den Fächern Deutsch und Englisch vor. Das Zwischenzeugnis der Schule X.________ vom 2. Februar 2009 zeigt, dass der Beschwerdeführer in den übrigen Fächern genügende bis gute Noten erzielt hat. Unüberwindbare Hindernisse hatte er demnach nicht zu bewältigen. 
Sodann standen auch die unter dem Gesichtswinkel der Zumutbarkeit in erster Linie massgeblichen gesundheitlichen Aspekte einer erfolgreichen Umschulung nicht entgegen. Aus dem Verlaufsbericht des Dr. med. B.________ vom 4. April 2008, kurz vor Beginn der Berufslehre, geht hervor, dass der Versicherte nach einer erfolgreich verlaufenen Schulteroperation abgesehen von einer Einschränkung bei belastenden Überkopfarbeiten wieder arbeitsfähig sein würde. Dass sich schliesslich der lange Arbeitsweg von F.________ nach E.________ für den Beschwerdeführer belastend ausgewirkt hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Indessen brauchen sich längere Bahnfahrten zwischen Wohn- und Arbeits-/Schulort nicht zwangsläufig nur nachteilig auszuwirken, da sie teilweise dazu genützt werden können, den Schulstoff aufzuarbeiten. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass im Bereiche der Arbeitslosenversicherung ein Arbeitsweg von je zwei Stunden für den Hin- und Rückweg als zumutbar gilt (Art. 16 Abs. 2 lit. f AVIG). Wenn der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge für den Arbeitsweg insgesamt drei Stunden und vierzig Minuten im Tag benötigt hat, kann dies für sich allein betrachtet nicht dazu führen, die im Sommer 2008 begonnene Umschulung zum Detailhandelsfachmann als unzumutbar erscheinen zu lassen. Gleiches gilt schliesslich für die behauptete lange Arbeitszeit im Lehrbetrieb. Dass die persönlichen Voraussetzungen für die in Frage stehende Berufslehre gefehlt hätten, kann gemäss den vorstehenden Erwägungen nicht bestätigt werden, zumal in der Beschwerde erwähnt wird, der Versicherte sei der beste Verkäufer gewesen, was auf seine Eignung für die gewählte Umschulung hindeutet. 
 
4.3 In den übrigen Punkten ist der Vorinstanz beizupflichten. Der Beschwerdeführer wurde in Anwendung von Art. 21 Abs. 4 ATSG (siehe dazu Urteil 9C_497/2007 vom 6. Mai 2008) am 29. Oktober 2009 schriftlich ermahnt und auf seine Pflicht zur Mitwirkung sowie die Folgen einer allfälligen Widersetzlichkeit hingewiesen. Mit Verfügung vom 18. Februar 2010 wurde alsdann der Anspruch auf (weitere) berufliche Massnahmen verneint. Wenn in der Folge der Schulausschluss am 17. November beantragt und die Kündigung des Lehrvertrages am 23. November 2009 ausgesprochen wurde, ist das Erfordernis einer angemessenen Bedenkzeit nach Art. 21 Abs. 4 ATSG erfüllt. Eine Verletzung von Bundesrecht durch das kantonale Gericht liegt nicht vor. 
 
5. 
Da der Beschwerdeführer trotz korrekt durchgeführten Mahn- und Bedenkzeitverfahrens seine Mitwirkungspflicht nicht wahrgenommen hat, hat die Vorinstanz den Anspruch auf weitere berufliche Massnahmen in Übereinstimmung mit der Verwaltung zu Recht verneint, womit auch ein Anspruch auf ein Wartetaggeld entfällt. Der Eventualantrag auf Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zu neuer Verfügung ist unbegründet, nachdem einer materiellen Beurteilung des Rechtsstreits im letztinstanzlichen Verfahren nichts im Wege steht. 
 
6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 18. Oktober 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Widmer