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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_327/2011 
 
Urteil vom 19. Oktober 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Spörli, 
 
gegen 
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, 
Abteilung Administrativmassnahmen, 
Lessingstrasse 33, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Führerausweisentzug, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 27. Juni 2011 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 
1. Abteilung, Einzelrichter. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ fuhr am 27. Juni 2010 mit seinem Personenwagen von Mönchaltorf nach Oetwil am See, wo er von der Polizei kontrolliert wurde. Die Blutanalyse ergab für die Zeit der Fahrt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,05 Gewichtspromillen. Im ärztlichen Bericht dazu wurde zudem festgehalten, es bestehe der medizinisch begründete Verdacht auf einen chronischen Alkoholüberkonsum. X.________ wurde der Führerausweis von der Polizei abgenommen. 
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom 23. August 2010 zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 2'200.--. 
Am 19. November 2010 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich X.________ den Führerausweis auf unbestimmte Zeit, mindestens aber für drei Monate und machte die Wiedererteilung des Ausweises von einem günstigen verkehrsmedizinischen Gutachten abhängig. 
Die Sicherheitsdirektion wies den Rekurs von X.________ am 28. März 2011 ab. 
 
B. 
Am 13. April 2011 unterzog sich X.________ beim Institut für Rechtsmedizin (IRMZ) einer verkehrsmedizinischen Untersuchung. Gestützt auf dessen Gutachten vom 3. Mai 2011 hob das Strassenverkehrsamt am 23. Mai 2011 den Sicherungsentzug unter Anordnung der empfohlenen Massnahmen - Alkoholabstinenz, regelmässige Besprechung mit einer Fachperson für Alkoholprobleme, Bestimmung der Laborwerte im Juli 2011, Kontrolluntersuchung inklusive Haaranalyse am IRMZ im November 2011 - auf. 
 
C. 
Am 27. Juni 2011 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde X.________s ab, mit der er beantragt hatte, den Entscheid der Sicherheitsdirektion aufzuheben und festzustellen, anstelle des verfügten Sicherungsentzugs hätte ein Warnungsentzug angeordnet werden müssen, der bereits vollzogen sei. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________, dieses Verwaltungsgerichtsurteil aufzuheben und festzustellen, dass anstelle des am 19. November 2010 gegen ihn verhängten Sicherungsentzugs ein Warnungsentzug hätte erfolgen müssen, der bereits vollzogen sei. Der Führerausweis sei ihm bedingungs- und auflagenlos wieder zu erteilen, und er sei rückwirkend aus der verkehrsmedizinischen Kontrolle zu entlassen. 
 
D. 
Das Verwaltungsgericht beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Strassenverkehrsamt beantragt, sie abzuweisen. 
Das ASTRA beantragt, die Beschwerde abzuweisen. 
X.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid des Verwaltungsgerichts betrifft die Anordnung eines Sicherungsentzugs bzw. die Wiedererteilung des Führerausweises nach einem Sicherungsentzug unter verschiedenen Auflagen und damit eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit. Dagegen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 82 Abs. 1 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Als zur Einhaltung der Auflagen Verpflichteter befugt, sie zu erheben (Art. 89 Abs. 1 BGG); das aktuelle Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des Sicherungsentzugs ist auch nach der Wiedererteilung des Führerausweises nach wie vor gegeben, da bei einer Umwandlung des Sicherungs- in einen Warnungsentzugs die an die Wiedererteilung des Ausweises geknüpften Auflagen ohne Weiteres entfielen (BGE 131 II 248 E. 4.2 mit Hinweis). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2. 
2.1 Führerausweise werden entzogen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen. Sie können entzogen werden, wenn die mit der Erteilung im Einzelfall verbundenen Beschränkungen oder Auflagen missachtet werden (Art. 16 Abs. 1 SVG). Nach Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG wird der Lernfahr- oder Führerausweis einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn sie an einer Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst. Ein auf unbestimmte Zeit entzogener Lernfahr- oder Führerausweis kann bedingt und unter Auflagen wiedererteilt werden, wenn eine allfällige gesetzliche oder verfügte Sperrfrist abgelaufen ist und die betroffene Person die Behebung des Mangels nachweist, der die Fahreignung ausgeschlossen hat (Art. 17 Abs. 3 SVG). 
 
2.2 Ein allfälliger Sicherungsentzug im Sinne von Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG setzt das Vorliegen einer Sucht voraus. Trunksucht wird nach der Praxis des Bundesgerichtes bejaht, wenn der Lenker regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er keine Gewähr bietet, den Alkoholkonsum zu kontrollieren und ihn ausreichend vom Strassenverkehr zu trennen, sodass die Gefahr nahe liegt, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (BGE 127 II 122 E. 3c S. 126; 124 II 559 E. 3d S. 564, E. 4e S. 567; je mit Hinweisen). Eine verkehrsmedizinische Abklärung darf nur angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen wecken. Sie ist nach der Praxis des Bundesgerichtes namentlich dann angebracht, wenn die Blutalkoholkonzentration 2,5 Gewichtspromille und mehr beträgt, auch wenn sich der Betroffene während der letzten fünf Jahre vor der aktuellen Trunkenheitsfahrt keine einschlägige Widerhandlung zu Schulde kommen liess. Wer sich mit einer derart hohen Blutalkoholkonzentration noch ans Steuer setzt, verfügt über eine so grosse Alkoholtoleranz, dass in aller Regel auf eine Alkoholabhängigkeit geschlossen werden muss. Dasselbe gilt für einen Lenker, der innerhalb eines Jahres zweimal in erheblich angetrunkenem Zustand - mit 1,74 bzw. 1,79 Gewichtspromillen - ein Motorfahrzeug führte (BGE 129 II 82 E. 4.2 S. 87; 127 II 122 E. 3c S. 125). Für eine Verschärfung dieser Praxis besteht kein Anlass, zumal im Administrativverfahren nicht wie im Strafverfahren zwingend von der minimalen Blutalkoholkonzentration auszugehen ist. Für die Beurteilung der Fahreignung kann der Mittelwert herangezogen werden (BGE 129 II 82 E. 4.3). Damit bleibt es dabei, dass bei einem Ersttäter, dessen Blut bei seiner Trunkenheitsfahrt eine mittlere Alkoholkonzentration von weniger als 2,5 Gewichtspromillen aufwies, eine verkehrsmedizinische Abklärung nur dann angeordnet werden darf, wenn unabhängig von der Höhe der Alkoholisierung beim Vorfall weitere konkrete Indizien für eine Beeinträchtigung der Fahreignung sprechen. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer feierte nach einem Grümpelturnier den ganzen Abend mit Kollegen und setzte sich dann um ca. 1 Uhr nachts mit einer Alkoholkonzentration von mindestens 2,05 und maximal 2,59 Gewichtspromillen ans Steuer, um nach Hause zu fahren. Dabei fiel er in Oetwil am See einer Polizeipatrouille auf, weil er in Schlangenlinie fuhr, und wurde deswegen kontrolliert. Nach der Einschätzung der die Blutentnahme durchführenden Ärztin wirkte der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt merkbar beeinträchtigt. Das IRMZ, das die Blutanalyse durchführte, bemerkte auf dem Analysenbericht, dass die "Inkongruenz zwischen der BAK und den dokumentierten Trunkenheitszeichen" aus medizinischer Sicht auf einen chronischen Alkoholüberkonsum hinweisen würde. Gestützt darauf ordnete das Strassenverkehrsamt eine medizinische Abklärung an. 
 
3.2 Der Beschwerdeführer verfügt nach seiner unbestrittenen Darstellung über eine jahrzehntelange Fahrpraxis und ist aus beruflichen Gründen viel mit dem Auto unterwegs. Er verfügt über einen tadellosen automobilistischen Leumund, was insbesondere bei einem Vielfahrer für eine intakte Fahreignung spricht. Er ist sozial gut integriert und kommt seinen beruflichen Aufgaben als Informatikunternehmer und seinen familiären Pflichten als alleinerziehender Vater zweier Töchter nach. Der Fall präsentiert sich somit als einmaliger, wenn auch grober Ausrutscher eines bisher unauffällig gebliebenen, unbescholtenen Bürgers, dem ein Warnungsentzug Denkzettel genug sein sollte, um ihn in Zukunft von Trunkenheitsfahrten abzuhalten. 
 
3.3 Gegen diese Einschätzung spricht einzig der erhebliche Alkoholisierungsgrad bei seiner Trunkenheitsfahrt. Dieser liegt, auch wenn man nicht vom Mindestwert von 2,05, sondern vom Mittelwert von 2,32 Promillen ausgeht, jedenfalls unter dem vom Bundesgericht für Ersttäter angenommenen Grenzwert von 2,5 Gewichtspromillen, bei dessen Überschreitung eine verkehrsmedizinische Abklärung angebracht ist. Weitere Indizien für eine beeinträchtigte Fahreignung sind nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer zeigte von allem Anfang an Einsicht in die Schwere seiner Verfehlung und versuchte nicht, sein Trink- bzw. Fahrverhalten in irgend einer Weise zu bagatellisieren. Dass er vor dem Vorfall regelmässig Alkohol und manchmal auch zu viel davon trank, hat er im Übrigen nie bestritten. Das mag die vom IRMZ vermutete Alkoholtoleranz erklären, wobei anzuführen ist, dass der Beschwerdeführer bei seiner Trunkenheitsfahrt keineswegs unauffällig, sondern klar erkennbar beeinträchtigt wirkte, was schon sein Fahren in Schlangenlinie beweist. Insgesamt kann somit davon ausgegangen werden, dass die Fahreignung des Beschwerdeführers nach wie vor intakt ist und ein Warnungsentzug ausreicht, um ihn in Zukunft zuverlässig von weiteren Trunkenheitsfahrten abzuhalten. Die Anordnung eines Sicherungsentzugs auf unbestimmte Zeit mit der Bestimmung, eine allfällige Wiedererteilung des Führerausweises ohne günstiges verkehrsmedizinisches Gutachten sei ausgeschlossen, erweist sich unter diesen Umständen als überzogen und ist bundesrechtswidrig. Die Beschwerde ist begründet. 
 
3.4 Damit erübrigt sich an sich eine Auseinandersetzung mit dem verkehrsmedizinischen Gutachten des IRMZ vom 26. Oktober 2010, da dieses nach dem Gesagten nicht hätte angeordnet werden dürfen. Allerdings drängt sich im Hinblick auf weitere Verfahren dazu folgende Bemerkung auf. 
Dieses Gutachten stützt sich wesentlich auf ein chemisch-toxikologisches Haargutachten, welches zum Schluss kommt, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum von Mitte Juni bis Mitte September 2010 einen "chronischen, starken Alkoholkonsum" betrieben. In diesem Zeitraum war der Ausweis des Beschwerdeführers indessen entzogen. Sein Alkoholkonsum während dieser Periode war dementsprechend unter dem (einzig zulässigen) Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit irrelevant. Soll mittels Haargutachten der vergangene Alkoholkonsum des Probanden ermittelt werden, so ist dafür ein aussagekräftiger Zeitraum festzulegen, in welchem er tatsächlich Autos lenkte oder er wenigstens, beispielsweise bei einem vorsorglichen Führerausweisentzug nach einer wiederholten Trunkenheitsfahrt, mit einer verkehrsmedizinischen Abklärung rechnen musste. Es ist daher mit Treu und Glauben nicht vereinbar, die Fahreignung des Beschwerdeführers aufgrund des Alkoholkonsums während dieser Periode, in welcher er weder über einen Führerausweis verfügte noch mit einer verkehrsmedizinischen Abklärung rechnen musste, in Frage zu stellen. Der Hausarzt des Beschwerdeführers stellt im Übrigen im ärztlichen Zeugnis vom 26. Juli 2010 ausdrücklich fest, dass er die Beurteilung des IRMZ, sein Patient leide unter (die Fahreignung beeinträchtigenden) Alkoholproblemen, für willkürlich und eine weitere Prüfung der Fahreignung nicht für angezeigt hält. 
 
4. 
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Damit obliegt es dem Verwaltungsgericht, anstelle des aufgehobenen Sicherungsentzugs die angemessenen Administrativmassnahmen anzuordnen oder durch das Strassenverkehrsamt verfügen zu lassen und die Nebenfolgen zu regeln. Es besteht für das Bundesgericht kein Anlass, darüber weitere Feststellungen zu treffen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Zürich dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, Abteilung Administrativmassnahmen, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter, und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 19. Oktober 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi