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[AZA 7] 
K 86/99 Ge 
 
III. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichter Spira und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Urteil vom 19. Dezember 2001 
 
in Sachen 
 
V.________, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
CSS Versicherung, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern, 
Beschwerdegegnerin, 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
A.- Die 1929 geborene V.________ ist bei der CSS Versicherung (nachfolgend CSS) krankenversichert. In der Zeit vom 19. Mai bis 14. Juli 1998 unterzog sie sich einer Behandlung bei Dr. med. und Dr. med. dent. H.________, Facharzt FMH für Kiefer- und Gesichtschirurgie, wegen eines 
Abszesses im Oberkiefer links mit Fistel. Auf der Rechnung vom 22. August 1998 wurde der Gesamtbetrag von Fr. 730. 60 aufgeteilt in "Fr. 310. - kassenpflichtig, Fr. 269. 50 nicht kassenpflichtig und Fr. 151. 10 Medikamente". 
Mit Verfügung vom 13. Januar 1999 verneinte die CSS nach Konsultation ihres Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. B.________ eine Pflicht zur Kostenübernahme nach Art. 2, Art. 25 sowie Art. 31 KVG. An ihrem Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 17. März 1999 fest. 
 
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher V.________ die Übernahme der Behandlungskosten für den Abszess von Fr. 310. - zuzüglich Medikamente von Fr. 151. 10 beantragte, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 20. Juli 1999 ab. 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt V.________ wiederum die Übernahme der Kosten der Behandlung des Abszesses im Betrag von Fr. 310. - und Fr. 151. 10 für Medikamente abzüglich eines allfälligen Selbstbehaltes durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. 
Die CSS schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
D.- Am 28. März 2000 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine Expertengruppe mit der Erstellung eines zahnmedizinischen Grundsatzgutachtens beauftragt, wobei die Fragen vor allem Art. 17 der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) betrafen. Um sicherzustellen, dass keine Widersprüche in der Rechtsprechung zu den Leistungsbestimmungen der KLV ergehen, wurde neben anderen Beschwerdeverfahren auch das vorliegende Verfahren mit Verfügung vom 3. April 2000 sistiert. Das Grundsatzgutachten ging am 31. Oktober 2000 beim Gericht ein und wurde am 16. Februar 2001 mit den Experten erörtert. Am 21. April 2001 erstellten die Experten einen Ergänzungsbericht. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nachdem das Grundsatzgutachten erstellt ist, kann die Sistierung des vorliegenden Verfahrens aufgehoben werden. 
 
2.- a) Die Leistungen, deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen sind, werden in Art. 25 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) in allgemeiner Weise umschrieben. Im Vordergrund stehen die Leistungen der Ärzte und Ärztinnen, dann aber auch der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen sowie der Personen, die im Auftrag von Ärzten und Ärztinnen Leistungen erbringen. 
Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung - wie die Vorinstanz zutreffend darlegt - nur in eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG). 
 
b) Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) hat das Departement in der KLV zu jedem der erwähnten Unterabsätze von Art. 31 Abs. 1 KVG einen eigenen Artikel erlassen, nämlich zu lit. a den Art. 17 KLV, zu lit. b den Art. 18 KLV und zu lit. c den Art. 19 KLV. In Art. 17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems aufgezählt, bei denen daraus resultierende zahnärztliche Behandlungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. In Art. 18 KLV werden die schweren Allgemeinerkrankungen und ihre Folgen aufgelistet, die zu zahnärztlicher Behandlung führen können und deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu tragen sind. In Art. 19 KLV schliesslich hat das Departement die schweren Allgemeinerkrankungen aufgezählt, bei denen die zahnärztliche Massnahme notwendiger Bestandteil der Behandlung darstellt. 
 
c) In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass die in Art. 17-19 KLV erwähnten Erkrankungen, deren zahnärztliche Behandlung von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmen ist, abschliessend aufgezählt sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung festgehalten (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Urteile M. vom 19. September 2001, K 73/98, und J. vom 28. September 2001, K 78/98). 
 
3.- Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin 1998 an einem Abszess im Oberkiefer links mit Fistelbildung gelitten hatte, der auf einen Zahnschaden zurückzuführen war. Gemäss Berichten des behandelnden Kiefer- und Gesichtschirurgen vom 31. Oktober 1998 und 15. April 1999 lag der Abszess extraodontoparodontal im Kieferknochen, hat dort zu einem grossen Knochendefekt bis zu den Gaumenweichteilen geführt, in das Vestibulum Oris gefistelt und Schmerzen bereitet. Der Abszess habe eine mit Eiter gefüllte Knochenhöhle verursacht, die einerseits bis zum Nasenboden gereicht und andererseits den knöchernen Gaumen arrodiert habe. Der Vertrauenszahnarzt der Krankenkasse erklärte sich am 3. Mai 1999 mit der gestellten Diagnose ausdrücklich einverstanden, konnte jedoch zur Ausdehnung des Abszesses keine Stellung nehmen. Streitig und zu prüfen ist, ob die Kosten der Behandlung des Abszesses, nicht des Zahnschadens, von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. 
 
4.- a) Die Krankenkasse verneint eine Leistungspflicht im Wesentlichen mit der Begründung, die in Rechnung gestellte Behandlung sei die Behandlung einer Erkrankung des Kausystems und somit eine zahnärztliche Behandlung. Da der diagnostizierte Abszess im abschliessenden Leistungskatalog der Art. 17-19 KLV nicht aufgeführt sei, bestehe keine Leistungspflicht. Das Leiden der Beschwerdeführerin sei zudem eine vermeidbare Erkrankung, da es die klassische Abfolge von Karies, Pulpitis, Gangrän, Wurzelbehandlung etc. sei. 
 
b) Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber im Wesentlichen geltend, die Behandlung des Abszesses stelle eine ärztliche Behandlung dar. Ein Abszess im Oberkiefer, bis zum Nasenboden reichend und den knöchernen Gaumen arrodierend, mit dicker eitrig fluktuierender Schwellung und Schmerzen, sei eine Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit, welche den Krankheitsbegriff nach Art. 2 Abs. 1 KVG erfülle. Es gebe keinen Ausschluss von Krankheiten, die Folge eines Zahnschadens oder irgendeiner andern Ursache seien. Auch die Vermeidbarkeit einer Krankheit sei kein Ausschlussgrund. Die Lokalisation des Abszesses sei extraodontoparodontal und müsse gemäss langjähriger Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auch deswegen als ärztliche Behandlung betrachtet werden. Dass auch ein für ärztliche Leistungen nicht zugelassener Leistungserbringer die Behandlung hätte durchführen können, ändere daran nichts. 
 
c) Die Vorinstanz stellte auf die Beurteilung des Vertrauenszahnarztes vom 3. Mai 1999 ab, wonach der Abszess dentogener Genese sei in der klassischen Abfolge Karies, Pulpitis, Gangrän usw. , und kam zum Schluss, es handle sich um eine zahnärztliche Behandlung einer vermeidbaren Erkrankung. Da die Beschwerdeführerin nicht an einer Kausystemerkrankung gemäss Art. 17 KLV leide, entfalle eine Kostenübernahmepflicht der Krankenkasse. Dies könne nicht dadurch umgangen werden, dass die Behandlung durch einen doppelapprobierten Kieferchirurgen erfolge und deswegen als ärztliche Behandlung qualifiziert werde. 
 
5.- Der Argumentation von Krankenkasse und Vorinstanz ist zu entnehmen, dass sie die Regelung von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 17 KLV so verstehen, dass die Behandlung der Erkrankungen des Kausystems, d.h. der Zähne, des Zahnhalteapparates sowie des Kiefers den zahnärztlichen Behandlungen zuzuordnen sei, wobei Art. 17 KLV die durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu übernehmenden Erkrankungen des Kausystems im Einzelnen und abschliessend aufzähle. 
Dieses Verständnis steht mit den in BGE 124 V 185 eingehend dargestellten Gesetzesmaterialien, wie auch insbesondere mit Wortlaut und Systematik der erwähnten gesetzlichen Regelung nicht in Einklang. Sowohl Art. 31 Abs. 1 KVG wie auch die Art. 17-19 KLV sprechen von "zahnärztlichen Behandlungen", die durch bestimmte Erkrankungen bedingt sind oder die Behandlung bestimmter Erkrankungen unterstützen. Die zahnärztlichen Behandlungen einerseits und die Erkrankungen andererseits stehen in einer Wechselwirkung. Die von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmenden zahnärztlichen Behandlungen müssen entweder die Folge ("bedingt") und die bestimmten Erkrankungen die Ursache sein (Art. 17 und 18 KLV) oder die zahnärztlichen Behandlungen müssen die Behandlung bestimmter Erkrankungen unterstützen (Art. 19 KLV). Keineswegs verhält es sich so, dass die Behandlungen aller aufgeführten Erkrankungen zu zahnärztlichen Behandlungen geworden sind. Art. 31 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 17-19 KLV regeln somit nur die Kostenübernahme von zahnärztlichen Behandlungen, nicht diejenige der damit in Zusammenhang stehenden Erkrankungen des Kausystems oder der Allgemeinerkrankungen. Unerheblich ist dabei, ob die Behandlung durch einen Zahnarzt oder einen Kieferchirurgen durchgeführt wird. 
 
6.- Die Übernahme der Kosten für die Behandlung des Zahnschadens, aus welchem der Abszess der Beschwerdeführerin hervorging, wurde vorliegend zu Recht nicht verlangt. Die Behandlung des Abzesses hingegen stellt eine ärztliche Behandlung einer Krankheit dar und fällt gestützt auf Art. 25 KVG unter die Pflichtleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Der Vollständigkeit halber ist diesbezüglich darauf hinzuweisen, dass die allfällige Vermeidbarkeit des Abszesses keine Rolle spielt, ist doch für die soziale Krankenversicherung rechtsunerheblich, ob eine Krankheit verschuldet ist oder nicht. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Sistierung wird aufgehoben. 
 
II.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 20. Juli 1999 sowie der Einspracheentscheid der CSS Versicherung vom 17. März 1999 aufgehoben und es wird diese verpflichtet, die Kosten für die erfolgte ärztliche Behandlung inklusive Medikamente von Fr. 461. 10 abzüglich eines allfälligen Selbstbehaltes zu übernehmen. 
 
III. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 19. Dezember 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: