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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_221/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 20. November 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verletzung von Verkehrsregeln; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 17. Januar 2017 (SU160044). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Statthalteramt des Bezirks Dietikon warf X.________ mit Strafbefehl vom 18. September 2015 vor, fahrlässig den Vortritt eines Lastwagens missachtet zu haben, als er am 10. April 2015, um ca. 16.50 Uhr, auf der Autobahn A1 bei Weiningen im Kolonnenverkehr in Richtung St. Gallen gefahren sei. Er habe seinen Personenwagen vom rechten auf den mittleren Fahrstreifen gelenkt, worauf es zu einer Kollision mit dem Lastwagen gekommen sei, der korrekt auf dem mittleren Fahrstreifen gefahren und somit vortrittsberechtigt gewesen sei. 
 
B.  
Das Bezirksgericht Dietikon verurteilte X.________ am 2. März 2016 auf seine Einsprache hin wegen fahrlässiger einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 350.--. Es auferlegte ihm die "Entscheidgebühr" von Fr. 600.--, die Kosten des Strafbefehls vom 18. September 2015 von Fr. 330.-- sowie die "nachträglichen Untersuchungs- und Überweisungskosten im Betrage von Fr. 500.-- des Statthalteramtes Bezirk Dietikon". 
 
C.  
Die dagegen gerichtete Berufung von X.________ wies das Obergericht des Kantons Zürich am 17. Januar 2017 unter Auferlegung einer Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- ab. 
 
D.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, er sei in Aufhebung des obergerichtlichen Urteils unter Kosten- und Entschädigungsfolgen freizusprechen. 
 
E.  
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die kantonalen Instanzen hätten den Sachverhalt willkürlich ermittelt, indem sie feststellten, der Lastwagen habe erst angehalten, nachdem es zur Kollision gekommen sei.  
 
1.2. Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer habe gegenüber der Polizei am Unfallort ausgesagt, er sei neben dem Lastwagen gefahren und etwas schneller unterwegs gewesen als dieser. Er habe gedacht, der Lastwagenfahrer würde ihn sehen und hineinlassen. In der Schadenanzeige an seine Versicherung habe der Beschwerdeführer fünf Tage nach dem Unfall angegeben, der Lastwagen sei im Schritttempo gefahren und nicht etwa stillgestanden. Erst in der Einvernahme beim Statthalteramt habe er ausgeführt, der Lastwagen habe gestoppt und deshalb sei er der Meinung gewesen, dass der Lastwagenfahrer ihn gesehen habe und hereinlasse. Der Lastwagenfahrer habe gegenüber der Polizei am Unfallort zwar ausgeführt, dass er einmal im stockenden Verkehr habe anhalten müssen, vor der Kollision aber wieder angefahren sei und erst nach einigen Metern den Widerstand auf der rechten Fahrzeugseite bemerkt habe. Demnach sei er gemäss seiner Darstellung bereits wieder in Bewegung gewesen, als die Kollision geschah. Auch in der Einvernahme beim Statthalteramt habe er daran festgehalten, dass die Fahrzeuge vor ihm losgefahren seien und er diesen gefolgt sei, als es zu einer Kollision gekommen sei. Dann habe er angehalten. Daraus ergebe sich, dass der Lastwagenfahrer erst nach der Kollision angehalten habe und nicht bereits davor stillgestanden sei (Urteil E. III.4.1 S. 7 f.).  
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 141 IV 317 E. 5.4 S. 324 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür: BGE 141 IV 369 E. 6.3 S. 375, 305 E. 1.2 S. 308 f.; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 141 IV 317 E. 5.4 S. 324, 369 E. 6.3 S. 375; je mit Hinweisen). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner vom Beschwerdeführer angerufenen Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine Bedeutung zu, die über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgeht (BGE 138 V 74 E. 7 S. 82 mit Hinweisen).  
Ist die Kognition der kantonalen Vorinstanz in Sachverhaltsfragen wie im vorliegenden Fall auf Willkür beschränkt (vgl. Art. 398 Abs. 4 StPO), prüft das Bundesgericht frei, ob die Vorinstanz auf eine gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachte Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung hin zu Unrecht Willkür verneint und diese Verfassungsverletzung nicht behoben hat. Diese Prüfung läuft regelmässig darauf hinaus zu beurteilen, ob die erste Instanz die Beweise willkürlich gewürdigt hat. Trifft dies zu, hätte die Vorinstanz Willkür bejahen müssen. Bei der Begründung der Rüge, die Vorinstanz habe Willkür zu Unrecht verneint, muss sich der Beschwerdeführer daher auch mit den Erwägungen der ersten Instanz auseinandersetzen (vgl. BGE 125 I 492 E. 1a/cc S. 494 f.; Urteile 6B_894/2016 vom 14. März 2017 E. 2.1; 6B_907/2013 vom 3. Oktober 2014 E. 2.3). 
 
1.4. Die Beweiswürdigung der Vorinstanzen erweist sich als willkürlich. Wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, geht aus dem Polizeirapport vom 15. April 2015 eindeutig hervor, dass der Lastwagenfahrer aussagte, er habe im stockenden Kolonnenverkehr verkehrsbedingt anhalten müssen und als er wieder angefahren sei, habe er nach einigen Metern einen Widerstand auf der rechten Fahrzeugseite verspürt (kantonale Akten, act. 1 S. 3). Aus dem Protokoll der Befragung vor dem Statthalteramt vom 17. September 2015 ergibt sich unzweifelhaft, dass der Lastwagenfahrer angab, er sei im Stau gestanden. Das vordere Fahrzeug sei losgefahren, er auch, dann habe es einen Widerstand gegeben (kantonale Akten, act. 13 Dep. 4, 7 und 15).  
Aus den Akten ergibt sich somit eindeutig, dass der Lastwagen stand, anfuhr und dann eine Kollision folgte. Die Aussagen des Beschwerdeführers, wonach der Lastwagen neben ihm fuhr, stehen damit nicht in Widerspruch. Es liegt in der Natur des stockenden Kolonnenverkehrs, dass die Fahrzeuge bald nebeneinander fahren, bald stehen. Auch kann ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er in der ersten Befragung vor Ort nicht ausdrücklich erwähnte, dass der Lastwagen stillgestanden sei, als sich vor diesem eine Lücke gebildet hatte. 
Es liegt auf der Hand, dass der Lastwagen unmittelbar vor der Kollision fuhr, sonst wäre es ja nicht dazu gekommen. Geradezu widersinnig erscheint es aber, wenn die Vorinstanz daraus zu schliessen scheint, der Lastwagen sei vor der Kollision nicht gestanden. 
Die Vorinstanzen verfallen auch in Willkür, indem sie nicht hinreichend würdigen, dass der Personenwagen des Beschwerdeführers am hinteren linken Kotflügel beschädigt wurde. Dass sich der grösste Sachschaden vorne auf der linken Seite befand und der Rückspiegel zerstört wurde, ändert nichts daran, dass beim hinteren linken Kotflügel ein schwarzer Abrieb erkennbar ist. Die Vorinstanzen übergehen in willkürlicher Weise die Argumentation des Beschwerdeführers, dies sei Gummi, der nur vom Vorderreifen des Lastwagens stammen könne, was ein klares Indiz dafür sei, dass der Lastwagen mit seinem Vorderreifen hinter dem hinteren Kotflügel des Personenwagens des Beschwerdeführers gewesen sei. 
 
1.5. Die Vorinstanz hat das erstinstanzliche Urteil zu Unrecht für willkürfrei befunden. Da die kantonalen Instanzen den massgebenden Sachverhalt neu werden würdigen müssen, erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen einzugehen.  
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der unterliegenden Beschwerdegegnerin sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Januar 2017 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an dieses zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. November 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres