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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_860/2017  
 
 
Urteil vom 20. Dezember 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Leimbacher, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. September 2017 (IV.2016.00496). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
 
A.a. Der 1965 geborene A.________ war hauptberuflich als Küchenhilfe im Altersheim B.________ angestellt und arbeitete nebenbei stundenweise als Unterhaltsreiniger bei der C.________ AG. Im Oktober 2005 meldete er sich unter Hinweis auf Rücken- und Spannungskopfschmerzen, Migräne sowie eine Depression bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Das kantonale Gericht hob eine erste abweisende Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 26. November 2007 auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 30. April 2009). Diese liess A.________ bei der Academy of Swiss Insurance Medicine (nachfolgend: asim), Basel, polydisziplinär begutachten (Gutachten vom 1. Juli 2010) und sprach ihm mit Verfügung vom 6. Juni 2011 ab 1. Dezember 2004 eine Viertelsrente zu (Invaliditätsgrad: 47 %).  
 
A.b. Im November 2013 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren ein und veranlasste bei der Aerztlichen Begutachtungsinstitut GmbH (nachfolgend: ABI), Basel, eine neue polydisziplinäre Expertise, die vom 9. November 2015 datiert. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verfügte sie am 18. März 2016 die Aufhebung der bisherigen Viertelsrente per Ende des auf die Zustellung der Verfügung folgenden Monats.  
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. September 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm weiterhin eine Viertelsrente auszurichten. Sodann ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung gemäss Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist allein, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Voraussetzungen für die Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) der ursprünglichen Rentenverfügung vom 6. Juni 2011 auf dem Wege der substituierten Begründung (vgl. statt vieler: BGE 144 I 103 E. 2.2 S. 105 f. mit Hinweisen) bejaht hat. Nicht im Streit liegt demgegenüber die Frage der Rentenrevision gemäss Art. 17 Abs. 1 ATSG, nachdem die Vorinstanz deren Voraussetzungen verneint hat, ohne dass dies von irgendeiner Seite beschwerdeweise angefochten worden wäre. Daran ändern die Vorbringen der Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung nichts. 
 
2.1. Nach Art. 53 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen zurückkommen, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Überprüfung bildeten, wenn diese nach damaliger Sach- und Rechtslage zweifellos unrichtig sind, und - was auf periodische Dauerleistungen regelmässig zutrifft (vgl. BGE 119 V 475 E. 1c S. 480) - ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Die Wiedererwägung im Sinne dieser Bestimmung dient der Korrektur einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung einschliesslich unrichtiger Feststellung des Sachverhalts, insbesondere bei einer klaren Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Zweifellose Unrichtigkeit meint, dass kein vernünftiger Zweifel an der (von Beginn weg bestehenden) Unrichtigkeit der Verfügung möglich, also einzig dieser Schluss denkbar ist (BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328). Soweit ermessensgeprägte Teile der Anspruchsprüfung vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage einschliesslich der Rechtspraxis im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprache in vertretbarer Weise beurteilt wurden, scheidet eine zweifellose Unrichtigkeit aus (BGE 141 V 405 E. 5.2 S. 414 f.; Urteil 9C_766/2016 vom 3. April 2017 E. 1.1.2). Bei deren Annahme im Bereich der invaliditätsmässigen Leistungsvoraussetzungen ist daher Zurückhaltung geboten (SVR 2011 IV Nr. 71 S. 213, 9C_994/2010 E. 3.2.1; Urteil 9C_309/2017 vom 13. Juli 2017 E. 3.2). Ansonsten würde die Wiedererwägung zum Instrument einer voraussetzungslosen Neuprüfung des Anspruchs, was sich nicht mit dem Wesen der Rechtsbeständigkeit formell zugesprochener Dauerleistungen verträgt (Urteil 9C_819/2017 vom 13. Februar 2018 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen).  
 
2.2. Die Feststellungen, welche der Beurteilung der zweifellosen Unrichtigkeit zugrunde liegen, sind tatsächlicher Natur und folglich nur eingeschränkt überprüfbar (E. 1). Dagegen ist die Auslegung (Konkretisierung) dieses unbestimmten Rechtsbegriffs als Wiedererwägungsvoraussetzung eine grundsätzlich frei prüfbare Rechtsfrage (Art. 95 lit. a BGG; Urteil 9C_309/2017 vom 13. Juli 2017 E. 2.2.2 mit Hinweisen).  
 
3.   
Das asim-Gutachten vom 1. Juli 2010 enthielt Berichte über vier spezialärztliche, nämlich rheumatologische, neurologische und psychiatrische Untersuchungen, die, wie von der Rechtsprechung gefordert, in einem Konsensualverfahren in eine Gesamtschätzung der Arbeitsunfähigkeit mündeten. Darüber hinaus hat in der Folge Dr. med. D.________ vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) diese Schlusseinschätzung als überzeugend betrachtet. Wenn sich IV-Stelle auf diese umfassend dokumentierten und begründeten medizinischen Grundlagen gestützt hatte, kann ihr nicht eine offensichtlich unrichtige Rentenzusprache vorgeworfen werden. Die gegenteilige Auffassung des kantonalen Gerichts, wonach die ursprüngliche Rentenzusprache offensichtlich unrichtig gewesen sein soll, verletzt Bundesrecht. 
 
3.1. Das Gleiche gilt sinngemäss für die erwerbliche Seite der initialen Invaliditätsbemessung:  
 
3.1.1. Die Leistungszusprache vom 6. Juni 2011 beruhte auf einem Einkommensvergleich (vgl. Art. 16 ATSG). Hierbei bestimmte die Verwaltung das Valideneinkommen (indexiert auf 2005: Fr. 72'435.-) anhand des Durchschnitts derjenigen Einkommen, welche der Beschwerdeführer von 2001 bis 2003 gemäss Auszug aus dem individuellen Konto in seiner Haupt- und Nebentätigkeit erzielt hatte (2001: Fr. 56'340.- + Fr. 13'605.- = Fr. 69'945.-; 2002: Fr. 59'613.- + Fr. 17'170.- = Fr. 76'783.-; 2003: Fr. 55'113.- + Fr. 11'605 = Fr. 66'718.-). Damit ist sie dem Grundsatz der möglichst konkreten Bestimmung des Valideneinkommens gefolgt (statt vieler: Urteil 9C_110/2016 vom 28. Dezember 2016 E. 4.3.3) und hat einbezogen, dass Einkommensschwankungen vorlagen. Von einer gänzlich unhaltbaren Festlegung kann unter diesen Umständen keine Rede sein.  
 
3.1.2. Eine Wiedererwägung der rentenzusprechenden Verfügung entfällt, wie dies in der Beschwerde zutreffend dargelegt wird, im Übrigen auch aufgrund des nicht zweifellos unrichtigen  Resultats der Invaliditätsbemessung (vgl. dazu BGE 140 V 77 E. 3.1 S. 79 f. mit Hinweisen). Die Vorinstanz hat das Invalideneinkommen nach den gleichen Grundlagen ermittelt, wie sie der Verfügung vom 6. Juni 2011 zugrunde lagen: Sie hat die vom Bundesamt für Statistik (BfS) periodisch herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen (LSE) 2004 (Tabelle TA1, Anforderungsniveau 4, Total, Männer) herangezogen und daraus, indexiert auf 2005 und angepasst an die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit, (implizit) einen Jahreslohn von Fr. 57'912.- für ein Vollzeitpensum ermittelt (Fr. 46'330.- [80 %] : 8 x 10). Ist sodann mit Blick auf die von der IV-Stelle dannzumal berücksichtigte Arbeitsfähigkeit (70 % für angepasste Tätigkeiten) keine klare Rechtsverletzung ersichtlich (E. 3.2), so ergibt sich ein Invalideneinkommen von Fr. 40'538.40 (Fr. 57'912.- x 0.7). Aus der Gegenüberstellung mit dem vom kantonalen Gericht auf Fr. 70'492.- korrigierten Valideneinkommen resultiert unverändert ein Anspruch auf eine Viertelsrente (Invaliditätsgrad: [gerundet] 42.5 %). Nähere Ausführungen zum Rentenbeginn erübrigen sich unter diesen Umständen, handelt es sich doch dabei bloss um ein einzelnes Anspruchselement, dessen allfällig unrichtige Bestimmung für sich allein nicht genügt, um wiedererwägungsweise auf die verfügte Leistung zurückzukommen (vgl. auch SVR 2018 IV Nr. 59 S. 190, 8C_680/2017 E. 4.2.1).  
 
4.   
Nach dem Gesagten ist die Rentenaufhebung auf dem Weg der Wiedererwägung unzulässig. Auch unter einem anderen Rückkommenstitel fällt sie ausser Betracht (zur Motivsubstitution vgl. statt vieler: Urteil 9C_417/2017 vom 19. April 2018 E. 2.4). Insbesondere kann nicht auf lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) zurückgegriffen werden, was das kantonale Gericht offen gelassen hat. Denn die vom psychiatrischen ABI-Gutachter Dr. med. E.________ im Aufhebungszeitpunkt unverändert attestierte 30%ige Einschränkung für angepasste Tätigkeiten (vgl. ABI-Gutachten, S. 26) beruht auf einem lege artis durchgeführten strukturierten Beweisverfahren nach Massgabe von BGE 141 V 181. Triftige Gründe für ein Abweichen von dieser Einschätzung fehlen. Somit bleibt es beim bisherigen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Viertelsrente. Die Beschwerde ist begründet. 
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. September 2017 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 18. März 2016 werden aufgehoben. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. Dezember 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder