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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_660/2021  
 
 
Urteil vom 20. Dezember 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Merz, 
nebenamtlicher Bundesrichter Weber, 
Gerichtsschreiberin Hänni. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Metzger, 
 
gegen  
 
B.________ AG, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Benno Burtscher, 
 
Gemeinde St. Moritz, 
Via Maistra 12, 7500 St. Moritz, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Otmar Bänziger. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer, 
vom 14. September 2021 (R 20 85). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 25. Oktober 2017 erhob unter anderem A.________ Einsprache gegen das Baugesuch der B.________ AG betreffend den Abbruch des bestehenden Wohnhauses U.________ auf der Parzelle 1838 in St. Moritz und den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit drei altrechtlichen Wohnungen, die gestützt auf Art. 11 Abs. 3 des Bundesgesetzes über Zweitwohnungen vom 20. März 2015 (ZWG; SR 702) um 30% der vorbestandenen Hauptnutzungsfläche (HNF) erweitert werden sollten, mit einer Erstwohnung im Erdgeschoss und einem Büro. Der Gemeindevorstand St. Moritz wies die Einsprachen mit Bau- und Einspracheentscheid vom 20. August 2018 ab und bewilligte das Gesuch der B.________ AG mit Auflagen. 
Am 28. Januar 2019 erteilte der Gemeindevorstand eine weitere Bewilligung unter anderem für die unterirdische Erweiterung der Erstwohnung im Erdgeschoss und die komplette Überarbeitung des Grunḍrisses. 
Beide Baubewilligungsentscheide erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Am 7. Oktober 2019 begann die B.________ AG mit der Projektrealisierung und im September 2020 waren die Rohbauarbeiten im Gange. 
 
B.  
Mit Schreiben vom 19. Juni 2020 machte unter anderem A.________ die Gemeinde St. Moritz auf die Urteile des Bundesgerichts 1C_478/2019 und 1C_479/2019 vom 8. Mai 2020 aufmerksam und ersuchte sie um einen Entscheid in Form einer anfechtbaren Verfügung. 
Der Gemeindevorstand St. Moritz entschied am 6. Juli 2020, nicht auf die Baubewilligungen vom 20. August 2018 und vom 28. Januar 2019 zurückzukommen. 
 
C.  
Gegen diesen Entscheid erhob A.________ am 25. August 2020 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 14. September 2021 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
D.  
Mit Eingabe vom 2. November 2021 gelangt A.________ mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht und beantragt, das angefochtene Urteil sowie der kommunale Bauentscheid vom 6. Juli 2020 seien aufzuheben, das Verfahren an die Gemeinde St. Moritz zurückzuweisen und es sei diese anzuweisen, die erteilten Baubewilligungen mit einer Nutzungsauflage im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a ZWG (Nutzung als Erstwohnung) zu verknüpfen. Eventualiter sei die Angelegenheit zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
Das Verwaltungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde unter Hinweis auf das angefochtene Urteil. Die Gemeinde St. Moritz und die Beschwerdegegnerin beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid betreffend die Zweitwohnungsgesetzgebung. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin einer Wohnung der Liegenschaft, die unmittelbar an die Bauparzelle angrenzt, und somit besonders vom Bauvorhaben betroffen und zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist somit grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Vorliegend ist nicht bestritten, dass die Gemeinde St. Moritz den Abbruch des bestehenden Wohnhauses und den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit drei um 30% zu erweiternden altrechtlichen Wohnungen auf der Parzelle 1838 in St. Moritz bewilligt hat und dass die entsprechenden Entscheide vom 20. August 2018 und 28. Januar 2019 in Rechtskraft erwachsen sind. Ebenfalls nicht streitig ist, dass das Bundesgericht in den am 8. Mai 2020 ergangenen Urteilen 1C_478/2019 und 1C_479/2019 die Rechtsprechung betreffend die Zweitwohnungsgesetzgebung dahingehend präzisiert hat, dass der Wiederaufbau altrechtlicher Wohnungen ohne Nutzungsbeschränkung nach Art. 11 Abs. 2 ZWG nicht mit der Erweiterung nach Art. 11 Abs. 3 ZWG kumuliert werden kann.  
Streitig ist hingegen, ob die Vorinstanz zu Recht den Entscheid der Gemeinde St. Moritz gestützt hat, die beiden erwähnten rechtskräftigen Bauentscheide nicht zu widerrufen. 
 
3.2. Das Verwaltungsgericht führt dazu aus, es bedürfe eines gesetzlichen oder in der Rechtsprechung anerkannten Rückkommenstitels, um auf die beiden rechtskräftigen Baubewilligungen zurückzukommen.  
Es zitiert zunächst die bundesgerichtliche Rechtsprechung betreffend Widerruf. Es führt sodann weiter aus, dass Verwaltungsbehörden nach den Regelungen im Gesetz des Kantons Graubünden über die Verwaltungsrechtspflege vom 31. August 2006 (VRG/GR; BR 370.100) auf Verfügungen in Form der Wiedererwägung (Art. 24 VRG), des Widerrufs (Art. 25 VRG) und der Revision (Art. 67 VRG) zurückkommen dürften. Der Widerruf gemäss Art. 25 VRG sei rechtsprechungsgemäss nur auf ursprünglich fehlerfreie bzw. erst nachträglich fehlerhaft oder rechtswidrig gewordene (Dauer-) Verfügungen anzuwenden, weil sich die Sach- und Rechtslage gegenüber der ursprünglichen Entscheidungsgrundlage geändert habe. Eine geänderte Gerichts- und Verwaltungspraxis stelle keinen Grund für einen Widerruf dar. Der Widerruf könne erfolgen, wenn keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen dem Widerruf entgegenstünden. 
Vorliegend seien die Voraussetzungen für einen Widerruf gemäss Art. 25 VRG/GR nicht gegeben: Einerseits habe sich in der Zwischenzeit nicht die Rechts- und Sachlage, sondern einzig die Auslegung des Art. 11 Abs. 3 ZWG durch das Bundesgericht geändert. Andererseits sei das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Bauruinen sowie das Interesse der Bauherrschaft, die bereits begonnenen Bauten gestützt auf eine rechtskräftige Baubewilligung fertig zu bauen, gross. Die Gemeinde St. Moritz habe somit zu Recht von einem Widerruf der rechtskräftigen Baubewilligungen abgesehen. 
Das Verwaltungsgericht führt ausserdem aus, die Beschwerdeführerin habe im Einspracheverfahren gegen den ersten Baubewilligungsentscheid die Verletzung der Zweitwohnungsgesetzgebung nicht gerügt. Dies nun im Rahmen eines Gesuchs um Wiedererwägung zu tun, verstosse gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und insbesondere gegen die Verbote des widersprüchlichen Verhaltens und des Rechts-missbrauchs. 
 
4.  
Was die Beschwerdeführerin dagegen ausführt, überzeugt nicht. 
 
4.1. Vorab ist fraglich, ob überhaupt auf die Beschwerde eingetreten werden kann, da sich die Beschwerdeführerin nicht oder nur sehr rudimentär mit der Begründung des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt (vgl. oben E. 2). Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, da ihre Beschwerde ohnehin abzuweisen ist.  
 
4.2. Die Beschwerdegegnerin bringt lediglich sinngemäss vor, die Vorinstanzen hätten nicht geprüft, inwiefern der Bauherrin durch eine bundesrechtliche Nutzungsbeschränkung ein finanzieller Schaden entstehe. Ohne diese Prüfung könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass das Interesse der Investorin das sehr hohe Interesse an der Durchsetzung der Zweitwohnungsgesetzgebung überwiege. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin die Behauptung, das wirtschaftliche Interesse der Bauherrin sei unzutreffend ermittelt worden, in keiner Weise begründet, setzt sie sich nicht mit den Voraussetzungen des Widerrufs auseinander und legt nicht dar, wieso diese vorliegend gegeben sein sollten.  
Wie die Vorinstanz richtigerweise ausgeführt hat, kann eine formell rechtskräftige Verfügung grundsätzlich nicht widerrufen werden, wenn das Interesse am Vertrauensschutz demjenigen an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts vorgeht: Dies trifft in der Regel dann zu, wenn durch sie ein subjektives Recht begründet worden oder die Verfügung in einem Verfahren ergangen ist, in dem die sich gegenüberstehenden Interessen allseitig zu prüfen und gegeneinander abzuwägen waren, oder wenn die Privatperson von einer ihr durch die Verfügung eingeräumten Befugnis bereits Gebrauch gemacht hat. Ein Widerruf kommt in diesen Fällen nur dann in Betracht, wenn er durch ein besonders gewichtiges öffentliches Interesse geboten ist (BGE 144 III 285 E. 3.5 mit Hinweisen). Eine Änderung der Rechtsprechung stellt grundsätzlich keinen Grund für die Wiedererwägung bzw. den Widerruf dar (BGE 144 III 285 E. 3.4 mit Hinweisen). 
 
4.3. Die Anwendung dieser Rechtsprechung sowie des Art. 25 VRG/GR durch die Vorinstanz auf den vorliegenden Fall überzeugen: Die Präzisierung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 11 Abs. 3 ZWG stellt für sich allein keinen Widerrufsgrund dar. Weiter hat die Beschwerdegegnerin von der Baubewilligung bereits Gebrauch gemacht und ist mit der Projektausführung weit fortgeschritten. Das Verwaltungsgericht hat sodann in nachvollziehbarer Weise, insbesondere unter Hinweis auf den Entscheid der Gemeinde St. Moritz vom 6. Juli 2020, dargelegt, dass der Bauherrschaft durch eine Verknüpfung der Baubewilligung mit einer Erstwohnungsauflage ein grosser finanzieller Schaden entstehen würde. Insgesamt verletzt es kein Bundesrecht, zu erwägen, das Interesse der Beschwerdegegnerin und das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Bauruinen überwiege vorliegend die richtige Durchführung des Zweitwohnungsgesetzes. Auf die vorinstanzlichen Ausführungen kann verwiesen werden.  
 
5.  
Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG mit summarischer Begründung und unter Hinweis auf den vorinstanzlichen Gerichtsentscheid (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt wird. 
 
6.  
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat der privaten Beschwerdegegnerin eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde St. Moritz, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, und dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. Dezember 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni