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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_921/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 21. Januar 2015  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Jametti, 
Gerichtsschreiber Moses. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sandro G. Tobler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4, 6300 Zug, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verletzung von Verkehrsregeln, Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, Strafabteilung, vom 21. August 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 X.________ fuhr am 7. Juni 2011, um ca. 14:45 Uhr, auf der Autobahn A4 zwischen dem Anschluss Küssnacht am Rigi und der Verzweigung Rütihof. Ihm wird vorgeworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf einer Distanz von 948 Metern um durchschnittlich 35 km/h überschritten zu haben. 
 
B.  
 
 Das Obergericht des Kantons Zug erklärte X.________ am 21. August 2014 zweitinstanzlich der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. Es bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 270.-- und einer Busse von Fr. 700.--. 
 
C.  
 
 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der groben Verletzung der Verkehrsregeln freizusprechen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Messung der Geschwindigkeit erfolgte durch Nachfahren mit einem Video-Distanzmeter-Aufnahmeeinheit-Messsystem (ViDistA). Die Vorinstanz erwägt im Wesentlichen, der Abstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem Wagen des Beschwerdeführers habe sich während der Messung verringert. Die Messung entspreche daher nicht den Vorschriften von Art. 8 Abs. 1 lit. g und des Anhangs 1 der Verordnung des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) zur Strassenverkehrskontrollverordnung vom 22. Mai 2008 in der bis zum 31. Dezember 2013 gültigen Fassung (VSKV-ASTRA, SR 741.013.1) und es könne nicht darauf abgestellt werden. Aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ergebe sich aber, dass der Beweis des Umfangs der Geschwindigkeitsüberschreitung auch mit anderen Mitteln geführt werden darf. Messungen mittels ViDistA seien zuverlässig und könnten ohne Weiteres verwendet werden. Die Auswertungsmethode sei anerkannt und damit beweiskräftig. Der Sicherheitsabzug - von 8.49 km/h - sei vom System bereits berücksichtigt worden, weshalb keine zusätzliche Sicherheitsmarge abzuziehen sei. Es spiele bei einem solchen System keine Rolle, ob der Nachfahrabstand am Ende der Messung grösser oder kleiner als am Anfang sei. Das Messgerät sei am 4. März 2011 mit Gültigkeit für ein Jahr geeicht worden und die Reifen des Polizeifahrzeuges seien bis zum Zeitpunkt der Messung nicht gewechselt worden. Die Auswertung der Messung sei schlüssig und der Beschwerdeführer habe sie nicht beanstandet. Es sei auf die im Auswertungsbericht festgestellte Geschwindigkeit von 155 km/h abzustellen.  
 
1.2. Der Beschwerdeführer rügt, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht verwertbar und könne nicht als Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung herangezogen werden. Er bringt im Wesentlichen vor, Art. 8 Abs. 1 lit. g und Anhang 1 VSKV-ASTRA (in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung) würden vorschreiben, dass bei Nachfahrkontrollen mit einem Geschwindigkeitsmessgerät "mit Rechner und Video" in freier Nachfahrt der Abstand am Schluss der Messung grösser sein müsse als zu Beginn. Der Abstand habe sich im konkreten Fall während der Messung verringert, weshalb keine korrekte Messung vorliege. Anders als die früheren Technischen Weisungen des UVEK vom 10. August 1998 über Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr ("UVEK-Weisungen"), sehe die an ihre Stelle getretene VSKV-ASTRA keinen Vorbehalt zugunsten der freien richterlichen Beweiswürdigung mehr vor. Dies sei ein qualifiziertes Schweigen des Verordnungsgebers, woraus sich ergebe, dass die VSKV-ASTRA verbindliche Regeln aufstelle, wie Beweise mittels Kontrollen im Strassenverkehr zuhanden der Strafverfolgungsbehörden zu erheben seien. Die von der Vorinstanz erwähnte Literatur und Rechtsprechung sei vor dem Inkrafttreten der VSKV-ASTRA ergangen und somit nicht mehr relevant. Der Zweck der VSKV-ASTRA würde unterlaufen, wolle man im Sinne der freien richterlichen Beweiswürdigung generell auch diejenigen Beweise zulassen, die unter Verstoss gegen die verbindlichen Vorschriften dieser Verordnung erhoben worden seien. Die VSKV-ASTRA geniesse gegenüber den Weisungen des ASTRA vom 22. Mai 2008 über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung ("ASTRA-Weisungen") uneingeschränkt Vorrang.  
Für den Fall, dass sich die Geschwindigkeitsmessung als gültig erweisen sollte, bringt der Beschwerdeführer vor, die VSKV-ASTRA regle die Sicherheitsabzüge in genereller Weise. Dies bewirke, dass für sämtliche Systeme, welche auf der gleichen Technik basieren, dieselben Abzüge gelten. Der Verordnungsgeber habe dabei in Kauf genommen, dass auch beim Einsatz von Systemen, welche einen tieferen Sicherheitsabzug erlauben würden, zwingend der generelle Sicherheitsabzug angewendet werden müsse. Dies gelte auch dann, wenn die Geschwindigkeit aufgrund eines Gutachtens festgestellt wird. Von den vorgeschriebenen Sicherheitsabzügen dürfe nur abgewichen werden, wenn ein Messsystem verwendet wird, welches nicht von der VSKV-ASTRA erfasst ist. Die Verordnung sehe keine Sonderstellung für einzelne Systeme - wie etwa ViDistA - vor. Nichts anderes ergebe sich aus Ziff. 10.3 der ASTRA-Weisungen, wonach vom Messresultat kein Sicherheitswert abgezogen werde, wenn der Sachverhalt mit einem zugelassenen Videogeschwindigkeitsmesssystem ermittelt und nachträglich mit einer vom METAS zugelassenen Beweissicherungs- und Auswertungsmethode bearbeitet wurde, bei welcher der Sicherheitsabzug schon berücksichtigt wurde. Der Begriff "Sicherheitsabzug" sei von Art. 8 VSKV-ASTRA definiert; "Sicherheitswert" sei hingegen der individuelle Wert, der vom System errechnet wird und unter der Geltung der alten UVEK-Weisung zur Anwendung kam. Dass Art. 8 VSKV-ASTRA revidiert worden sei, zeige, dass ein systemabhängiger anstelle eines generellen Sicherheitsabzuges zum Tatzeitpunkt nicht vorgesehen war. Der Sicherheitsabzug betrage im vorliegenden Fall 10% des Geschwindigkeitsmesswertes, mithin 16.4 km/h. 
 
1.3.  
 
1.3.1. Insbesondere bei der Kontrolle der Geschwindigkeit sind nach Art. 9 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die Kontrolle des Strassenverkehrs vom 28. März 2007 (SKV, SR 741.013) technische Hilfsmittel einzusetzen. Für derartige Kontrollen regelt das ASTRA im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS) die Durchführung und das Verfahren ebenso wie die Anforderungen an die Messsysteme und Messarten sowie die technisch bedingten Sicherheitsabzüge (Art. 9 Abs. 2 SKV). Gestützt darauf erliess das ASTRA am 22. Mai 2008 sowohl die VSKV-ASTRA als auch die Weisungen über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr (ASTRA-Weisungen). Bei Nachfahrkontrollen sind nach Art. 8 Abs. 1 lit. g VSKV-ASTRA (in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) vom Geschwindigkeitsmesswert die Werte gemäss der Tabelle im Anhang 1 der Verordnung abzuziehen. Diese sieht vor, dass bei einer freien Nachfahrt, in welcher ein Geschwindigkeitsmessgerät "mit Rechner und Video" und der Abstand "variabel, am Schluss grösser als zu Beginn der Messung" ist, der Sicherheitsabzug bei einer Messstrecke von mindestens 500 Metern und einer ermittelten Geschwindigkeit von über 100 km/h 10% beträgt. Nach Ziff. 10.3 der ASTRA-Weisungen wird vom Messresultat kein Sicherheitswert abgezogen, wenn der Sachverhalt mit einem für diesen Zweck zugelassenen Videogeschwindigkeitsmesssystem ermittelt und nachträglich die Messung nach einer vom METAS zugelassenen Beweissicherungs- und Auswertungsmethode bearbeitet wurde. Unberührt von den ASTRA-Weisungen bleiben die Ermittlung der Geschwindigkeit durch Fachexpertisen (z.B. bei der Abklärung von Unfällen oder Widerhandlungen im Strassenverkehr) und die freie Beweiswürdigung durch die Gerichte (Ziff. 21 ASTRA-Weisungen). Am 1. Januar 2014 ist die neue lit. g von Art. 8 Abs. 1 VSKV-ASTRA in Kraft getreten, wonach bei Nachfahrkontrollen mit einem für diesen Zweck zugelassenen Videogeschwindigkeitsmesssystem und automatischer Auswertung des Messvorgangs mit einer genehmigten Software ein automatischer, vom Kontroll- und Auswertungspersonal nicht beeinflussbarer Sicherheitsabzug gemäss Zulassungsdokument des Eidgenössischen Instituts für Metrologie zur Anwendung kommt.  
 
1.3.2. Das Gericht würdigt nach Art. 10 Abs. 2 StPO die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung. Einen  numerus clausus der Beweismittel kennt die Strafprozessordnung nicht. Das Bundesgericht bestätigte kürzlich seine Rechtsprechung, wonach die Regeln betreffend den Einsatz von technischen Hilfsmitteln bei Geschwindigkeitskontrollen eine anderweitige Feststellung von Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht ausschliessen und die freie Beweiswürdigung durch Gerichte unberührt lassen (Urteil 6B_20/2014 vom 14. November 2014 E. 6.5). Daran ist festzuhalten. Das ASTRA verfügt über keine delegierte Gesetzgebungskompetenz, welche ihm erlauben würde, für die Gerichte verbindliche und von der Strafprozessordnung abweichende Regeln für die Beweiswürdigung zu erlassen. Einer Wiederholung dieser Grundsätze in der VSKV-ASTRA bedarf es nicht. Dass die VSKV-ASTRA keinen Vorbehalt zugunsten der freien richterlichen Beweiswürdigung mehr enthält, ist ohne Bedeutung und stellt kein qualifiziertes Schweigen dar.  
 
1.3.3. Die VSKV-ASTRA stellt Regeln über bestimmte Messsysteme auf. Wird eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf eine andere Weise - namentlich aufgrund eines Gutachtens - festgestellt, kommen diese Regeln nicht zur Anwendung. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Beschwerdeführers ist die verwendete Messmethode von Art. 8 Abs. 1 lit. g VSKV-ASTRA in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung nicht erfasst. Das ASTRA als Verordnungsgeber bringt dies in Ziff. 10.3 der ASTRA-Weisungen zum Ausdruck, wonach kein Sicherheitsabzug vorzunehmen ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Sachverhalt mit einem zugelassenen Videogeschwindigkeitsmesssystem ermittelt und die Messung nachträglich mit einer zugelassenen Beweissicherungs- und Auswertungsmethode bearbeitet wurde, bei welcher der Sicherheitsabzug schon berücksichtigt worden ist. Die ASTRA-Weisungen wurden am selben Tag wie die VSKV-ASTRA erlassen, konkretisieren diese und geben den Willen des Verordnungsgebers wieder. Dass das ASTRA die gleichlautende Regelung, welche in den zuvor geltenden UVEK-Weisungen enthalten war, mit dem Erlass der VKSV-ASTRA und der entsprechenden ASTRA-Weisungen aufgeben wollte, ist nicht erkennbar. Der neue Art. 8 Abs. 1 lit. g VSKV-ASTRA bestätigt dies nunmehr auf Verordnungsstufe, ohne etwas an der vorherigen Lage zu ändern. Als abwegig erweisen sich die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Wortlaut von Ziff. 10.3 der ASTRA-Weisungen. Zwischen einem Sicherheitsabzug und dem Abzug eines Sicherheitswertes besteht kein Unterschied.  
Weil die zur Feststellung der Geschwindigkeit verwendete Methode nicht von Art. 8 Abs. 1 lit. g VSKV-ASTRA in dem zum Tatzeitpunkt geltenden Wortlaut erfasst ist, kommen die im Anhang 1 der Verordnung festgelegten Abstände und Sicherheitsabzüge nicht zur Anwendung. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die mit dem ViDistA-System ermittelte Geschwindigkeit sei falsch und die Beweiswürdigung der Vorinstanz willkürlich. Dass die Vorinstanz die Geschwindigkeitsermittlung als unzuverlässig bezeichnete, weil sich der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen verringerte, lässt ihre Sachverhaltsfeststellung nicht als willkürlich erscheinen, zumal sie zutreffend darlegt, weshalb dies bei der verwendeten Methode der Geschwindigkeitsermittlung keine Rolle spielt. 
 
2.  
 
 Die Beschwerde ist abzuweisen. Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos geworden. Die Kosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Januar 2015 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Moses