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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.754/2005 /gij 
 
Urteil vom 21. Februar 2006 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Thönen. 
 
Parteien 
I.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Remi Kaufmann, 
 
gegen 
 
- W.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Thurnherr, 
- M.________, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Weber, 
Beschwerdegegner 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt für Wirtschaftsdelikte, Klosterhof 8a, 9001 St. Gallen, 
Anklagekammer des Kantons St. Gallen, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Aufhebung eines Strafverfahrens, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid 
der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 22. September 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 16. April 2003 erstatteten zwei Personen Strafklage gegen M.________ und W.________ wegen Verdachts auf gewerbsmässigen Betrug, Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung und andere Straftaten. In ergänzenden Eingaben führten sie aus, die Handlungen stünden im Zusammenhang mit der Abtretung von Markenrechten und einem Konkurs und seien zum Nachteil von T.________, der I.________ AG und anderer erfolgt. 
 
Am 16. Dezember 2003 erhoben die I.________ AG und T.________ Strafklage gegen nicht genannte Täter und verlangten die Untersuchung eines "Deals" vom 5. Februar 1998. Im Strafverfahren gegen M.________ und W.________ reichten die beiden Strafkläger am 21. Juni 2004 bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine Stellungnahme mit Verfahrensanträgen ein. 
 
Die Staatsanwaltschaft beendete das Strafverfahren mit Aufhebungsverfügung vom 30. Juli 2004. Eine von der I.________ AG und T.________ dagegen erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 22. September 2005 ab, soweit sie darauf eintrat. 
B. 
Die I.________ AG führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Anklagekammer aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
C. 
Die Staatsanwaltschaft, M.________ und W.________ verlangen in der Vernehmlassung je die Abweisung der Beschwerde. Die Anklagekammer hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der angefochtene Entscheid stellt einen Endentscheid dar. Ein kantonales Rechtsmittel dagegen ist nicht gegeben. Die staatsrechtliche Beschwerde ist insoweit zulässig (Art. 86 i.V.m. 87 OG). 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch die vorgeworfenen Handlungen im Betrag von 9 Millionen Deutsche Mark geschädigt worden zu sein. Sie rügt eine Verletzung ihrer Parteirechte im Strafverfahren, des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbots. Nach dem angefochtenen Entscheid kam der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren Parteistellung zu, soweit sie selber unmittelbar in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen war. 
2.2 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die persönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers in eigenen rechtlich geschützten Positionen voraus (Art. 88 OG). 
 
Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung eines Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Der Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung des Täters nur ein tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf seinen Antrag hin verfolgt wird. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung oder von Art. 6 EMRK zustehen (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 458 f.). 
2.3 Die Beschwerdeführerin ist zur Rüge der Verletzung der Parteirechte nach kantonalem Recht und nach Verfassungsrecht grundsätzlich legitimiert, soweit diese sich gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid richten. Auf eine Prüfung der Sache selbst hat sie nach dem Gesagten jedoch keinen Anspruch; auf dahingehende Vorbringen ist nicht einzutreten. 
3. 
Die Beschwerdeführerin bringt vor, S.________, F.________ und Z.________ hätten im kantonalen Beschwerdeverfahren als Zeugen befragt werden sollen. Überdies hätte sie zu Ergänzungsfragen an die Angeschuldigten zugelassen werden sollen. 
3.1 Die Staatsanwaltschaft hat die Strafuntersuchung mangels Tatbestand aufgehoben (Art. 182 Abs. 1 StPO/SG), das heisst nach durchgeführter Untersuchung in vorweggenommener Würdigung der Beweise und der Rechtslage die Prognose gestellt, ein allfälliges Gerichtsverfahren würde zu einem Freispruch führen (angefochtener Entscheid S. 8 Ziff. III.1). 
 
Die Beschwerdeführerin hat sich im kantonalen Beschwerdeverfahren hauptsächlich gegen die Aufhebung der Strafuntersuchung mangels Tatbestand gewendet und ausgeführt, wieso die Tatbestandsmässigkeit der vorgeworfenen Handlungen aus ihrer Sicht erfüllt sei. Im Weiteren hat sie beantragt, den Untersuchungsrichter für befangen zu erklären. 
3.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid zu richten (Art. 86 Abs. 1 OG). Streitgegenstand ist das darin geordnete Rechtsverhältnis, soweit es noch streitig ist. Grundsätzlich darf der Streitgegenstand nicht über den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid hinausgehen. Für die Klärung von darin nicht behandelten Fragen fehlt dem Beschwerdeführer das rechtlich geschützte Interesse (Art. 88 OG). 
3.3 Die Beschwerdeführerin hat die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, der Parteirechte und des Willkürverbots vor der Anklagekammer - soweit ersichtlich - nicht ausdrücklich vorgebracht, obwohl dies hinsichtlich des Untersuchungsverfahrens möglich gewesen wäre. Entsprechend behandelt der angefochtene Entscheid diese Fragen nicht. 
 
Es ist zweifelhaft, ob die genannten Rügen überhaupt zulässig sind, da sie vor Bundesgericht erstmals vorgebracht werden. Auf die Vorbringen wäre nicht einzutreten, soweit sie bereits vor der Anklagekammer hätten geltend gemacht werden müssen. Die Frage kann vorliegend aber offen gelassen werden, weil die Beschwerde aus den folgenden Erwägungen abzuweisen wäre, wenn auf sie eingetreten würde. 
4. 
4.1 Nach Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieses Mitwirkungsrecht umfasst alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann. Dazu gehört insbesondere das Recht, erhebliche Beweise beizubringen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern (BGE 131 I 153 E. 3 S. 157; 124 I 241 E. 2 S. 242; 117 Ia 262 E. 4b S. 268 f. mit Hinweisen). 
 
Gemäss Art. 42 StPO/SG kann Strafklage erheben und im Strafverfahren Parteirechte ausüben, wer durch eine strafbare Handlung unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen erscheint (Abs. 1). Die Parteirechte des Klägers beschränken sich auf das zur Wahrung seiner rechtlich geschützten Interessen Erforderliche (Abs. 2). Nach Art. 177 StPO/SG können die Parteien jederzeit die Ergänzung der Untersuchung beantragen (Abs. 1). Ein Beweisantrag wird abgelehnt, wenn eine bereits feststehende oder offenkundige Tatsache bewiesen werden soll oder von vornherein die rechtliche Unerheblichkeit des beantragten Beweises feststeht (Abs. 2). 
4.2 Die Beschwerdeführerin hat die Befragung von S.________ und F.________ bereits in der Eingabe an die Staatsanwaltschaft vom 21. Juni 2004 (S. 5, 7) beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat dazu mit Schreiben vom 26. Juli 2004 an den Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin Stellung genommen und den Verzicht auf die Erhebung weiterer Beweise mitgeteilt. 
 
Dies belegt einerseits, dass die Beschwerdeführerin in der Strafuntersuchung Beweisanträge stellen konnte und andererseits, dass die Staatsanwaltschaft diese berücksichtigt hat. Daher wurde das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin nicht verletzt. 
4.3 Die möglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin sind aufgrund ihrer Legitimation als Geschädigte im Strafverfahren (E. 2.2) eingeschränkt. Als in der Sache selbst nicht Legitimierte (welcher im kantonalen Verfahren jedoch Parteistellung zukam) kann sie beispielsweise geltend machen, sie sei nicht angehört worden oder habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen. Sie kann jedoch nicht rügen, die Beweise seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung abgewiesen worden, die kantonale Behörde habe die Beweise willkürlich gewürdigt oder das materielle Strafrecht willkürlich angewendet (BGE 120 Ia 157 E. 2/bb S. 160; 104 Ia 156 E. 2a S. 156 f.). 
 
Soweit sie die Behandlung der Beweisanträge in der Sache rügt, ist auf ihr Vorbringen nicht einzutreten. 
4.4 Die Beschwerdeführerin rügt den Verzicht auf die Einvernahme von Frau Z.________. Gemäss ihrer Darstellung hat sie am 30. August 2004 im kantonalen Beschwerdeverfahren einen entsprechenden Antrag gestellt. Sie führt nicht aus, wieso sie die Antragstellung in der Eingabe an die Staatsanwaltschaft vom 21. Juni 2004 unterlassen hat. 
 
Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262). 
 
Beweise sind rechtzeitig und formrichtig zu stellen. Bereits mit Schreiben vom 26. Juli 2004 hat die Staatsanwaltschaft der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass weitere Untersuchungshandlungen unterbleiben. Die Beschwerdeführerin nennt keinen Grund, wieso sie verhindert gewesen wäre, Frau Z.________ bereits im Untersuchungsverfahren als Zeugin zu nennen. Ihr erst nach Aufhebung der Untersuchung gestellter Antrag ist verspätet und ihre Rüge daher nicht zu hören. 
4.5 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe den Angeschuldigten keine Ergänzungsfragen stellen können, obwohl sie dies im Untersuchungsverfahren und im kantonalen Beschwerdeverfahren beantragt habe. 
 
Die Beschwerdeführerin belegt ihre Behauptung nicht ausreichend. An der für das Untersuchungsverfahren angegebenen Stelle ist kein Beweisantrag verzeichnet (Eingabe vom 21. Juni 2004 Ziff. 1 S. 2 oben, zitiert in Beschwerdeschrift Ziff. 6 S. 5). Die bezüglich des kantonalen Beschwerdeverfahrens genannte Beilage Nr. 20 zur kantonalen Beschwerdeschrift, überschrieben mit "Widersprüche M.________/W.________ vom 7.11.2003", enthält ebenfalls keinen Antrag, sondern erschöpft sich in einer Auflistung von Aussagen der Angeschuldigten. 
Das Vorbringen ist nicht ausreichend begründet, womit nach der Rechtsprechung zu Art. 90 Abs. 1 lit. b OG darauf nicht einzutreten ist. 
5. 
Die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin, etwa die unter dem Titel "Sachverhalt und Prozessgeschichte" geschilderten angeblichen Unregelmässigkeiten im kantonalen Verfahren oder die Rüge der Verletzung des Willkürverbots sind ungenügend begründet. Sie führt nicht aus, inwiefern durch den angefochtenen Entscheid welche verfassungsmässigen Rechte verletzt worden sind. Daher ist gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht darauf einzutreten. 
6. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin in der Strafuntersuchung Beweisanträge stellen konnte, welche die kantonale Behörde berücksichtigt hat. Es liegt keine Verletzung verfassungsmässiger Rechte vor, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat die beiden Beschwerdegegner W.________ und M.________ angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat die privaten Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit je Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft, Kantonales Untersuchungsamt für Wirtschaftsdelikte, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 21. Februar 2006 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: