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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_130/2021  
 
 
Urteil vom 21. Juni 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Müller, 
Gerichtsschreiber König. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration, 
Quellenweg 6, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Erleichterte Einbürgerung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI, 
vom 3. Februar 2021 (F-2472/2019). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ stammt aus Nigeria und ist mit einer Schweizerin verheiratet. Seit 2016 verfügt er über eine Niederlassungsbewilligung. 
Mit Schreiben vom 7. September 2016 ersuchte A.________ beim Staatssekretariat für Migration (SEM) um erleichterte Einbürgerung. 
Das Staatssekretariat für Migration wies das Gesuch mit Verfügung vom 18. April 2019 ab. Es führte zur Begründung aus, der Gesuchsteller erfülle die für die Einbürgerung notwendige Voraussetzung eines einwandfreien finanziellen Leumundes nicht. Auch seien die Stabilität und Zukunftsgerichtetheit der Ehe nicht hinreichend belegt. 
 
B.  
Hiergegen erhob A.________ am 22. Mai 2019 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses wies das Rechtsmittel mit Urteil vom 3. Februar 2021 ab. Es erklärte, zwar sei A.________ nicht im Betreibungsregister verzeichnet. Indessen weise ein aktenkundiger Betreibungsregisterauszug seiner Ehefrau 24 im Zeitraum vom 22. April 2014 bis 5. Juni 2018 ausgestellte Verlustscheine aus. A.________ hafte teilweise für die offenen Schulden, welche diesen Verlustscheinen zugrunde lägen. Deshalb sei seine erleichterte Einbürgerung praxisgemäss ausgeschlossen. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. März 2021 beantragt A.________ beim Bundesgericht, unter Aufhebung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2021 sei sein Gesuch um erleichterte Einbürgerung gutzuheissen. Zudem fordert ereine Entschädigung zu Lasten der Schweizerischen Eidgenossenschaft für Kosten, welche ihm erwachsen seien, weil die Behörden ihn nicht rechtzeitig und korrekt über die Entscheidrelevanz von Betreibungen gegen seine Ehefrau aufgeklärt hätten. 
Das Staatssekretariat für Migration und das Bundesverwaltungsgericht verzichten auf Vernehmlassung. 
Mit Eingabe vom 27. April 2021 hält der Beschwerdeführer an seinem Rechtsmittel fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einem Verfahren betreffend die erleichterte Einbürgerung. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen. Ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (vgl. Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als Adressat des angefochtenen Urteils zur Beschwerde befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben grundsätzlich zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde prinzipiell einzutreten ist (vgl. aber sogleich E. 1.2).  
 
1.2. Der Streitgegenstand kann vor Bundesgericht zwar eingeschränkt (minus), nicht aber ausgeweitet (plus) oder geändert (aliud) werden (vgl. Art. 99 Abs. 2 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.1 S. 22).  
Die Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Entschädigung wegen unrichtiger oder unterlassener behördlicher Auskunft zuzusprechen ist, bildete keinen Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens und hätte vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht behandelt werden müssen. Dementsprechend kann diese Frage auch keinen Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesgericht bilden. Soweit der Beschwerdeführer einen Entschädigungs- bzw. Haftungsanspruch wegen unrichtiger oder unterlassener behördlicher Auskunft geltend macht, ist folglich auf seine Beschwerde nicht einzutreten. 
 
2.  
In materieller Hinsicht ist umstritten, ob der Beschwerdeführer über einen einwandfreien finanziellen Leumund verfügt. Zwar ist er unbestrittenermassen nicht im Betreibungsregister verzeichnet. Streitig ist jedoch, ob die im Betreibungsregister seiner Ehefrau aufgelisteten Verlustscheine einer erleichterten Einbürgerung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt der Respektierung der schweizerischen Rechtsordnung entgegenstehen. 
Gemäss Art. 50 Abs. 1 des am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Bürgerrechtsgesetzes vom 20. Juni 2014 (BüG; SR 141.0) richten sich Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts nach dem Recht, das bei Eintritt des massgebenden Tatbestands in Kraft steht. Die vorliegende Streitsache ist somit nach dem Bürgerrechtsgesetz vom 29. September 1952 (aBüG; AS 1952 1087) zu beurteilen, das im Zeitpunkt des Gesuchs des Beschwerdeführers um erleichterte Einbürgerung in Kraft stand (vgl. auch BGE 146 I 49 E. 2.1; Urteile 1C_238/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 5; 1C_370/2019 vom 21. Oktober 2019 E. 2.1). 
Gemäss Art. 27 Abs. 1 aBüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit einer Schweizerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizerin lebt. Wer erleichtert eingebürgert werden will, muss neben anderen Voraussetzungen die schweizerische Rechtsordnung respektieren (Art. 26 Abs. 1 lit. b aBüG). Zur Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung gehört gemäss ständiger Rechtsprechung auch die Erfüllung privatrechtlicher Pflichten, also ein einwandfreier finanzieller bzw. betreibungsrechtlicher Leumund (vgl. BGE 140 II 65 E. 3.3.1 S. 69; Urteile 1C_599/2018 vom 2. April 2019 E. 2.2; 1C_299/2018 vom 28. März 2019 E. 3). Gemäss der Rechtsprechung wird in dieser Hinsicht verlangt, dass die Bewerber ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Bei hängigen Betreibungsverfahren und Lohnpfändungen oder ungelöschten Verlustscheinen, die vor weniger als fünf Jahren ausgestellt worden sind, darf keine erleichterte Einbürgerung ausgesprochen werden (vgl. Urteil 1C_299/2018 vom 28. März 2019 E. 4 und 5 mit Hinweis [publ. in: ZBl 121/2020, S. 111 ff.]; Ziff. 4.7.3.2 des Handbuches Bürgerrecht des Staatssekretariats für Migration für Gesuche bis zum 31. Dezember 2017, abrufbar auf www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Weisungen und Kreisschreiben > V. Bürgerrecht [zuletzt eingesehen am 14. Juni 2020]). 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz erklärte im angefochtenen Urteil, der Beschwerdeführer sei zwar im Betreibungsregister nicht verzeichnet. In Betreibungen gegen seine Ehefrau seien aber in den vergangenen fünf Jahren 24 Verlustscheine ausgestellt worden. Darunter befänden sich Verlustscheine wegen offenen Schulden gegenüber der Krankenversicherung der Ehefrau (B.________ SA; Verlustscheine über Fr. 10'849.65), den Schweizerischen Bundesbahnen (Verlustschein über Fr. 222.--) und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Verlustschein betreffend die Billag AG über Fr. 379.95). Hierbei handle es sich um Verbindlichkeiten aus laufenden Bedürfnissen der Familie, für welche die Ehegatten solidarisch haften würden. Die im Betreibungsregisterauszug der Ehefrau des Beschwerdeführers aufgelisteten Verlustscheine würden damit seiner erleichterten Einbürgerung praxisgemäss entgegenstehen. Es könne nach wie vor nicht von einem guten finanziellen Leumund des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Denn namentlich würde es an Hinweisen auf eine zwischenzeitlich erfolgte ganze oder teilweise Schuldentilgung fehlen.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei bis heute nicht betrieben worden. Insbesondere seien bis dato keine Verlustscheine in Betreibungen gegen ihn ausgestellt worden. Dies habe er denn auch in einer am 13. Dezember 2016 beim Staatssekretariat für Migration abgegebenen Erklärung bestätigt. Er sei damals nicht darauf hingewiesen worden, dass ihm im Einbürgerungsverfahren eine solidarische Haftung für familiäre Schulden entgegengehalten werden könne. Weiter stelle sich die Frage, ob er tatsächlich solidarisch für Schulden seiner Ehefrau hafte. Es falle in diesem Zusammenhang insbesondere ins Gewicht, dass gegen ihn bislang keine Betreibung wegen solcher Schulden eingeleitet worden sei. Zudem gehe es vorliegend nicht um Haushaltsschulden. Vielmehr handle es sich bei den Schulden gegenüber der Krankenversicherung um Selbstbehalte, welche die Ehefrau aufgrund eines ausschliesslich in ihrem Namen abgeschlossenen Versicherungsvertrages schulde. Die Schuld gegenüber den Schweizerischen Bundesbahnen sei eine der Ehefrau persönlich auferlegte Geldstrafe oder Busse. Auch die offenen Radio- und Fernsehgebühren seien ausschliesslich über seine Ehefrau abgerechnet worden. Im Übrigen sei er nicht Verursacher der nicht getilgten Schulden; diese seien vielmehr auf eine Spielsucht seiner Frau zurückzuführen.  
 
4.  
Zwar besteht möglicherweise eine Solidarhaftung des Beschwerdeführers für zumindest einen Teil der offenen Schulden, die Gegenstand der im Betreibungsregisterauszug seiner Ehefrau aufgeführten Verlustscheine bilden (vgl. zur Solidarhaftung des Ehegatten für Schulden aus Rechtsgeschäften zur Deckung der laufenden Bedürfnisse der Familie Art. 166 Abs. 1 ZGB; siehe ferner BGE 129 V 90 E. 3.1 S. 92 [zur Frage, ob der Abschluss einer Krankenversicherung den laufenden Bedürfnissen der Familie im Sinne dieser Vorschrift zuzuordnen ist]; vgl. ferner Urteil 1D_7/2019 vom 18. Dezember 2019 E. 4.1). Auch erscheint es grundsätzlich denkbar, dass ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung abzuweisen ist, weil in Betreibungen gegen den Ehegatten des Gesuchstellers Verlustscheine ausgestellt wurden und der Gesuchsteller für die in Betreibung gesetzten Schulden solidarisch haftet (vgl. dazu auch Ziff. 4.7.3.2 lit. a/bb des erwähnten Handbuches Bürgerrecht des Staatssekretariats für Migration, wonach bei der Beurteilung des finanziellen Leumundes bei Betreibungen bzw. Verlustscheinen gegen den schweizerischen Ehegatten zu prüfen ist, ob es um Schulden aus laufenden Bedürfnisse der Familie geht, für welche der ausländische Ehegatte solidarisch einzustehen hat). 
Zu berücksichtigen ist aber, dass der Beschwerdeführer trotz zahlreicher Betreibungen gegen seine Ehefrau selbst nicht im Betreibungsregister verzeichnet ist. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass er von den Gläubigern gar nicht dazu angehalten worden ist, die bei seiner Ehefrau in Betreibung gesetzten Forderungen zu erfüllen. Es geht unter diesen Umständen zu weit, dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, er habe angesichts der entsprechenden offenen Schulden die schweizerische Rechtsordnung nicht im Sinne von Art. 26 Abs. 1 lit. b aBüG beachtet. Mit anderen Worten verstösst es gegen Bundesrecht, die erleichterte Einbürgerung des Beschwerdeführers mit der Begründung zu verweigern, im Betreibungsregisterauszug seiner Ehefrau seien in der Verdachtsperiode Verlustscheine verzeichnet. 
 
5.  
Der einwandfreie finanzielle Leumund bildet nur eine von mehreren Einbürgerungsvoraussetzungen. Die Vorinstanz hat die übrigen Anforderungen weder beurteilt noch die dafür erforderlichen Sachverhaltsabklärungen vorgenommen. Es ist dem Bundesgericht daher verwehrt, über das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen insgesamt zu entscheiden (vgl. auch Urteil 1D_7/2019 vom 18. Dezember 2019 E. 4.3). Deshalb ist die Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu ergänzender Sachverhaltsabklärung sowie zu neuem Entscheid unter Prüfung sämtlicher Einbürgerungsvoraussetzungen an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG). 
 
6.  
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 68 BGG). Eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren ist dem anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer praxisgemäss nicht zuzusprechen (vgl. BGE 133 III 439 E. 4 S. 446; Urteile 1C_352/2019 vom 27. Mai 2020 E. 4; 1B_128/2019 vom 2. Juli 2019 E. 3). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2021 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens und zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung VI, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Juni 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: König