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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_436/2011 
 
Urteil vom 21. September 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Christoph Dumartheray, 
 
gegen 
 
Richteramt Bucheggberg-Wasseramt, Strafabteilung, Amtsgerichtspräsident, Amthaus 1, Postfach 157, 
4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege für einen Zeugen, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 25. Juli 2011 des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 7. Juni 2011 wurde X.________ im Strafverfahren gegen Y.________ als Zeuge zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2011 vor dem Amtsgericht Bucheggberg-Wasseramt vorgeladen. Mit Eingabe vom 24. Juni 2011 ersuchte X.________ darum, Advokat Christoph Dumartheray zu seinem unentgeltlichen Rechtsbeistand zu ernennen. Mit Verfügung vom 30. Juni 2011 wies der Amtsgerichtspräsident das Gesuch ab. Zur Begründung führte er aus, es liege kein Fall einer notwendigen oder amtlichen Verteidigung vor, und X.________ sei auch nicht Privatkläger. Die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege seien nicht gegeben. 
Gegen diese Verfügung erhob X.________ am 13. Juli 2011 Beschwerde ans Obergericht des Kantons Solothurn. Dieses wies die Beschwerde mit Urteil vom 25. Juli 2011 ab. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 26. August 2011 beantragt X.________ sinngemäss, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und sein Gesuch um Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistands für das erstinstanzliche Verfahren gutzuheissen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts im Kosten- und Entschädigungspunkt aufzuheben und ihm für das vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen. Diese sei ihm auch im Verfahren vor dem Bundesgericht zu gewähren. 
Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Amtsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Eingaben wurden dem Beschwerdeführer zur Kenntnisnahme zugestellt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. 
Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Verfahrensbeteiligter befugt, die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (vgl. BGE 136 IV 29 E. 1.9 S. 40 mit Hinweisen; Urteil 1B_212/2009 vom 20. Januar 2010 E. 1.2, in: Pra 2010 Nr. 57 S. 415). Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe als anderer Verfahrensbeteiligter im Sinne von Art. 105 StPO Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Er rügt damit eine Verletzung eines Verfahrensrechts und hat insoweit ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
Mit dem angefochtenen Entscheid wurde dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege verweigert. Hierbei handelt es sich um einen selbstständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid in einer Strafsache. Dieser Zwischenentscheid kann einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken (BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; Urteil 1D_4/2010 vom 15. Juni 2010 E. 1.2). 
Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, als anderer Verfahrensbeteiligter im Sinne von Art. 105 StPO könne er gemäss Art. 127 StPO zur Wahrung seiner Interessen einen Rechtsbeistand bestellen. Vor diesem Hintergrund würde es eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und einen Verstoss gegen das Gebot der Waffengleichheit darstellen, wenn einzig der beschuldigten Person (und allfälligen Privatklägern) die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt werde. Der Beschwerdeführer führt weiter aus, es frage sich, ob ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe und ob es überhaupt zulässig sei, ihn als Zeuge, statt als Auskunftsperson einzuvernehmen. Er sei in der gleichen Sache vom Strafgericht Basel-Stadt mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 13. September 2007 wegen Drogendelikten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Je nach Ausgang des Verfahrens gegen Y.________ könne das Urteil vom 13. September 2007 zu seinen Ungunsten in Revision gezogen werden. Zusammenfassend sei er deshalb zur Wahrung seiner Interessen auf den Beizug eines Rechtsanwalts angewiesen. Indem die Vorinstanz sein Gesuch abgewiesen habe, habe sie seinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege missachtet. Zumindest aber hätte die Vorinstanz ihm für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewähren müssen, da seine Beschwerde nicht aussichtslos gewesen sei. 
 
2.2 Die Vorinstanz hat erwogen, die Strafprozessordnung sehe zwei Formen der unentgeltlichen Rechtspflege für bedürftige Personen vor, einerseits die amtliche Verteidigung der beschuldigten Person nach Art. 132 ff. StPO, soweit die Verteidigung zur Wahrung der Interessen geboten sei, und andererseits die unentgeltliche Rechtspflege für die Privatklägerschaft gemäss Art. 136 StPO, soweit die Durchsetzung der Zivilansprüche in Frage stehe und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheine. Zwar sei zutreffend, dass auch andere Verfahrensbeteiligte wie Zeugen (Art. 105 Abs. 1 lit. c StPO) zur Wahrung ihrer Interessen einen Rechtsbeistand bestellen könnten (Art. 127 Abs. 1 StPO). Diese Möglichkeit begründe jedoch keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, denn bei einem Zeugen sei weder eine Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen erforderlich, noch gehe es um eine Zivilklage, deren Aussichten beurteilt werden könnten. Inwiefern hierdurch das Gebot der Waffengleichheit tangiert sein sollte, sei nicht ersichtlich. 
 
2.3 Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 127 Abs. 1 StPO. Nach dieser Bestimmung können die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft und die anderen Verfahrensbeteiligten zur Wahrung ihrer Interessen einen Rechtsbeistand bestellen. Die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft sind Parteien im Strafverfahren (vgl. Art. 104 Abs. 1 lit. a und b StPO), als andere Verfahrensbeteiligte werden namentlich Zeuginnen und Zeugen genannt (Art. 105 Abs. 1 lit. c StPO). Werden diese anderen Verfahrensbeteiligten in ihren Rechten unmittelbar betroffen, so stehen ihnen die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu (Art. 105 Abs. 2 StPO). 
Die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft haben als Parteien unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. So ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person bedürftig und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Mit dieser Regelung wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV kodifiziert. Der nicht über die erforderlichen Mittel verfügenden Privatklägerschaft wird zur Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, wenn die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (vgl. Art. 136 Abs. 1 StPO). Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst die Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen und den Verfahrenskosten sowie die Bestellung eines Rechtsbeistands, wenn dies zur Wahrung der Rechte der Privatklägerschaft notwendig ist (Art. 136 Abs. 2 StPO). 
 
2.4 Art. 127 Abs. 1 StPO statuiert das Recht der beschuldigten Person, der Privatklägerschaft und der anderen Verfahrensbeteiligten auf Beizug eines Rechtsbeistands, begründet jedoch keinen Anspruch auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Ein solcher Anspruch besteht einzig, wenn die Voraussetzungen von Art. 132 StPO (beschuldigte Person) respektive Art. 136 StPO (Privatklägerschaft) erfüllt sind. Voraussetzung, damit allenfalls auch anderen Verfahrensbeteiligten ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege zustünde, ist, dass diese in ihren Rechten unmittelbar betroffen sind, denn nur diesfalls stehen ihnen die Verfahrensrechte einer Partei zu (vgl. Art. 105 Abs. 2 StPO; Viktor Lieber, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich 2010, Art. 105 N. 20). Die vom Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit geforderte Gleichstellung mit der beschuldigten Person in Bezug auf die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege geht fehl. Der Beschwerdeführer ist im hier interessierenden Verfahren nicht angeschuldigt und muss deshalb auch nicht über die gleichen "Waffen" verfügen wie die beschuldigte Person. 
Zeuge im strafprozessualen Sinn ist eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist (Art. 162 StPO). Gegenstand des Zeugenbeweises können alle Tatsachen sein, die unmittelbar oder mittelbar für die Entscheidung erheblich sind; Rechtsfragen bilden hingegen nicht Gegenstand des Zeugenbeweises. Jede zeugnisfähige Person ist unter dem Vorbehalt der Zeugnisverweigerungsrechte (Art. 168 ff. StPO) zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet (Art. 163 Abs. 2 StPO). Die einvernehmende Behörde macht den Zeugen auf seine Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam, sobald sie aufgrund der Befragung und der Akten solche Rechte erkennt. Unterbleibt der Hinweis und beruft sich der Zeuge nachträglich auf das Zeugnisverweigerungsrecht, so ist die Einvernahme nicht verwertbar (Art. 177 Abs. 3 StPO). 
Im zu beurteilenden Fall ist nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer durch die grundsätzliche Pflicht, wahrheitsgemäss über die persönliche Wahrnehmung tatsächlicher Vorgänge zu berichten, unmittelbar in eigenen Rechten betroffen und insoweit auf die Bestellung eines Rechtsbeistands zur Wahrung seiner Interessen angewiesen sein könnte. 
Auch soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringt, je nach Ausgang des Strafverfahrens gegen Y.________ könne das gegen ihn ergangene, in Rechtskraft erwachsene Urteil vom 13. September 2007 zu seinen Ungunsten in Revision gezogen werden, ist eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten zu verneinen. Der Beschwerdeführer muss sich nicht selber derart belasten, dass er sich (zusätzlich) strafrechtlich verantwortlich machen würde (Art. 169 Abs.1 lit. a StPO). Sollte tatsächlich ein Revisionsverfahren eröffnet und durchgeführt werden, hätte der Beschwerdeführer als beschuldigte Person unter den Voraussetzungen von Art. 132 StPO Anspruch auf eine amtliche Verteidigung. 
 
2.5 Schliesslich ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen hat. Gleiches gilt für das Verfahren vor dem Bundesgericht, weshalb dem Gesuch auch insoweit nicht entsprochen werden kann. 
 
3. 
Zusammenfassend sind die Beschwerde und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Kosten des Verfahrens vor dem Bundesgericht sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dabei ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Richteramt Bucheggberg-Wasseramt, Strafabteilung, Amtsgerichtspräsident, und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 21. September 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner