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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 686/06 
I 715/06 
 
Urteil vom 22. Januar 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Ferrari, Seiler, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
I 686/06 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
S.________, 1946, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Advokat Dr. Alex Hediger, 
 
und 
 
I 715/06 
S.________, 1946, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Advokat Dr. Alex Hediger, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde [OG] gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 27. April 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1946 geborene S.________ meldete sich im Dezember 2002 bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Mit Verfügung vom 18. November 2003 sprach ihr die IV-Stelle Basel-Stadt ab 1. März 2003 eine halbe Invalidenrente samt Zusatzrente für den Ehemann zu, was sie nach weiteren Abklärungen mit Einspracheentscheid vom 5. September 2005 bestätigte. 
B. 
In Gutheissung der Beschwerde der S.________ hob das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt den Einspracheentscheid vom 5. September 2005 auf und wies die Sache zum neuerlichen Entscheid im Sinne der Erwägungen (Zusprechung einer ganzen Rente vom 1. März bis 31. Dezember 2003 und einer Dreiviertelrente ab 1. Januar 2004) an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 27. April 2006). 
C. 
Sowohl die IV-Stelle als auch S.________, vertreten durch Advokat Dr. Alex Hediger, führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragen die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides, die Versicherte in dem Sinne, dass ihr ab 1. März 2003 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen sei, unter Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. 
 
S.________ und IV-Stelle schliessen jeweils auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Gegenpartei. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet in beiden Verfahren (I 686/06 und I 715/06) auf eine Vernehmlassung. 
 
Mit Eingabe vom 23. Oktober 2006 hielt S.________ am Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden richten sich gegen denselben letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, es liegt ihnen der nämliche Sachverhalt zu Grunde und es stellen sich die gleichen Rechtsfragen. Es rechtfertigt sich daher, die Verfahren I 686/06 und I 715/06 zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE 128 V 126 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 128 V 194 Erw. 1). 
2. 
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110]) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2). 
3. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung (Invalidenrente). Das Bundesgericht prüft daher nur, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens (Art. 104 lit. a OG), oder ob sie den rechtserheblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (Art. 132 Abs. 2 OG, in Kraft seit 1. Juli 2006, vorliegend anwendbar gemäss Ziff. II lit. c und Ziff. III der Übergangsbestimmungen zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [IVG] vom 16. Dezember 2005 [AS 2006 2003]). 
4. 
Die IV-Stelle ermittelte in Anwendung der gemischten Methode (vgl. dazu BGE 125 V 148 ff. Erw. 2a-c sowie BGE 130 V 393 und SVR 2006 IV Nr. 42 S. 151 [I 156/04]) einen Invaliditätsgrad von 50 % (0,77 x 51,48 % + 0,23 x 46 %), was Anspruch auf eine halbe Rente gibt (Art. 28 Abs. 1 IVG). Dabei entspricht 0,77 (77 %/100 %) dem zeitlichen Umfang gemessen an einem Normalarbeitspensum, in welchem die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre. 51,48 % beträgt die Einschränkung im erwerblichen Bereich, 46 % im Aufgabenbereich Haushalt. Den erwerbsbezogenen Invaliditätsgrad bestimmte die IV-Stelle durch Einkommensvergleich (BGE 128 V 30 Erw. 1). Als Valideneinkommen (Fr. 31'861.-) nahm sie den durchschnittlichen Verdienst 1997-2000 der Versicherten als Buffet- und Backstubenhilfe in der Confiserie X.________ gemäss den IK-Eintragungen an. Das Invalideneinkommen (Fr. 15'460.-) ermittelte die IV-Stelle auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2000 des Bundesamtes für Statistik (LSE 00; BGE 129 V 475 f. Erw. 4.2.1, 124 V 321). Dabei gewährte sie einen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn von 10 % (BGE 126 V 75). 
Das kantonale Gericht hat die Invaliditätsschätzung der IV-Stelle in Bezug auf Bemessungsmethode und Valideneinkommen korrigiert. Es hat unter Annahme einer ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ganztags ausgeübten Erwerbstätigkeit den Invaliditätsgrad durch Einkommensvergleich ermittelt. Dabei hat es das Valideneinkommen (Fr. 48'100.-) ebenfalls auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik ermittelt. Daraus resultierte bei im Übrigen unveränderten Bemessungsfaktoren ein Invaliditätsgrad von 68 % (zum Runden BGE 130 V 121). Dies ergibt bis 31. Dezember 2003 Anspruch auf eine ganze Rente und ab 1. Januar 2004 Anspruch auf eine Dreiviertelrente (Art. 28 Abs. 1 IVG). 
5. 
Die IV-Stelle beanstandet die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung in Bezug auf die anwendbare Methode. 
5.1 Das kantonale Gericht hat zur Frage, ob die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung voll- oder teilerwerbstätig wäre, erwogen, aufgrund der ins Recht gelegten Lohnabrechnungen habe das Arbeitspensum als Buffet- und Backstubengehilfin in der Confiserie X.________ 1999-2001 zwischen 90 % und 95 % betragen. Dies entspreche beinahe einem Vollpensum. Da die Versicherte offenbar einen Teil ihrer Arbeitsleistung unregelmässig nach Bedarf der Arbeitgeberin zu erbringen gehabt habe, sei die Ausübung einer weiteren Teilzeitarbeit nicht möglich gewesen. Sodann habe die Versicherte keine kleinen Kinder und auch sonst keine Betreuungsaufgaben zu übernehmen gehabt, welche eine Reduktion des Arbeitspensums erforderten. Die Anstellung in der Confiserie X.________ sei daher als Vollzeitstelle zu betrachten und demzufolge der Invaliditätsgrad nach der Einkommensvergleichsmethode zu ermitteln. 
5.2 Die vorinstanzliche Annahme einer Vollerwerbstätigkeit im Gesundheitsfall kann weder als offensichtlich unrichtig bezeichnet werden, noch ist sie das Ergebnis der Beweiswürdigung eines unvollständig festgestellten Sachverhalts. Daran ändern die Vorbringen der IV-Stelle nichts. Insbesondere tut die Verwaltung nicht dar, inwiefern die vorinstanzliche Feststellung eines tatsächlich geleisteten Arbeitspensums zwischen 90 % und 95 % 1999-2001 unrichtig ist. Der Einwand, von den geleisteten (recte: bezahlten) Arbeitsstunden müssten die Krankheitsstunden abgezogen werden, ist nicht stichhaltig. Selbst wenn im Übrigen die Versicherte zu einem unterdurchschnittlichen Lohn arbeitete, in den letzten Jahren viele Überstunden leisten musste und dabei an die Grenzen der gesundheitlichen Belastung gekommen war, wie die IV-Stelle vorbringt, lässt sich daraus nicht auf ein ohne gesundheitliche Beeinträchtigung geleistetes erwerbliches Pensum von lediglich 75 % schliessen. Im Gegenteil spricht dies ebenfalls für ein im Gesundheitsfall geleistetes erwerbliches Arbeitspensum von 100 %. 
 
Es ist somit im Lichte der beschränkten Kognition (Erw. 2.2) nicht zu beanstanden, wenn die kantonale Rekurskommission den Invaliditätsgrad durch Einkommensvergleich auf der Grundlage eines 100 %-Pensums ermittelt hat. 
6. 
Die Versicherte ficht die Höhe des Abzugs vom Tabellenlohn bei der Bestimmung des Invalideneinkommens an. Sie bringt u.a. vor, sie verfüge über keine Ausbildung und gesundheitlich bedingt seien ihr lediglich einfachste Arbeiten (Mithilfe in der Küche, beim Aufräumen und Ähnliches) während drei Stunden am Tag zumutbar. Dies schränke ihren Einsatzbereich massiv ein, was sich auf das Lohnniveau auswirke. 
6.1 Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert (Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale einer versicherten Person, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad (vgl. LSE 94 S. 51) Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V 323 Erw. 3b/aa). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er kann maximal 25 % betragen (BGE 126 V 79 f. Erw. 5b/aa-cc; Urteil M. vom 29. August 2002 [I 97/00] Erw. 1.3.2). 
 
Die Frage nach der Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzuges vom Tabellenlohn ist eine typische Ermessensfrage. Deren Beantwortung ist letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich, wo das kantonale Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (Art. 104 lit. a OG; BGE 132 V 399 Erw. 3.3; vgl. auch BGE 126 V 81 Erw. 6). 
6.2 Die Vorinstanz hat die Höhe des Abzugs vom Tabellenlohn auf 10 % festgesetzt. Dabei hat sie das Lebensalter der Versicherten und dass ihr gesundheitlich bedingt lediglich noch leichte Arbeiten zumutbar sind, berücksichtigt. Es kann offen bleiben, ob diese Festsetzung den konkreten Umständen genügend Rechnung trägt. Die Vorinstanz ist wegen der - unbestritten - branchenunüblich tiefen Entlöhnung als Buffet- und Backstubenhilfe von einem höheren Valideneinkommen von Fr. 48'100.- für 2003 ausgegangen als sich aufgrund der IK-Eintragungen 1997-2000 resp. des 2001 erzielten beitragspflichtigen Verdienstes von Fr. 31'877.- ergäbe (Erw. 3). Damit hat sie aber den invaliditätsfremden Faktoren (Alter, Ausbildung etc.) im Rahmen der Invaliditätsbemessung hinreichend Rechnung getragen (vgl. Urteile H. vom 6. September 2006 [U 454/05] Erw. 6.6.3 und M. vom 29. August 2002 [I 97/00] Erw. 1.4 mit Hinweisen). Ein rein leidensbedingter Abzug von 10 % kann nicht als rechtsfehlerhafte Ermessensausübung bezeichnet werden. Das vorinstanzlich ermittelte Invalideneinkommen von Fr. 15'460.- ist daher nicht zu beanstanden. 
 
Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens. 
7. 
Bei diesem Ergebnis sind die Gerichtskosten je zur Hälfte der IV-Stelle und der Versicherten aufzuerlegen (Art. 134 zweiter Satz OG und Art. 156 Abs. 1 und 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Die Verwaltung hat zudem der Versicherten für das Verfahren I 686/06 eine u.a. nach dem anwaltlichen Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 3 OG sowie Art. 2 Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht und Art. 160 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verfahren I 686/06 und I 715/06 werden vereinigt. 
2. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der IV-Stelle Basel-Stadt und S.________ zu gleichen Teilen auferlegt unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses von je Fr. 500.-; der Differenzbetrag von je Fr. 100.- wird ihnen zurückerstattet. 
4. 
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat S.________ für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse Panvica, Bern, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 22. Januar 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: