Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.676/2004 /gij 
 
Urteil vom 22. März 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Pfisterer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Linus Jaeggi, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, Postfach, 8023 Zürich, 
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Postfach, 8022 Zürich. 
 
Gegenstand 
Art. 9, 29 und 32 BV, Art. 6 EMRK (Strafverfahren), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss 
des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 27. September 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wurde vom Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich am 30. Oktober 2003 der Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG (SR 142.20) schuldig gesprochen und zu 21 Tagen Gefängnis verurteilt, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Ihm wurde vorgeworfen, in der Zeit von ca. 10. Mai 2001 bis 27. Juli 2001 einer slowakischen Staatsangehörigen in seiner Wohnung Logis gewährt und diese unter anderem mit Reinigungsarbeiten und Kinderbetreuungsaufgaben betraut zu haben, obwohl sie nicht im Besitz der entsprechenden fremdenpolizeilichen Arbeitsbewilligungen gewesen sei. X.________ bestreitet dies. 
 
Auf seine Berufung hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich den Schuldspruch am 11. März 2004. Es bestrafte X.________ hingegen lediglich mit einer Busse von Fr. 5'000.--, unter Gewährung der vorzeitigen Löschung der Busse im Strafregister nach einer Probezeit von einem Jahr. 
 
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 27. September 2004 ab. 
B. 
X.________ erhebt mit Eingabe vom 22. November 2004 staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des Beschlusses des Kassationsgerichts. 
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und das Kassationsgericht verzichten auf eine Vernehmlassung. 
C. 
Das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde am 17. Dezember 2004 gutgeheissen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG). Er macht die Verletzung verfassungsmässig garantierter Rechte geltend (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Dazu ist er legitimiert. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf seine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten. 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt hauptsächlich eine Verletzung seines Rechts, Fragen an die einzige Belastungszeugin stellen zu können. Die Fragen, welche er habe stellen wollen, seien in unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden. Dadurch seien vorab Art. 6 Ziff. 1 i. V. m. Art. 6 Ziff. 3 EMRK und Art. 32 BV verletzt worden. 
2.2 Das Kassationsgericht führte aus, es sei nicht zu beanstanden, wenn das Obergericht angenommen habe, die beantragten Zusatzfragen des Beschwerdeführers an die Zeugin seien für die Aufklärung der Sache irrelevant. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass das Obergericht, wie zuvor der Bezirksanwalt und der Einzelrichter, von einer erneuten rechtshilfeweisen Einvernahme der Zeugin abgesehen hätten. 
2.3 Mit dem Anspruch des Angeschuldigten, dem Belastungszeugen Fragen zu stellen (Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK), soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen eines Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wird, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen (Urteil des EGMR i. S. Unterpertinger gegen Österreich vom 24. November 1986, Serie A, Bd. 110, Ziff. 33; BGE 129 I 151 E. 3.1 mit Hinweis; Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, Zürich 1999, Rz. 477). 
 
Der verfassungs- und konventionsrechtlich gesicherte Anspruch auf Befragung von Belastungszeugen erfährt in der Praxis eine gewisse Relativierung; er gilt uneingeschränkt nur, wenn dem streitigen Zeugnis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieses also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt (Urteil des EGMR i. S. Delta gegen Frankreich vom 19. Dezember 1990, Serie A, Bd. 191-A, Ziff. 37; BGE 129 I 151 E. 3.1 mit Hinweisen). Bilden die Aussagen des Belastungszeugen das einzige Beweismittel für die Verurteilung des Angeschuldigten, so ist es demnach mit der Verfassung und der EMRK unvereinbar, sachbezogene Fragen des Angeklagten an den einzigen Belastungszeugen mittels antizipierter Beweiswürdigung als nicht notwendig zu erklären und die entsprechenden Beweisanträge abzuweisen (vgl. BGE 129 I 151 E. 4.3). 
2.4 Die Zeugin wurde am Abend des 27. Juli 2001 beim Strassenzollamt Diepoldsau durch die Polizei angehalten. Auf Befragung gab sie an, am 10. oder 12. Mai 2001 in die Schweiz eingereist zu sein und seither beim Beschwerdeführer ohne Bewilligung als Hausmädchen gearbeitet zu haben. Die Polizei entliess die Zeugin am nächsten Morgen, worauf sie aus der Schweiz ausreiste. Am 31. Juli 2002 wurde sie rechtshilfeweise in der Slowakei befragt. Der Beschwerdeführer erfuhr von dieser Einvernahme erst im Nachhinein. Eigene Fragen konnte er der Zeugin nicht stellen. 
2.5 Das Kassationsgericht schützte die Ansicht des Obergerichts, es sei dem Anspruch des Beschwerdeführers bereits Genüge getan, indem er nach der Einsicht in das Einvernahmeprotokoll habe Fragen formulieren können. Es müsse zulässig sein, diese Fragen an einen Belastungszeugen, die der Entlastung des Angeklagten dienen sollten, auf ihre Relevanz hin zu überprüfen und nicht zuzulassen, wenn sie nicht relevant seien. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. 
Der Schuldspruch des Beschwerdeführers beruht ausschliesslich auf den Aussagen einer einzigen Zeugin. Der Beschwerdeführer als Angeklagter konnte dieser nie Fragen stellen bzw. seine beantragten Fragen wurden in antizipierter Beweiswürdigung als irrelevant bezeichnet und abgelehnt. Es blieb ihm somit verwehrt, mittels sachbezogener, selbst formulierter Fragen an die Zeugin zu versuchen, deren ursprüngliche Aussagen im Lichte neuer Antworten in Zweifel zu ziehen. Dadurch wurde sein unter den vorliegenden Umständen absoluter Anspruch auf Befragung der einzigen Belastungszeugin verletzt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zeugin mutmasslich entscheidwesentliche Antworten gegeben hätte. Da sie auf die Frage nach dem Vornamen der Ehefrau des Beschwerdeführers zu Protokoll gab, sie könne sich "im Moment" nicht daran erinnern, trifft es auch nicht zu, dass die erste Frage des Beschwerdeführers (Vorname der Ehefrau) zum Vornherein und jedenfalls völlig unerheblich gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat diesen Antrag nach der Einsicht in das Einvernahmeprotokoll denn auch ausdrücklich damit begründet, die Zeugin erinnere sich vielleicht auf erneute Nachfrage doch noch an den Namen. Die zweite vom Beschwerdeführer beantragte Frage an die Zeugin, in welchem Zimmer sie in seinem Haus geschlafen habe, kann gleichermassen nicht vorneweg als vollkommen irrelevant bezeichnet werden. Dem Beschwerdeführer bleibt vorliegend angesichts des lediglich auf den Aussagen einer Zeugin beruhenden Schuldspruchs nur die Möglichkeit, deren Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Die Antwort auf die Frage nach dem zugeteilten Zimmer kann daher für das Beweisergebnis durchaus von Bedeutung sein. 
Damit ist diese Rüge des Beschwerdeführers begründet. Die weiteren Vorbringen sind infolgedessen nicht mehr zu prüfen. 
3. 
Nach dem Dargelegten ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 27. September 2004 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 22. März 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: