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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_27/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 22. März 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefano Cocchi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Taggeld, Arbeitslosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 18. November 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1981 geborene A.________ schloss am 17. Juli 2001 die Lehre als Sanitärmonteur ab. In der Folge erlitt er Verletzungen am rechten Knie und an der rechten Hand. Am 31. Juli 2010 beendete er die von der IV-Stelle Schwyz finanzierte Grundausbildung zum Logistiker mit einem Fähigkeitszeugnis. Im Weiteren kam die IV-Stelle für Umschulungen des Versicherten zum Logistikfachmann BP und in den administrativen Bereich auf, welche aber vorzeitig scheiterten. Am 15. Juli 2015 unterschrieb er einen Praktikanten-Arbeitsvertrag mit der B.________ AG zwecks Umschulung in den kaufmännischen Bereich. Am 11. September 2015 erteilte die IV-Stelle Kostengutsprache für eine Umschulung in diesem Betrieb vom 10. August 2015 bis 9. August 2016 und eine Schulung an der Kaufmännischen Berufsschule vom 17. August 2015 bis 25. Juni 2016. Am 16. Dezember 2015 übernahm sie die Kosten für Stützunterricht im Nachhilfeinstitut C.________. Das IV-Taggeld kürzte sie in Anbetracht des von der B.________ AG bezahlten Lohns von Fr. 124.- auf Fr. 82.80 (Verfügung vom 23. Dezember 2015). Am 7. April 2016 kündigte diese das Arbeitsverhältnis per 30. April 2016. Die IV-Stelle teilte dem Versicherten am 22. April 2016 mit, das Taggeld werde ab 1. Mai 2016 bis 25. Juni 2016 nur noch für die Schultage (Montag) ausgerichtet. Am 19. April 2016 gab die B.________ AG an, sie werde die korrekte Kündigungsfrist einhalten und das Arbeitsverhältnis per 31. Mai 2016 beenden. In der Folge endete diese Anstellung formell per 30. Juni 2016. Mit Verfügung vom 11. Mai 2016 sprach die IV-Stelle dem Versicherten in der Zeit vom 1. Mai 2016 bis 26. Juni 2016 für die jeweiligen Schultage ein Taggeld von Fr. 124.- zu. 
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz im Sinne der Erwägungen ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 18. November 2016). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm vom 1. Mai 2016 bis 26. Juni 2016 ein volles IV-Taggeld zuzusprechen. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG. Die konkrete Beweiswürdigung ist Sachverhaltsfrage (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585; SVR 2009 IV Nr. 30 S. 85 E. 3.2 [9C_431/2008]). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen des Taggeldanspruchs (Art. Art. 8 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 und 6 IVG; Art. 17 bis, Art. 18 Abs. 4, Art. 20 quater Abs. 1 und 4 IVV) und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 133 V 57 E. 6.8 S. 65 f.; Urteil 9C_311/2014 vom 11. August 2014 E. 1) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
 
3.1. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. Mai 2016 bis 26. Juni 2016 für die Unterrichtstage an der kaufmännischen Berufsschule Anspruch auf das IV-Taggeld hat. Strittig und zu prüfen ist dieser Anspruch für die übrigen Wochentage in diesem Zeitraum, an denen gemäss dem Praktikanten-Arbeitsvertrag vom 15. Juli 2015 eine Praktikumstätigkeit in der B.________ AG vereinbart war.  
 
3.2. Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen erwogen, am 15. April 2016 habe die B.________ AG das Praktikumsverhältnis per 30. April 2016 gekündigt, wobei der 15. April 2016 als letzter Arbeitstag festgehalten worden sei. Dass der Beschwerdeführer diese Praktikumstätigkeit danach nochmals aufgenommen habe, sei weder aktenkundig noch werde es von ihm geltend gemacht. Mit Schreiben vom 15. April 2016 habe er der B.________ AG mitgeteilt, bis zum Ablauf der gesetzeskonformen Kündigungsfrist am 31. Mai 2016 biete er seine Arbeitskraft an und sei bereit, seine Ferien zu verschieben und sich unverzüglich wieder im Büro einzufinden. Falls er bis 20. April 2016 nichts von ihr höre, werde von einer Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ausgegangen. Bei dieser Sachlage sei es nicht zu beanstanden, dass die IV-Stelle für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 26. Juni 2016 nur noch Taggelder für die Unterrichtstage an der Kaufmännischen Berufsschule ausgerichtet habe. Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit Art. 20 quater Abs. 4 IVV, wonach der Taggeldanspruch entfalle, wenn feststehe, dass die Eingliederungsmassnahme nicht mehr weitergeführt werde. Indem der Beschwerdeführer selber von einer Freistellung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist - die sich infolge Krankheit während derselben bis 30. Juni 2016 verlängert habe - spreche, gehe er konkludent davon aus, dass dieser Eingliederungsversuch beendet gewesen sei. Ob künftig ein weiterer Umschulungsversuch im kaufmännischen Sektor in Frage komme, nachdem er trotz der von der IV-Stelle finanzierten Unterstützungsleistungen (mit Nachhilfeunterricht) die Abschlussprüfung für das betreffende Handelsschuldiplom am 25. Juni 2016 nicht bestanden habe, könne offen bleiben, zumal diese Fragestellung nicht zum Gegentand der strittigen Verfügung gehöre. Für das vorliegende Ergebnis spreche sodann Art. 18 Abs. 4 IVV, wonach die versicherte Person bei einem bestehenden Anspruch auf ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung (ALV) kein Anrecht auf ein IV-Taggeld habe. Nach den Abklärungen der IV-Stelle bei der zuständigen Arbeitslosenkasse sei ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Mai 2016 anerkannt worden, wobei der (nachträglich) von der B.________ AG bis 30. Juni 2016 gewährte Lohn (verlängerte Kündigungsfrist) als Zwischenverdienst angerechnet worden sei.  
 
4.  
 
4.1. Unbestritten ist die vorinstanzliche Feststellung, dass der Beschwerdeführer ab 1. Mai 2016 bis 26. Juni 2016 Taggelder der ALV bezogen hat. Das Bundesgericht hat mit Urteil 9C_942/2009 vom 15. März 2010 E. 5.4.3 entschieden, der Anspruch auf ein Taggeld der ALV schliesse ein Taggeld der IV aus (Art. 18 Abs. 4 IVV). Diese Regelung stimme - so das Bundesgericht weiter - mit dem bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Art. 19 Abs. 2 IVV überein (AHI 2002 S. 15, I 710/00 E. 2b/aa; AHI 1998 S. 60 E. 2) und beschlage auch das Wartetaggeld.  
 
Auch wenn Art. 18 Abs. 4 IVV unter der Marginalie "Wartezeiten im Allgemeinen" figuriert, folgt aus dem Urteil 9C_942/2009, dass diese Regelung nicht nur für das Wartetaggeld der IV, sondern generell für das IV-Taggeld gilt. Dieses Ergebnis stimmt mit den Erläuterungen der Aufsichtsbehörde zu den Änderungen der IVV vom 21. Mai 2003 überein, wonach sich der altrechtliche Art. 19 Abs. 2 IVV über die Koordination der Taggeldansprüche zwischen der IV und der ALV nicht nur auf die Wartezeiten während der Arbeitsvermittlung beziehe, sondern allgemein auf den Zeitraum, in dem Anspruch auf ein Taggeld der ALV bestehe. Das IV-Taggeld falle immer in dem Ausmass weg, als ein Anspruch auf Taggelder der ALV bestehe (vgl. AHI 2003 S. 311 ff., S. 314 f.). Im gleichen Sinne wird in der Literatur der Standpunkt vertreten, im Verhältnis zwischen ALV und IV gelte im Grundsatz ein reines Prioritätsprinzip. Wem Taggelder des einen Sozialversicherungsträgers zustünden, habe keinen Anspruch auf solche des anderen Zweiges. Die materielle Koordination zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung geschehe dabei grundsätzlich nach Massgabe des Kriteriums der Vermittlungsfähigkeit. Zwar sei dies nach geltendem Recht nur für einen schmalen Teilbereich festgelegt (Art. 19 Abs. 2 IVV, gültig gewesen bis Ende 2003), wodurch zum Ausdruck gelange, dass die Anspruchsberechtigten sich in Versicherungsfällen nicht besser stellen sollten, als wenn diese nicht eingetreten wären (vgl. UELI KIESER, Die Taggeldkoordination im Sozialversicherungsrecht, AJP 2000 S. 256). 
 
4.2. Der Beschwerdeführer wendet ein, die ALV habe ihn darauf hingewiesen, dass die IV für die hier strittige Periode leistungspflichtig sei und er die ALV-Taggelder zurückzahlen müsse, falls die IV die Taggelder doch bezahle. Dieses Vorgehen der ALV sei korrekt, sei sie doch vorleistungspflichtig. Demnach habe die Vorinstanz Art. 18 Abs. 4 IVV falsch angewendet.  
 
Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG regelt zwar eine Vorleistungspflicht der ALV u.a. für Leistungen, deren Übernahme durch die IV umstritten sind. Indessen ist zu beachten, dass das ATSG auf die Koordination von Taggeldern verzichtet und zugleich die Arbeitslosenentschädigung, die als Taggeld ausgerichtet wird (vgl. Art. 21 AVIG), die hauptsächliche Leistungsart der ALV darstellt (vgl. Art. 8 ff. AVIG). Mithin regelt die ATSG-Bestimmung eine Vorleistungspflicht, ohne dass das ATSG die intersystemische Koordination von Taggeldern vornimmt. Es obliegt bei dieser Ausgangslage in wesentlichen Bereichen der Rechtsprechung, die sich stellenden Fragen zu beantworten (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 63 Vorbemerkungen und N. 26 zu Art. 70 ATSG). Das Urteil 9C_942/2009 liefert im vorliegenden Fall die Lösung (vgl. E. 4.1 hiervor). Ernsthafte sachliche Gründe für eine Praxisänderung (hierzu siehe BGE 141 II 297 E. 5.5.1 S. 303; 140 V 538 E. 4.5 S. 541) werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. 
 
4.3. Da nach dem Gesagten der Bezug der Arbeitslosenentschädigung den Anspruch auf das IV-Taggeld ausschliesst, sind die Vorbringen des Beschwerdeführers unbeheflich, er habe gestützt auf Art. 17 bis lit. b IVV und Art. 20 quater Abs. 4 IVV dennoch Anrecht darauf. Gleiches gilt für seine Rüge, die Vorinstanz habe sich nicht zu seinem Einwand geäussert, er habe die Praktikumsbeendigung bei der B.________ AG nicht verschuldet, weshalb eine willkürliche Beweiswürdigung vorliege.  
 
5.   
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. März 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar