Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2E_1/2008/ble 
 
Verfügung vom 22. April 2008 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, 
Gerichtsschreiber Feller. 
 
Parteien 
X.________, 
Klägerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lars Dubach, 
 
gegen 
 
Schweizerische Eidgenossenschaft, 
Beklagte, 
handelnd durch den Schweizerischen Bundesrat, Bundeskanzlei, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Klage auf Schadenersatz und Genugtuung, 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte X.________ mit Urteil vom 24. März 2000 wegen schweren Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei zu einer Zuchthausstrafe von zweieinhalb Jahren. Eine dagegen erhobene Appellation hiess das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 17. Oktober 2000 teilweise gut; es setzte die Zuchthausstrafe auf 18 Monate herab, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs. Die im Urteilsdispositiv vom 20. Oktober 2000 enthaltene Rechtsmittelbelehrung gab wieder, was damals nach den einschlägigen Regeln des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege (BStP) galt: Nach Art. 272 BStP in der bis Ende 2000 geltenden Fassung hatte der Beschwerdeführer die Nichtigkeitsbeschwerde innert zehn Tagen seit der nach kantonalem Recht massgebenden Eröffnung des angefochtenen Entscheids bei der Behörde, welche ihn erlassen hatte, durch Einreichung einer schriftlichen Erklärung einzulegen (Abs. 1); die Beschwerde war sodann innert 20 Tagen seit Zustellung der schriftlichen (d.h. mit Begründung versehenen) Ausfertigung des Entscheides bei der gleichen Behörde schriftlich zu begründen (Abs. 2). 
Entsprechend der Rechtsmittelbelehrung meldete X.________ die Nichtigkeitsbeschwerde innert zehn Tagen seit Eröffnung des Urteilsdispositivs beim Obergericht des Kantons Luzern an. Die Urteilsbegründung des Obergerichts lag am 30. März 2001 vor und wurde X.________ am 2. April 2001 eröffnet. Diese reichte die Beschwerdebegründung erst am 30. April 2001 ein, dies gestützt auf die ab dem 1. Januar 2001 geltende neue Fassung von Art. 272 Abs. 1 BStP, wonach die Nichtigkeitsbeschwerde nunmehr dem Bundesgericht selber, und zwar innert 30 Tagen seit Zustellung der vollständigen Ausfertigung des anzufechtenden Entscheids, einzureichen war (AS 2000 2722 und 2724). Der Kassationshof des Schweizerischen Bundesgerichts trat mit Urteil 6S.296/2001 vom 3. Mai 2001 auf die Nichtigkeitsbeschwerde wegen verspäteter Einreichung der Beschwerdebegründung nicht ein; er stützte sich auf die bis 31. Dezember 2000 geltende Regelung, die auf die bis dahin gefällten Urteile zur Anwendung komme. Die staatsrechtliche Beschwerde, welche X.________ am 30. April 2001 gegen das Urteil des Obergerichts vom 17. Oktober 2000 erhoben hatte, wies die I. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil 1P.302/2001 vom 20. August 2001 ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Mit Urteil 6S.48/2003 vom 19. März 2003 wies der Kassationshof des Schweizerischen Bundesgerichts ein in Bezug auf sein Urteil 6S.296/2001 gestelltes Revisions- bzw. Fristwiederherstellungsgesuch ab, soweit darauf einzutreten war. 
Eingaben von X.________ in der vorgenannten Angelegenheit an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte blieben erfolglos. 
 
1.2 Am 20. Dezember 2006 machten X.________ sowie Rechtsanwalt R.________, Luzern, der sie in den vorerwähnten bundesgerichtlichen Verfahren vertreten hatte, gestützt auf das Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG [SR 170.32]) Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gegen den Bund geltend. Die Ansprüche werden in erster Linie damit begründet, dass das Nichteintreten auf die Nichtigkeitsbeschwerde unter Berücksichtigung aller Umstände rechtswidrig gewesen sei und zu einer Schädigung von X.________ bzw. von Rechtsanwalt R.________ bzw. zu einer Verletzung von deren Persönlichkeit geführt habe. Da es primär um behauptetes widerrechtliches Verhalten von Mitgliedern des Bundesgerichts geht, sind die Ansprüche mit Klage beim Bundesgericht geltend zu machen, wobei zuvor der Bundesrat hierzu Stellung nimmt (Art. 10 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 3 VG bzw. Art. 3 der Verordnung vom 30. Dezember 1958 zum Verantwortlichkeitsgesetz [SR 170.321]). Mit Schreiben vom 28. September 2007 kam der Bundesrat zum Schluss, dass die geltend gemachten Ansprüche, soweit darauf überhaupt eingetreten werden könne, unter allen Titeln abzuweisen seien. 
 
1.3 Am 4. April 2008 reichte X.________ beim Bundesgericht Klage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft ein. Es wird nebst der Aufhebung des "Entscheids" des Bundesrats vom 28. September 2007 und der Zurückweisung der Sache an die "Vorinstanz" beantragt, es sei die grundsätzliche Haftbarkeit des Bundes aus Art. 1 VG für den Schaden der Klägerin festzustellen, den sie aus ihrem Strafverfahren durch widerrechtliches Verhalten verschiedener Organe des Bundes erlitten habe, und es sei ihr in Gutheissung der Klage Schadenersatz und Genugtuung nach Ermessen zuzusprechen. Sie stellt das Gesuch, es sei ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. 
 
2. 
Zuständig für die Behandlung von Klagen im Sinne von Art. 120 Abs. 1 lit. c BGG betreffend Staatshaftung ist die II. öffentlich-rechtliche Abteilung (Art. 30 Abs. 3 des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BgerR; SR 173.110.131]; s. zudem Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 BgerR). Die an der vorliegenden Verfügung mitwirkenden Richter der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung waren weder an den Urteilen 6S.296/2001 und 6S.48/2003 noch in irgendeiner Weise an der Verfassung der Stellungnahmen des Bundesgerichts in dieser Streitsache an das Eidgenössische Finanzdepartement 13. Februar und 28. März 2007 beteiligt. Die Ausstandsfrage stellt sich insofern nicht. Dass das Bundesgericht über die Verantwortlichkeit des Bundes auch in Fällen entscheidet, wo Handlungen seiner Mitglieder im Spiel sind, ist vom Gesetzgeber gewollt (Art. 1 Abs. 1 lit. b VG und Art. 120 Abs. 1 lit. c BGG) und reicht für sich nicht aus, um einen Ausstandsgrund im Sinne von Art. 34 BGG gegen an der fraglichen Handlung nicht beteiligte Gerichtsmitglieder zu begründen. Die Klägerin stellt denn auch, trotz gewisser Andeutungen in der Klageschrift (S. 12 oben), kein förmliches Ausstandsbegehren; auf ein entsprechendes Begehren wäre, mangels tauglicher Begründung - in Besetzung mit ordentlichen Mitgliedern des Bundesgerichts - nicht einzutreten (vgl. Urteil 2A.225/2001 vom 18. Mai 2001 E. 1). 
 
3. 
3.1 Gemäss Art. 64 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Abs. 1); unter denselben Voraussetzungen bestellt es der Partei einen aus der Gerichtskasse zu entschädigenden Anwalt, wenn dies zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist (Abs. 2). 
 
3.2 Als aussichtslos im Sinne von Art. 64 Abs. 1 BGG sind nach der diesbezüglich massgeblichen Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 235 f.; BGE 125 II 265 E. 4b S. 275; 124 I 304 E. 2c S. 306). Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist nicht eine umfassende Prüfung der Angelegenheit erforderlich, und eine Stellungnahme zu sämtlichen Aspekten erübrigt sich; die Verfügung über die Gewährung oder Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege wird summarisch begründet. 
 
4. 
4.1 Gemäss Art. 3 Abs. 1 VG haftet der Bund für den Schaden, den ein Beamter (als Beamte gelten im Verantwortlichkeitsverfahren des Bundes auch die Mitglieder des Bundesgerichts, vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. c VG) in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten (Schadenersatz). Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, hat bei Verschulden des Beamten Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und diese nicht anders wiedergutgemacht werden kann (Art. 6 Abs. 2 VG). Gemäss Art. 20 Abs. 1 VG erlischt die Haftung des Bundes, wenn der Geschädigte sein Begehren auf Schadenersatz oder Genugtuung nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des Schadens einreicht, auf alle Fälle zehn Jahre seit dem Tage der schädigenden Handlung des Beamten. Art. 12 VG sodann bestimmt, dass die Rechtmässigkeit formell rechtskräftiger Verfügungen, Entscheide und Urteile nicht in einem Verantwortlichkeitsverfahren überprüft werden kann. 
 
4.2 Das Bundesgericht kann nur insoweit mit Klage angerufen werden, als die geltend gemachten Ansprüche mit angeblich rechtswidrigen Handlungen von Personen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. b und c VG begründet werden. Bei der in diesem Fall vom Bundesrat verfassten Stellungnahme handelt es sich nicht um eine anfechtbare Verfügung, was sich auch daraus ergibt, dass Klage eingereicht werden kann, wenn der Bundesrat sich innert drei Monaten nicht äussert (Art. 10 Abs. 2 VG). Bereits im vorliegenden Gesuchsverfahren ist klarzustellen, dass die Anträge auf Aufhebung des "Entscheids" des Bundesrats sowie auf Rückweisung der Sache an die "Vorinstanz" zu ergänzenden Abklärungen und zu neuem Entscheid im Klageverfahren nicht gehört werden können. 
Dass sodann die Klägerin keine Forderungen geltend machen kann, die auf einer angeblich von Rechtsanwalt R.________ erlittenen Persönlichkeitsverletzung beruhen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. 
 
4.3 Der Bundesrat lehnt die Ansprüche der Klägerin vorerst darum ab, weil sie ihre Forderungen nicht rechtzeitig geltend gemacht habe; alle Forderungen seien in Berücksichtigung von Art. 20 Abs. 1 VG verwirkt. Was in der Klage diesbezüglich vorgebracht wird, erscheint nicht geeignet, diese Einschätzung in Frage zu stellen. Jedenfalls kann mit der Geltendmachung von Forderungen aus dem Verantwortlichkeitsgesetz mit Sicherheit nicht zugewartet werden, bis sämtliche Bemühungen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (z.B. Begehren um Wiederaufnahme des dortigen Verfahrens nach einer bereits am 14. März 2002 ergangenen Unzulässigkeitserklärung) zu einer abschliessenden Antwort geführt haben. 
 
4.4 Der Bundesrat stützt seine abweisende Stellungnahme sodann auf Art. 12 VG. Dieser Norm liegt der Grundsatz der "Einmaligkeit des Rechtsschutzes bzw. des Instanzenzuges zu Grunde". Ist eine Verfügung in Rechtskraft erwachsen, die für den Betroffenen eine Schädigung bewirkt, soll dieser deren Rechtmässigkeit nicht im Verantwortlichkeitsprozess nochmals überprüfen lassen können; dies gilt zumindest dann vorbehaltlos, wenn der Betroffene es seinerzeit unterlassen hat, von den dagegen offen stehenden Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen (BGE 126 I 144 E. 2a S. 147 f.; 119 Ib 208 E. 3c S. 212; s. auch BGE 129 I 139 E. 3.1 S. 142). Warum dies, wie in der Klage behauptet, nicht gelten soll, wenn die Verantwortlichkeitsansprüche damit begründet werden, dass Schaden durch die rechtswidrige Handhabung von Verfahrensvorschriften und einen dadurch bewirkten Nichteintretensentscheid herbeigeführt worden sei, ist unerfindlich. Eine Partei kann sich gegen einen Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts wegen Fristversäumnis wirksam zur Wehr setzen: Gemäss Art. 35 Abs. 1 des bis Ende 2006 in Kraft stehenden Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Bundesrechtspflegegesetz, OG [BS 3 531]) konnte Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung einer Frist erteilt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden war, innert der Frist zu handeln, und binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die Wiederherstellung verlangte und die versäumte Rechtshandlung nachholte (zur heutigen Regelung s. Art. 50 BGG). 
Die Klägerin stützt ihre Klage auf den Umstand, dass ihr Anwalt wegen vom Bund zu verantwortenden Handelns davon abgehalten worden sei, rechtzeitig formgültig Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 17. Oktober 2000 zu erheben. Dieses angebliche Hindernis ist mit der Eröffnung des Urteils 6S.296/2001 vom 3. Mai 2001 und damit der Kenntnisnahme von den massgeblichen Fristwahrungsregeln dahingefallen. Ein Fristwiederherstellungsgesuch wurde innert der auf die Urteilseröffnung folgenden zehn Tage nicht gestellt. Die vom 17. Februar 2003 datierende Eingabe der Klägerin an das Bundesgericht, die unter anderem als Fristwiederherstellungsgesuch bezeichnet war, war offensichtlich verspätet und als solches untauglich begründet (Urteil 6S.48/2003 vom 19. März 2003 E. 3). Damit kann der Klägerin im Verantwortlichkeitsverfahren gestützt auf Art. 12 VG vorbehaltlos die Rechtskraft des Urteils vom 3. Mai 2001 entgegengehalten werden, und die Klage erscheint schon allein aus diesem Grund als im Sinne von Art. 64 BGG aussichtslos. 
 
5. 
Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung sind nicht erfüllt, und das Gesuch ist abzuweisen. 
Der Klägerin ist mit separater Verfügung Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses anzusetzen. 
 
Demnach verfügt das Bundesgericht: 
 
1. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
2. 
Diese Verfügung wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 22. April 2008 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Merkli Feller