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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_409/2010 
 
Urteil vom 22. November 2010 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Gerichtsschreiberin Dubs. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Koch, 
 
gegen 
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau, 
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 31. März 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die brasilianische Staatsangehörige X.________ (geb. 17. August 1962) heiratete am 29. Januar 2003 in Brasilien den Schweizer Bürger Y.________. Im Rahmen des Familiennachzugs reiste sie am 30. Juli 2003 zusammen mit ihrem Sohn (geb. 20. Mai 1989), der aus einer früheren Ehe mit einem andern Schweizer Bürger stammt, in die Schweiz ein und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung. Bereits im Mai 2006 leitete Y.________ ein Ehescheidungsverfahren ein, das er im Juni 2006 wieder zurückzog. Nachdem der Ehemann im Januar 2007 um Erlass von Eheschutzmassnahmen ersucht hatte und ihm darauf die eheliche Wohnung zur alleinigen Benutzung zugesprochen wurde, lebten die Ehegatten seit Mai 2007 getrennt. Mit Urteil der Gerichtskommission Münchwilen vom 29. Oktober 2009 wurde die Ehe X.________-Y.________ geschieden. 
 
B. 
Am 1. Juni 2007 stellte X.________ ein Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Mit Verfügung vom 8. Mai 2008 verweigerte das Migrationsamt des Kantons Thurgau die Bewilligungsverlängerung und wies X.________ an, die Schweiz bis spätestens am 31. Juli 2008 zu verlassen. 
 
Den dagegen beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau eingereichten Rekurs wies dieses mit Entscheid vom 31. August 2009 ab mit der Begründung, X.________ berufe sich rechtsmissbräuchlich auf eine definitiv gescheiterte Ehe und der Umstand, dass der inzwischen volljährige Sohn die schweizerische Staatsangehörigkeit besitze, stehe diesem Entscheid nicht entgegen. 
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die von X.________ gegen den Departementsentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 31. März 2010 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 11. Mai 2010 beantragt X.________, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 31. März 2010 aufzuheben und ihr die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. 
 
Das Migrationsamt und das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau liess sich nicht vernehmen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG schliesst die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide über ausländerrechtliche Bewilligungen aus, auf deren Erteilung weder nach dem Bundes- noch dem Völkerrecht ein Rechtsanspruch besteht. 
 
1.2 Das streitige Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wurde vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) am 1. Januar 2008 eingereicht und beurteilt sich daher noch nach dem inzwischen aufgehobenen Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; BS 1 121) und seinen Ausführungserlassen (Art. 126 Abs. 1 AuG). 
 
1.3 Nach Art. 7 Abs. 1 ANAG (in der Fassung vom 23. März 1990) hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers grundsätzlich Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung (Satz 1) sowie nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung (Satz 2). 
 
Die Beschwerdeführerin ist seit dem 29. Oktober 2009 von ihrem schweizerischen Ehemann geschieden und kann sich daher nicht mehr auf Art. 7 Abs. 1 Satz 1 ANAG berufen. Die Ehe hat indessen mehr als 5 Jahre gedauert hat, weshalb die Beschwerdeführerin grundsätzlich einen Anwesenheitsanspruch gemäss Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ANAG hat. Die Frage, ob die Bewilligung verweigert werden durfte, weil einer der in Art. 7 ANAG vorgesehenen Ausnahmetatbestände oder ein Verstoss gegen das Rechtsmissbrauchsverbot gegeben ist, betrifft nicht das Eintreten, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 128 II 145 E. 1.1.2 bis 1.1.5 S. 148 ff. mit Hinweisen). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten. 
 
1.4 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig erfolgt ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substantiiert vorzubringen ist (Art. 42 Abs. 2 BGG), setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels sich für den Ausgang des Verfahrens als entscheidend erweisen kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). 
Das ärztliche Zeugnis vom 26. April 2010 betreffend den Sohn der Beschwerdeführerin ist neu und kann als sogenanntes echtes Novum nicht berücksichtigt werden. Es wäre ohnehin nicht geeignet, am Ausgang des Verfahrens etwas zu ändern. 
 
2. 
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 1 ANAG (in der Fassung vom 23. März 1990) hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers - wie erwähnt - Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sowie nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung. Kein Anspruch besteht, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern zu umgehen (Art. 7 Abs. 2 ANAG). Hierunter fällt die sogenannte Scheinehe oder Ausländerrechtsehe, bei der die Ehegatten von vornherein keine echte eheliche Gemeinschaft beabsichtigen. Doch auch wenn eine Ehe nicht bloss zum Schein eingegangen worden ist, heisst das nicht zwingend, dass dem ausländischen Ehepartner der Aufenthalt ungeachtet der weiteren Entwicklung gestattet werden muss. Zu prüfen ist, ob sich die Berufung auf die Ehe nicht als rechtsmissbräuchlich erweist. Nach gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt Rechtsmissbrauch vor, wenn der Ausländer sich im fremdenpolizeilichen Verfahren auf eine Ehe beruft, welche nur (noch) formell besteht oder aufrecht erhalten wird, mit dem alleinigen Ziel, ihm eine Anwesenheitsberechtigung zu ermöglichen; dieses Ziel wird von Art. 7 ANAG nicht geschützt (BGE 131 II 265 E. 4.2 S. 267; 130 II 113 E. 4.2 S. 117, je mit Hinweisen). 
 
2.2 Dass die Ehe nur noch formell und ohne Aussicht auf Wiederaufnahme einer ehelichen Gemeinschaft besteht, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und ist bloss durch Indizien zu erstellen (BGE 130 II 113 E. 10.2 und 10.3 S. 135 f. mit Hinweis). Feststellungen über das Bestehen solcher Indizien können äussere Gegebenheiten, aber auch innere, psychische Vorgänge betreffen (Wille der Ehegatten); es handelt sich so oder anders um tatsächliche Feststellungen, welche für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind (oben E. 1.4). Frei zu prüfen ist die Rechtsfrage, ob die festgestellten Tatsachen (Indizien) darauf schliessen lassen, die Berufung auf die Ehe bezwecke die Umgehung fremdenpolizeilicher Vorschriften oder sei rechtsmissbräuchlich (BGE 128 II 145 E. 2.3 S. 152 mit Hinweisen). 
 
2.3 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz war die Ehe der Beschwerdeführerin schon lange definitiv gescheitert. Hinweise darauf, dass die Feststellungen des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau zum Sachverhalt offensichtlich unrichtig wären, sind nicht ersichtlich und gehen namentlich auch nicht aus den Vorbringen der Beschwerdeführerin hervor. Die Ehegatten heirateten im Januar 2003 und nahmen das eheliche Zusammenleben in der Schweiz Ende Juli 2003 auf. Bereits im Jahre 2006 kam es zu ehelichen Schwierigkeiten, die im Mai 2006 zu einem ersten Scheidungsbegehren des Ehemannes führten. Im Januar 2007 erklärte der Ehegatte gegenüber dem Migrationsamt, die Ehe sei nun definitiv gescheitert und er verlange die Scheidung. Am 25. Januar 2007 ersuchte er sodann um Verfügung von Eheschutzmassnahmen zwecks Vorbereitung der Scheidung. Nachdem ihm die eheliche Wohnung zur alleinigen Benutzung zugesprochen worden war, lebten die Ehegatten seit Mai 2007 getrennt. Dass sie nach Aufnahme des Getrenntlebens weiter Kontakt pflegten, wird auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Am 29. Oktober 2009 wurde die Ehe sodann geschieden, ohne dass es je zu einer Wiederaufnahme des ehelichen Zusammenlebens gekommen wäre. Es bestehen somit gewichtige Hinweise dafür, dass die Ehe schon lange vor Ablauf der Fünfjahresfrist nur noch formell bestand. 
Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, vermag diese Würdigung nicht zu erschüttern. Dass sie die Trennung nicht wollte, ändert nichts am Schluss, dass die Ehe definitiv gescheitert war. Vielmehr musste auch für die Beschwerdeführerin erkennbar sein, dass mangels Ehewillens des Ehemannes mit einer Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts nicht mehr gerechnet werden konnte. Die Gründe, die zum Scheitern der ehelichen Beziehung geführt haben, sind in diesem Zusammenhang nicht von Belang. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bis zum Ablauf der Fünfjahresfrist noch berechtigte Hoffnung auf Wiederaufnahme des Ehelebens bestand, macht auch die Beschwerdeführerin nicht geltend. Bezeichnenderweise wurde der Rekurs an das kantonale Departement gegen die am 8. Mai 2008 verfügte Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung allein von der Beschwerdeführerin erhoben und nicht auch im Namen des Ehegatten, wie an sich zu erwarten gewesen wäre, falls damals noch tatsächliche Anzeichen für eine erneute Annäherung und Versöhnung der Ehegatten bestanden hätten. 
 
2.4 Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau geht in seinem Entscheid von der dargelegten Rechtsprechung zur missbräuchlichen Berufung auf die Ehe aus. Bei gesamthafter Betrachtung aller Indizien musste sich der Schluss aufdrängen, dass keine Aussichten auf Wiederaufnahme einer echten ehelichen Gemeinschaft mehr bestanden und die Ehe definitiv gescheitert war, lange bevor ein Anspruch auf Niederlassungsbewilligung entstehen konnte. Wenn sich die Beschwerdeführerin unter den dargelegten Umständen dennoch auf die Ehe beruft, um eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu erwirken, handelt sie rechtsmissbräuchlich. Damit verstösst die Verweigerung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nicht gegen Bundesrecht. Weitere Ausführungen dazu erübrigen sich. Es genügt, ergänzend auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid zu verweisen. 
 
3. 
Besteht kein Anwesenheitsanspruch nach Art. 7 ANAG bedarf es keiner Prüfung, ob der Beschwerdeführerin die Rückreise ins Heimatland zumutbar ist. Auf ihre Darlegungen betreffend Integration und Verhalten in der Schweiz sowie angebliche mit der Rückkehr ins Heimatland verbundene wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist daher nicht einzugehen. Diese könnten allenfalls bei der Prüfung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 4 ANAG, der eine Bewilligung ins freie Ermessen der Behörden stellt, berücksichtigt werden. Diesbezüglich ist jedoch die Beschwerde ans Bundesgericht ausgeschlossen. 
 
4. 
Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, ihre Anwesenheit in der Schweiz sei zwecks Betreuung ihres Sohnes erforderlich. Sie beruft sich damit sinngemäss auf ein Anwesenheitsrecht gestützt auf Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV, die den Schutz des Familienlebens garantieren (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.1 S. 285). Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin war im bisherigen Verfahren von der angeblichen Hilfsbedürftigkeit des Sohnes nicht die Rede. Es kann jedoch dahin gestellt bleiben, ob insoweit überhaupt auf die Beschwerde eingetreten werden kann. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, vermag ihr ohnehin keinen Anspruch auf Verbleib in der Schweiz zu verschaffen: Ihr Sohn, der über die schweizerische Staatsangehörigkeit verfügt, ist volljährig. Das Vorliegen eines eigentlichen Abhängigkeitsverhältnisses, wie dies zwischen volljährigen Familienangehörigen vorausgesetzt wird, um unter Umständen einen Anwesenheitsanspruch gestützt auf Art. 8 EMRK ableiten zu können, ist weder dargetan noch ersichtlich (vgl. für den umgekehrten Fall des Nachzugs eines abhängigen Familienangehörigen BGE 120 Ib 257 E. 1d/e S. 260 f.; 129 II 11 E. 2 S. 14). Das ärztliche Zeugnis vom 26. April 2010, das wie erwähnt nicht berücksichtigt werden kann (vgl. E. 1.4), wäre zum Vornherein nicht geeignet, die Notwendigkeit der Anwesenheit der Beschwerdeführerin zwecks Betreuung des Sohnes zu belegen. Allfällig erforderliche therapeutische Massnahmen zu Gunsten des volljährigen Sohnes könnten auch angeordnet werden, wenn die Beschwerdeführerin die Schweiz verlassen hat. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, steht es dem 21-jährigen Sohn im Übrigen frei, mit seiner Mutter nach Brasilien auszureisen, wo er bereits mehrere Jahre gelebt hat, oder in der Schweiz zu verbleiben. 
 
5. 
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 65 f. BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Migrationsamt des Kantons Thurgau, dem Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 22. November 2010 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Zünd Dubs