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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_457/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 22. November 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Meng, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lars Mathiassen, 
 
Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, 
Weststrasse 70, Postfach 9717, 8036 Zürich, 
Bezirksgericht Winterthur, Einzelgericht Strafsachen, 
Lindstrasse 10, 8400 Winterthur. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Zuständigkeit, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 20. September 2017 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer (UH170265). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Strafbefehl vom 22. März 2017 sprach die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich A.________ der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten. Dagegen erhoben sowohl A.________ als auch der Privatkläger B.________ Einsprache. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies diesen am 18. April 2017 ans Bezirksgericht Winterthur, Einzelgericht in Strafsachen. 
Am 8. Mai 2017 beantragte A.________ dem Bezirksgericht Winterthur, auf die Anklage mangels örtlicher Zuständigkeit nicht einzutreten und diese an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen bzw. dem örtlich zuständigen Gericht weiterzuleiten; eventualiter sei das Verfahren zu sistieren, bis das Obergericht des Kantons Zürich in einem anderen Beschwerdeverfahren entschieden habe. Mit Verfügung vom 14. August 2017 wies das Bezirksgericht Winterthur sowohl den Nichteintretensantrag als auch den Sistierungsantrag ab (Dispositiv-Ziffern 1 und 2) und traf verschiedene Anordnungen mit Blick auf die am 22. November 2017 angesetzte Hauptverhandlung (Dispositiv-Ziffern 3-10). 
Auf eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde trat das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 20. September 2017 nicht ein. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dem Beschwerdeführer erwachse aus der Verfügung vom 14. August 2017 kein nicht wiedergutzumachender Nachteil. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 23. Oktober 2017 beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben, ebenso die Dispositiv-Ziffern 1 und 3-10 der Verfügung des Bezirksgerichts Winterthur. Auf die Anklage sei nicht einzutreten und diese sei an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen bzw. dem örtlich zuständigen Gericht weiterzuleiten. Eventualiter sei die Sache zum neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung zur Sache verzichtet, gibt jedoch hinsichtlich des Antrags auf aufschiebende Wirkung zu bedenken, dass die Verfolgungsverjährung eintreten könnte, wenn die auf den 22. November 2017 angesetzte Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden könnte. Dasselbe machen das Bezirksgericht Winterthur und der Beschwerdegegner geltend. Letzterer beantragt zudem, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. 
Mit Präsidialverfügung vom 8. November 2017 hat das Bundesgericht das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
Mit Eingabe vom 15. November 2017 hat der Beschwerdeführer das Bundesgericht ohne Erfolg ersucht, die Verfügung vom 8. November 2017 in Wiedererwägung zu ziehen (Präsidialverfügung vom 20. November 2017). 
Mit Begleitschreiben vom 21. November 2017 hat der Beschwerdeführer dem Bundesgericht die Verfügung des Bezirksgerichts Winterthur vom 17. November 2017 übermittelt, mit der (unter anderem) die Hauptverhandlung auf den 21. Dezember 2017 verschoben wurde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer Strafsache (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 BGG). Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, gegen welchen nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 f. BGG die Beschwerde ans Bundesgericht möglich ist. Praxisgemäss wird indessen bei Beschwerden wegen formeller Rechtsverweigerung auf das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verzichtet, weshalb die Beschwerde insofern zulässig ist (BGE 138 IV 258 E. 1.1 S. 261 mit Hinweis). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.  
 
1.2. Streitgegenstand ist einzig, ob das Obergericht zu Recht auf die bei ihm erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist. Trifft dies zu, so hat es bei diesem Nichteintretensentscheid sein Bewenden. Erweist er sich hingegen als bundesrechtswidrig, so ist die Sache an das Obergericht zurückzuweisen zu weiterer Beurteilung des Falles (BGE 135 II 38 E. 1.2 S. 41). Soweit der Beschwerdeführer mit seinen Anträgen und Rügen über die Frage der Rückweisung hinausgeht, ist auf die Beschwerde mithin nicht einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Die Zulässigkeit der Beschwerde ans Obergericht beurteilt sich nach Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO. Gemäss dieser Bestimmung ist die Beschwerde gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie Verfahrenshandlungen der erstinstanzlichen Gerichte zulässig; ausgenommen sind verfahrensleitende Entscheide. Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO ist in Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 1 StPO zu lesen, wonach verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte nur mit dem Endentscheid angefochten werden können.  
 
2.2. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind entgegen dem Wortlaut von Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO verfahrensleitende Entscheide nur dann von der Beschwerde ausgenommen, wenn sie keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Der Begriff des nicht wieder gutzumachenden Nachteils entspricht demjenigen in Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. In Strafsachen muss der Nachteil nicht bloss tatsächlicher, sondern rechtlicher Natur sein. "Nicht wieder gutzumachend" bedeutet, dass er auch durch einen für die rechtsuchende Partei günstigen Endentscheid nachträglich nicht mehr behoben werden kann (zum Ganzen: BGE 143 IV 175 E. 2.3 S. 177; Urteil 1B_171/2017 vom 21.08.2017 E. 2.4; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Das Obergericht legte dar, dass dem Beschwerdeführer kein nicht wieder gutzumachender Nachteil drohe, was dieser mit Hinweis auf die Prangerwirkung der Verhandlung und aus anderen Gründen bestreitet. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt.  
 
3.  
 
3.1. Unter dem Titel "Gerichtsstandsverfahren" regelt die StPO das Vorgehen zur Bestimmung der in der Schweiz örtlich zur Verfolgung und Beurteilung zuständigen Strafbehörden (Art. 39 ff. StPO). Die Frage des Gerichtsstands soll möglichst früh im Verfahren geklärt werden (vgl. BGE 119 IV 102 E. 4c S. 106). Ein nach den Art. 38-41 StPO festgelegter Gerichtsstand kann deshalb laut Art. 42 Abs. 3 StPO nur aus neuen wichtigen Gründen und nur vor der Anklageerhebung geändert werden. Vorbehalten bleibt der Fall, dass ein erstinstanzliches Gericht sich als örtlich nicht zuständig erachtet (NIKLAUS OBERHOLZER, Gründzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, Rz. 214).  
 
3.2. Will eine Partei die Zuständigkeit der mit dem Strafverfahren befassten Behörde anfechten, so hat sie dieser laut Art. 41 Abs. 1 StPO unverzüglich die Überweisung des Falles an die zuständige Strafbehörde zu beantragen. Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung können sich die Parteien gegen die von den beteiligten Staatsanwaltschaften getroffene Entscheidung über den Gerichtsstand (Art. 39 Abs. 2 StPO) innert 10 Tagen bei der nach Art. 40 StPO zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständigen Behörde beschweren. Haben die Staatsanwaltschaften einen abweichenden Gerichtsstand vereinbart (Art. 38 Abs. 1 StPO), so steht diese Beschwerdemöglichkeit nur jener Partei offen, deren Antrag nach Absatz 1 abgewiesen worden ist.  
 
3.3. Im vorliegenden Fall leitete das Vorverfahren die für den ganzen Kanton zuständige Staatsanwaltschaft III. Der Beschwerdeführer machte in seiner Eingabe an das Bezirksgericht Winterthur geltend, er habe im Zeitpunkt des Abschlusses der Untersuchung noch nicht wissen können, an welches Gericht die Überweisung erfolgen würde. Sobald dies festgestanden habe, habe er die Einrede der Unzuständigkeit erhoben. Das Bezirksgericht Winterthur erachtete die Eingabe dagegen als verspätet. Im Sinne einer Eventualerwägung bejahte es zudem seine örtliche Zuständigkeit.  
Der Beschwerdeführer macht zutreffend geltend, dass die Unzuständigkeitseinrede erst dann (unverzüglich) erhoben werden muss, wenn sich aus der Befassung eines bestimmten Organs der Staatsanwaltschaft oder aus anderen Umständen zuverlässig auf den Gerichtsstand schliessen lässt. Das war vorliegend offenbar nicht der Fall, braucht aber angeichts der nachfolgenden Überlegungen nicht definitiv beurteilt zu werden. 
 
3.4. Gemäss Art. 329 Abs. 1 StPO prüft die Verfahrensleitung nach dem Eingang der Anklageschrift, ob diese und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind (lit. a), die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (lit. b) und ob Verfahrenshindernisse bestehen (lit. c). Zu den Prozessvoraussetzungen gehört auch die örtliche Zuständigkeit (vgl. auch Art. 39 Abs. 1 StPO). Die Prüfung ist vorläufiger und summarischer Natur; ihr Ergebnis wird in Form eines Protokollvermerks festgehalten und braucht weder besonders ausgefertigt noch begründet zu werden (Art. 80 Abs. 3 StPO; JEREMY STEPHENSON/ROBERTO ZALUNARDO-WALSER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 4a und 7 zu Art. 329 StPO; NIKLAUS SCHMID/DANIEL JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, Rz. 1283). Eine definitive Prüfung erfolgt im Rahmen der Hauptverhandlung, denn der Beschuldigte kann zu diesem Zeitpunkt die örtliche Zuständigkeit erneut bestreiten und dabei auch neue tatsächliche und rechtliche Einwände erheben (Art. 339 Abs. 2 lit. b StPO). Das Gericht erlässt dazu eine verfahrensleitende Anordnung, die im Endentscheid begründet wird (zum Ganzen: Urteil 1B_317/2013 vom 15. Juli 2014 E. 1.3.2).  
 
3.5. Im zitierten Urteil des Bundesgerichts 1B_317/2013 vom 15. Juli 2014, auf das sich auch die Vorinstanz stützte, hatte sich die Verfahrensleitung in diesem Sinn auf eine summarische und vorläufige Prüfung beschränkt und keine selbständig anfechtbare Verfügung erlassen. Zudem begründete sie ihren Entscheid nicht. Vorliegend verhält es sich anders. Die Verfahrensleitung am Bezirksgericht Winterthur hat die Frage der örtlichen Zuständigkeit und der Rechtzeitigkeit deren Bestreitung durch den Beschwerdeführer bereits mit selbständig anfechtbarer, begründeter und mit Rechtsmittelbelehrung versehener Verfügung vom 14. August 2017 verbindlich beurteilt. Unter diesen Umständen widerspräche es dem Zweck der Vorschriften über das Gerichtsstandsverfahren, die Gerichtsstandsfrage nicht unverzüglich zu klären, sondern damit bis zum Vorliegen des Endentscheids zuzuwarten. Die Kritik des Beschwerdeführers ist somit begründet.  
Dies bestätigt sich mit Blick auf Art. 92 BGG. Nach dieser Bestimmung kann gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden (Abs. 1). Diese Entscheide können später nicht mehr angefochten werden (Abs. 2). Diese Regelung beruht auf Gründen der Verfahrensökonomie, da es sich um Fragen handelt, die unmittelbar entschieden werden müssen, ohne den Ausgang der Hauptsache abzuwarten (BGE 138 III 558 E. 1.3; BGE 133 IV 288 E. 2.1). Sie gilt namentlich auch für Streitigkeiten betreffend die örtliche Zuständigkeit einer Behörde (FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar, BGG, 2. Aufl. 2011, N. 7 zu Art. 92). Dies gilt auch für den vorliegenden Fall: Es erscheint sachgerecht, die Frage des örtlich zuständigen Bezirksgerichts möglichst frühzeitig zu klären. Die Vorinstanz hätte daher das Rechtsmittel des Beschwerdeführers nicht wegen des Fehlens eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils als unzulässig erklären dürfen und es weiter prüfen müssen. 
 
4.   
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zur weiteren Beurteilung ans Obergericht zurückzuweisen. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird, und der angefochtene Beschluss aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Beurteilung an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, dem Bezirksgericht Winterthur, Einzelgericht Strafsachen, und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. November 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold