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[AZA 0/2] 
1P.711/2000/boh 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
********************************** 
 
23. Januar 2001 
 
Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, 
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter 
Nay, Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiberin Widmer. 
 
--------- 
 
In Sachen 
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp, Bahnhofstrasse 55, Dübendorf, 
 
gegen 
Kantonsgericht Schaffhausen, Präsident der II. Strafkammer, Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Obergericht des Kantons Schaffhausen, 
betreffend 
 
Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK 
(Vorbereitung der Verteidigung), hat sich ergeben: 
 
A.- Dr. med. A.________ befand sich im November 1999 wegen des Verdachts von Widerhandlungen gegen die sexuelle Integrität einer Patientin für einige Tage in Untersuchungshaft. 
Am 26. Mai 2000 wurde er erneut inhaftiert, wobei er der Anstiftung und der Vorbereitungshandlungen zu Mord verdächtigt wurde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen erhob am 13. September 2000 Anklage gegen A.________ wegen mehrfacher Schändung sowie versuchter Anstiftung zu Mord, Freiheitsberaubung und Entführung, eventuell wegen strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Mord, Freiheitsberaubung und Entführung. 
 
Am 18. September 2000 verlängerte der Präsident der II. Strafkammer des Kantonsgerichts Schaffhausen die Untersuchungshaft bis zur Hauptverhandlung. Am 20. September 2000 räumte er A.________ die Gelegenheit zu ergänzenden Beweismittelanträgen ein. Dieser reagierte vorerst nicht darauf. 
Statt dessen ersuchte er am 26. September 2000 um die Bewilligung, von Prof. Dr. G.________ im Gefängnis begutachtet zu werden. Der Präsident der II. Strafkammer lehnte diesen Antrag am 29. September 2000 ab und verwies A.________ auf die Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen. Am selben Tag beschwerte sich A.________ beim Obergericht gegen die Haftverlängerung vom 18. September 2000. Das Obergericht lehnte eine Haftentlassung ab. A.________ ersuchte den Präsidenten der II. Strafkammer am 4. Oktober 2000 erneut, ihm durch Erteilung einer Besuchsbewilligung für Prof. G.________ eine private Begutachtung zu ermöglichen. Unter Hinweis auf die Verfügung vom 29. September 2000 lehnte der Präsident der II. Strafkammer diesen Antrag am 10. Oktober 2000 ab. 
A.________ beschwerte sich am 11. Oktober 2000 beim Obergericht gegen die Präsidialverfügung vom 29. September 2000. 
Am 20. Oktober 2000 reichte A.________ dem Kantonsgericht seine ergänzenden Beweismittelanträge ein. Er ersuchte dabei u.a. um seine psychiatrische Begutachtung, verbunden mit dem Antrag, es seien Abklärungen über seine Lebensentwicklung und Persönlichkeit sowie die Fragen zu treffen, weshalb er die Geschädigte am 18. November 1999 in seine Praxis einliess, und was ihn im ersten Halbjahr 2000 Kontakt zu gewissen "Milieufiguren" suchen liess. Der Präsident der II. Strafkammer lehnte diesen Antrag am 6. November 2000 mit der Begründung ab, A.________ bestreite die ihm vorgeworfenen Taten, und das psychiatrische Gutachten trage nichts zur Klärung des umstrittenen Sachverhalts bei; es bestehe auch keine andere Veranlassung, ein Gutachten einzuholen. 
Am 7. November 2000 lud das Kantonsgericht A.________ zur Hauptverhandlung auf den 18. Dezember 2000 vor. 
 
Das Obergericht wies am 10. November 2000 die Beschwerde betreffend die Besuchsbewilligung für den Privatgutachter wegen Kollusionsgefahr ab, wobei es erwog, unter gewissen Auflagen komme eine Besuchsbewilligung in Frage. 
Denkbar sei beispielsweise, dass die Besuche zeitlich befristet und unter Aufsicht des Gefängnispsychiaters durchgeführt würden. In diesem Sinne könne das Gesuch durch den Beschwerdeführer in einer modifizierten Form neu gestellt werden. 
 
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 20. November 2000 beantragt A.________, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die zuständigen Behörden anzuweisen, dem zugezogenen Experten die Bewilligung für unüberwachte Besuche zu erteilen. Seine Anträge stützt er auf das in Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK gewährleistete Recht auf eine effiziente Verteidigung. In einer weiteren Eingabe stellt A.________ das Gesuch, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen und das Kantonsgericht sei anzuweisen, die auf den 
18. Dezember 2000 angesetzte Hauptverhandlung zu verschieben. 
 
Das Kantonsgericht beantragt in seiner Stellungnahme die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verweisen auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid. 
 
C.- Der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung hat das Gesuch um aufschiebende Wirkung am 12. Dezember 2000 abgewiesen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 126 I 207 E. 1 mit Hinweisen). 
 
b) Die Verweigerung einer Besuchsbewilligung stellt in der Regel einen Endentscheid dar. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass die beantragte Besuchsbewilligung eine Begutachtung des Beschwerdeführers durch einen privaten Experten bezweckt. Es geht um die Beschaffung eines Entlastungsbeweises auf privater Basis, d.h. ausserhalb der Regeln der Strafprozessordnung, die den Beizug von Sachverständigen ordnen. Das derart beschaffte Gutachten soll gegebenenfalls als entlastendes Beweismittel in den Strafprozess eingeführt werden und mithin der Beweiswürdigung dienen. Es handelt sich somit um einen inzidenten Nebenpunkt des Strafverfahrens. 
Ein selbständiger Entscheid hierüber stellt bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid dar. Der angefochtene Entscheid ist folglich als Zwischenentscheid im Sinn von Art. 87 OG zu qualifizieren (zur Abgrenzungsproblematik vgl. BGE 123 I 325 E. 3b; 122 I 39 E. 1a/aa; 120 III 143 E. 1a; 117 Ia 251 E. 1a; je mit Hinweisen). 
 
c) Nach Art. 87 Abs. 1 und 2 OG in der am 1. März 2000 in Kraft getretenen Fassung des Bundesgesetzes vom 8. Oktober 1999 über prozessuale Anpassungen an die neue Bundesverfassung (AS 2000 417) ist die staatsrechtliche Beschwerde gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide, die nicht die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen, zulässig, wenn diese Entscheide einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Ist die staatsrechtliche Beschwerde unter diesen Voraussetzungen nicht gegeben oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so können die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide nach Art. 87 Abs. 3 OG durch Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden. 
 
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, damit ein Zwischenentscheid gemäss Art. 87 Abs. 2 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht. Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden kann. Dabei ist es nicht nötig, dass sich der Nachteil schon im kantonalen Verfahren beheben lässt. Es genügt, wenn er in einem anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann. Indessen genügt die blosse Möglichkeit eines solchen Nachteils, damit der Zwischenentscheid angefochten werden kann (BGE 126 I 97 E. 1b und 207 E. 2 mit Hinweisen). 
d) Vorliegend fragt sich, ob der Nachteil, den der Beschwerdeführer aufgrund der Ablehnung eines freien Kontakts mit einem psychiatrischen Gutachter im Gefängnis erleidet, auch mit einem für ihn günstigen Endentscheid nicht zu beheben wäre. 
 
2.- a) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts liegt bei Zwischenentscheiden, welche die Beweisführung betreffen, kein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Art vor (BGE 101 Ia 162; unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 16. März 2000 i.S. W., E. 1a, vom 13. Januar 1998 i.S. R., E. 1c, vom 7. Oktober 1993 i.S. H., E. 1c, vom 11. April 1991 i.S. N., E. 1b, vom 10. Januar 1990 i.S. Z., E. 2c). Wie oben in E. 1b dargelegt, beschlägt der angefochtene Entscheid eine Frage der Beweisführung. Insoweit ist nach der erwähnten Rechtsprechung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil zu verneinen. Der Beschwerdeführer macht allerdings geltend, die Gewährleistung einer effizienten Verteidigung erfordere, dass die umstrittene Frage ohne Verzug entschieden werde, ansonsten ein nicht wieder gutzumachender Nachteil drohe. Hierzu ist im Folgenden Stellung zu nehmen. 
 
 
b) Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid anerkannt, dass der Beschwerdeführer auch als Untersuchungsgefangener einen ärztlichen Privatexperten beiziehen dürfe und dass ihm deswegen ermöglicht werden müsse, mit dem Experten Gespräche zu führen. Umstritten ist einzig, ob der Beschwerdeführer einen konventionsrechtlichen Anspruch darauf hat, mit dem Experten unbeaufsichtigt sprechen zu können. 
Die Verweigerung des unbeaufsichtigten Gesprächs bzw. 
Besuchs bedeutet eine Einschränkung des vom Obergericht anerkannten Rechts auf Beizug eines ärztlichen Privatgutachters. 
Ob hierin überhaupt eine Beschränkung der Verteidigungsrechte gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK, auf welche Bestimmung sich der Beschwerdeführer beruft, erblickt werden kann, kann im Rahmen der Eintretensfrage offen bleiben. Wie das Bundesgericht kürzlich im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Wechsels des amtlichen Verteidigers entschieden hat, bewirkt auch im Bereich der Verteidigungsrechte nicht jede Beschränkung einen bleibenden Nachteil rechtlicher Art. So darf etwa trotz des Umstands, dass der Verteidiger das Vertrauen seines Mandanten verloren hat, gewöhnlich davon ausgegangen werden, eine ausreichende Verteidigung bleibe dennoch gewährleistet und allfällige Mängel könnten nach erfolgreicher Anfechtung des in der Sache getroffenen Endentscheids durch eine Wiederholung des Verfahrens gänzlich behoben werden (BGE 126 I 207 E. 2b). Ähnlich verhält es sich im vorliegenden Fall. Der Zweck der beantragten Besuchsbewilligung, d.h. die Begutachtung durch einen privaten ärztlichen Experten, wird durch die kritisierte Überwachungsmassnahme an sich nicht in Frage gestellt. Das Obergericht weist darauf hin, dass der ebenfalls dem Arztgeheimnis unterstellte Gefängnispsychiater mit der Überwachung betraut werden könnte. Unter diesen Voraussetzungen ist fraglich, ob ein effektiver Nachteil rechtlicher Art überhaupt angenommen werden kann. Jedenfalls würde ein solcher auch unter dem Blickwinkel der Verteidigungsrechte nicht zu einer Situation führen, die im späteren Verlauf des Verfahrens unheilbar wäre. Gegen den Endentscheid in der Hauptsache steht dem Beschwerdeführer wiederum die staatsrechtliche Beschwerde offen, mit welcher er sich gegen eine allfällige konventionswidrige Beschränkung der Verteidigungsrechte zur Wehr setzen und geltend machen kann, eine unbeaufsichtigte Begutachtung hätte zu einem anderen Schluss geführt und müsse daher wiederholt werden. Zwar könnte eine Verlängerung des Verfahrens die Folge sein. Darin liegt jedoch kein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Art (s. oben E. 1c). 
 
c) Soweit der Beschwerdeführer nebenbei (s. S. 7 der Beschwerde) noch eine Verletzung der persönlichen Freiheit erwähnt, fehlt es offensichtlich an einer den Begründungsvoraussetzungen nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Rüge. 
 
d) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer dadurch, dass er aufgrund des angefochtenen Entscheids nur unter Aufsicht mit einem ärztlichen Experten sprechen darf, eine effiziente Verteidigung weder verunmöglicht noch nachhaltig erschwert wird (vgl. BGE 126 I 207 E. 2b und c). Nach dem Gesagten ist insbesondere nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer unter dem Gesichtswinkel der Verteidigung konkret einen Nachteil zu befürchten hätte, der über die Beweisführung hinaus von Bedeutung wäre. 
Zwischenentscheide betreffend die Beweisführung sind indessen, wie eingangs erwähnt (s. vorne E. 2a), mit keinem nicht wieder gutzumachenden Nachteil verbunden. 
 
3.- Demnach kann auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, dem Kantonsgericht Schaffhausen, Präsident der II. Strafkammer, sowie dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 23. Januar 2001 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Die Gerichtsschreiberin: