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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_617/2019  
 
 
Urteil vom 23. Januar 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Kneubühler, Th. Müller, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, 
Abteilung für schwere Gewaltkriminalität, 
Molkenstrasse 15/17, 8004 Zürich. 
 
Gegenstand 
Anordnung von Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, 
vom 20. Dezember 2019 (UB190179-O/U/WID). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte und weiterer Delikte. Sie wirft ihr u.a. vor, zwischen 2015 und 2019 gegenüber verschiedenen Beamten und Behördenmitgliedern per E-Mail, SMS und Telefonaten mehrfach Todes- und Amokdrohungen ausgestossen zu haben. 
A.________ wurde am 25. November 2019 gestützt auf einen Vorführungsbefehl der Staatsanwaltschaft verhaftet und mangels Hafterstehungsfähigkeit in die Psychiatrische Universitätsklinik (PUK) überwiesen. Am 27. November 2019 wurde sie vom Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich in Untersuchungshaft versetzt und auf Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 4. Dezember 2019 ins Gefängnis Dielsdorf verlegt. 
Am 20. Dezember 2019 wies das Obergericht des Kantons Zürich die Beschwerde von A.________ gegen den Haftentscheid des Zwangsmassnahmengerichts ab. 
 
B.   
Mit eigenhändiger Beschwerde beantragt A.________, die "U-Haft aufzuheben und gleichzeitig die Überführung in die PUK zur Aufgleisung der 'Home Treatment Akkutbehandlung zu Hause' umzusetzen - ohne Zeitverzögerung sei dies sofort umzusetzen." Mit zwei weiteren Eingaben hält A.________ an der Beschwerde fest. 
 
C.   
Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft bringt vor, das fragliche Home Treatment-Angebot beinhalte keine therapeutische Massnahme im Sinn von Art. 63 StGB
 
D.   
In ihrer Replik hält A.________ an der Beschwerde fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Haftentscheid. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Die Beschwerdeführerin ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Sie macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.   
Untersuchungs- und Sicherheitshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO). Nach der Auffassung des Obergerichts im angefochtenen Entscheid ist nebst dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts Wiederholungsgefahr gegeben. 
 
2.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, am 18. November 2019 zwei E-Mails an zwei Mitarbeiterinnen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Zürich (im Folgenden: KESB) versandt zu haben mit der expliziten Drohung, dass das Verhalten von B.________ "direkt zu einem Amoklauf" herausfordere und dass diese "bei der nächsten Wiederholung ihrer Lügen ermordet werde". Ebensowenig bestreitet sie, tags darauf an die Staatsanwältin C.________ und zwei weitere Personen ein E-Mail gesandt zu haben, in dem sie u.a. ausführte, die "einzig richtige Endlösung für uns alle ist die Ermordung von Euch Nazi Stasi Arschlöchern". Im Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft der Staatsanwaltschaft vom 21. November 2019 sind zudem verschiedene weitere, vom E-Mailaccount der Beschwerdeführerin versendete, gleichgelagerte und im gleichen Stil formulierte Schreiben an Polizeibeamte, den städtischen Ombudsmann, den Statthalter etc. aufgeführt, in denen für den Fall, dass die Adressaten den Forderungen der Schreiberin nicht entsprechen sollten, die Tötung von Menschen angedroht wird. Die Beschwerdeführerin ist dringend verdächtig, diese E-Mails verfasst zu haben, was sie im Übrigen auch nicht substantiiert bestreitet.  
In diesen Schreiben wird den Adressaten für den Fall, dass sie bestimmte Amtshandlungen nicht vornehmen oder nicht unterlassen, mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht. Sie könnten somit den Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte erfüllen (Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Dieses Delikt wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet, es handelt sich mithin um ein Vergehen (i.V.m. Art. 10 Abs. 3 StGB). Es liegt damit ein dringender Tatverdacht vor, der die Anordnung von Untersuchungshaft grundsätzlich rechtfertigen kann. 
 
2.2. Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO liegt vor, "wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat". Die Verhütung weiterer schwerwiegender Delikte ist ein verfassungs- und grundrechtskonformer Massnahmenzweck: Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK anerkennt ausdrücklich die Notwendigkeit, Beschuldigte im Sinne einer Spezialprävention an der Begehung schwerer strafbarer Handlungen zu hindern (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85; 135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen).  
Nach dem Grundsatzentscheid BGE 143 IV 9 setzt die Annahme von Wiederholungsgefahr Verbrechen oder schwere Vergehen als Vortaten voraus; es müssen Verbrechen oder schwere Vergehen drohen, welche die Sicherheit anderer erheblich gefährden und die Tatwiederholung muss ernsthaft zu befürchten sein (E. 2.5). Drohungen können sowohl das Vortatenerfordernis erfüllen als auch die Anordnung von Präventivhaft begründen, da sie die Sicherheitslage einer Person erheblich beeinträchtigen können (E. 2.7). Massgebliche Kriterien bei der Beurteilung der Rückfallgefahr sind insbesondere die Häufigkeit und Intensität der untersuchten Delikte sowie die einschlägigen Vorstrafen. Bei dieser Bewertung sind allfällige Aggravationstendenzen, wie eine zunehmende Eskalation respektive Gewaltintensität oder eine raschere Kadenz der Taten, zu berücksichtigen. Zu würdigen sind des Weiteren die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person, d.h. insbesondere ihre psychische Verfassung, ihre familiäre Verankerung, die Möglichkeiten einer Berufstätigkeit und ihre finanzielle Situation (E. 2.8 mit Hinweisen). Je schwerer die drohenden Taten sind und je höher die Gefährdung der Sicherheit anderer ist, desto geringere Anforderungen sind an die Rückfallgefahr zu stellen. Liegen die Tatschwere und die Sicherheitsrelevanz am oberen Ende der Skala, so ist die Messlatte zur Annahme einer rechtserheblichen Rückfallgefahr tiefer anzusetzen. In solchen Konstellationen eine sehr ungünstige Rückfallprognose zu verlangen, setzte potenzielle Opfer einer nicht verantwortbaren Gefahr aus. Zugleich ist daran festzuhalten, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr restriktiv zu handhaben ist. Hieraus folgt, dass eine negative, d.h. eine ungünstige Rückfallprognose zur Annahme von Wiederholungsgefahr unabdingbar ist (E. 2.9). 
 
2.2.1. Die Beschwerdeführerin wurde am 8. Februar 2017 wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Sie ist damit einschlägig vorbestraft. Im jetzigen Verfahren wird ihr vorgeworfen, immer wieder Behörden und Beamte, die ihren Forderungen und Anliegen nicht entsprechen und von denen sie sich nicht ernst genommen oder ungerecht behandelt fühlt, bedroht zu haben, um sie zum gewünschten Verhalten zu bewegen. Diese Todesdrohungen gegenüber den Adressaten und beliebigen anderen Menschen waren massiv und in einer Zeit, in der es immer wieder zu Amoktaten kommt, geeignet, die Bedrohten unter Druck zu setzen. Die Drohungen stellen daher massive Eingriffe in die psychische Integrität der Opfer dar. Eine hohe Rückfallgefahr in Bezug auf derartige Delikte rechtfertigt daher die Annahme von Wiederholungsgefahr. Dies hat das Bundesgericht bereits im Urteil 1B_429/ 2013 vom 23. Dezember 2013 festgehalten, mit dem es eine weitgehend gleichgelagerte Haftbeschwerde der Beschwerdeführerin zu beurteilen hatte (E. 2.2).  
 
2.2.2. Im angeführten Entscheid lag gemäss vorläufigen Gutachten von Ingo Pude bei der Beschwerdeführerin eine querulatorische Entwicklung bei paranoid-narzisstischer Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0) vor, wobei die festgestellten kognitiven Verzerrungen ein "wahnnahes" Ausmass angenommen hätten. Es stand damit ernsthaft zu befürchten, dass die nicht krankheitseinsichtige Beschwerdeführerin in Freiheit weitere strafrechtliche relevante Drohungen ausstossen würde. Die psychischen Probleme der Beschwerdeführerin bestehen offenkundig weiter, sind doch die Vorwürfe, die ihr im vorliegenden Verfahren gemacht werden, weitgehend die gleichen wie im erwähnten Verfahren. Das Obergericht hat Wiederholungsgefahr zu Recht bejaht.  
 
2.2.3. Im Vergleich zum Verfahren im Jahr 2013 verändert hat sich immerhin, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls in gewissem Mass krankheitseinsichtig zu sein scheint und sich bereit erklärt, sich freiwillig einer von der PUK angebotenen "Akutbehandlung zu Hause" (Home Treatment) zu unterziehen. Dabei würde zunächst in der PUK ihre Medikation überprüft und festgelegt; anschliessend würde sie nach Hause entlassen, wobei die PUK allfällige psychotherapeutische Kurzzeitinterventionen, pflegerische Betreuung, soziale Beratung und Ergotherapien über 24 Stunden an 7 Tagen pro Woche sicherstellen würde. Dieses Angebot der PUK ist ausschliesslich an Personen gerichtet, die sich dieser Behandlung freiwillig unterziehen. Die Staatsanwaltschaft zweifelt offensichtlich daran, dass sich die Beschwerdeführerin an die von der PUK verschriebene Medikation halten würde und weist darauf hin, dass im Gefängnis das für die Senkung der Wiederholungsgefahr wichtige Medikament Risperdal abgesetzt wurde, wobei unklar ist, ob die Beschwerdeführerin dies eigenmächtig tat. Ohne diese Medikation erscheine die Wiederholungsgefahr sehr hoch und müsse psychiatrisch abgeklärt werden, was bereits in die Wege geleitet worden sei.  
 
2.2.4. Auch das Obergericht geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin einen gewissen psychotherapeutischen Behandlungsbedarf anerkannt und sich bereit erklärt hat, in die PUK zurückzukehren, damit diese die notwendigen Vorkehren für die dargestellte "Akutbehandlung zu Hause" treffen könne. Psychiatrische Behandlungen haben bei behandlungswilligen Patienten notorisch weit grössere Erfolgsaussichten als Zwangsbehandlungen. Die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene medizinische, soziale und pflegerische Betreuung ist zudem geeignet, die Wiederholungsgefahr auf ein vertretbares Mass zu senken. Es rechtfertigt sich daher unter Verhältnismässigkeitsgesichtspunkten, sie aus der Untersuchungshaft, in der ihre psychischen Probleme wohl kaum angemessen angegangen werden können, zu entlassen. Dies mit der Auflage im Sinne von Art. 237 Abs. 2 lit. f StPO, mit der PUK zu kooperieren, deren Weisungen zu befolgen und insbesondere die verschriebenen Medikamente einzunehmen. Die Beschwerdeführerin ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht diese Ersatzmassnahme jederzeit widerrufen, abändern oder Untersuchungshaft anordnen kann, wenn neue Umstände dies erfordern oder sie die ihr gemachten Auflagen nicht erfüllt (Art. 237 Abs. 5 StPO). Das mit diesem Vorgehen verbundene Risiko erscheint tragbar, da die Beschwerdeführerin, soweit ersichtlich, bisher nie Anstalten traf, ihre Drohungen in die Realität umzusetzen oder sonstwie gewalttätig wurde.  
 
2.3. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die Beschwerdeführerin aus der Haft zu entlassen. Dem Obergericht und den zuständigen Vollzugsorganen bzw. der PUK ist indessen eine Frist von 10 Arbeitstagen einzuräumen, um die Betreuung der Beschwerdeführerin nach der Haftentlassung zu organisieren und allfällige weitere Ersatzmassnahmen wie Kontaktverbote anzuordnen.  
 
3.   
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Auf eine Parteientschädigung hat die Beschwerdeführerin keinen Anspruch, da sie sich im Beschwerdeverfahren nicht vertreten liess. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der angefochtene Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. Dezember 2019 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen mit der Anweisung, die Beschwerdeführerin innert 10 Arbeitstagen ab Zustellung des Urteils unter Anordnung der in E. 2.2 angeführten und allfälliger weiterer Ersatzmassnahmen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, und Dominic Nellen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Januar 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi