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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_812/2020  
 
 
Urteil vom 23. Februar 2021  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber König. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, ehemals B.________,  
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Gärtl, 
 
gegen  
 
Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern (ABEV), Ostermundigenstrasse 99B, 3011 Bern, 
Beschwerdegegner, 
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), Kramgasse 20, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA und Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 25. August 2020 (100.2020.81U). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.A.________ (ehemals B.________; geboren 1993) ist nordmazedonische Staatsangehörige. Sie heiratete am 11. Oktober 2014 in Polen einen polnischen Staatsangehörigen, welcher in der Schweiz über eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA verfügte. Am 20. Januar 2016 reiste sie in die Schweiz ein und erhielt gestützt auf die erwähnte Ehe eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA. Im September 2017 trennte sich das Ehepaar. Der Ehemann meldete sich per 31. März 2018 nach Frankreich ab. Von dort kehrte er im Januar 2019 wieder in die Schweiz zurück.  
Die Ehe zwischen A.A.________ und dem polnischen Staatsangehörigen wurde um die Jahreswende 2019/2020 rechtskräftig geschieden. 
 
1.2. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2018 widerrief das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA von A.A.________ und wies sie unter Ansetzung einer Ausreisefrist aus der Schweiz weg. Die hiergegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Entscheid der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern vom 30. Januar 2020; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 25. August 2020).  
 
1.3. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 25. September 2020 beantragt A.A.________, unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 25. August 2020 sei ihr eine "Aufenthaltsbewilligung einzuräumen" und von einer Wegweisung aus der Schweiz abzusehen (Beschwerde, S. 2). Eventualiter stellt A.A.________ den Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Schliesslich ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung.  
In der Begründung der Beschwerde erklärt A.A.________ sinngemäss, dass sie eine neue Ehe eingegangen sei. 
Mit Verfügung vom 30. September 2020 erteilte der Abteilungspräsident der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung. Zudem holte das Bundesgericht die vorinstanzlichen Akten ein. Hingegen verzichtete es auf die Einholung von Vernehmlassungen. Am 13. Oktober 2020 reichte der Anwalt der Beschwerdeführerin Kostennoten ein. Das Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern (ABEV) sandte dem Bundesgericht am 10. Dezember 2020 eine A.A.________ betreffende Mutationsmeldung der Fremdenkontrolle U.________ vom 4. Dezember 2020 mit Passkopie sowie am 3. Februar 2021 weitere Dokumente. Mit der Eingabe vom 3. Februar 2021 erklärte dieses kantonale Amt ferner, einem am 18. September 2020 geborenen Sohn von A.A.________, B.A.________, sei fälschlicherweise eine zwischenzeitlich abgelaufene Aufenthaltsbewilligung erteilt worden und der (neue) Ehemann bzw. Kindsvater (C.A.________) habe angesichts des hängigen Beschwerdeverfahrens betreffend A.A.________ (noch) keine ausländerrechtliche Bewilligung erhalten. 
 
1.4. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten allerdings ausgeschlossen gegen Entscheide, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein solcher Anspruch besteht (BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332 mit Hinweisen). Ob die Voraussetzungen für einen Bewilligungsanspruch tatsächlich gegeben sind, bildet praxisgemäss Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332; 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f.).  
Die Beschwerdeführerin war im Besitz einer bis am 19. Januar 2021 befristeten Aufenthaltsbewilligung, welche durch Verfügung des damaligen Amtes für Migration und Personenstand des Kantons Bern vom 11. Oktober 2018 widerrufen wurde. Diese Verfügung bildete Anfechtungsobjekt der nachfolgenden Rechtsmittelverfahren. Inzwischen ist die Gültigkeitsdauer der Bewilligung aber abgelaufen. Damit geht es nicht mehr um den Widerruf von bestehenden Bewilligungen, sondern um deren Verlängerung bzw. Erneuerung (vgl. auch Urteil 2C_536/2016 vom 13. März 2017 E. 1.1). Die Beschwerdeführerin beantragt denn mit ihrem Rechtsbegehren auch, ihr sei eine "Aufenthaltsbewilligung einzuräumen" (Beschwerde, S. 2). Dieses Begehren ist zulässig, zumal die Beschwerdeführerin in vertretbarer Weise einen Anspruch aufgrund von Art. 2 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) in Verbindung mit Art. 50 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG; SR 142.20) geltend macht. Folglich steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen und die Beschwerdeführerin ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Prozessvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 sowie Art. 100 Abs. 1 BGG), weshalb auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich einzutreten ist. 
Mangels Geltendmachung eines Aufenthaltsanspruchs nicht einzutreten ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hingegen, soweit sie sich gegen die vorinstanzliche Verweigerung einer Ermessensbewilligung richtet (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; siehe dazu E. 3 des angefochtenen Urteils sowie Beschwerde, S. 12). Das Bundesgericht könnte den diesbezüglichen Entscheid der Vorinstanz nur im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) und in Bezug auf die bei diesem Rechtsmittel zulässige Rüge der Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 116 BGG) prüfen (zu den zulässigen Rügegründen vgl. BGE 137 II 305 E. 2 S. 308 [sog. "Star-Praxis]), doch wird seitens der Beschwerdeführerin keine entsprechende Rüge in rechtsgenügend begründeter Weise erhoben. 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz hat zutreffend ausgeführt, dass die frühere Ehegemeinschaft der Beschwerdeführerin mit dem polnischen Staatsangehörigen aufgelöst ist und der Beschwerdeführerin deshalb kein Aufenthaltsrecht nach Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA mehr zukommt (E. 2.1 des angefochtenen Urteils; vgl. dazu BGE 144 II 1 E. 3.1 S. 4 und E. 4.7 S. 10; 139 II 393 E. 2.1 S. 395; 130 II 113 E. 9 S. 129 ff.; Urteil 2C_536/2019 vom 6. Januar 2020 E. 2.1). Ebenso zutreffend hat die Vorinstanz festgehalten, dass Art. 50 AIG in Verbindung mit Art. 2 FZA auch dann anwendbar ist, wenn der EU-angehörige (Ex-) Ehegatte nicht eine Niederlassungsbewilligung, sondern nur eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA hat, solange sich dieser (Ex-) Ehegatte in der Schweiz befindet (vgl. dazu BGE 144 II 1 E. 4.7 S. 11). In der vorliegenden Konstellation stelle sich aber - so die Vorinstanz - dennoch die Frage, ob sich die Beschwerdeführerin auf Art. 50 AIG berufen könne, da der EU-angehörige Ex-Ehegatte, der zunächst (lediglich) über eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA verfügt hatte, nach der Trennung während seines Aufenthalts in Frankreich von April bis Ende 2018 kein Anwesenheitsrecht in der Schweiz gehabt habe und das eheliche Zusammenleben nach dessen Rückkehr in die Schweiz im Januar 2019 nicht mehr wieder aufgenommen worden sei (E. 2.1 des angefochtenen Urteils). Die Vorinstanz liess diese Frage indessen offen, und zwar mit der Begründung, die in Art. 50 AIG statuierten Voraussetzungen für einen nachehelichen Aufenthaltsanspruch seien vorliegend ohnehin nicht erfüllt (E. 2.1 ff. des angefochtenen Urteils).  
 
2.2.  
 
2.2.1. Die Rechtfertigung der Anwendung von Art. 2 FZA (in Verbindung mit Art. 50 AIG) auf Fälle, bei welchen sich Ehegatten aus Drittstaaten von ihrem EU-angehörigen Ehegatten mit Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA getrennt haben, liegt einzig darin begründet, dass die landesrechtlichen Ansprüche von Art. 50 AIG Ansprüche bilden, welche aus dem früheren Familienleben abgeleitet werden und insofern noch einen Bezug zum freizügigkeitsrechtlichen Familiennachzug aufweisen, aufgrund dessen der Aufenthalt ursprünglich bewilligt wurde (BGE 144 II 1 E. 4.7 S. 10 f.).  
Wie das Bundesgericht in BGE 144 II 1 E. 4.7 S. 11 ausgeführt hat, setzt die Anwendung von Art. 2 FZA damit in jedem Fall einen Aufenthaltsanspruch des EU-angehörigen (Ex-) Gatten voraus; hat dieser kein Anwesenheitsrecht in der Schweiz mehr, entfällt logischerweise auch das Diskriminierungsverbot für die Regelung seiner familiären Beziehungen. 
 
2.2.2. Im vorliegenden Fall weist der von der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 50 AIG geltend gemachte Anspruch keinen Bezug zum freizügigkeitsrechtlichen Familiennachzug mehr auf, aufgrund dessen ihr Aufenthalt ursprünglich bewilligt worden ist. Denn der entsprechende Familiennachzug basierte auf der früheren Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA des polnischen Ex-Ehegatten und der während der Dauer dieser Aufenthaltsbewilligung gelebten ehelichen Gemeinschaft. Die Basis dieses Familiennachzuges bildende Bewilligung des Ex-Ehegatten ist aufgrund des Umstandes, dass er die Schweiz verlassen und sich per 31. März 2018 abgemeldet hat, erloschen (vgl. zum Erlöschen der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA durch Abmeldung ins Ausland Art. 61 Abs. 1 lit. a AIG sowie ANDREAS ZÜND/LADINA ARQUINT HILL in: Peter Uebersax et al. [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, Rn. 8.16. Verlässt der Ausländer die Schweiz ohne Abmeldung, erlischt die Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA nach einem ununterbrochenen Auslandsaufenthalt von sechs Monaten [vgl. Art. 6 Abs. 5 Anhang I FZA]). Auch wenn der Ex-Ehegatte im Januar 2019 in die Schweiz zurückgekehrt ist und möglicherweise eine neue Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erhalten hat, lässt dies den untergegangenen Bezug zum freizügigkeitsrechtlichen Familiennachzug nicht wiederaufleben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Ehe bei der Rückkehr des Ehemannes in die Schweiz bereits geschieden war oder nicht.  
Für die Frage, ob die Beschwerdeführerin einen Aufenthaltsanspruch hat, spielt entgegen der Beschwerde auch keine Rolle, ob der Ex-Ehemann ab dem 1. April 2018 in der Schweiz über eine Grenzgängerbewilligung verfügte. Denn zu diesem Zeitpunkt waren die Eheleute schon getrennt bzw. wohnten sie nicht mehr zusammen, so dass eine allfällige Grenzgängerbewilligung des Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin schon deshalb von vornherein kein Nachzugsrecht nach Art. 3 Abs. 1 FZA vermitteln konnte und eine solche Bewilligung damit erst recht keinen nachehelichen Aufenthaltsanspruch nach Art. 2 FZA in Verbindung mit Art. 50 AIG begründen kann. 
Die Beschwerdeführerin macht mithin zu Unrecht ein aus Art. 2 FZA in Verbindung mit Art. 50 AIG abgeleitetes Aufenthaltsrecht geltend. Es erübrigt sich unter diesen Umständen, auf die einzelnen, in Art. 50 AIG statuierten Anspruchsvoraussetzungen und die diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin einzugehen. Dies gilt umso mehr, als nicht ersichtlich ist, dass und weshalb die Verneinung eines Härtefalles im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b und Art. 50 Abs. 2 AIG durch die Vorinstanz nicht bundesrechtskonform sein sollte. Auf die diesbezüglichen, zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz ist zu verweisen (vgl. E. 2.2 ff. des angefochtenen Urteils sowie Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
3.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als offensichtlich unbegründet im vereinfachten Verfahren abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist (Art. 109 Abs. 2 lit. a und Art. 109 Abs. 3 BGG). 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen werden nicht geschuldet (vgl. Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Februar 2021 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: König