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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_352/2022  
 
 
Urteil vom 23. November 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Marti. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Pablo Blöchlinger, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau, Langfeldstrasse 53a, 8510 Frauenfeld, 
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 9. März 2022 (VG.2021.149/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die russische Staatsangehörige A.________ (geb. 1988) reiste am 30. Mai 2019 in die Schweiz ein. Sie heiratete einen Tag später den Schweizer Bürger B.________ und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib beim Ehemann. 
 
B.  
 
B.a. Am 19. März 2020 kam es bei den Eheleuten zu einer polizeilichen Intervention wegen häuslicher Gewalt. Die Polizei ordnete gegenüber B.________ eine Wegweisung, ein Rückkehrverbot sowie eine Kontaktsperre an; die Eheleute trennten sich gleichentags. Mit superprovisorischer Verfügung vom 27. März 2020 verlängerte das Bezirksgericht Arbon im Rahmen des am 26. März 2020 eingeleiteten Eheschutzverfahrens die Wegweisung, das Rückkehrverbot und die Kontaktsperre für die Dauer des Eheschutzverfahrens. Im Eheschutzentscheid vom 27. August 2020 verfügte das Gericht ein gegenseitiges Annäherungsverbot.  
 
B.b. In der Folge widerrief das Migrationsamt des Kantons Thurgau am 5. Oktober 2020 die Aufenthaltsbewilligung von A.________ und wies diese an, die Schweiz innert 30 Tagen nach Rechtskraft des Entscheids zu verlassen. Die hiergegen auf kantonaler Ebene erhobenen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau vom 16. Juli 2021; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 9. März 2022).  
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 5. Mai 2022 gelangt A.________ an das Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 9. März 2022 sei aufzuheben und das Migrationsamt des Kantons Thurgau sei anzuweisen, der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. In prozessualer Hinsicht verlangt sie die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. 
 
Das Migrationsamt, das Departement für Justiz und Sicherheit und das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das SEM liess sich nicht vernehmen. 
 
Die Abteilungspräsidentin schrieb das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung mit Verfügung vom 10. Mai 2022 als ge-genstandslos ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin beruft sich in vertretbarer Weise auf einen nachehelichen Härtefall gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG (SR 142.20). Ob gestützt auf diese Bestimmung tatsächlich ein Aufenthaltsanspruch besteht, bildet eine Frage der materiellen Beurteilung (BGE 139 I 330 E. 1.1). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. Art. 100 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1 und 2, Art. 90, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 82 lit. a und Art. 89 Abs. 1 BGG), ist unter Vorbehalt des Nachfolgenden auf die Beschwerde einzutreten.  
 
1.2. Unzulässig ist die Beschwerde, soweit die Beschwerdeführerin sinngemäss geltend macht, ihre Situation sei zu Unrecht nicht als allgemeiner Härtefall geprüft und behandelt worden (Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG). Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG vermittelt keinen Bewilligungsanspruch, sondern bildet Grundlage für Ermessensbewilligungen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; vgl. vorstehende E. 1.1; vgl. ferner BGE 137 II 345 E. 3.2.1; Urteil 2C_410/2021 vom 4. November 2021 E. 1.2). Diesbezüglich können (im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde) ausschliesslich Rügen betreffend verfahrensrechtlicher Punkte geltend gemacht werden, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommen, soweit das Gericht diese losgelöst von der Frage in der Sache selber beurteilen kann ("Star"-Praxis; BGE 137 II 305 E. 2 und E. 4; 114 Ia 307 E. 3c). Solche Rügen bringt die Beschwerdeführerin nicht vor.  
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde kann namentlich die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und lit. b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), wobei es - unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) - nur die geltend gemachten Vorbringen prüft, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Tatfrage ist auch die Beweiswürdigung (BGE 144 V 111 E. 3). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (Art. 9 BV; BGE 141 IV 317 E. 5.4). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 144 V 50 E. 4.2).  
 
3.  
 
3.1. Nach Auflösung der Ehegemeinschaft besteht der Bewilligungsanspruch des Ehegatten nach Art. 42 AIG fort, wenn das Zusammenleben als Ehegemeinschaft in der Schweiz mindestens drei Jahre gedauert hat und eine erfolgreiche Integration besteht (Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG; BGE 138 II 229 E. 2) oder wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG). Wichtige persönliche Gründe können namentlich vorliegen, wenn die Ehegattin oder der Ehegatte Opfer ehelicher Gewalt wurden oder die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50 Abs. 2 AIG).  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin heiratete am 31. Mai 2019 ihren Schweizer Ehemann; seit der polizeilichen Intervention vom 19. März 2020 leben sie getrennt. Unbestritten ist, dass die eheliche Gemeinschaft nur rund 5 Monate dauerte und ein Aufenthaltsanspruch nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG somit ausser Betracht fällt. Streitig ist vor Bundesgericht indessen, ob ein nachehelicher Härtefall im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG vorliegt (vgl. nachstehende E. 4-7).  
 
4.  
Zu prüfen ist zunächst, ob die dokumentierten Fälle ehelicher Gewalt einen wichtigen persönlichen Grund im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AIG begründen. 
 
 
4.1. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bedeutet eheliche Gewalt systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben (BGE 138 II 229 E. 3.2.1; 136 II 1 E. 5 mit Hinweisen; Urteil 2C_376/2021 vom 9. Dezember 2021 E. 3.2). Sie kann physischer oder psychischer Natur sein, wobei jede Form ernst zu nehmen ist (BGE 138 II 229 E. 3.2.1 mit Hinweisen; Urteil 2C_776/2019 vom 14. April 2020 E. 3.3). Psychische bzw. sozio-ökonomische Druckausübung wie dauerndes Beschimpfen, Erniedrigen, Drohen und Einsperren kann einen für die Annahme eines nachehelichen Härtefalls relevanten Grad an unzulässiger Oppression erreichen. Dies ist praxisgemäss der Fall, wenn die psychische Integrität des Opfers bei einer Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft schwer beeinträchtigt würde (BGE 138 II 229 E. 3.2.2; Urteil 2C_45/2021 vom 12. März 2021 E. 3.3).  
 
4.2. Nicht jede unglückliche, belastende und nicht den eigenen Vorstellungen entsprechende Entwicklung einer Beziehung begründet indessen bereits einen nachehelichen Härtefall und ein weiteres Anwesenheitsrecht in der Schweiz. Die anhaltende, erniedrigende Behandlung muss derart schwer wiegen, dass von der betroffenen Person bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass sie einzig aus bewilligungsrechtlichen Gründen die Ehe aufrecht erhält und in einer ihre Menschenwürde und Persönlichkeit verneinenden Beziehung verharrt (BGE 138 II 229 E. 3.2.2; Urteile 2C_115/2022 vom 9. Juni 2022 E. 3.2; 2C_776/2019 vom 14. April 2020 E. 3.3). Eheliche Gewalt physischer oder psychischer Natur muss somit von einer gewissen Konstanz bzw. Intensität sein (Urteile 2C_115/2022 vom 9. Juni 2022 E. 3.2; 2C_777/2015 vom 26. Mai 2016 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 142 I 152; BGE 138 II 229 E. 3.2.1). Je nach Intensität kann allerdings bereits ein einziger Vorfall eheliche Gewalt im erwähnten Rechtssinn begründen, so namentlich wenn die betroffene Person Opfer eines Mordversuchs wird (Urteile 2C_739/ 2021 vom 27. Januar 2022 E. 5.3; 2C_12/2018 vom 28. November 2018 E. 3.1; 2C_590/2010 vom 29. November 2010 E. 2.5.2).  
 
4.3. Kommt es aufgrund häuslicher Gewalt zur Trennung, wandelt sich der vormals aus der ehelichen Beziehung abgeleitete Aufenthaltsanspruch in einen selbständigen Aufenthaltsanspruch, wobei ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen der ehelichen Gewalt und der Trennung bestehen muss. Für die Beurteilung der Frage, ob jemand Opfer häuslicher Gewalt ist, sind die diesbezüglichen sachverhaltlichen Feststellungen entscheidend, mit anderen Worten, ob und allenfalls in welchem Ausmass häusliche Gewalt stattgefunden hat. Im Anschluss an diese Feststellung lässt sich dann auch beurteilen, ob sich das Opfer im Trennungszeitpunkt im Dilemma befunden hat, zwischen einer unzumutbaren Weiterführung der Ehe und einer unzumutbaren Beendigung seines Aufenthaltsrechts auswählen zu müssen, und sich gegebenenfalls für die erste Option entschieden hatte (Urteile 2C_115/ 2022 vom 9. Juni 2022 E. 3.3; 2C_802/2020 vom 12. März 2021 E. 2.4).  
 
4.4. Die ausländische Person trifft bei den Feststellungen des entsprechenden Sachverhalts eine weitreichende Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG). Sie muss die eheliche Gewalt in geeigneter Weise glaubhaft machen. Der Verordnungsgeber hat die Anforderungen an den Beweis ehelicher Gewalt in Art. 77 Abs. 5, 6 und 6bis der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) konkretisiert. In Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Praxis wird nicht ein voller Beweis oder eine strafrechtliche Verurteilung verlangt. Die ausländische Person muss aber die eheliche Gewalt bzw. häusliche Oppression in geeigneter Weise - insbesondere durch Arztberichte oder Auskünfte von spezialisierten Fachstellen - glaubhaft machen, damit ein ausländerrechtliches Beweisverfahren durchgeführt wird. Allgemein gehaltene Behauptungen oder Hinweise auf punktuelle Spannungen genügen nicht (vgl. BGE 142 I 152 E. 6.2; 138 II 229 E. 3.2.3; Urteile 2C_739/2021 vom 27. Januar 2022 E. 5.3; 2C_215/2019 vom 24. Januar 2020 E. 4.2).  
 
5.  
Die Vorinstanz verneinte, dass die Beschwerdeführerin Opfer ehelicher Gewalt im ausländerrechtlichen Sinne geworden ist. Sie erwog im Wesentlichen, die erforderliche Intensität physischer oder psychischer Gewalt sei nicht erreicht. 
 
5.1. Gemäss den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Ehemann der Beschwerdeführerin bestätigt, dass es zwischen den Eheleuten verschiedentlich zu gegenseitigen Tätlichkeiten gekommen sei. Am 19. März 2020 ist die Situation erneut eskaliert, wobei es nach der Schilderung der Eheleute zu einer verbalen Auseinandersetzung mit gegenseitigen Tätlichkeiten und zu einer Sachbeschädigung gekommen sei. Die Beschwerdeführerin hat angegeben, ihr Ehemann habe sie angegriffen und aufs Bett gestossen, woraufhin er sie mehrfach geohrfeigt und ihre Arme zusammengepresst habe. Er habe dann von ihr losgelassen und ihre Stehlampe aus dem Fenster werfen wollen, die dabei beschädigt wurde. Er habe ihr gesagt, dass er ihr alles kaputt machen könne. In der Folge habe er sie in die Beine getreten.  
Der Ehemann hat den Vorfall dagegen wie folgt geschildert: er habe einkaufen gehen wollen, als es im Treppenhaus zu einem Streit gekommen sei, bei dem die Beschwerdeführerin ihn an den Haaren gerissen habe. Er habe sie beruhigen wollen und sie deswegen umarmt. Sie sei dann noch wütender geworden und habe eine Gabel in seine Richtung gestreckt. Er sei dann ebenfalls wütend geworden und habe ihr die Gabel aus der Hand gerissen. Sie habe ihn daraufhin fünfmal gegen seinen rechten Oberschenkel getreten, woraufhin er sie mit beiden Armen an ihren Oberarmen festgehalten habe. Es könne sein, dass er sie im Gerangel kurz in den Schwitzkasten genommen habe. Bevor die Beschwerdeführerin auf dem Bett zu liegen gekommen sei, habe sie ihn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen und provoziert. Er habe sie dann mit der flachen Hand dreimal auf die rechten Wange geschlagen. Nachher habe er von ihr abgelassen, sie habe ihn aber weiter provoziert. Sie habe seinen Bildschirm genommen und ihn aufs Bett geworfen. Er habe sich ihrer Nachttischlampe behändigt und diese gegen die Wand werfen wollen. Irrtümlich habe er die Lampe aber aus dem offenen Fenster geworfen. 
Im Rahmen der polizeilichen Befragung vom 19. März 2020 hat die Beschwerdeführerin auf die Frage nach allfälligen Verletzungen angegeben, ihr Gesicht brenne und ihr linkes Handgelenk schmerze auch ein wenig. Im Interventionsbericht ist bei Verletzungen "Nein" angekreuzt; sechs Tage nach dem Vorfall sind indessen anlässlich einer Untersuchung im Kantonsspital St. Gallen bei ihr multiple Hämatome an beiden Beinen festgestellt worden. Beide haben darauf verzichtet, einen Antrag auf Strafverfolgung zu stellen. 
 
5.2. Mit Strafbefehl vom 26. Juni 2020 wurde der Ehemann sodann der Sachentziehung, der Sachbeschädigung, des mehrfachen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen sowie der mehrfachen Tätlichkeit schuldig gesprochen. Aus dem Strafbefehl geht hervor, dass der Ehemann kurz nach der polizeilichen Intervention vom 19. März 2020 trotz polizeilichem Verbot zur ehelichen Wohnung zurückkehrte. Er entsorgte diverse Gegenstände der Beschwerdeführerin in einem Unterflurcontainer, beschmierte ihr Fahrrad mit Ketchup und warf ein Kissen sowie das Mobiltelefon der Beschwerdeführerin aus dem Fenster.  
Gestützt auf den Strafbefehl vom 26. Juni 2020 hielt die Vorinstanz weiter fest, dass sich der Ehemann auch am 10., 11. und 15. Juni 2020 erneut zur vormaligen ehelichen Wohnung begab bzw. er mit der Beschwerdeführerin Kontakt aufnahm. Am 15. Juni 2020 folgte er ihr bis zu ihrer Wohnung und versuchte, ihr das Mobiltelefon aus den Händen zu reissen. Dabei packte er sie am Arm, woraufhin beide zu Boden stürzten und die Beschwerdeführerin sich die Knie aufschürfte. Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte, brachte ihr Ehemann sie ein weiteres Mal zu Fall. Infolge des Sturzes verletzte sie sich an zwei Fingern der rechten Hand. 
 
5.3. Die Vorinstanz würdigte diese Geschehnisse dahingehend, dass die eheliche Beziehung zwar nicht von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geprägt war, indessen keine durch den Ehemann der Beschwerdeführerin ausgeübte ausländerrechtlich relevante Form ehelicher Gewalt im Sinne einer systematischen und andauernden Misshandlung auszumachen sei. Insbesondere könne aufgrund der Schilderungen bezüglich der Vorfälle vom 19. März 2020 nicht auf die erforderliche Eingriffsintensität geschlossen werden, zumal die Vorfälle auch gegenseitige Provokationen und Handgreiflichkeiten beinhalteten, wovon auch die Beschwerdeführerin implizit auszugehen scheine.  
Hinsichtlich des Strafbefehls vom 26. Juni 2020 hielt die Vorinstanz fest, dass die darin beschriebenen Vorkomnisse nicht während der häuslichen Gemeinschaft, sondern erst danach stattgefunden hätten. Die Aufgabe der betreffenden ehelichen Gemeinschaft stehe somit nicht im Zusammenhang mit den Ereignissen, was ausgehend vom Normzweck von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG Voraussetzung für die Annahme eines nachehelichen Härtefalls bei häuslicher Gewalt sei. Aber auch wenn die Ereignisse im Rahmen einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt würden, um die Gewalthaltigkeit der Beziehung während der Dauer der Haushaltsgemeinschaft zu belegen, sei auch weiterhin die notwendige Eingriffsintensität nicht erreicht worden. 
 
6.  
Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, die Vorinstanz verletze Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG sowie Art. 10 BV und Art. 3 EMRK, wenn sie einen Aufenthaltsanspruch aufgrund ehelicher Gewalt verneine. Es handle sich um durch gerichtliche Akten dokumentierte Fälle häuslicher Gewalt, welche zur Wegweisung und einem Eheschutzverfahren geführt hätten. Trotz der Trennung und polizeilich bzw. gerichtlich verfügten Massnahmen sei es sodann zu weiteren Fällen häuslicher Gewalt gekommen. Das Handeln des Beschwerdeführers zeige in aller Deutlichkeit, dass es der Beschwerdeführerin unzumutbar gewesen sei, bei diesem in der ehelichen Gemeinschaft zu leben, ohne körperliche oder psychische Gewalt erleben zu müssen. 
 
6.1. Die Umstände des Vorfalls vom 19. März 2020 sind nicht eindeutig erstellt. Unbestritten scheint, dass der Ehemann die Beschwerdeführerin insbesondere festgehalten und mehrfach geohrfeigt hat und sie dabei mehrere Hämatome am Bein erlitt. Zudem kehrte der Ehemann trotz gegenteiliger polizeilicher Anordnung kurz darauf zur ehelichen Wohnung zurück und entsorgte bzw. beschädigte erneut Eigentum der Beschwerdeführerin (vgl. vorstehende E. 5.1 und 5.2).  
Der Vorfall vom 19. März 2020 war damit nicht bloss eine harmlose Handgreiflichkeit, sondern Ausdruck häuslicher Gewalt. Der Beschwerdeführerin ist darin zuzustimmen, dass jede Form häuslicher Gewalt ernst zu nehmen und zu verurteilen ist, doch vermag eine solche nicht immer auch einen Härtefall im Sinne der Rechtsprechung zu begründen. Vorliegend kann im Verhalten des Ehemanns noch keine schwerwiegende Aggression im Sinne der Rechtsprechung erblickt werden (vgl. Urteile 2C_394/2017 vom 28. September 2017 E. 4.4; 2C_423/ 2020 vom 26. August 2020 E. 2.3.4; vorstehende E. 4.2), die ein Aufrechterhalten der Ehe objektiv unzumutbar gemacht hätte - auch wenn es nachvollziehbar erscheint, dass es in der Folge zur Trennung der Eheleute kam. Anhaltspunkte dafür, dass der Vorfall Teil einer systematischen oder konstanten Misshandlung im Sinne der Rechtsprechung gewesen wäre, fehlen. Vielmehr ist es, wie auch am 19. März 2020, verschiedentlich zu gegenseitigen Tätlichkeiten gekommen (vgl. Urteile 2C_822/2018 vom 23. August 2019 E. 3.2.3; 2C_802/2020 vom 12. März 2021 E. 3.6). Die im Rahmen des Eheschutzverfahrens erhobenen Vorwürfe der Gewalttätigkeit des Ehemanns hat die Beschwerdeführerin in dieser Form weder im Eheschutzverfahren noch vor der Vorinstanz belegen können.  
Das Bundesgericht ist an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellungen und Beweiswürdigung gebunden, zumal die Beschwerdeführerin nicht geltend macht, diese seien offensichtlich unrichtig (vgl. vorstehende E. 2.2; Urteil 2C_739/2021 vom 27. Januar 2022 E. 5.5). Im Ergebnis durfte die Vorinstanz im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung somit davon ausgehen, dass die Schwelle zur Annahme ehelicher Gewalt im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 50 Abs. 2 AIG in Bezug auf den Vorfall vom 19. März 2020 nicht erreicht sei. 
 
6.2. Es trifft zu, dass der Ehemann Mitte Juni 2020 die Beschwerdeführerin gemäss Strafbefehl vom 26. Juni 2020 erneut mehrfach aufsuchte und ihr gegenüber Tätlichkeiten beging: Insbesondere am 15. Juni 2020 versuchte er, ihr das Mobiltelefon aus den Händen zu reissen; dabei packte er die Beschwerdeführerin und brachte sie zweimal zu Fall, wobei sie sich die Knie aufschürfte und sich an zwei Fingern verletzte (vgl. vorstehende E. 5.2).  
Die nacheheliche Härtefallregelung zielt indes auch bei häuslicher Gewalt primär auf Sachverhalte ab, in denen bei der Gewaltanwendung oder unmittelbar davor noch ein Aufenthaltsanspruch bestand, weil die Eheleute zusammen wohnten oder weil sie aufgrund eines wichtigen Grundes davon befreit waren (vgl. Art. 49 AIG; BGE 137 II 345 E. 3.2.3; Urteile 2C_777/2018 vom 8. April 2019 E. 4.2; 2C_590/2010 vom 29. November 2010 E. 2.5.3). Die Vorfälle vom 10., 11. und 15. Juni 2020 erfolgten knapp drei Monate nach der Trennung des Ehepaars. Dass die Ehegemeinschaft während diesem Zeitraum trotz Trennung weiter bestanden hätte, macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. 
Die Beschwerdeführerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf Art. 3 lit. b des Übereinkommens des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (SR 0.311.35; Istanbul-Konvention). Danach definiere sich der Begriff der "häuslichen Gewalt" unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer habe. Die Beschwerdeführerin lässt jedoch unberücksichtigt, dass es vorliegend nicht um die Definition der häuslichen Gewalt geht, sondern infrage steht, ob ein Aufenthaltsanspruch nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG überhaupt noch weiterbestehen konnte. 
Selbst wenn indessen das strafrechtliche Verhalten des Ehemannes von Mitte Juni 2020 im Rahmen einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt würde, erweist sich die vorinstanzliche Beweiswürdigung, wonach auch dies nicht ausreiche, um rückwirkend die erforderliche Intensität der Gewaltanwendung glaubhaft darzutun, zumindest nicht als offensichtlich unhaltbar. 
 
6.3. Zusammengefasst verletzt die Verneinung eines Aufenthaltsanspruchs aufgrund ehelicher Gewalt folglich weder Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG noch Art. 10 BV bzw. Art. 3 EMRK.  
 
7.  
Sinngemäss bringt die Beschwerdeführerin ferner vor, ein wichtiger persönlicher Grund im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG liege auch deshalb vor, weil ihre soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50 Abs. 2 AIG). Insbesondere habe die Vorinstanz den erfolgten Kriegsausbruch infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine unberücksichtigt gelassen; damit verletze sie ebenfalls Art. 10 BV und Art. 3 EMRK
 
7.1. Entscheidend ist, ob die persönliche, berufliche und familiäre Eingliederung der betroffenen ausländischen Person bei einer Rückkehr in ihre Heimat als stark gefährdet zu gelten hätte (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3; Urteil 2C_335/2020 vom 18. August 2020 E. 3.2). Die befürchtete Beeinträchtigung muss im Einzelfall aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft erscheinen (BGE 138 II 229 E. 3.2.3; Urteil 2C_668/2019 vom 19. November 2019 E. 2.3).  
 
7.2. Eine solche Gefährdung ist vorliegend nicht auszumachen: Die Beschwerdeführerin lebt erst seit November 2019 in der Schweiz. Gemäss den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat sie ihre Kindheit und Jugend sowie den grössten Teil ihres bisherigen Erwachsenenlebens in Russland verbracht. Sie ist folglich mit den Verhältnissen in ihrer Heimat vertraut, wo auch ihre Familie lebt. Als ausgebildete Lehrerin und mit Berufserfahrung im Bankenbereich erscheinen auch ihre beruflichen Wiedereingliederungschancen intakt.  
 
7.3. Daran vermag das vor Bundesgericht neu vorgebrachte Argument, die Beschwerdeführerin sei dezidiert gegen den Krieg in der Ukraine und habe dies Bekannten gegenüber so geäussert, nichts zu ändern. Selbst unter der Annahme, dass solche neuen Tatsachenvorbringen zulässig wären (Art. 99 Abs. 1 BGG), kann die Beschwerdeführerin mit diesem generellen Einwand nicht hinreichend darlegen, dass bzw. inwiefern sie - wie sie geltend macht - bei einer Rückkehr einer konkreten Gefahr der Diskriminierung oder gar Verfolgung ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund erweist sich die Rüge einer Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 10 BV auch in diesem Zusammenhang als unbegründet (vgl. Urteil 2C_682/2019 vom 26. Februar 2020 E. 1.2 und 5.3).  
 
7.4. Im Ergebnis ging die Vorinstanz somit bundesrechtskonform davon aus, dass die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG keinen Anspruch auf einen weiteren Aufenthalt ableiten kann. Der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung erweist sich damit auch als verhältnismässig (Art. 96 Abs. 1 AIG; Art. 5 Abs. 2 BV; ferner Art. 8 Ziff. 1 EMRK), da keine überwiegenden privaten Interessen auszumachen sind, die einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen.  
 
 
8.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Sie ist deshalb abzuweisen. Da die Eingabe nicht als zum Vornherein aussichtslos gelten konnte, ist das Gesuch der bedürftigen Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu entsprechen (Art. 64 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
 
3.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.  
Rechtsanwalt Pablo Blöchlinger, Zürich, wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin bestellt und ihm wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. November 2022 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: C. Marti