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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_543/2021  
 
 
Urteil vom 23. Dezember 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin N. Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Meier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons, 
Röntgenstrasse 17, 8005, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons vom 31. Mai 2021 (IV.2020.00382). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die IV-Stelle des Kantons wies mit Verfügung vom 17. Juni 2010 das im Mai 2008 wegen einer Sehnenverletzung am linken Oberarm eingereichte Leistungsgesuch des 1968 geborenen A.________ ab, nachdem dieser seine Tätigkeit als Supervisor mit Be- und Entladen von Flugzeugen bei der B.________ AG wieder aufnehmen konnte.  
 
A.b. Im Juli 2017 meldete sich A.________ erneut zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle tätigte daraufhin verschiedene erwerbliche und medizinische Abklärungen, insbesondere liess sie den Versicherten durch die Medas Interlaken Unterseen GmbH polydisziplinär begutachten (Expertise vom 1. Mai 2019, Ergänzungen vom 23. Juli 2019 und 28. August 2019). Anschliessend verneinte die IV-Stelle nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren einen Rentenanspruch (Verfügung vom 13. Mai 2020).  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons mit Urteil vom 31. Mai 2021 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und ihm sei rückwirkend per 1. Februar 2018 eine ganze Rente zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zu weiterer Abklärung mittels eines Gerichtsgutachtens zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2 mit Hinweis). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung der Vorinstanz ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig (willkürlich), wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Es genügt somit nicht, dass eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Willkür liegt insbesondere vor, wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise übersehen oder solche grundlos ausser Acht gelassen hat (BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
1.3. Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit sind tatsächlicher Natur (BGE 132 V 393 E. 3.2), weshalb sie das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat. Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen betrifft die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfragen (BGE 146 V 240 E. 8.2 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie in Bestätigung der Verfügung vom 13. Mai 2020 einen Rentenanspruch des Beschwerdeführers verneinte.  
 
2.2. Im angefochtenen Urteil wurden die rechtlichen Grundlagen zum Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 7 f. ATSG), insbesondere die Rechtsprechung zur Prüfung der Einschränkungen bei psychischen Leiden anhand der Indikatoren (BGE 143 V 418; 143 V 409; 141 V 281), sowie zum Beweiswert von ärztlichen Berichten und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat dem Gutachten der Medas Interlaken Unterseen GmbH vom 1. Mai 2019 grundsätzlich Beweiswert beigemessen. Unter Bezug auf die Indikatoren stellte es aber auf die aus psychiatrischerseits attestierte Arbeitsunfähigkeit von 50 % nicht ab, sondern erachtete eine Funktionseinbusse in einer angepassten Tätigkeit als nicht gesichert.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen im Wesentlichen vor, die Vorinstanz habe nicht rechtsgenügend dargelegt, weshalb den Einschätzungen der Erwerbsunfähigkeit von 100 % des Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und der Klinik D.________ nicht gefolgt werde. Weiter rügt er die vorinstanzlichen Feststellungen im Rahmen der Indikatorenprüfung in verschiedener Hinsicht und macht geltend, dass dies eine unzulässige Parallelprüfung darstelle. Eventualiter fordert er eine weitere Sachverhaltsabklärung durch ein Gerichtsgutachten.  
 
4.  
 
4.1. Vorab ist festzuhalten, dass die vorinstanzlichen Feststellungen zur Verwertbarkeit des Gutachtens der Medas Interlaken Unterseen GmbH vom 1. Mai 2019 und zur vollen Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit aus somatischer Sicht unbestritten geblieben sind.  
 
4.2. Streitig ist hingegen, wie das Leistungsvermögen aus psychiatrischer Sicht zu beurteilen ist. Der Beschwerdeführer verweist auf die Einschätzungen der ihn behandelnden Fachärzte. Nach der Rechtsprechung lässt die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag des therapeutisch tätigen Facharztes einerseits und des Begutachtungsauftrags des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten andererseits jedoch nicht zu, ein Administrativgutachten stets infrage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Ärzte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil die behandelnden Ärzte wichtige Aspekte benennen, die im Rahmen der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (statt vieler: Urteil 8C_631/2021 vom 7. Dezember 2021 E. 6.2.1 mit Hinweisen). Eine solche Konstellation liegt gemäss dem kantonalen Gericht hier nicht vor, ergebe sich aus den Berichten des behandelnden Psychiaters und der Klinik D.________ doch nichts, was den Gutachtern verborgen geblieben wäre. Nachdem der Beschwerdeführer nicht aufzeigt, welche Aspekte die medizinischen Experten nicht kannten, ist nicht ersichtlich, inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung gegen Bundesrecht verstossen soll. Entsprechend verletzte die Vorinstanz entgegen den Vorbringen in der Beschwerde alsdann auch kein Bundesrecht, wenn sie im Rahmen der Prüfung der Indikatoren auf die Berichte der behandelnden Ärzte, deren Diagnosen von den Gutachtern nicht bestätigt wurden, keinen Bezug nahm. Auch kann dem Beschwerdeführer nicht gefolgt werden, soweit er im Verlauf bis zur Begutachtung, das heisst von Januar 2017 bis Januar 2019 aufgrund der Berichte seiner behandelnden Ärzte eine Arbeitsunfähigkeit geltend macht. Denn eine massgebliche gesundheitliche Veränderung kann dem Gutachten für die im Jahr 2018 aufgetretenen psychischen Krankheitsbilder nicht entnommen werden und solches erschliesst sich auch nicht aus den Berichten des Dr. med. C.________ vom 1. Oktober 2018 sowie 21. Oktober 2019 oder der Klinik D.________ vom 6. Dezember 2019.  
 
4.3. In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen zu den Indikatoren willkürlich sind.  
 
4.3.1. Das kantonale Gericht kam betreffend den funktionellen Schweregrad des psychischen Leidens zum Schluss, eine erhebliche Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde könne nicht als erstellt gelten. Der Beschwerdeführer rügt diesbezüglich als willkürlich, dass die Vorinstanz die Verbitterungsstörung als Diagnose einstufte, die nicht auf einem anerkannten Klassifikationssystem beruhe. Damit werde der Funktionsstatuts rechtswidrig "verstellt". Zudem sei das Vorliegen von Mehrfachdiagnosen willkürlich ausser Acht gelassen worden.  
Gemäss dem Gutachten liegen aus psychiatrischer Sicht eine Anpassungsstörung, Unterform einer Verbitterungsstörung (F43.2), DD depressive Episode, leicht bis mittelgradig (F32.0/1), und eine dysfunktionale Störungsverarbeitung (F54) vor. Dies sei als ein einziger Symptomenkomplex zu verstehen und die weiteren Befunde, die etwa in Richtung Panikstörung oder Schmerzstörung wiesen, würden unter die Pathologie der Anpassungsstörung bzw. Verbitterungsstörung subsumiert. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Vorwurf nicht halten, die Vorinstanz habe das Vorliegen von Mehrfachdiagnosen willkürlich unberücksichtigt gelassen. Anderseits mag zutreffen, dass ihr Hinweis, wonach sich eine Verbitterungsstörung nicht auf ein anerkanntes Kassifikationssystem zu stützen vermöge, angesichts der Ausführungen der Gutachter nicht ohne Weiteres einleuchtet, nachdem diese die betreffende Symptomatik (nebst der depressiven) unter einer Anpassungsstörung erfassten. Das ändert nichts daran, dass sich die Vorinstanz mit den Befunden der Gutachter in insgesamt vertretbarer und nachvollziehbarer Weise befasst hat, dies unter anderem mit Hinweis darauf, dass die Symptome einer Anpassungsstörung vorübergehender Art seien. Dabei ist sie mit Blick auf den im Gutachten erhobenen Status nach AMDP und die in gewissen Bereichen leichten bis mittelgradigen Funktionseinschränkungen nicht in Willkür verfallen, wenn sie unter Ausklammerung der psychosozialen Faktoren zum Schluss kam, es bestehe keine erhebliche Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde (vgl. Urteil 8C_280/2021 vom 17. November 2021 E. 6.2.2, zur Publikation vorgesehen). Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu verfangen und erschöpft sich im Wesentlichen in einer appellatorisch gehaltenen Wiedergabe der eigenen Sichtweise, was zur Begründung von Willkür (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG sowie E. 1.2) nicht genügt. 
 
4.3.2. Das kantonale Gericht verneinte eine Behandlungsresistenz. Der Beschwerdeführer ist hingegen der Meinung, es liege trotz verschiedener Therapieansätze ein chronifizierter Krankheitsverlauf vor und zudem habe die Vorinstanz verkannt, dass sich nicht nur aus der medizinischen Behandlung, sondern auch aus der abgebrochenen Eingliederung Rückschlüsse auf den Schweregrad einer Gesundheitsstörung ergäben.  
Im Gutachten wurde dargelegt, die therapeutischen Optionen seien noch nicht ausgeschöpft und bei konsequenter Nutzung der therapeutischen Möglichkeiten könne eine Steigerung der Arbeitsfähigkeit auf 80 % erwartet werden. Mit Blick darauf ist nicht offensichtlich unrichtig, sondern überzeugend, wenn die Vorinstanz eine Behandlungsresistenz verneinte. Auch aus der erfolglos abgebrochenen beruflichen Eingliederung kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn gemäss der gutachterlichen Einschätzung sei bei ihm eine Bereitschaft, sich mit alternativen oder angepassten Tätigkeiten auseinanderzusetzen, kaum erkennbar und beim gescheiterten Eingliederungsversuch habe die Darstellung und Dokumentation der Defizite auch eine wichtige Rolle gespielt. Der Misserfolg der beruflichen Wiedereingliederungsbemühungen geht somit massgeblich auf invaliditätsfremde Aspekte zurück. Daher ist nicht zu beanstanden, wenn das kantonale Gericht diesem Umstand für den Schweregrad der Gesundheitsschädigung keine relevante Bedeutung beimass. 
 
4.3.3. Entgegen den Vorbringen in der Beschwerde ist auch nicht bundesrechtswidrig, dass die Vorinstanz das Verhalten des Beschwerdeführers bei der Begutachtung berücksichtigt hat (deutlich veränderte Kooperation und Motivation des Beschwerdeführers nach gutachterlicher Aufforderung, dass ansonsten keine Begutachtung durchgeführt werden könne; verzerrte Testresultate mit Präsentation von neurologischen Defiziten im Ausmass einer Demenz; Medikamentenspiegel unter dem Referenzbereich; Aggravation; Entschädigungshaltung). Daran ändert nichts, dass der Gutachter - soweit ersichtlich - dieses inkonsistente Verhalten bei der Einschätzung der Funktionsfähigkeit auch ausklammerte. Vermögen diese Umstände doch die Diskrepanz zwischen dem vom Beschwerdeführer geltend gemachten aufgehobenen Leistungsvermögen und den dazu im Widerspruch stehenden nicht erheblich ausgeprägten diagnoserelevanten Befunden zu erklären.  
 
4.3.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz aufgrund des grundsätzlich beweiskräftigen Gutachtens Feststellungen zu den Indikatoren erhoben hat, die nicht willkürlich sind. Soweit der Beschwerdeführer weitere Abklärungen fordert, ist nicht ersichtlich, dass davon zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten sind, nachdem der massgebende Sachverhalt festgestellt werden konnte (vgl. BGE 144 V 361 E. 6.5; Urteil 9C_216/2020 vom 8. Juli 2020 E. 3.2). Dieser Antrag ist daher abzuweisen.  
 
4.4. Der Beschwerdeführer begründet sodann anhand der verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen nicht, dass entgegen den Schlussfolgerungen des kantonalen Gerichts eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit ausgewiesen ist. Soweit er darin eine unzulässige juristische Parallelprüfung erblickt, übersieht er, dass grundsätzlich jede gutachterliche Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit durch den medizinisch-psychiatrischen Sachverständigen der (freien) Überprüfung durch die rechtsanwendende Verwaltung (im Beschwerdefall das Gericht) im Lichte von BGE 141 V 281 unterliegt. Der medizinisch-psychiatrischen Annahme einer Arbeitsunfähigkeit wird dabei aus rechtlichen Gründen nicht gefolgt, wenn sie letztlich unter dem entscheidenden Gesichtswinkel von Konsistenz und materieller Beweislast der rentenansprechenden Person zu wenig gesichert ist und insofern nicht überzeugt (vgl. Urteil 8C_280/2021 vom 17. November 2021 E. 6.2.1, zur Publikation vorgesehen). Folglich hat es bei den vorinstanzlichen Schlussfolgerungen sein Bewenden. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.  
Die Gerichtskosten hat der Beschwerdeführer als unterliegende Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. Dezember 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli