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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.231/2006 
6S.531/2006 /bri 
 
Urteil vom 24. Januar 2007 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Favre und Zünd. 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel, 
 
gegen 
 
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern, 
Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
6P.231/2006 
Art. 9, 29 Abs. 1 und 2 sowie Art. 32 BV (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung, Grundsatz des fairen Verfahrens, rechtliches Gehör, Verteidigungsrechte) 
6S.531/2006 
Strafzumessung (Widerhandlung gegen das BetmG, Geldwäscherei usw.), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.231/2006) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.531/2006) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 3. März 2006. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Urteil des Kreisgerichts VIII Bern-Laupen vom 10. Juni 2005 wurde X.________ wegen mehrfacher, mengenmässig qualifizierter, gewerbsmässig und teilweise bandenmässig begangener Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Art. 19 Ziff. 2 lit. a, b und c BetmG), wegen mehrfacher Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 1 StGB) und wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (Art. 23 ANAG; SR 142.20) zu 9 Jahren Zuchthaus (abzüglich 442 Tage Untersuchungshaft) und zu 15 Jahren Landesverweisung unbedingt verurteilt. 
 
Gegen dieses Urteil erklärte X.________ die Appellation, die er auf die Bemessung der Hauptstrafe beschränkte (Art. 338 Abs. 2 Ziff. 2 StrV/BE). Das Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, bestätigte am 3. März 2006 das erstinstanzliche Urteil. 
 
B. 
X.________ führt sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit denen er je die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz beantragt. Ferner ersucht er für beide Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
C. 
Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Gegenbemerkungen zu den Beschwerden verzichtet. Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richten sich die Verfahren jedoch noch nach OG beziehungsweise nach BStP (Art. 132 Abs. 1 BGG). 
 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da es in willkürlicher antizipierter Beweiswürdigung seinen Antrag auf persönliche Anhörung abgewiesen habe, obwohl eine solche für die Bestimmung des sachgerechten Strafmasses von Bedeutung gewesen wäre. Seine Einvernahme hätte einerseits aufzeigen können, dass sein Geständnis auf echter Reue und Einsicht beruht, und andererseits dazu beitragen können, seine schwierigen persönlichen Verhältnisse auszuleuchten. 
 
Das Obergericht hat den Verzicht auf eine persönliche Anhörung des Beschwerdeführers damit begründet, dass diese mutmasslich keine neuen Erkenntnisse gebracht hätte und zur Beurteilung nicht erforderlich gewesen sei. 
 
2.2 Der Umfang des Gehörsanspruchs bestimmt sich vorab nach den kantonalen Verfahrensvorschriften, deren Auslegung und Handhabung das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. Überdies greifen die unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden verfassungsrechtlichen Minimalgarantien zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Platz. Verlangt wird, dass das Gericht die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen hört, prüft und bei der Urteilsfindung berücksichtigt, soweit diese erhebliche Tatsachen betreffen und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind. Ob Art. 29 Abs. 2 BV verletzt ist, beurteilt das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 126 I 19 E. 2a). 
 
Das bernische Strafprozessrecht sieht keine Pflicht vor, die angeschuldigte Person im Appellationsverfahren erneut einzuvernehmen (vgl. Art. 354 ff. StrV/BE). Auch Art. 29 Abs. 2 BV räumt kein Recht auf mündliche Anhörung ein, sondern beschränkt den Gehörsanspruch auf schriftliche Stellungnahmen (Urteil 1P.546/2002 vom 25. November 2002, publiziert in Pra 2003 Nr. 97 S. 519; BGE 125 I 209 E. 9b; 122 II 464 E. 4c; vgl. ferner Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 524 f.). 
 
2.3 Der Richter kann Beweisanträge abweisen, wenn er angesichts der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung davon ausgehen kann, weitere Beweiserhebungen vermöchten seinen Standpunkt nicht zu ändern (BGE 131 I 153 E. 3; 125 I 127 E. 6c/cc; 124 I 208 E. 4a). 
 
Das Obergericht hat sich mit den wesentlichen Vorbringen des Beschwerdeführers eingehend auseinander gesetzt und diese gewürdigt. Eine persönliche Anhörung des Beschwerdeführers im Appellationsverfahren hätte gemäss der willkürfreien antizipierten Beweiswürdigung des Obergerichts keinen Erkenntnisgewinn gebracht. Der Verzicht auf die Anhörung verletzt daher den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht. 
 
Soweit die Rüge des Beschwerdeführers den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG überhaupt genügt, ist sie somit unbegründet. Die staatsrechtliche Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
 
3. 
3.1 Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind hier aber nicht anwendbar, da das Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nur prüft, ob das kantonale Gericht das eidgenössische Recht richtig angewendet habe (Art. 269 Abs. 1 BStP), mithin das Recht, welches im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils noch gegolten hat (BGE 129 IV 49 E. 5.3). 
 
3.2 Der Beschwerdeführer hat in den Zeitspannen von ca. November 2000 bis Februar 2001 und von ca. Februar 2002 bis am 16. Dezember 2002 mit insgesamt über 10 kg Heroingemisch (Reinheitsgrad von 11 - 19%) gehandelt und einen grossen Umsatz erwirtschaftet. Er hat in einer international verflochtenen Bande eine Führungsfunktion wahrgenommen und mit grosser krimineller Energie ein professionell organisiertes Vertriebsnetz mit mehreren "Statthaltern" aufgebaut und gewerbsmässig betrieben. Tatmotiv des nicht betäubungsmittelabhängigen Beschwerdeführers war das Streben nach raschem und hohem Profit. 
 
3.3 Der Beschwerdeführer ficht wie schon im Verfahren vor der Vorinstanz einzig die Strafzumessung an. Er bringt diesbezüglich vor, die ausgesprochene Strafe von 9 Jahren Zuchthaus sei unverhältnismässig hart. Indem die Vorinstanz seine schwierigen persönlichen Verhältnisse, sein Geständnis im Appellationsverfahren und seine altruistischen Beweggründe (Unterstützung seiner hilfsbedürftigen Eltern) nicht hinreichend berücksichtigt habe, habe sie wesentliche Gesichtspunkte in bundesrechtswidriger Weise ausser Acht gelassen respektive falsch gewichtet. 
 
3.4 Gemäss Art. 63 StGB misst der Richter die Strafe innerhalb des anzuwendenden Strafrahmens nach dem Verschulden des Täters zu und berücksichtigt dabei die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen. 
 
Das Bundesgericht hat die Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung wiederholt dargelegt. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. nur BGE 129 IV 6 E. 6.1; 127 IV 101 E. 2c, je mit Hinweisen). 
 
3.5 Die Vorinstanz ist bei der Bemessung der Strafe von der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz als schwerste Tat ausgegangen und hat die Tat- und Deliktsmehrheit (Geldwäscherei, Widerhandlungen gegen das ANAG) strafschärfend gewichtet (Art. 68 Ziff. 1 StGB). Zu Recht hat sie ihrem Urteil einen Strafrahmen zwischen einem Jahr Gefängnis und 20 Jahren Zuchthaus sowie Busse bis zu einer Million Franken zu Grunde gelegt. 
 
3.6 Die Vorinstanz setzt sich ausführlich mit den schuldrelevanten Komponenten auseinander und würdigt die wesentlichen Zumessungsgründe zutreffend. Dass sie sich dabei von rechtlich nicht massgeblichen Gesichtspunkten hätte leiten lassen oder wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich. 
3.6.1 Der Beschwerdeführer hat im Laufe des Verfahrens verschiedentlich widersprüchliche und falsche Angaben zu seinem Vorleben und seinen persönlichen Verhältnissen gemacht, so dass insoweit kaum gesicherte Erkenntnisse bestehen. Selbst wenn er jedoch tatsächlich wie vorgebracht aus schwierigen familiären Verhältnissen stammen und über keine richtige Ausbildung verfügen sollte, würde dies - wie die Vorinstanz zu Recht festhält - nichts Entscheidendes ändern und seine Delikte nicht in besserem Licht erscheinen lassen. 
3.6.2 Nicht erstellt ist des Weiteren, dass der Beschwerdeführer wie behauptet einen Teil des mit dem Drogenhandel erlangten Gewinns für die Unterstützung seiner hilfsbedürftigen Eltern eingesetzt hat. Seine Überweisung von insgesamt Fr. 43'200.-- an die Adresse der Eltern sagt - wie die Vorinstanz zutreffend anführt - nichts über den Verwendungszweck des Geldes aus. 
3.6.3 Schliesslich kann auch der Argumentation des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe es in bundesrechtswidriger Weise unterlassen, sein Geständnis strafmindernd zu berücksichtigen, nicht gefolgt werden. Wohl trifft zu, dass ein Geständnis bei der Analyse des Nachtatverhaltens zugunsten des Täters einbezogen werden kann, wenn es auf Einsicht in das begangene Unrecht oder auf Reue schliessen lässt (vgl. BGE 121 IV 202 E. 2d/cc). Diese Praxis fusst auf der Überlegung, dass Geständnisse zur Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens und zur Wahrheitsfindung beitragen können. Ein Verzicht auf Strafminderung kann sich demgegenüber aufdrängen, wenn das Geständnis die Strafverfolgung nicht erleichtert hat, namentlich weil der Täter nur auf Grund einer erdrückenden Beweislage oder gar erst nach Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils geständig geworden ist (vgl. Urteile 6S.186/2003 vom 22. Januar 2004, E. 5.7.3, und 6S.253/1998 vom 23. November 1999, E. 2e). 
Der Beschwerdeführer hat bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens seine Taten (fast) vollumfänglich bestritten und folglich nichts zur Abklärung des Sachverhalts beigetragen. Die Vorinstanz stellt unter Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung richtig fest, dass in der Nichtanfechtung von Schuldsprüchen im Appellationsverfahren nach vorheriger Bestreitung der Taten kein eine Strafreduktion rechtfertigendes Geständnis erblickt werden kann (vgl. Urteil 6S.161/2000 vom 23. Mai 2000, E. 1c). 
 
3.7 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz die für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt und plausibel und nachvollziehbar gewürdigt hat. Ausgehend von der Tat- und Deliktsmehrheit und dem schweren Verschulden, das sich nicht nur in der grossen Menge umgesetzter Betäubungsmittel, sondern vor allem in der Bandenorganisation, der Führungsposition des Beschwerdeführers und dem erzielten Umsatz widerspiegelt, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht eine Freiheitsstrafe von neun Jahren aussprechen. Diese Strafe hält sich innerhalb des dem Sachrichter zustehenden Ermessensspielraums und ist nicht unhaltbar hart. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist folglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
III. Kostenfolgen 
 
4. 
Der Beschwerdeführer ersucht in beiden Verfahren um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Da die Rechtsmittel von vornherein aussichtslos waren, kann den Gesuchen nicht entsprochen werden (Art. 152 Abs. 1 OG). 
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG und Art. 278 Abs. 1 BStP). Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr ist dessen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
4. 
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 24. Januar 2007 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: