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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_413/2020  
 
 
Urteil vom 24. August 2020  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, 
Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber König. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Dr. Helena Hess, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern (ABEV), 
Ostermundigenstrasse 99B, 3006 Bern, 
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (seit 1. Januar 2020: Sicherheitsdirektion SID), 
Kramgasse 20, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Widerruf bzw. Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, 
vom 2. April 2020 (100.2019.202U). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geb. 1939), deutsche Staatsangehörige, erhielt nach einer am 5. März 2010 erfolgten Einreise in die Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, die mehrmals und zuletzt bis am 19. März 2018 verlängert wurde. Mit Verfügung vom 13. April 2017 widerrief das damalige Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern diese Bewilligung wegen Sozialhilfeabhängigkeit; zugleich wies es A.________ aus der Schweiz weg. Dies wurde im Rechtsmittelverfahren (mit jeweils angepasster Ausreisefrist) bestätigt, kantonal letztinstanzlich durch das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 2. April 2020.  
 
1.2. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. Mai 2020 beantragt A.________ beim Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 2. April 2020 sei aufzuheben und ihr sei der weitere Aufenthalt zu bewilligen. Zudem ersucht sie für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.  
Das Bundesgericht hat die Akten eingeholt. Weitere Instruktionsmassnahmen sind nicht angeordnet worden. 
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Ausländerrechts unzulässig gegen Entscheide betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen.  
 
2.2. Als deutsche Staatsangehörige kann sich die Beschwerdeführerin zwar grundsätzlich auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen; FZA; SR 0.142.112.681) berufen, welches ihr potenziell einen Bewilligungsanspruch einräumt. Die Vorinstanz verneinte freilich einen sich auf dieses Abkommen stützenden Aufenthaltsanspruch der Beschwerdeführerin aus unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit (vgl. Art. 4 FZA i.V.m. Art. 6 bzw. Art. 12 Anhang I FZA), und zwar mit der Begründung, es liege aktuell keine Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin in der Schweiz vor. Zudem kam die Vorinstanz zum Schluss, dass der Beschwerdeführerin kein Verbleiberecht nach Art. 4 Anhang I FZA zustehe, da sie keine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausgeübt habe. Schliesslich erkannte die Vorinstanz, dass sich die Beschwerdeführerin infolge fehlender finanzieller Mittel auch nicht gestützt auf Art. 24 Abs. 1 Anhang I FZA (Aufenthalt als nichterwerbstätige Person) in der Schweiz aufhalten könne (vgl. E. 3 ff. des angefochtenen Urteils).  
Mit Blick auf die genannten, zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz macht die Beschwerdeführerin vor dem Bundesgericht - anders als im kantonalen Verfahren - richtigerweise nicht mehr geltend, gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen einen Aufenthaltsanspruch zu haben. Ein im Freizügigkeitsabkommen verankerter Bewilligungsanspruch besteht vorliegend nicht. 
Ebenso wenig gegeben ist ein gesetzlicher Bewilligungsanspruch. 
Die Beschwerdeführerin macht indessen in gerade noch vertretbarer Weise geltend, Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV räume ihr einen Bewilligungsanspruch unter dem Aspekt des Rechts auf Achtung des Privatlebens ein. Sie bringt nämlich vor, schon sehr lange in der Schweiz zu leben und Bezugspersonen hier zu haben, womit eine besonders enge Bindung zur Schweiz bestehe. 
 
2.3. Von vornherein nicht einzutreten ist auf die Beschwerde insoweit, als die Beschwerdeführerin sinngemäss vorbringt, ihr weiterer Aufenthalt hätte bei richtiger Ermessensausübung bewilligt werden müssen (vgl. Beschwerde, S. 4). Denn damit macht sie keinen Aufenthaltsanspruch geltend. Die dem angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid zugrunde liegende Wegweisung kann im Übrigen ebenfalls nicht Gegenstand der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sein (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG).  
 
2.4. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt (vgl. Art. 42, Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 46 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 100 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung vom 20. März 2020 über den Stillstand der Fristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem Coronavirus [COVID-19; SR 173.110.4]). Mit der vorgenannten Einschränkung (E. 2.3) ist somit auf die Beschwerde einzutreten.  
 
3.  
 
3.1. Liegt nach einer längeren bewilligten Aufenthaltsdauer, die zwar zehn Jahre noch nicht erreicht hat, eine besonders ausgeprägte Integration vor (nebst engen sozialen Beziehungen namentlich auch in sprachlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht), kann es nach der Rechtsprechung unter gewissen Umständen den Anspruch auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV) verletzen, wenn eine Bewilligung nicht erneuert wird (siehe zum Ganzen BGE 144 I 266 E. 3.9 S. 278 f.).  
Vorliegend hat sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt, in welchem ihre Aufenthaltsbewilligung widerrufen worden ist, während etwas mehr als sieben Jahren rechtmässig in der Schweiz aufgehalten. Seit dem erstinstanzlich verfügten Bewilligungswiderruf konnte sie ihren Aufenthalt nur auf die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln stützen. Diesem Aufenthalt ist praxisgemäss kein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. BGE 137 II 1 E. 4.3 S. 8; Urteil 2C_417/2018 vom 19. November 2018 E. 7.2). Angesichts der bewilligten Aufenthaltsdauer von weniger als zehn Jahren setzt ein auf den Schutz des Privatlebens von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV gestützter Anspruch der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung entsprechend der genannten Rechtsprechung voraus, dass eine besonders ausgeprägte Integration vorliegt. 
 
3.2. Die Beschwerdeführerin ist nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten; von November 2014 bis im März 2019 bezog sie Sozialhilfeleistungen von über Fr. 80'000.--. Schon darum liegt, wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat (E. 6.5.1 des angefochtenen Urteils), keine gelungene Integration in wirtschaftlicher Hinsicht vor. Die finanziell missliche Lage der Beschwerdeführerin ist von ihr mindestens mitverschuldet, hat sie sich doch nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG) durch Eingehen einer Bürgschaft, deren Risiken ihr bekannt sein mussten, um ihre gesamten Ersparnisse aus dem Verkauf einer Liegenschaft gebracht und damit nach eigener Darstellung ihre gesamten finanziellen Rücklagen verloren (vgl. E. 2.2 und E. 6.4 des angefochtenen Urteils). Dass die entsprechende, wenn auch nur einmalige Vermögensdisposition im Vertrauen auf ihren damaligen langjährigen geliebten, sie täuschenden Lebensgefährten getroffen worden sein soll (vgl. Beschwerde, S. 4) und der verloren gegangene Betrag bei dessen Erben nicht mehr eingefordert werden kann, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführerin die Abhängigkeit von der Sozialhilfe in ausländerrechtlich massgeblicher Weise vorzuwerfen ist.  
Die Beschwerdeführerin bringt in diesem Zusammenhang auch vor, sie habe allein aufgrund von Beweisnot betreffend ein paar Beitragsmonate keinen Anspruch auf eine AHV-Rente. Es sei zu berücksichtigen, dass sie Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätte, wenn sie eine AHV-Rente beziehen würde. Mit diesem Vorbringen stösst die Beschwerdeführerin von vornherein ins Leere. Denn sie legt nicht ansatzweise dar, inwiefern erst der angefochtene Entscheid Anlass dazu gegeben haben soll, als neue Tatsache geltend zu machen, dass sie aufgrund von Beweisnot betreffend ein paar Beitragsmonate so zu stellen wäre, wie wenn ihr ein AHV-Rentenanspruch und ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen zustehen würden (vgl. zur Unzulässigkeit von sog. unechten Noven Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f.). Folglich ist diese Tatsache im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen. 
 
3.3. Wie die Vorinstanz sodann ebenfalls zutreffend festgehalten hat, ist die soziale Integration der Beschwerdeführerin nicht wesentlich anders zu beurteilen als deren wirtschaftliche Integration. Entsprechend den Feststellungen im angefochtenen Urteil ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin hierzulande über keine engen sozialen Beziehungen verfügt (vgl. E. 6.5.1 des angefochtenen Urteils). Die der Beschwerde beigelegten Schreiben von angeblichen Freunden vom 24., 26. und 27. April 2020 lassen sich in diesem Kontext nicht zugunsten der Beschwerdeführerin berücksichtigen, da sie nach dem angefochtenen Urteil entstanden sind und damit unzulässige echte Noven bilden (vgl. zum Verbot echter Noven BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit Hinweisen).  
 
3.4. Anders als nach der Darstellung in der Beschwerde hat sich die Vorinstanz für die Beurteilung der Integration nicht darauf beschränkt, allein die Einkünfte der Beschwerdeführerin zu würdigen. Rechtsprechungsgemäss (vgl. E. 3.1 Abs. 1 hiervor) kann für einen allein aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV) abgeleiteten Aufenthaltsanspruch zudem auch nicht (nebst der Aufenthaltsdauer) allein die innere Einstellung zur Schweiz massgebend sein. Die dahingehenden Ausführungen in der Beschwerde verfangen nicht.  
Die Vorinstanz ist nach dem Gesagten in bundesrechtskonformer Weise zum Schluss gelangt, dass bei der Beschwerdeführerin keine besonders ausgeprägte Integration vorliege, welche unter Berücksichtigung der ins Gewicht fallenden Aufenthaltsdauer von etwas über sieben Jahren (vgl. E. 3.1 Abs. 2 hiervor) gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen könnte. 
 
3.5. Die Vorinstanz hat sich in ihrem Entscheid ausführlich mit allen relevanten weiteren Aspekten auseinandergesetzt und die betroffenen Interessen sorgfältig abgewogen. Darauf ist hier zu verweisen (E. 6.3 ff. des angefochtenen Urteils). Ergänzend ist Folgendes festzuhalten:  
 
3.5.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet zwar die im Rahmen der Interessenabwägung getroffene Feststellung der Vorinstanz, dass aufgrund familiärer Kontakte zu ihrem Sohn bzw. zu dessen Familie die Möglichkeit einer emotionalen und administrativen Unterstützung der Beschwerdeführerin bei der Wiedereingliederung in Deutschland bestehe. Das zur Bestreitung dieser Feststellung beim Bundesgericht neu eingereichte, undatierte Schreiben des Sohnes der Beschwerdeführerin kann aber vorliegend als Novum nicht mitberücksichtigt werden. Entgegen der Beschwerde ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb erst der Entscheid der Vorinstanz (im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG) Anlass zur Einreichung einer eigenen Stellungnahme des Sohnes gegeben haben soll. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass die Einreichung der entsprechenden Stellungnahme deshalb erforderlich geworden wäre, weil - wie in der Beschwerde behauptet wird - die Vorinstanz entgegen einer anderslautenden Erklärung der Beschwerdeführerin verkannt hätte, dass ihre Beziehung zur Familie des Sohnes nicht in Ordnung sei: Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil festgehalten, dass die Beziehung der Beschwerdeführerin "zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn bzw. dessen Familie" belastet zu sein scheine (E. 6.5.2 des angefochtenen Urteils). Damit hat die Vorinstanz festgestellt, dass Anhaltspunkte für Spannungen zwischen der Beschwerdeführerin und der Familie ihres Sohnes bestehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich vorliegend auch keine offensichtlich unrichtige (d.h. willkürliche [vgl. BGE 140 III 115 E. 2 S. 116]) Sachverhaltsfeststellung im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG ausmachen.  
 
3.5.2. Die Vorinstanz hat den gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin eingehend beurteilt und in die Interessenabwägung miteinbezogen. Dabei hat sie namentlich festgestellt, dass hinsichtlich der psychischen und physischen Gesundheitsprobleme der Beschwerdeführerin genügend adäquate Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland vorhanden seien. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, lässt sich aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin in Deutschland gegebenenfalls in einem Alters- oder Pflegeheim untergebracht werden müsste, kein Anspruch auf einen weiteren Verbleib in der Schweiz ableiten. Es ist nicht ersichtlich, dass eine solche Unterbringung - wie in der Beschwerde ohne nähere Substanzierung behauptet wird - zu einer grossen sozialen Isolation der Beschwerdeführerin und daraus entstehenden weiteren allfälligen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen würde.  
Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung erweist sich insgesamt als recht- und verhältnismässig. 
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde im Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Wegen Aussichtslosigkeit kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung nicht stattgegeben werden. Dementsprechend wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (vgl. Art. 65 f. BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. August 2020 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: König